Undemokratische Justizstrukturen? Wie hilfreich ist eine "demokratische Kultur"?

Es wird erklärt, dass in Deutschland

  1. Richter von der Exekutive ernannt werden
  2. die Staatsanwaltschaft der Exekutive unterstellt ist

Und dann wird allerdings dieses antidemokratische System mit dem Argument verteidigt, dass in Deutschland ja eine „demokratische Kultur“ existiere. Dieses Argument funktioniert nicht.

Diese „demokratische Kultur“ oder weniger moralisch aufgeladen ausgedrückt, diese „soziale Norm“ ist in ständigem Wandel. Sie untersteht keiner Demokratischen kontrolle, sondern dem Wohlwollen der Leute in kulturellen Machtpositionen. Das funktioniert in einer streng patriarchischen Hegemonie, wie wir sie aus der pre-internet Zeit gewohnt waren ganz wunderbar. Inzwischen liegt die Definitionsautorität darüber was „soziale Normen“ sind allerdings nicht mehr bei den Menschen in Machtpositionen.

Krass deutlich wird das, wenn man sich anschaut, dass Trump sich den vermutlich mächtigsten Job der Welt gesichtert hat, indem er gegen diese „sozialen Normen“ gehandelt hat. Ob er selbst damit dann die „soziale Norm“ geändert hat, oder er einfach nur aufgezeigt hat, dass diese „soziale Norm“ wie sie von den anderen Poltikier:innen angenommen wurden, in der realität nicht mehr existierten, mag ich nicht beaurteilen.

Genau mit den selben Argumenten, mit denen Ulf hier erklärt, weshalb das deutsch Justizsystem demokratisch sei, hätte man bis 2015 argumentieren müssen, dass Trump nicht Präsident werden kann. Denn, frei nach Ulfs Argument: ‚Es wäre politischer Selbstmord, gegen diese „demokratische Kultur“ zu verstoßen.‘

Es gibt eine schöne Serie auf YouTube, die politsche Dynamiken durch die Linse von Gamedesign betrachten. Eine Episode behandelt genau dieses Thema. Kann ich nur Empfehlen:

The Rules of Society - Rules, Part 1 - Extra Politics - #4
Extra Credits
The Rules of Society - Rules, Part 1 - Extra Politics - #4 - YouTube


Hier noch zwei Punkte, die nicht direkt das Thema sind, aber ich gerne nennen möchte, damit die Diskussion weniger potential bietet abzugleiten:

Ich möchte deutlich machen, dass ich ganz klar der Meinung bin, dass Ulf hier nicht versucht ein Narrativ zu verbreiten, von dem er selbst weiß, dass es unsinn ist. Man darf imho, auf rein psycholigischer menschlichen Ebene, von einem Richter einfach nicht fordern, dass er sein eigenen Berufsstand als systemisch demokratiegefährdent wahr nimmt. Und erst recht nicht, dies ganz nebenher öffentlich zu deklarieren.

Und ob die deutsche Justiz tatsächlich so unabhängig ist, würde ich persönlich auch stark infrage stellen. Wirkt auf mich wie ein organisch gewachsene Damoklessituation. Klar sind alle Beteiligten scheinbar unbehelligt. Aber ist man auf unbewusster emotionaler Ebene tatsächlich unbehelligt davon, dass einem jederzeit ein Schwert in den Kopf fallen kann? Aber diese can of worms möchte ich hier nicht aufmachen - ich möchte nur nicht die Prämisse verfestigen, dass aktuell die deutsche Justiz völlig unabhängig agiert.

Du meinst vermutlich „nicht rechtsstaatlich“ … antidemokratisch ist das ja nicht, man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass die Exekutive immerhin direkter demokratisch legitimiert ist als die Justiz.

Ganz im Gegenteil geht es bei der Gewalltenteilung ja darum, die Judikative von allzu viel Einfluss der gewählten Legislative und der von ihr kontrollierten Exekutive abzuschotten.

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Genau so meinte ich das. Vielen Dank für den Hinweis!