Das finde ich recht nebulös. Man kann natürlich den Standpunkt einnehmen, dass jeder sich selbst am meisten vertrauen sollte, statt irgendwelchen fremd-ernannten Experten, aber dabei sollte man auch an all diejenigen Menschen denken, deren Wahrnehmung gerade das ist, was ihnen am besten passt. Ich denke, das sind ungefähr alle Menschen, Wissenschaftler*innen mit eingeschlossen.
Gerade deshalb bin ich sehr für einen gewissen wissenschaftlichen Konsens, weil dieser das Potenzial hat, der (meines Erachtens natürlichen) Auffassung des Menschen, dass der Status Quo das Beste ist, etwas entgegenzusetzen.
Muss ich ihnen zustimmen, das habe ich nicht allzu gut formuliert bekommen. Was ich meinte ist, dass die Wissenschaft nicht die eigene Wahrnehmung ersetzen kann. Etwas zu tun, wie z.B. sich impfen zu lassen nur aufgrund der wissenschaftlichen Meinung, dass dies für die Gesamtgesellschaft förderlich ist, ist problematisch, da hier von Fachleuten die eine abstrakte Gefahr (Corona) gegen eine andere abstrakte Gefahr (Impfrisiken) abgewogen wird. Für mich sind beide Gefahren gleich wenig greifbar, da ich niemanden mit schweren Corona Verlauf oder Impfnebenwirkungen kenne noch persönliche Erfahrungen damit habe. Bei der Grippeimpfung kann ich die für mich viel realere Gefahr einer Grippeerkrankung, die ich aus eigener Erfahrung sowie aus meinem Umfeld gut kenne, gegen eine abstrakte Gefahr von Impfrisiken abwägen. Somit ist ein Bezug zu meiner Realität hergestellt und ich kann eine aufgrund meines Erfahrungsschatzes konsistente Entscheidung fällen; wie gut diese dann ist sei mal dahingestellt.
Sicher, aber wie kann ich als Laie denn herausfinden, welche Aussage aus der Wissenschaft nun nachprüfbar ist?
Eventuell garnicht. Wenn sie dies nicht können, ist dies meiner Meinung nach ein guter Indikator dafür, dass es sich um eine Diskussion handelt, die in den wissenschaftlichen Rahmen gehört. Es dauert seine Zeit bis in der Wissenschaft verschiedene Eckpunkte einer Theorie rauskondensiert sind; Theorien werden meistens mit der Zeit einfacher bzw. klarer und damit auch leichter zu transportieren. Die Sinnhaftigkeit aller bisher etablierten Schutzmaßnahmen gegen bekannte übertragbare Krankheiten sind auch für Laien leicht nachzuvollziehen, dies scheint mir bei Corona anders und das deute ich als Zeichen, das die Wissenschaft da noch keine ausreichenden Erkenntnisse hat.
Wenn ich das zusammennehme mit deinen obigen Worten, klingt das, als ob „die Wahrnehmung der der Leute“ dir höherwertig ist als „die Wahrnehmung der Wissenschaftlerinnen“ (a.k.a. der wissenschaftliche Konsens, die Meinung der Mehrheit der Wissenschaftlerinnen).
Versteh mich nicht falsch, der wissenschaftliche Konsens lag mitunter auch falsch, aber ich halte es für treffsicherer in Zeiten von Unsicherheit, dem wissenschaftlichen Konsens zu vertrauen als dem Bauchgefühl der Leute.
Die Aufgabe der Wissenschaft ist es dass zu erklären, was wir wahrnehmen oder anders gesagt, alles was sie beschreibt muss im Endeffekt wieder im Einklang mit unserer Wahrnehmung stehen. (Quantenmechanik ist da evtl ein ganz gutes Beispiel: Kann man nicht sehen, kann man nicht anfassen, es passieren andauernd verrückte und undenkbare Dinge aber am Ende müssen auch hier alle Ergebnisse im Einklang mit unserer Wahrnehmung stehen).
Und nochmal, weil das glaube ich ein Punkt ist, bei dem im Moment mit am meisten schief geht: Ein wissenschaftlicher Konsens entsteht nicht, weil eine Mehrheit von Wissenschaftlern sich zusammentut und erklärt was sie im Moment in ihrem Fachgebiet für richtig und gültig erachtet. Wissenschaft ist ein Wettbewerb, der mit der besten Theorie gewinnt, auch wenn das nur einer ist (Galileo, Einstein,…); alle anderen folgen dann. Eine neue Theorie erscheint nicht irgendwo und wird plötzlich von allen akzeptiert. In manchen Fällen setzt sich eine neue, bessere, Theorie erst dann vollständig durch, wenn die letzten Vertreter der zu verdrängenden Theorie ausgestorben sind.
Für ein größeres Problem halte ich es, wie Wissenschaft im Rest der Gesellschaft wahrgenommen wird. Das ist sicher ein Problem, dass die Wissenschaftler*innen nicht angegangen sind, man kann dazu aber auch sagen, dass sie ungefähr nichts davon haben (man wird dafür nicht berufen, Geld für Öffentlichkeitsarbeit ist auch erst seit kurzem dafür da).
Wie gesagt halte ich nicht besonders viel davon, dass sich die Kreise des gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurse zu stark vermischen. Vielmehr ist es doch so, dass Politik und Gesellschaft die Wissenschaft dazu drängen schnellstmöglich Antworten auf Fragen zu liefern und sie diese, wenn man ehrlich ist, in vielen Bereichen nicht liefern kann. Einige Wissenschaftler versuchen dem dennoch gerecht zu werden und schaffen dies mal mit mehr oder weniger Erfolg.
Ein Problem ist etwa, dass dauernd einzelne Studien zitiert werden (auch in der Corona-Krise, aber auch schon davor), statt zu sagen „Es gibt noch keine Review-Studie, wir wissen es nicht genau“.
Ich denke, in Anbetracht des Zeitdrucks, bleibt einem wenig, als auf Expert*innen zu hören.
Ich kann mich da Martin nur anschließen: Drostens Podcast halte ich für ausgezeichnet, gerade weil er immer sehr exakt darauf hinweist, wo er selbst nur einen „educated guess“ macht, wo er voll aus seinem Fachgebiet schöpft und wo er keine Ahung hat und deshalb nichts dazu sagen will.
Da bin ich bei ihnen, Experten müssen gehört werden. Allerdings müssen diese sich dann darauf beschränken zu berichten was sie wirklich wissen.
Ich habe den Podcast von Drosten auch öfter gehört und ich finde ihn schrecklich. Ich habe absolut kein Interesse daran einen „educated guess“ von Drosten zu erhalten und mir ist es schleiherhaft, wieso dieser denkt es wäre als Wissenschaftler angebracht so etwas in die Welt zu setzen. Mich interessiert von Drosten nur das was er wirklich nachweisen kann und da ist das was er an neuem Erzählen kann schon seit Monaten aufgebraucht. Eine Echtzeit-Interpretation von Infektions- und Intensivstationsraten anhand des zeitlichen Verlauf der Impfraten ist vielleicht etwas, was Drosten in seiner Arbeitsgruppe besprechen kann aber die Öffenlichkeit sollte er mit diesem „Geschwurbel“ lieber verschonen.