Dieses Thema bewegt mich seit einigen Monaten und ich finde es unerwartet selten in (u.a. medialen) Diskussionen wieder. Auch in der Lage würde ich mir eine fokussierte Betrachtung von Verantwortlichkeit und den Konsequenzen für nicht ausreichend getragene Verantwortung wünschen.
Im Politikbetrieb und im Besonderen in der Regierungsarbeit passieren natürlich Fehler. In der Rückschau muss man Strukturen und Menschen die Möglichkeit geben aus diesen Fehlern zu lernen, sich weiter zu entwickeln. Das sollte aber auch aktiv eingefordert werden.
In dieser Weise mit Fehlern differenziert umzugehen, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe und bestimmt meiner Meinung nach die langfristige Stabilität von Systemen.
Nicht nur die Pandemie hat aus meiner Perspektive sehr drastisch offen gelegt, dass in diesem Punkt in der Politik dramatische Mängel bestehen. Neben der Pandemie ist mir das insbesondere bei dem Abzug aus Afghanistan aufgefallen. Ich vermag oft nicht zu erkennen, dass für klar absehbare Folgen von nahezu garantiert eintretenden Ereignissen, sinnvolle und umsetzbare Vorkehrungen durch die verantwortlichen Personen (Minister) getroffen wurden. Die daraus resultierenden Schäden, die viele Menschen erleiden mussten, haben allem Anschein nach keinerlei Folgen für die Verantwortlichen.
Es ist nicht meine Absicht Politiker zu verurteilen, drakonische Strafen oder ständige Rücktritte zu fordern. Was mich erstaunt ist das vollständige(?) Ausbleiben von Konsequenzen. Eine Fehlwahrnehmung?
„Nur“(!) drei Beispiele:
-
Ein Minister investiert erhebliche Mittel in ein ein Projekt (PKW Maut) dessen rechtliche Zulässigkeit klar in Frage steht, obwohl eine verbindliche Klärung dieser Zulässigkeit absehbar war. Ich habe keine Folgen für den Minister erkennen können.
-
Mehrere Minister wissen langfristig, dass durch den Abzug der Bundeswehr eine sehr gefährliche Situation für die mitarbeitenden Afghanen entstehen wird. Eine Mitarbeit, ohne die der Einsatz sehr viel größere Risiken für deutsche Soldaten bedeutet hätte. Diesen Menschen gegenüber ist Deutschland, sind wir, mit klaren Aussagen zur Übernahme von Verantwortung gegenüber getreten. Der Abzug erfolge wie bekannt, nicht nur - aber zuerst auf der politischen Ebene, chaotisch. Das hat alle vor Ort Arbeitenden großen Risiken ausgesetzt. Es ist mindestens zu befürchten, dass es einige Menschen das Leben gekostet hat, um nur das schlimmste Resultat zu nennen. Ich habe keine Folgen für die Minister erkennen können.
-
Nachdem das Phänomen „Pandemie“ bereits 12 Monate lang die Welt in Atem gehalten hatte, wirken die „Vorbereitungen“ für absehbar notwendige Maßnahmen zur weiteren Bekämpfung der Pandemie im Verlauf 2021 insgesamt unbefriedigend. Zum Beispiel ist den Gesundheitsämtern offensichtlich immer noch keine konsistente Arbeit (u.a. Datenerfassung) ermöglicht. Den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen wird an vielen Stellen unnötig die belastende Arbeit erschwert. Infrastrukturen für Tests und Impfungen werden gegen wissenschaftliche Expertise aufgegeben. Sehr wahrscheinliche Entwicklungen mit absehbaren Schäden für die Gesellschaft werden ignoriert - z.B. mit der von Herrn Spahn angeregten Aufhebung der pandemischen Lage. Ich habe keine Folgen für den Minister erkennen können.
Es gibt viele weitere Beispiele und natürlich auch auf den Ebenen unterhalb der Bundes-Ministerposten. Wenn aber an den prominenten Stellen keine Fehlerkultur gelebt wird, wie sollte das auf anderen Ebenen glaubwürdig möglich sein? Warum werden nicht mal diese erheblichen Fehler, mit ihren sehr schweren Folgen, mit Konsequenzen für die Verantwortlichen belegt?
Ist es so undenkbar MinisterInnen nach derartigen Fehlern (teilweise) Kompetenzen zu entziehen oder deren Arbeit durch eine Themen bezogene Revision ihrer Arbeit zu durchleuchten/freizugeben?
Kann ein Außenminister im Amt bleiben, der erhebliche Verantwortung dafür trägt, das Menschen in seiner Zuständigkeit (vermeidbar) in große Gefahr geraten sind?
Darf es möglich sein, dass ein Gesundheitsminister wiederholt dem wissenschaftlichen und medizinischen Konsens zuwider handelt und das fortsetzen kann?
Mich besorgt welche Folgen das für den politischen Betrieb und die Demokratie hat. Wie wirkt so eine Folgenlosigkeit auf Personen im Politikbetrieb, gleich welcher Partei sie angehören? Gibt es dann überhaupt noch Anreize mit Fehlern umzugehen, wenn eine Regierung dadurch „schlechter Aussieht“ als die Vorherige?
Diese Unglaubwürdigkeit ist Wasser auf die Mühlen der Antidemokraten, wir müssen deren Treiben bereits zunehmend beobachten. Inzwischen gibt es Fackelmärsche!
Kennt ihr Beispiele (aus anderen Ländern) wie mit großen Fehlern konstruktiv umgegangen wird?
Wie können und sollten angemessene Konsequenzen aus so wesentlichen Fehlern aussehen?
Natürlich folgt Politik (auch) eigenen Gesetzmäßigkeiten, die bestimmen was nach Fehlern passiert und was nicht. Aber können und dürfen wir diese Folgenlosigkeit so hinnehmen?