USA will Patent für Covid-19 Impfung aussetzen

Hallo ChristianF,

ich verstehe Dein Argument, dass man wenn man über als AGs organisierte Großfirmen redet der Genauigkeit halber über alle Anteilseigner, denen staatliche Regulierung ggfs. schadet, reden sollte.

Das war es dann aber auch. Menschen die Geld in den Aktienmarkt investieren machen das ja, weil sie eine Rendite erhoffen, und diese Rendite kommt mit einem Risiko; auch mit dem Risiko von staatlichen Eingriffen.
Gerade Dein letztes Beispiel - Kohle und Waffen - sind jetzt glaub ich nicht so die super guten Beispiele, weil das beides Wirtschaftsgebiete sind die staatlicher Regulierung unterliegen und wo man überhaupt nicht davon ausgehen sollte dass diese Regulierung in den nächsten 2 Jahren nicht erhöht werden wird

Ich sehe das aus dem Grund kritischer, weil es konkret zu dem Zustand führt, dass 15 % der Weltbevölkerung fast die komplette Impfstoffproduktion aufkaufen. Gesundheit und Profite kollidieren häufig sehr stark und ich sehe das Recht auf Leben für mehrere Milliarden Menschen einfach als schwerwiegenderen Grund als das Recht an einem Patent.

Ich glaube auch dass wir beide eine andere Debatte führen würden, wenn Deutschland keinen Impfstoff abbekommen hätte so wie viele andere Länder der Welt.

Ich stimme aber zu dass zu diese konkrete Idee Schwachsinn ist. Man hätte sich einfach am Anfang an einen Tisch setzen können um gemeinsam mit der WHO zu sehen wie viel Impfstoff benötigt wird und was man tun kann um diesen zu produzieren und vernünftig zu verteilen. Da unsere Wirtschaftsleistung allerdings an die Impfungen geknüpft ist, haben wir uns für den Egotrip entschieden und so schließt sich der Kreis. Alles was bleibt ist eine vollkommen sinnfreie Geste…

Das ist natürlich ein riesige Ungerechtigkeit und ein gravierendes Problem, aber nicht die Folge der Patente, sondern der Knappheit an Produktionskapazitäten und Personal und deren ungleichen Verteilung.

Die Frage ist einfach, wie eine wirksame Lösung dieses Problems aussehen kann - und die Freigabe der Patente scheint keine zu sein, aber viele Nebenwirkungen zu haben. Das ist linker Populismus.

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Da sind wir uns denke ich einig. Aber linker Populismus… Ich weiß nicht, die Argumente von Philip und Ulf wonach es die Industrienationen von der Pflicht befreit selber zu produzieren macht für mich sogar noch mehr Sinn. In dem Fall wäre es eher das Gegenteil…

Wenn Politiker laut darüber nachdenken, den Patentschutz auszusetzen, dann ist das Ziel natürlich nicht, den Patentschutz auszusetzen. Es geht wohl eher darum, die Unternehmen unter einen gewissen Druck zu setzen, nicht nur ihren Gewinn zu maximieren (was ja auch durch Verknappung funktionieren kann), sondern wirklich auf maximale Produktion und Engagment auch auf den weniger rentablen Märkten der armen Länder zu setzen.

Entsprechend ist ja auch die Antwort von Moderna zu verstehen, darüber keine schlaflosen Nächte zu verlieren: Eure Ankündigung ist eine leere Drohung. Letztlich werden die Unternehmen aber vermutlich doch einlenken. Man legt sich ja nicht ohne Not mit der Staatengemeinschaft an, wenn man so oder so ein ordentliches Geschäftsergebnis erzielen kann.

Ähnlich gelaufen ist das z.B. vor 20 Jahren, als eine kleine leverkusener Firma namens Bayer zur Zeit der Anthrax-Anschläge zufällig das einzig wirksame Medikament gegen Milzbrand patentiert hatte: Entweder ihr einigt euch mit der Regierung, oder es heißt Patent, Schmatent.

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Bei hoher Nachfrage und Konkurrenz wird man durch Verknappung seinen Gewinn wohl nicht maximieren. Statt dessen würde man so viel produzieren, wie man kann, sonst macht die Konkurrenz das Geschäft.

Allerdings könnte es durchaus darum gehen, Druck auf die Preise auszuüben.

Es könnte aber auch so sein, dass es Biden schlicht nichts kostet, der Good guy zu sein: In der WTO liegt der schwarze Peter jetzt bei Deutschland; Deutschland wird die Freigabe blockieren. In jedem Fall dauert es und bis dahin sind die USA durchgeimpft. Wenn es wirklich zu einer Produktion durch andere Firmen käme (was ja zweifelhaft ist), finanzieren das nicht die USA, sondern die enteigneten Aktionäre wie ich.

Was kurzfristig helfen würde wäre es Export von Impfstoffen. Das würde Biden viel mehr kosten- in jeder Hinsicht…

Die Antwort von Moderna muss insbesondere in dem Kontext gesehen werden, dass Moderna schon seit letztem Herbst auf die Durchsetzung seiner Patente für die Dauer der Pandemie hochoffiziell verzichtet hat. Es würde sich für Moderna durch eine erzwungene Freigabe daher genau gar nichts ändern - was schon geschehen ist, muss nicht mehr erzwungen werden.

Und natürlich hat sich Moderna was bei dem Move letztes Jahr gedacht, nämlich dass die Patente sowieso zumindest für die Dauer der Pandemie nicht der begrenzende Faktor sein werden. Das wussten die damals schon, und daran hat sich seither nichts geändert. Außer dass der US-Präsident jetzt halt offenbar nen Blick ins Marketing-Playbook von Moderna geworfen hat und sich wohl gedacht hat „was die auf Firmenebene können, das kann ich auf Länderebene auch!“.

Sehr spannende Diskussion! Aber mal in eine andere Richtung gedacht: Könnte der Vorstoß Bidens nicht einfach Wirtschaftsförderung sein?

Aktuell gibt es zwischen BioNTech und Pfizer das Abkommen, die Gewinne aus den Impfstofferlösen 50/50 auf die beiden Unternehmen aufzuteilen. Da Pfizer fast die gesamte Produktionskapazität stellt, liegt der Verdacht nahe, dass BioNTech hauptsächlich mit Patenten zu dem Impfstoff beiträgt. Würden diese jetzt aufgehoben, wäre dieses Abkommen wohl hinfällig und Pfizer könnte weltweit produzieren, ohne das BioNTech auch nur einen Cent sehen würde.

Die Gefahr, dass andere die US eigenen Patente (z.B. Moderna) nutzen könnten ist hingegen gering, da die Produktion nicht einfach kopiert werden kann. Dies wäre nur bei Vektorimpfstoffen gegeben, die aber in dem USA nur einen Bruchteil der Kapazitäten ausmachen.

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Das halte ich für sehr weit hergeholt.

Erstens würde ein Kooperationsvertrag nicht einfach dadurch ungültig, dass der eine Kooperationspartner plötzlich durch einen glücklichen Zufall ohne den anderen auskommen könnte und unter diesen Bedingungen jetzt keinen solchen Vertrag mehr schließen würde. Vertrag ist Vertrag und gilt, sofern nicht Ausstiegsklauseln festgelegt wurden für genau den eingetretenen Sonderfall (was ich in diesem Fall für unwahrscheinlich halte).

Zweitens profitieren beide Partner so sehr von dieser Kooperation, dass es auch einfach dumm wäre, sich im Bösen zu trennen - und nix anderes wäre ein solcher Bruch aus Sicht von BioNTech. Pfizer mag ja die Herstellung dieses Impfstoffes jetzt durchaus allein bewerkstelligen können, aber was ist mit Anpassungen an Varianten in Zukunft? Was ist mit Projekten fernab von Covid-19? Man sollte auch wissen, dass sich die beiden Firmen bereits vor Comirnaty kannten und Kooperationen laufen hatten, BioNTech ist ja auch eigentlich eine Bude die neuartige Behandlungen gegen Krebs erforschen wollte - auch nach Covid-19 ein sehr vielversprechender Markt, und nachdem Comirnaty jetzt deren mRNA-Plattform validiert hat, ist die Erwartung natürlich, dass dies einen Boost für diesen Bereich ergeben dürfte. Wäre ich Pfizer, würde ich mir potenzielle weitere Partnerschaften in dem Bereich mit einem Top-Performer wie BioNTech jedenfalls nicht entgehen lassen wollen für ein paar Milliarden zusätzlichen Gewinn heute, die in der Bilanz von Pfizer nicht mal auffallen dürften.

Und drittens: der zusätzliche Gewinn wäre ohnehin marginal. Ohne die Partnerschaft fällt der Teil der Produktion in der EU, die größtenteils BioNTech stemmt, ja weg aus der Betrachtung von Pfizer - aktuell bekommen sie auch dafür 50%. Das ist mindestens 1/3, möglicherweise mehr (Marburg 1 Mrd Dosen von 3 Mrd insgesamt angepeilt, aber in Mainz wird auch noch produziert, in mir unbekannter Menge), und da sind bedeutende Kunden dabei wie die 900-1800 Millionen Dosen für die EU, die laut Vertrag in Europa und damit im Falle einer Abspaltung von BioNTech produziert werden sollen. Weiterer Faktor außerdem: die EU beliefert momentan den Weltmarkt, da die USA nix exportieren. Die Kohle dort wird also mit EU-Produktion gemacht. Das dürfte sich zwar mittelfristig ändern, wenn die US-Verträge erst mal erfüllt sind, aber den USA ist deutlich eher zuzutrauen, wieder dieselbe isolationistische Politik zu fahren für mögliche Booster-Impfstoffe in der Zukunft wie der EU. Will man Geld am Weltmarkt verdienen, ist das keine so geile Perspektive.

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Danke für deine ausführliche und nachvollziehbare Einschätzung. Die Punkte klingen plausibel und ich hoffe, dass du Recht hast.

Genau dieses Beispiel zeigt doch, dass Pharmakonzerne hoch risikobereit sind, wenn sich der Einsatz am Ende lohnen dürfte. Biontech/Pfizer und andere haben teilweise über mehr als eine Milliarde Impfdosen zum Vollpreis an USA, EU und andere verkauft. Für die hat sich dieses Geschäft längst im großen Stil gelohnt, zumal die Forschung an den Impfstoffen mit erheblichen öffentlichen Mitteln gefördert worden ist. Biontech beispielsweise hat vom BMBF 375 MIllionen Euro bekommen; die USA hatten ihre Operation Warp Speed. Heißt: Ein großer Teil der Forschungsausgaben ist von der Öffentlichkeit getragen worden; das finanzielle Risiko ist mehr als vergoldet worden, und zwar auf Jahre; und jetzt könnte (!) durch eine vorübergehende (!) Einschränkung des Patentschutzes der zu erwartende zukünftige Gewinn geschmälert werden. Ich möchte das Unternehmen sehen, das auch in Anbetracht des möglicherweise (nicht sicher!) kommenden TRIPS-Waivers nicht wieder in einen solchen Impfstoff investieren will. Moderna stünde heute sehr viel schlechter da, wenn es das Risiko nicht eingegangen wäre und Biontech/Pfizer das Feld überlassen hätte.

Steile These. Woher nimmst Du diese Schlussfolgerung? Denn die Gewinne aus einer erfolgreichen Forschung muss ja nicht nur die Forschungsausgaben für dieses Projekt, sondern auch für alle nichterfolgreichen Projekte decken. Auch wenn man angesichts der schieren Absatzmenge das meinen mag: Ist das nicht eine etwas vorschnelle Schlussfolgerung?

Was ich - ganz allgemein - befremdlich finde ist dieser Reflex, hohe Gewinne per se zum Argument zu nehmen, sie den erfolgreichen Unternehmen nicht gönnen und irgendwie wieder wegnehmen zu wollen …

Worüber man beim nächsten Mal nachdenken sollte, ist eine Forschungsförderung, die bei Erfolg aus den Gewinnen zurückzuzahlen wäre.

Nur damit wir wissen über welche Mengen an Geld wir hier reden:

Von den nicht rückzuzahlenden staatlichen Fördermitteln entfallen auf die deutschen Impfstoffentwickler:

  • Biontech: 375 Millionen Euro
  • Curevac: 252 Millionen Euro
  • IDT Biologika: 114 Millionen Euro

Davon hat das Mainzer Unternehmen [Biontech] laut Bundesforschungsministerium bislang knapp 326 Millionen Euro erhalten, [Curevac] aus Tübingen etwa 103 Millionen Euro und IDT Biologika aus Dessau fast 20 Millionen Euro.

Quelle:

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Um es auch hier explizit zu machen: man nimmt das Geld nicht „den Unternehmen“ weg, sondern seinem Aktionären - und die haben und brauchen diese Aktien oft als Altersvorsorge. Aktienbesitz gibt es nicht nur bei Superreichen und Zockern!

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Absolut richtig. Das kann ich aus meiner eigenen Tätigkeit als Angel Investor anekdotisch bestätigen: Biotechnologie ist stark gehebelt durch öffentliche Fördermittel und -Kredite.
Sonst wären die Risiken wahrscheinlich prohibitiv und niemand würde mehr investieren.

Edit: anekdotisch

Ich nehme die These erstens aus dem Quartalsgewinn von Biontech, 1,7 Milliarden Euro, und der Umsatzprognose von 12 Milliarden Euro für 2021 allein auf Grund bereits bestehender Lieferverträge: Corona-Impfstoffe: Biontech meldet Gewinn und stockt Produktion auf - Wirtschaft - SZ.de
Daraus schlussfolgere ich: Die Unternehmen, die schnell einen wirksamen und sicheren Impfstoff herstellen, produzieren gigantische Gewinne. Die Diskussion um mögliche Paten-Aussetzungen dürfte in Anbetracht dieser Umsätze keinen Investor abschrecken, besonders nicht wenn bald die Booster kommen müssen.
Schauen wir in die Zahl der Corona-Vakzine, an denen geforscht wird. Laut WHO sind das 280, Stand 7. Mai: COVID-19 vaccine tracker and landscape Vielleicht setzen sich am Ende nur 10, vielleicht 20 durch. Heißt: Über 90% der Kandidaten sind verlorenes Risikokapital, oder verlorene öffentliche Forschungsförderung. DAS ist das echte Risiko, aber nicht Patentaussetzungen für die Vakzine, die funktionieren und Milliardenumsätze garantieren.
Es ist vielmehr eine zu belegende Behauptung, Konzerne bräuchten die Gewinne, und zwar uneingeschränkt, weil sonst niemand mehr forschen würde. Ich gönne den Entwickler*innen jeden Erfolg, und sie sollen auch gerne reich werden, verdient haben sie es. Aber an der Stelle, wo exzessive Gewinnerwartungen zum Schaden Dritter werden, müssen Staaten einschreiten. Da kann man eigentlich nur dann eine Neiddebatte sehen, wenn man unbedingt eine sehen will.
Schaue ich mir z.B. den Börsenkurs von Pfizer über die vergangenen 6 Monate an, dann sehe ich da keinerlei Einfluss der Patent-Diskussion. Das führt uns aber zu einem anderen, in meinen Augen viel wesentlicheren Punkt: Die Patent-Aufhebung wird schlicht keinen oder nur einen minimalen Effekt bringen. Die Investoren checken das, und deshalb ist der Börsenkurs von Pfizer unbeeindruckt von Bidens Ankündigung. Der Kurs lag Ende April um die 32 Euro, und er liegt heute bei etwas über 32 Euro.

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… nachdem sie jahrzehntelang Verluste gemacht haben.

1 Milliarde Gewinn und 12 Milliarden Jahresumsatz (bei dann 6 Milliarden Gewinn, wenn man mal dieselbe Marge annimmt) sind nett, aber sorry, gigantisch ist anders.

Wenn du gigantische Gewinne und Umsätze sehen willst, schau zu Apple. 245 Milliarden Umsatz, 57 Milliarden Gewinn! Und nun mögen iPhones ja durchaus unglaublich praktisch sein (ich schreibe diesen Text gerade auf einem) aber sie sind nicht der Schlüssel dazu, wieder ein Leben mit Kontakt zu anderen Menschen, Konzerten, Kultur und ohne Angst, die Großeltern liegen morgen auf der Intensivstation in Bauchlage, zu führen. Impfstoffe sind genau das.

Das ist wie in der alten Visa-Werbung: …unbezahlbar.

Ich gehe konform mit deiner Annahme, dass eine Patentaufhebung keinen großartigen Einfluss auf die Umsätze haben wird (aber aus anderen Gründen: weil sie entweder nicht kommt oder nichts daran ändert, dass man nur mit der Erlaubnis allein rein praktisch keinen Hightech-mRNA-Impfstoff herstellen kann). Aber der Grund, warum Pfizers Kurs sich kaum bewegt, ist ein anderer: Pfizers Jahresumsatz mit Medikamenten ohne diesen Impfstoff liegt bei 42 Milliarden $, mit vielen Milliarden Gewinn (weiß ich grad nicht auswendig, sorry). Für die ist Comirnaty sicher ein fetter Boost, aber die überleben auch ohne, und das sehr gut. Daher ging der Pfizer-Kurs auch nicht durch den Comirnaty-Erfolg durch die Decke, sondern nur moderat hoch.

BioNTechs Umsatz ist hingegen irgendwo bei ein paar zehn Millionen oder so gewesen, bei einem Millionenverlust (!). Deren Umsatz bestand bislang vor allem daraus, Geld in unprofitable Forschung zu stecken.

Für BioNTech ist Comirnaty daher ein Hammer-Game-Changer, der ein bislang experimentelles Biotech-Unternehmen schlagartig zu einem Unikum im Biotechnologie-Markt macht, nämlich ein Bleeding-Edge-Biotech mit einem Gewinn einfahrenden Produkt! Das ist komplett verrückt, so was, eigentlich gibt es sowas nicht, die Pharmabranche teilt sich eigentlich auf in Bleeding-Edge-Forschungsbuden die ständig Verluste einfahren mit der großen Hoffnung, eines Tages den totalen Durchbruch auf einem neuen Gebiet mit einer neuen Idee zu schaffen, und andererseits Dickschiffe wie Pfizer, die eher behäbig agieren und ihre bestehenden Mittel zuverlässig monetarisieren, auch neue Forschung machen, aber mehr zur Weiterentwicklung ihres bestehenden Portfolios, während sie das total krasse neue Zeug meist irgendwelchen Start-ups überlassen (und sich höchstens an denen gelegentlich beteiligen). Comirnaty ist für BioNTech die Once-in-a-Lifetime-Chance, echte Gewinne aus einem echten Produkt mit echtem Bedarf zu nutzen, um von diesem Sprungbrett aus ihre nun validierte mRNA-Plattform weiterzuentwickeln und darauf aufbauend ihren eigentlichen Traum der individualisierten Krebsmedikation in einen florierenden Geschäftszweig zu verwandeln - und vielleicht noch die eine oder andere weitere Anwendung für mRNA-Technologie zu finden. BioNTech kann den Sprung auf die Seite, auf der Pfizer und die anderen Multis schon sind, schaffen, und dabei die Pharma-Landschaft fundamental verändern bzw. erweitern.

Das Problem dabei ist aber: das geht auch weiterhin nicht ohne Risiko. BioNTech muss das Geld aus Comirnaty größtenteils investieren, in weitere Forschung, in Produktionsaufbau, in Skalierung ihres operationellen Personals, in Maschinen und so weiter. Das kostet alles nicht nur einmalig, sondern erhöht auch die laufenden Kosten massiv auf Jahre hinweg und schafft daher neue Risiken, denen das Unternehmen bislang nicht ausgesetzt war, als es noch eine kleine Forschungsbude war. Dementsprechend kann ein plötzlicher Wegbruch dieser Gewinne (und die Angst davor ist genau, was geschürt wurde durch die US-PR-Aktion mit der Patentfreigabe) das Unternehmen potenziell auch ganz schnell wieder ruinieren - und anders als Pfizer hat BioNTech kein bestehendes Produktportfolio, das so viel Gewinn abwirft, dass damit jegliche neuen Verbindlichkeiten langfristig gedeckt werden können.

Investoren, die sich ein bisschen mit dem beschäftigt haben, was sie da kaufen, wissen obige Punkte, und haben sich daher entweder für die sichere Nummer Pfizer oder das Risikoinvestment BioNTech entschieden. Und wie das so ist mit Risikoinvestments - da geht manch einer halt schnell rein und auch schnell wieder raus, wenn’s ihm zu heiß wird (zumal dann, wenn das Papier sich gerade binnen eines Monats mehr als verdoppelt hat!). Eine Pfizer kaufst du dagegen als Langzeitinvestment.

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Korrigiert mich, aber waren Patente nicht mal dazu da, dass man seine Erfindung offengelegt hat und jemand anderes mit Know-How an Engineering und mit Produktionsstätten das Erfundene dann herstellen konnte? Und ich als Erfinder habe dann dafür Geld bekommen?

Wenn dem so ist, hier eine Fangfrage: Wo sind wir falsch abgebogen? :wink:

Nein, dafür sind Lizenzen und Technologietransferabkommen da. Das verlangt aber nach personellem Involvement des Erfinder-Unternehmens, das dafür in der Regel Personal zum Lizenznehmer schickt und den zur Produktion befähigt. Dabei kommen für gewöhnlich viel umfangreichere interne Dokumentationen der Prozesse zum Einsatz als das, was im Patent steht.

Das Patent hat den Zweck, eine stark kondensierte und abstrahierte Beschreibung einer Erfindung für die Gesellschaft allgemein zu „sichern“, also sicherzustellen, dass diese Erkenntnisse grundlegend erhalten und für die Gesellschaft zugänglich bleiben (auch wenn der Firmensitz des Erfinders und alle sonstige Dokumentation abbrennen sollte, z.B., oder er das aus Böswilligkeit alles vernichtet) und auch als Basis für weitere Entwicklungen dienen können. Als Gegenleistung erhält der Erfinder ein zeitlich begrenztes Monopol auf die wirtschaftliche Auswertung der Erfindung selbst als auch allen darauf basierenden weiteren Erfindungen (die wiederum durch weitere Patente geschützt sein können, aber deren Erfinder nicht entbinden, eine Lizenz für ersteres Patent zu erwerben). Dieses ist natürlich dann wiederum eine wichtige rechtliche Grundlage für obig beschriebene Lizenzen und Abkommen, aber eben nur eine der Grundlagen. Es gibt nicht mehr viel Technologie, die so banal ist, dass man rein auf Basis des Patent-Textes einfach so und instantan einen Nachbau in selber Qualität und Effizienz produzieren kann. Meist will man als Produzent das ganze gesammelte Detailwissen des Erfinders anzapfen, und daher ist dieses Wissen über das im Patent veröffentlichte hinaus ebenfalls wichtige Grundlage für die Vergabe von Lizenzen, der Zugriff darauf wird quasi mitbezahlt mit der Lizenzgebühr.

Gute Frage!

Es ist wie immer: mit der Zeit optimierten alle Parteien ihre Resultate.

Für Patente bedeutet das: ein guter Patentanwalt weiß genau, wo man wichtige Details weglassen oder im Ungefähren beschreiben kann, ohne dass das Patent abgelehnt wird. Hinzu kommt, dass Technologie immer komplexer wurde, Patente sind aber nach wie vor Dokumente begrenzter Größe. Du kannst nicht ein industrielles Verfahren, das eine Dokumentation mit dem ausgedruckten Umfang eines 40-Tonners zur wirklich lückenlosen Beschreibung benötigt, auf Basis genau dieser Dokumente patentieren, das ist organisatorisch nicht machbar. Es gibt aber immer mehr Technologie, deren Dokumentation in solche Größenordnungen vorstößt. Bei der Patentanmeldung muss also mehr denn je abstrahiert und zusammengefasst werden, und wenn das nicht schon allein dafür sorgt, dass wichtige Details hinten runterfallen, weil irgendwann einfach alles Unwichtige weggestrichen und trotzdem noch zu viel Text übrig ist, erzeugt es mindestens genug Gelegenheiten, absichtlich Details unklar zu lassen, um sich vor der Konkurrenz einen gewissen Vorsprung zu bewahren.

Speziell in diesem Fall jetzt kommt noch die Komponente Zeit und begrenzter Pool an Know-How-Trägern in diesem Bereich hinzu. Mit genug Zeit kann man sicher die Verfahren von BioNTech reverse-engineeren, und die Patente helfen ziemlich sicher dabei. Vorausgesetzt man findet Leute die mit Mikrofluidik und mRNA-Biotechnologie grundsätzlich umgehen können. Und kann die nötigen Maschinen kaufen. All das ist aber aktuell Mangelware - wenn du in ein paar Jahren ein qualitativ überzeugendes Endprodukt und die Produktion in großem Maßstab im Griff hast, braucht es dann keiner mehr.

Wäre das hier ein ganz normales Medikament mit irgendeinem einfach herzustellenden Wirkstoff (trifft auf die allermeisten Medikamente zu) wäre das anders, da nimmst du das Patent und kochst das nach, und nach ein paar Versuchen hast du denn Dreh raus und kannst produzieren. So funktionierte das bei den immer gern als Beispiel für „Notfall-Patentfreigaben“ genannten HIV-Medikamenten. Aber Impfstoff generell ist ein anderes Biest, und mRNA-Impfstoff ganz speziell ist die aktuelle Krönung der Impfstofftechnologie. Das muss man eher damit vergleichen, als wolle jemand die Chipknappheit durch Nachbau des 5-Nanometer-Chip-Prozesses und der dafür nötigen Maschinen von TSMC und ASML beheben.

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