Umgang mit Zahlen und Statistiken bezüglich Covid 19

Ich kann nicht behaupten, dass ich für jedes Detail der Quantenfeldtheorie genau sagen könnte, ob es mathematisch sauber definierbar ist und nur falsch in gängigen zugehörigen Büchern erklärt wird oder ob es fundamentale Schwierigkeiten gibt.
Stattdessen verweise ich auf diese Lecture Notes

die in der Einführung „Lifecycle of a theoretical physicist“ schon ein mathematisches Problem benennen, das in der Physik (erfolgreich!) ignoriert wird.
Meine Erfahrung mit theoretischen Physikern ist allerdings, dass sie häufig nicht auf so einem hohen Level wie diese Lecture Notes Mathematik machen und durch eine mir unbegreifliche Intuition dennoch auf richtige Sachen kommen.
Ich denke aber, dass das eigentlich zu weit vom Thema des Threads wegführt.

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Blockquote
Was ich damit sagen will: Die relativen Zahlen von Covid hören sich immer sehr beschwichtigend an. Nur 0.x Menschen in Deutschland sind überhaupt infiziert, nur 0.00x Menschen sterben daran, 90x-Prozent sterben nicht daran… Das Führt dann oft zu Aussagen wie: „Ich kenne niemanden der Covid hatte“, „Die Krankenhäuser sind noch nicht an der Belastungsgrenze…“
Mag alles sein. Trotzdem muss für eine Pandemie nicht 3/4 der Bevölkerung sterben, nur damit es die Definition Pandemie verdient. Und genauso wenig hat ein Staat, auch wenn er das Gesundheitssystem chronisch kaputtspart, mal eben das 10-20 Fache an Ressourcen (Material und Personal) „auf Halde“.
Blockquote

Das bringt es auf den Punkt. Auch wenn man Summe X an Intensivbetten und Beatmungsgeräten hat, darf man nie das Personal vergessen, was diese Betten betreuen und die Geräte bedienen muss.

Eine Freundin von Mir arbeitet als Ärztin in einem Labor. Sie ist noch nicht einmal direkt an der „Front“. Aber wenn sie mich bittet, sie mit irgendwas abzulenken, weil für sie die unzähligen Anrufe, in denen sie manch 80 Jährige*n mit dem Covid-Befund möglicherweise eine Art Todesurteil zu überbringen, emotionaler Stress ist. Dann wächst meine Hochachtung vor deren Job noch an. Das kommt in manchen Statistik-Diskussionen zu kurz.

Danke erst einmal fürs raussuchen der Informationen. Die von ihnen angeführten Daten stehen zwar auf der Website allerdings steht da auch, dass die Veröffentlichung der Testbefunde noch aussteht. Bevor man hier also voreilige Schlüsse zieht, sollte man auf die Veröffentlichung warten.
Trotzdem scheint ja auch diese Quelle erst einmal zu bestätigen, was ich Anfangs behauptet habe:
Durch das zu niedrige Durchschnittsalter der Stichprobe in meinem oben angeführten Beispiel wurde das Risiko für Menschen ohne Vorerkrankungen deutlich überschätzt. In dieser neuen Studie liegt das mediane Durchschnittsalter bei über 80 Jahren und fast alle der Verstorbenen hatten Vorerkrankungen. Wenn man aufgrund dieser Daten ein Sterberisiko für jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen berechnet wird dieses entsprechend sehr niedrig ausfallen.

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Auch hier vielen Dank fürs raussuchen; das FAQ hatte ich tatsächlich nicht gesehen.
Aber dann wäre es meiner Auffassung nach relativ einfach diese Datensätze komplett zu veröffentlichen, wenn das RKI sie bereits ohne Name und Wohnort bekommt.
Allerdings wäre es eher wünschenswert wenn diese Daten mit einem Format wie z.B.:

#Fortl.Nummer, Geburtstag, Sterbedatum, GPS-Daten Wohnort, zusätzliche Informationen,…

veröffentlich werden würden. Auf den Geburtstag und den Wohnort könnte man eine zero-centered random number draufaddieren, die im Rahmen einiger Monate bzw. einiger km liegen könnte um die Daten nicht mehr einzelnen Personen zuordnen zu können. Würde das nachverfolgen von etwaigen Doppelmeldungen zwar erschweren aber damit könnte man leben.
Mich wundert es ehrlich gesagt, dass es sowas nicht gibt, bzw. das sowas nicht gefordert wird. Ich finde Nachvollziehbarkeit und Transparenz sind bei der Tragweite, die diese Zahlen haben dringend gefordert.

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Ich würde hier gerne einmal erwähnen, dass meine Kritik an dem Umgang mit Zahlen nicht auf eine Generalkritik der durch die Regierung eingeführten Maßnahmen gegen das Corona-Virus abzielt und dafür auch niemals ausreichen kann. Worauf ich abziele ist, wie Eingangs erwähnt, auf die Notwendigkeit eines sorgfältigeren Umgangs mit Zahlen hinzuweisen, um die Datengrundlage auf Basis welcher Entscheidungen getroffen werden, konkretisieren und sichern zu können.

Beim Lesen von Artikeln, Studien und Kommentaren zu dem Thema, fallen mir immer wieder zwei diametral entgegengesetzte Auffassungen zu diesem Thema auf (das folgende ist meine persönliche Meinung und ist weder objektiv noch notwendigerweise richtig):

  1. Eine kleine Gruppe von Leuten, die hauptsächlich auf Facebook agiert, nimmt einzelne unschlüssige Teilaspekte der Diskussion oder der Maßnahmen und schlussfolgert daraus dass alle getroffene Maßnahmen fälschlich installiert worden sind, bzw. sogar das Corona keine große Gefahr für die Gesellschaft darstellt. (Die Leugner)
  2. Eine andere Gruppe von Leuten, die alle Maßnahmen, aufgrund eines breiten wissenschaftlichen Konsens als unvermeidlich darstellen. (Die die es verstanden haben)

Ich finde beide Lager liegen komplett falsch und die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Es gibt keinen breiten wissenschaftlichen Konsens und das nicht Vorhandensein desselben finden wir in Massenmedien sowie auf Facebook abgebildet. Was es allerdings gibt ist ein Meinungskonsenz verschiedener kleinerer Expertenkreise. Ich finde es vollkommen verständlich, dass die Bundesregierung unter einem gewaltigen Entscheidungsdruck sich lieber auf einen kleineren Expertenkreis verlässt, der sich mehr oder weniger einig ist, um überhaupt beschlussfähig zu sein, da sie dies wohl als beste Chance wahrnimmt, richtig handeln zu können. Ich finde das hat Frau Merkel auf der Pressekonferenz gut begründet und als eindeutig politische Entscheidung deklariert.
Nun zu glauben, man könnte bessere Entscheidungen treffen, wenn man mehr Experten an einen Tisch setzt (wie oft in dem Medien gefordert), scheint mir ein gewaltiger Irrglaube. Wie gesagt, es existiert kein breiter wissenschaftlicher Konsens und diesen zu bilden wird noch mehrere Jahre dauern.

Was mich angeht, könnten die getroffenen Maßnahmen mit Blick auf die Gesamtsituation (Gesundheitlich und Wirtschaftlich) ebenso die Realisierung der bestmöglichen aller Handlungsoptionen darstellen genauso wie sie die schlechteste aller Handlungsoptionen sein könnte. Mit anderen Worten: Ich hab komplett keine Ahnung und bin nicht im Stande das zu bewerten. Es geht schlicht über meinen Horizont hinaus.

Von den beiden beschriebenen Gruppen sind mir aber tatsächlich die Leugner noch lieber, da Leugnen schon einen Schritt näher an der Erkenntnis ist, dass da etwas in dem eigenen Leben ist, was man weder komplett verstehen noch kontrollieren kann. Die Fraktion „die die es verstanden haben“ scheint mir davon noch einen Schritt weiter entfernt, unterhält man sich mit Leuten, die ich dieser Gruppe zurechne, wird aber schnell klar, dass sie genauso ahnungslos sind wie das Lager der Leugner.

Wie mir scheint, Schaden allerdings beide Gruppen dem öffentlichen Diskurs ungemein, da weder die eine noch die andere Seite wirklich dazu bereit ist, sich an einem ergebnisoffenen, dem Erkenntnisgewinn untergeordneten Prozess zu beteiligen.

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Hallo turnthepage,

ich habe eine etwas andere Wahrnehmung als Du, was die verschiedenen „Lager“ angeht.
Zusätzlich zu den von Dir beschrieben Gruppen von Menschen gibt es noch eine große Gruppe weiterer Menschen, Forschenden, Medienschaffenden die sagen:
Das Virus ist eine ernsthafte Bedrohung für Leben und Gesundheit unserer Mitbürger:innen, wir glauben das Wissenschaftler:innen sich seit Beginn der Pandemie zu verschiedenen Dingen Gedanken gemacht haben und das sich in verschiedenen Feldern Erkentnisse herausgebildet haben, bei dem sich die wissenschaftliche Community relativ einig ist (PCR Tests geben wieder ob Menschen mit Corona infiziert sind, das Alter ist die relevanteste aber nicht einzige Risikofaktor, wir sehen verschiedene Todesraten nach Alterskohorten, die befinden sich innerhalb von Konfidenzbändern,…).
Diese dritte Gruppe stellt aber nicht alle Maßnahmen per se als unvermeidlich da, sondern teilt ggfs. die Auffassung, das gewisse Maßnahmen jetzt getroffen werden sollte, findet vielleicht aber auch andere Maßnahmen richtiger.

Dass das RKI mehr Daten veröffentlichen könnte ist eine Forderung die von Datenjournalist:innen schon letzten Fruehsommer erhoben wurde, auch ich faende das richtig.
Das eine CDU gefuehrte Regierung fuer ihre Behoerden jetzt aber keine OpenData Strategie anregt halte ich fuer politisch nicht ueberraschend.

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…führt wirklich mittlerweile etwas weiter weg vom Thema; es hat mir trotzdem Spaß gemacht mich mit ihnen darüber zu „streiten“.
Ihr Beispiel ist natürlich in gewisser Weise valide, ich möchte aber anmerken, dass dieses Problem nicht nur von den Mathematiker sondern auch von den Physikern adressiert ist. Ob es bereits gelöst ist weiß ich nicht; da ich kein Quantenphysiker bin, bin ich hier natürlich auch nicht auf dem Stand der Forschung. Aber eine kurze Google suche zeigt diverse Anstrengungen zu einer Formulierung zu kommen die „mathematically sound“ ist. Es ist also mitnichten so, dass solche Inkonsistenzen, die temporär mal vorkommen, einfach von den Physikern hingenommen werden, weil sie einen geringeren Anspruch an die Rigorosität ihres Forschungsbereich haben (das gilt glaube ich für alle Forschungsbereiche).
Ich glaube wir werden auch in dem Punkt übereinstimmen, dass es die Aufgabe der Mathematik ist, die Werkzeuge bereit zu stellen um die Natur um uns herum beschreiben zu können.

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Ich glaube unsere Wahrnehmung unterscheidet sich gar nicht so dramatisch voneinander. Vielleicht habe ich mich unpräzise ausgedrückt, so wollte ich natürlich nicht behaupten, dass sich die Gesellschaft exklusiv in diese zwei Lager aufteilt. Diese zwei Lager, die entgegengesetzte Extrempositionen einnehmen sind natürlich im Vergleich zur Gesamtgesellschaft relativ klein aber trotzdem ziemlich Meinungsstark und vor allem sind sie medial vollkommen überrepräsentiert, was das eigentliche Problem darstellt. Der prominenteste Vertreter des einen Lagers ist mit Karl Lauterbach gegeben, der das letzte halbe Jahr medial omnipräsent war.

Das Virus ist eine ernsthafte Bedrohung für Leben und Gesundheit unserer Mitbürger:innen, wir glauben das Wissenschaftler:innen sich seit Beginn der Pandemie zu verschiedenen Dingen Gedanken gemacht haben und das sich in verschiedenen Feldern Erkentnisse herausgebildet haben, bei dem sich die wissenschaftliche Community relativ einig ist (PCR Tests geben wieder ob Menschen mit Corona infiziert sind, das Alter ist die relevanteste aber nicht einzige Risikofaktor, wir sehen verschiedene Todesraten nach Alterskohorten, die befinden sich innerhalb von Konfidenzbändern,…).

Ja, in diesen kleinen Teilbereichen ist sich die wissenschaftliche Community relativ einig. Es gibt allerdings keine Einigung mehr, wenn man den Mensch als wissenschaftliches Objekt sieht, dass nicht nur eine Virenschleuder ist, sondern ein lebendes und fühlendes Wesen, das neben seiner Gesundheit auch noch ein intaktes Wirtschaft- und Schulsystem ebenso wie ein intaktes Gesellschaftsleben benötigt um dauerhaft „funktionieren“ zu können.

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https://www.daserste.de/information/talk/maischberger/sendung/maischberger-die-woche-524.html

Streek wirft in dieser Sendung die Frage auf, wieso in den Statistiken zu den Corona-infizierten nicht auch zwingend der Beruf (Anmerk. evtl. auch Branche, Arbeitgeber o.Ä) des infizierten Individuums mit aufgenommen wird, mit dem Argument das man hier ohne wirklichen Mehraufwand viel hätte über die Übertragungsmechnismen oder -Orte lernen können in den letzten 10 Monaten.
Das RKI macht allerhöchsten vereinzelt Angaben hierzu. Ich finde solche Vorschläge, die auf eine bessere Datenqualität abzielen, verdienen wesentlich mehr Aufmerksamkeit.

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Mehr Infektionen durch „Querdenken“-Demos

Heute kam eine Studie raus die oben besagten Zusammenhang belegen soll. Viele Nachrichtenredaktionen griffen diese Nachricht sogleich auf: Faz, Tagesspiegel, SWR, Tagesschau, T-Online und andere.

Guckt man auf die Webseite
Spreading the Disease: Protest in Times of Pandemics
sieht man, dass das Paper als „Discussion Paper“ deklariert ist und soweit ich erkennen konnte kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat.
Das Paper versucht mit Hilfe dreier verschiedenen Proxies:

  1. Afd-Wählerumfragen,
  2. Masernimpfraten von Säuglingen geboren im Jahr 2014 und
  3. Honk for Hope Bushaltestellen,

eine räumliche Korrelation zwischen steigender Corona-Inzidenzen und Covid-Leugnern herzustellen.

Wobei eine generelle Korrelation zwischen der Verteilung von Corona-Leugnern und dem Infektionsgeschehen (Leute die nicht an Covid glauben und sich mit einiger Wahrscheinlichkeit weniger an Hygiene-Regeln halten, sollten sich öfter infizieren) offensichtlich zu sein scheint, stellt sich bei dieser spezifischeren Hypothese sofort die Frage der Scheinkorrelation, die das Paper, soweit ich das sehe, nicht entkräften kann, da überhaupt keine Daten darüber vorliegen wie viele Individuen, die den verschiedenen Proxies angehören, überhaupt zu einer Demo gefahren sind. Es gibt zum Beispiel keine Daten darüber wie viele Leute wann in welche Busse ein- und ausgestiegen sind.

Weiter können hier durchaus Kreuzkorrelationen angenommen werden: Die Leute die zu einer Anti-Corona Demo fahren werden ebenso mit der Gruppe von Leuten korrelieren, die sich nicht an die Hygiene-Maßnahmen halten. Allein dies sollte die Ergebnisse stark verzerren, da man hier eben keine Daten darüber hat, wo sich wer angesteckt hat. Es gibt unzählige weitere Effekte, die hier eine Rolle spielen aber nicht betrachten wurden, die Aussagekraft der Ergebnisse ist somit sehr gering.

Ich finde die Grundidee des Papers gar nicht mal so verkehrt. Solche Ansätze können in der Lage sein das Verständnis der Übertragung der Infektion zu verbessern. Allerdings ist diese Arbeit dazu nur bedingt geeignet; hier müsste nachgearbeitet werden. Zu weit gehen die Autoren dann aber spätestens in den Conclusion:

In addition, our event study reveals large negative public health consequences when anti-COVID-19 protesters congregate at mass rallies. Our causal estimates suggest that between
16,000 to 21,000 COVID-19 infections could have been prevented if local authorities had canceled two large-scale anti-COVID-19 policy protests. This finding underscores the health costs of
allowing COVID-19 deniers to protest without any (enforceable) coronavirus containment strategies. Moreover, these results highlight the clash between civil liberties and public health that
most governments around the world currently face … In sum, our study documents that a radical minority can pose a significant risk to the
entire population. Given the severe negative public health consequences reported in this study,
policymakers would do well to direct more attention to what causes beliefs and behavior that
are harmful to society.

Hier konkrete Zahlen zu nennen ohne solide Verifikation der Modelle finde ich zweifelhaft. Ferner zu behaupten man hätte in der Studie schwere negative Folgen für das Gesundheitswesen belegt (severe negative public health consequences reported in this study) ist schlicht falsch und direkt daran eine Aufforderung an die Politik anzuhängen ist meiner Auffassung nach keine redliche wissenschaftliche Praxis. Da es sich hier um ein Diskussionspapier handelt und mir dieser Terminus nicht geläufig ist, mag das an dieser Stelle aber gerade noch im Rahmen liegen.

Was die Presse dann aber daraus gemacht hat, ist nicht weniger zweifelhaft. Das Paper kam meines Wissens heute raus und bereits gegen 11 berichteten Ntv und Spiegel in ihren Live-Tickern über die Publikation. Wenig später folgten bereits erste Artikel. Da stellt sich doch die Frage: wie genau lesen die Redaktionen solche Publikationen eigentlich bevor sie darauf basierend eine Meldung oder einen Artikel veröffentlichen? Ich zumindest kann hier keine ernsthafte kritische journalistische Auseinandersetzung mit dem veröffentlichten Material feststellen.

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Hallo,

ich kann zur Mathematik bzw. Statistik nichts beitragen, möchte jedoch einen Blick aus der medizinischen Praxis beisteuern:

Der medizinische Erkenntnisgewinn funktioniert üblicherweise so, dass Studien durchgeführt werden, diese durchlaufen ein Peer-Review-Verfahren und werden dann in möglichst renommierten Zeitschriften veröffentlicht. In regelmäßigen Abständen fassen Fachgesellschaften die neuen Erkenntnisse in Leitlinien zusammen. Als praktisch tätige Ärztin oder Arzt kann ich an verschiedenen Stellen in diesen Prozess Einblick nehmen: Noch nicht gereviewte (ist das ein Wort?) Studien auf preprint-Servern lesen, veröffentlichte Studien lesen, Leitlinien lesen oder Lehrbücher, die ein bisschen später als die Leitlinien erschienen sind. Meine praktische Erfahrung ist die, dass man in den meisten Fällen gut daran tut, sich schlicht an die Leitlinien zu halten.

In der COVID-19-Pandemie ist nun der (neue) Fall eingetreten, dass populäre Medien über Preprints berichten und das auch noch in deutlich verkürzter Form. Herr Drosten hat das in einer seiner letzten Podcast-Folgen ausführlich besprochen. Gleichzeitig besteht ein hoher Veröffentlichungsdruck für Forscherinnen und Forscher. Das Resultat sind m.M.n. 1. Studien, die früher so vermutlich nicht veröffentlicht worden wären und 2. anschließend auch noch vereinfachende Berichte in nicht-Fachmedien darüber.

Problem 3: Die statistischen Kenntnisse von Medizinern sind erfahrungsgemäß durchwachsen, da schließe ich mich selbst mit ein. Teilweise werden grundsätzliche Dinge wie Assoziation und Kausalität verwechselt, da sind wir von den Themen, die Sie hier diskutiert haben, noch meilenweit entfernt. Die meisten von uns können komplexere statistische Fehler in Studien nicht sicher erkennen, da sind wir einfach die falschen Fachleute.

Mein Vorschlag (auf die aktuelle Pandemie bezogen): Der Drosten-Podcast ist sehr gut, allerdings fehlt ein Äquivalent für Menschen, denen das inhaltlich oder vom Umfang her zu viel ist. Ich vermisse bitterlich ein Format für Jedermann, z.B. 2 x wöchentlich 30 Minuten Infos der Bundesregierung im TV / online, in der wichtige Studien kurz erklärt werden, Fragen zur Impfung erklärt werden, etc. - und das eben mit mehreren Expertisen im Hintergrund: Epidemiologie, Mathematik, Medizin, Psychologie, etc.

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Hallo Martin2,

danke für ihren Beitrag. Ich finde, dass das von ihnen dargestellte Prozedere, wie in der Medizin wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis eingearbeitet werden, exemplarisch ist für einige Vorgänge, die bei uns im Diskurs gerade falsch laufen. In der Medizin scheint es so zu laufen:

  1. wissenschaftliche Preprints,
  2. Peer-reviewte Journalveröffentlichungen und
  3. Aktualisierung von Leitlinien.

Aus meiner Erfahrung aus dem nicht medizinischen Bereich können zwischen Punkt 1 und Punkt 3 schonmal einige Jahre liegen.
Nun scheinen sich bei den Diskussionen über Corona Punkt 1 und Punkt 3 aber zu überlappen und zusätzlich überlappt sich der gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskurs. Dies sind Vorgänge, die bisher nicht beleuchtet werden und die ganz offensichtlich negative Einflüsse auf beide Sphären haben:
Im Verlauf eines wissenschaftlichen Diskurs erscheinen eine Vielzahl von Papern, die schlicht falsch sind oder zumindest eklatante Mängel aufweisen. Was viele nicht-Wissenschaftler nicht wissen (und was auch keine besonders starke Seite der Wissenschaft ist) ist, dass diese Paper in der Regel nicht korrigiert werden, so gut wie nie erscheint eine verbesserte Version und nie veröffentlicht ein Autor eines solchen Papers eine Notiz „Paper xy von mir bitte nicht mehr lesen“. Es erscheinen einfach neue Paper mit den korrigierten Sachverhalten, in denen die alten Paper nicht mehr zitiert werden. Während Corona sind aber schon etliche nachweislich falsche „wissenschaftliche Fakten“ in den Diskurs gewandert und tragen immer noch zum Gesamtbild der Diskurses bei, obwohl die jeweiligen Paper nicht mehr aktuell sind.
Deswegen eignet sich ein laufender wissenschaftlicher Diskurs meistens nicht als Grundlage eines gesellschaftlichen Diskurs. Die Wissenschaft und die Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse ist in der Regel viel langsamer als unser gesellschaftliches und technisches Voranschreiten. Die Wissenschaft eignet sich nur bedingt um in Echtzeit neue gesellschaftliche Phänomene zu erklären. Man sollte hier mal darauf hinweisen, was die Wissenschaft eigentlich leisten kann und was nicht. Ich vermisse Stimmen im aktuellen Diskurs die eine solche Position einnehmen.
Das wir da ein Riesenproblem haben kann man daran sehen, wie mit Leuten umgegangen wird, die darauf hinweisen, dass ihre eigene Wahrnehmung nicht mehr der von „der Wissenschaft“ propagierten Fakten übereinstimmt. Hier wird dann darauf verwiesen, dass man der Wissenschaft vertrauen müsste und dass das alles Fachleute, Experten usw. sind.
Da kann ich nur sagen: Der Wissenschaft muss niemand vertrauen und eine qualitativ gute Wissenschaft benötigt diese auch überhaupt gar nicht, da sie nachprüfbar ist. Wenn Wissenschaftler es nicht mehr schaffen, ihre Ergebnisse so zu erklären, dass sie mit der Wahrnehmung der Leute zusammenpasst, dann ist das das Resultat einer mangelhaften Wissenschaft, die vieles beschreibt aber nicht die Realität.
Ferner ist ein wissenschaftlicher Konsens kein demokratisches Ereignis. Ein wissenschaftlicher Konsens entsteht nicht zwangsläufig weil die Mehrheit der Wissenschaftler einen Standpunkt vertritt. Anders herum wird ein Schuh draus: Mit Hilfe der durch das Einnehmen einer bestimmten wissenschaftlichen Perspektive gewonnenen nachweislich höherwertigen Ergebnisse wird die Mehrheit der Wissenschaftler dazu gezwungen diesen Standpunkt einzunehmen.

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Das finde ich recht nebulös. Man kann natürlich den Standpunkt einnehmen, dass jeder sich selbst am meisten vertrauen sollte, statt irgendwelchen fremd-ernannten Experten, aber dabei sollte man auch an all diejenigen Menschen denken, deren Wahrnehmung gerade das ist, was ihnen am besten passt. Ich denke, das sind ungefähr alle Menschen, Wissenschaftler*innen mit eingeschlossen.
Gerade deshalb bin ich sehr für einen gewissen wissenschaftlichen Konsens, weil dieser das Potenzial hat, der (meines Erachtens natürlichen) Auffassung des Menschen, dass der Status Quo das Beste ist, etwas entgegenzusetzen.

Sicher, aber wie kann ich als Laie denn herausfinden, welche Aussage aus der Wissenschaft nun nachprüfbar ist?

Wenn ich das zusammennehme mit deinen obigen Worten, klingt das, als ob „die Wahrnehmung der der Leute“ dir höherwertig ist als „die Wahrnehmung der Wissenschaftler*innen“ (a.k.a. der wissenschaftliche Konsens, die Meinung der Mehrheit der Wissenschaftler*innen).

Versteh mich nicht falsch, der wissenschaftliche Konsens lag mitunter auch falsch, aber ich halte es für treffsicherer in Zeiten von Unsicherheit, dem wissenschaftlichen Konsens zu vertrauen als dem Bauchgefühl der Leute.

Für ein größeres Problem halte ich es, wie Wissenschaft im Rest der Gesellschaft wahrgenommen wird. Das ist sicher ein Problem, dass die Wissenschaftler*innen nicht angegangen sind, man kann dazu aber auch sagen, dass sie ungefähr nichts davon haben (man wird dafür nicht berufen, Geld für Öffentlichkeitsarbeit ist auch erst seit kurzem dafür da).

Ein Problem ist etwa, dass dauernd einzelne Studien zitiert werden (auch in der Corona-Krise, aber auch schon davor), statt zu sagen „Es gibt noch keine Review-Studie, wir wissen es nicht genau“.
Ich denke, in Anbetracht des Zeitdrucks, bleibt einem wenig, als auf Expert*innen zu hören.
Ich kann mich da Martin nur anschließen: Drostens Podcast halte ich für ausgezeichnet, gerade weil er immer sehr exakt darauf hinweist, wo er selbst nur einen „educated guess“ macht, wo er voll aus seinem Fachgebiet schöpft und wo er keine Ahung hat und deshalb nichts dazu sagen will.

Leider hinter der Zahlschranke, hab‘s nicht gelesen, aber die Überschrift passt zum Thema, für alle mit Spiegel-Abo:

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Das finde ich recht nebulös. Man kann natürlich den Standpunkt einnehmen, dass jeder sich selbst am meisten vertrauen sollte, statt irgendwelchen fremd-ernannten Experten, aber dabei sollte man auch an all diejenigen Menschen denken, deren Wahrnehmung gerade das ist, was ihnen am besten passt. Ich denke, das sind ungefähr alle Menschen, Wissenschaftler*innen mit eingeschlossen.
Gerade deshalb bin ich sehr für einen gewissen wissenschaftlichen Konsens, weil dieser das Potenzial hat, der (meines Erachtens natürlichen) Auffassung des Menschen, dass der Status Quo das Beste ist, etwas entgegenzusetzen.

Muss ich ihnen zustimmen, das habe ich nicht allzu gut formuliert bekommen. Was ich meinte ist, dass die Wissenschaft nicht die eigene Wahrnehmung ersetzen kann. Etwas zu tun, wie z.B. sich impfen zu lassen nur aufgrund der wissenschaftlichen Meinung, dass dies für die Gesamtgesellschaft förderlich ist, ist problematisch, da hier von Fachleuten die eine abstrakte Gefahr (Corona) gegen eine andere abstrakte Gefahr (Impfrisiken) abgewogen wird. Für mich sind beide Gefahren gleich wenig greifbar, da ich niemanden mit schweren Corona Verlauf oder Impfnebenwirkungen kenne noch persönliche Erfahrungen damit habe. Bei der Grippeimpfung kann ich die für mich viel realere Gefahr einer Grippeerkrankung, die ich aus eigener Erfahrung sowie aus meinem Umfeld gut kenne, gegen eine abstrakte Gefahr von Impfrisiken abwägen. Somit ist ein Bezug zu meiner Realität hergestellt und ich kann eine aufgrund meines Erfahrungsschatzes konsistente Entscheidung fällen; wie gut diese dann ist sei mal dahingestellt.

Sicher, aber wie kann ich als Laie denn herausfinden, welche Aussage aus der Wissenschaft nun nachprüfbar ist?

Eventuell garnicht. Wenn sie dies nicht können, ist dies meiner Meinung nach ein guter Indikator dafür, dass es sich um eine Diskussion handelt, die in den wissenschaftlichen Rahmen gehört. Es dauert seine Zeit bis in der Wissenschaft verschiedene Eckpunkte einer Theorie rauskondensiert sind; Theorien werden meistens mit der Zeit einfacher bzw. klarer und damit auch leichter zu transportieren. Die Sinnhaftigkeit aller bisher etablierten Schutzmaßnahmen gegen bekannte übertragbare Krankheiten sind auch für Laien leicht nachzuvollziehen, dies scheint mir bei Corona anders und das deute ich als Zeichen, das die Wissenschaft da noch keine ausreichenden Erkenntnisse hat.

Wenn ich das zusammennehme mit deinen obigen Worten, klingt das, als ob „die Wahrnehmung der der Leute“ dir höherwertig ist als „die Wahrnehmung der Wissenschaftlerinnen“ (a.k.a. der wissenschaftliche Konsens, die Meinung der Mehrheit der Wissenschaftlerinnen).
Versteh mich nicht falsch, der wissenschaftliche Konsens lag mitunter auch falsch, aber ich halte es für treffsicherer in Zeiten von Unsicherheit, dem wissenschaftlichen Konsens zu vertrauen als dem Bauchgefühl der Leute.

Die Aufgabe der Wissenschaft ist es dass zu erklären, was wir wahrnehmen oder anders gesagt, alles was sie beschreibt muss im Endeffekt wieder im Einklang mit unserer Wahrnehmung stehen. (Quantenmechanik ist da evtl ein ganz gutes Beispiel: Kann man nicht sehen, kann man nicht anfassen, es passieren andauernd verrückte und undenkbare Dinge aber am Ende müssen auch hier alle Ergebnisse im Einklang mit unserer Wahrnehmung stehen).
Und nochmal, weil das glaube ich ein Punkt ist, bei dem im Moment mit am meisten schief geht: Ein wissenschaftlicher Konsens entsteht nicht, weil eine Mehrheit von Wissenschaftlern sich zusammentut und erklärt was sie im Moment in ihrem Fachgebiet für richtig und gültig erachtet. Wissenschaft ist ein Wettbewerb, der mit der besten Theorie gewinnt, auch wenn das nur einer ist (Galileo, Einstein,…); alle anderen folgen dann. Eine neue Theorie erscheint nicht irgendwo und wird plötzlich von allen akzeptiert. In manchen Fällen setzt sich eine neue, bessere, Theorie erst dann vollständig durch, wenn die letzten Vertreter der zu verdrängenden Theorie ausgestorben sind.

Für ein größeres Problem halte ich es, wie Wissenschaft im Rest der Gesellschaft wahrgenommen wird. Das ist sicher ein Problem, dass die Wissenschaftler*innen nicht angegangen sind, man kann dazu aber auch sagen, dass sie ungefähr nichts davon haben (man wird dafür nicht berufen, Geld für Öffentlichkeitsarbeit ist auch erst seit kurzem dafür da).

Wie gesagt halte ich nicht besonders viel davon, dass sich die Kreise des gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurse zu stark vermischen. Vielmehr ist es doch so, dass Politik und Gesellschaft die Wissenschaft dazu drängen schnellstmöglich Antworten auf Fragen zu liefern und sie diese, wenn man ehrlich ist, in vielen Bereichen nicht liefern kann. Einige Wissenschaftler versuchen dem dennoch gerecht zu werden und schaffen dies mal mit mehr oder weniger Erfolg.

Ein Problem ist etwa, dass dauernd einzelne Studien zitiert werden (auch in der Corona-Krise, aber auch schon davor), statt zu sagen „Es gibt noch keine Review-Studie, wir wissen es nicht genau“.
Ich denke, in Anbetracht des Zeitdrucks, bleibt einem wenig, als auf Expert*innen zu hören.
Ich kann mich da Martin nur anschließen: Drostens Podcast halte ich für ausgezeichnet, gerade weil er immer sehr exakt darauf hinweist, wo er selbst nur einen „educated guess“ macht, wo er voll aus seinem Fachgebiet schöpft und wo er keine Ahung hat und deshalb nichts dazu sagen will.

Da bin ich bei ihnen, Experten müssen gehört werden. Allerdings müssen diese sich dann darauf beschränken zu berichten was sie wirklich wissen.
Ich habe den Podcast von Drosten auch öfter gehört und ich finde ihn schrecklich. Ich habe absolut kein Interesse daran einen „educated guess“ von Drosten zu erhalten und mir ist es schleiherhaft, wieso dieser denkt es wäre als Wissenschaftler angebracht so etwas in die Welt zu setzen. Mich interessiert von Drosten nur das was er wirklich nachweisen kann und da ist das was er an neuem Erzählen kann schon seit Monaten aufgebraucht. Eine Echtzeit-Interpretation von Infektions- und Intensivstationsraten anhand des zeitlichen Verlauf der Impfraten ist vielleicht etwas, was Drosten in seiner Arbeitsgruppe besprechen kann aber die Öffenlichkeit sollte er mit diesem „Geschwurbel“ lieber verschonen.

Das sind alles fromme Wünsche, wie die Welt in deinen Augen besser wäre.
Aber das hilft uns für die aktuelle Situation doch nicht.
Wir wollen nun mal jetzt bestimmte Ziele erreichen.
Ob man diese Ziele jetzt gut findet, oder nicht, ist jedem persönlich überlassen.
Aber um sie zu erreichen, versucht man möglichst gute Entscheidungen unter Unsicherheit zu fällen.
Natürlich ist die Wissenschaft nicht so weit, wie sie in 2 Jahren sein wird und entsprechend ist die Unsicherheit größer als erhofft. Nichtsdestotrotz wissen wir mehr als gar nichts. Masken scheinen etwa das Ansteckungsrisiko zu senken, Abstand und Freiluft auch.
Vielleicht stellt sich diese Erkenntnis als falsch heraus, ich würde aber viel darauf wetten, dass nicht, obwohl dazu wohl auch noch keine Übersichtsstudien erschienen sind.

Also gar nichts. Denn nachweisen kann man ja in Naturwissenschaften nie etwas und Studien können immer fehlerhaft sein.

Auch das ein frommer Wunsch: Es werden immer Menschen in der Öffentlichkeit sagen, was sie denken. Da ist mir Drosten deutlich lieber (weil ich denke, dass er extrem viel treffsichererer ist) als irgendein Stammtisch-Philosoph.
Insofern ist eine echte Alternative zu „Menschen behaupten Dinge in der Öffentlichkeit, die noch nicht Jahrzehnte wissenschaftlich gereift sind“ nur, Presse, ja sogar Briefe schreiben zu verbieten.

Diese Darstellung ist eine Mischung aus Geschichtsklitterung

und Hindsight-Bias.

In dem ersten Link nachzulesen ist, wie die Einführung von einfachen Hygiene-Maßnahmen zur Verhinderung von Todesfällen vom Establishment abgelehnt wurde. Insofern sind Schutzmaßnahmen gegen bekannte übertragbare Krankheiten nur deshalb vom Laien nachzuvollziehen, weil die Maßnahmen schon älter sind.
Man mag Herrn Semmelweis als Beleg dafür ansehen, dass deine Meinung richtig ist, der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung zu misstrauen.
Ich bringe dagegen allerdings vor, dass

  1. das wissenschaftliche Selbstverständnis und die Selbstkritik weiter sind.
  2. die wissenschaftliche Praxis weiter ist und wir einfach besser wissen, wie man Wissenschaft machen muss, etwa Statistik betreiben (und diese dann ja auch kritisiert wird, wenn sie nicht gut genug ist) und
  3. damals Ärzteschaft und Wissenschaft faktisch nicht getrennt war.

Deshalb denke ich, dass heute der wissenschaftliche Konsens wahrscheinlich häufiger richtig liegt, als damals und dass er wahrscheinlich häufiger richtig liegt, als die Auffassung von irgendwelchen Einzelstimmen oder blindes Raten.
Das mag immer mal wieder falsch sein, aber wie gesagt: Wir müssen irgendwelche Entscheidungen unter Unsicherheit treffen und der wissenschaftliche Konsens erscheint mir da eine bessere Wette als zu sagen „Wir wissen gar nichts, weil die Wissenschaft noch nicht weit genug ist.“.

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Verstehe ich nicht, vielleicht ist das ironisch gemeint. Die Wissenschaft hat in den letzten 200 Jahren überragendes geleistet.

Das wahrscheinlich auch falsch rübergekommen. Natürlich kann Drosten gerne öffentlich alles sagen was er möchte. Ich verstehe nur nicht, wieso er denkt dass es nötig ist und sich dafür zu Verfügung stellt, derart kleinteilig über verschiedenste Aspekte des Verlaufs der Pandemie zu dozieren, die zudem oft noch hochspekulativ sind. Damit ist niemand geholfen, vielmehr finden durch die Popularität von Drosten und die begrenzte Aufnahmefähigkeit der Bürger eventuell andere Stimmen weniger gehör. Dies lässt sich meiner Meinung nach nur durch eine gesellschaftliche und politische Agenda von Drosten erklären. Das ist wahrscheinlich nicht einmal verwerflich, nur würde ich es lieber sehen, wenn sich Wissenschaftler neutral verhalten, damit persönliche Meinung und das was von ihnen wissenschaftlich belegt werden kann sich nicht vermischt.

Hier stimmen sie mir ja ganz offensichtlich zu: Heute werden Vorschläge aus der Wissenschaft ja fast als alternativlos aber zumindest als beste Wette verkauft (was zugegebenermaßen nicht ganz unbegründet ist). Dabei wird aber oft vergessen, was historisch bei der Bekämpfung von Problemen am Rande der wissenschaftlichen Erkenntnisse alles für Unfug von der Wissenschaft propagiert wurde. Vielmehr ist es wahrscheinlich oft so gewesen, dass es geraume Zeit gedauert hat, bis man sagen konnte, welches Vorgehen gegen eine Krankheit das Beste war/ist. Das dieser Vorschlag dann ebenfalls aus der Wissenschaft kommt ist wenig verwunderlich. Dies ist der eigentliche Rückschaufehler.

Das wiederum halte ich für einen sehr frommen Wunsch. Es wäre sehr überheblich zu denken, dass uns nicht genau die selben Fehler passieren könnten, wie den Menschen damals.

Hier stellen sie einen sogenannten „Pappkameraden“ auf, indem sie gegen etwas Argumentieren, was in meiner Aussage nicht enthalten war. Ich habe nie gesagt, man solle auf Einzelstimmen hören oder blind raten, vielmehr habe ich es bewusst vermieden auf irgendwelche Handlungen einzugehen, Handlungsempfehlungen von anderen zu kommentieren oder selber welche zu geben.
Ich hatte in einem vorherigen Post schon einmal betont, dass meine Kritik hier nicht für eine Generalkritik der Politik oder der Maßnahmen gegen die Verbreitung von Corona ausreicht und auch nicht darauf abzielt. Alles was ich hier von mir gebe, zielt gerade nicht darauf ab irgend etwas besser zu wissen oder in der Lage zu sein bessere Entscheidungen zu treffen. Vielleicht treffen wir sogar mit dem jetzigen Verhalten kurzfristig bessere Maßnahmen zur Eindämmung aber zu welchem Preis?
Ich propagiere einen verantwortungsvollen Umgang mit wissenschaftlichen Ergebnissen und der strengen Einhaltung wissenschaftlicher Standards auch in Krisenzeiten, da nur so langfristig gute Ergebnisse erzielt werden können. Zudem scheint es der gesamtgesellschaftlichen Debatte nicht unbedingt zuträglich zu sein. Unsorgfältig gearbeitete und vorschnell veröffentlichte (schein-)wissenschaftliche Dokumente wie die ad-hoc Stellungnahme der Leopoldina liefern Ansatzpunkte für Kritiker und vergrößern dadurch die Spaltung unserer Gesellschaft.

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Edit: so kurz ist es gar nicht geworden.

Aber sie hat nie etwas bewiesen. Das tut Natur-Wissenschaft einfach nicht. Theorien können falsifiziert werden oder ihre Aussagekraft kann durch Experimente gestärkt werden.
Zumindest in Physik ist das relativ gut machbar. In so schwierigen Disziplinen wie Biochemie und Epidemiologie kann man aber immer, wenn man einer Meinung nicht anhängt, die Studie kritisieren. Insofern ist es schwer zu sagen, wann etwas „nachgewiesen“ ist. Die gängige Praxis ist, ab der dritten (oder so) Review-Studie, die zum selben Ergebnis kommt, zu sagen „Hm… wird wohl stimmen“.

Aber dann äußern ja nur noch Nicht-Wissenschaftler ihre Meinung. Ich bin dagegen.

Na ja, heute stützen sich Wissenschaftler, denen man zuhören sollte, ja auch auf Daten.
Ich frage mich, wann du zuletzt Drostens Podcast gehört hast. Ein großer Teil davon ist Referieren über Studien.

Ein konsequentes Anwenden der wissenschaftlichen Methodik ist ja auch noch nicht so alt. Wir streiten ja heute zum Glück nicht mehr mit reinen Meinungen sondern auf der Grundlage von Daten.
Gib doch mal ein Beispiel. Anhand von allgemeinen Aussagen ist es so schwierig, zu argumentieren.

Ok, ich bin überheblich genug zu sagen: Genau solche Fehler werden uns nicht mehr passieren, gerade weil wir Wissenschaft mittlerweile besser machen. Wir machen zum Beispiel Studien und prüfen, ob die Statistik darin gut gemacht wurde. Das war im 19. Jahrhundert noch anders.
Selbstverständlich ist auch die Wissenschaft anfällig für einen Hang zum Status-Quo und für eine Abwehr von Neuem, vielleicht Unbequemen. Ich denke aber, dass sie es weniger ist, als der Rest der Gesellschaft und weniger als noch vor 100 oder auch 50 Jahren, weil die Technik des wissenschaftlichen Arbeitens besser geworden ist.

Stimmt, aber einen konkreten Vorschlag, was man machen soll, wenn es schlecht ist, dem wissenschaftlichen Konsens zu vertrauen, habe ich vermisst.
Die einzige Alternative, die mir einfiel, war Raten.
Ich argumentiere gern auf Grundlage von Vorschlägen, immer her damit.

Wissenschaftstheoretisch haben sie da natürlich recht. Eine Theorie als Ganzes kann sich nur bewähren, da man um sie zu prüfen wiederum Theorie anwenden muss. Innerhalb einer Theorie können wir aber natürlich Erkenntnisse verifizieren/validieren. Damit eine Theorie sich bewähren kann braucht man Erfahrung im Umgang mit ihr. Es reicht also nicht einfach eine Anzahl an Review-Papern zu definieren, ab welcher man eine Theorie für gültig erachtet; Review-Paper dienen im Allgemeinen eher als Orientierung/Überblick für andere Forscher.
Ich betone es noch einmal: Wissenschaft ist ein Wettkampf. Eine Vielzahl von Forschern baut ihre weiterführende Arbeit auf verschiedenen konkurrierenden Theorien auf und erst mit der Zeit wird klar, welche Theorie die besseren Ergebnisse in der Praxis erzielt. Wissenschaft ist halt gerade keine demokratische Mehrheitsveranstaltung, so wie es jetzt oft den Anschein macht, wenn man vom wissenschaftlichen Konsens redet.

Auch da haben sie Recht. Natürlich sollten im gesellschaftlichen Diskurs auch Wissenschaftler nach ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung gehör finden. Ich schränke demnach meine Aussage dahingehend ein, dass Wissenschaftler, die die Regierung beraten möglichst neutral sein und mit ihrer persönlichen Meinung lieber nicht hausieren gehen sollten, bzw. mir dies deutlich lieber wäre.

Wissenschaftler haben sich zu allen Zeiten auf Daten gestützt. Als Newton seinen Apfel beobachtet hat, hat er Daten erhoben und seine Theorie hat sich auf diese Daten gestützt.
Von Drosten hab zum Beispiel gerade den letzten Podcast gehört, wo er ein Echtzeit-Interpretation von Infektions- und Intensivstationsraten anhand des zeitlichen Verlauf der Impfraten durchgeführt hat, die wie gesagt niemanden hilft. Über ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie ist unser Wissen darüber, wie und wo genau die Pandemie sich vornehmlich verbreitet immer noch sehr begrenzt. Die Virologie hat sich bisher nicht mit Bemühungen hervorgetan die Datengrundlage auf deren Basis die Pandemie bemessen wird zu verbessern. Stattdessen wird andauernd kleinteilige über diverse Studien referiert. Die Virologie (und da besonders die, die im Moment viel Einfluss auf die politischen Entscheidungen haben) hatten jetzt ein Jahr Zeit um eine Modell zur Datenerhebung von Infektionen und Todesfällen zu erarbeiten was Datenschutzkonform (Randomisierung) ist und uns die benötigten Informationen liefert (Ausbildung, Branche, Arbeitgeber, Aufenthaltsorte, Vorerkrankungen, etc) um mit dieser Pandemie vernünftig umzugehen. Das auch zu ihrem Kommentar, dass wir heutzutage die Technik des wissenschaftlichen Arbeitens besser geworden ist. Das kann ich nicht erkennen!

Mein Beispiel ist mit der mangelnden Datengrundlage und den nicht zu erkennenden Bemühungen diese zu verbessern gegeben. Hier wird klassisch an der eigentlichen Problematik vorbeigearbeitet.

Für mich ist ihre selbst eingestandene Überheblichkeit gefährlich und vollkommen Unangebracht. Dieser ganze Thread basiert auf dem, meiner Wahrnehmung nach, mangelnden Umgang mit Statistik und Zahlen und der mangelnden Qualitätssicherung dieser. Die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten ist in den letzten 50-100 Jahren gerade nicht in der Breite besser geworden obwohl die Technik immer besser geworden ist. Stattdessen nehmen einfach viel mehr Leute am wissenschaftlichen Betrieb teil und es wird mehr „Mist“ publiziert als jemals zuvor. Für ernsthafte Wissenschaftler wird es somit zu einer immer größeren und zeitaufwendigeren Aufgabe diesen „Mist“ rauszufiltern. Die Unschärfe in der Wissenschaft steigt momentan, sie nimmt meiner Wahrnehmung nach keineswegs ab, obwohl in der Spitze die Wissenschaft natürlich immer besser wird. Wer diese Speerspitze der Wissenschaft allerdings momentan verkörpert, kann ich ihnen definitiv erst in ca. 30-50 Jahren verraten.

Auch hier wieder: Mein Vorschlag ist es nach wie vor dafür zu sorgen verantwortungsvoller mit wissenschaftlichen Ergebnissen und deren Publikation umzugehen, sorgfältiger mit Zahlen und Statistiken zu arbeiten und durch die strenge Einhaltung wissenschaftlicher Standards dafür zu sorgen eine qualitativ bessere und schärfere Datengrundlage zu schaffen, mit Hilfe dessen dann Politiker gestützt durch Experten hoffentlich bessere Entscheidungen treffen können. Ob diese dann wirklich besser sind weiß ich nicht mal, was ich aber stark vermute ist, dass diese Entscheidungen dann besser begründet wären. Sie wären wahrscheinlich leichter verständlich und besser zu transportieren. Sie würden Kritikern, bzw. der Gruppe in der Gesellschaft, die eh gegen alles sind, weniger Vorschub leisten; sie hätten schlicht weniger Potential unsere Gesellschaft zu spalten. Und letztens würde der Staat somit das Risiko von Entschädigungszahlungen an z.B. Unternehmen, die im Moment geschlossen sind, minimieren, die eventuell einmal fällig wäre, sollte einmal nachgewiesen werden, dass der Staat hier seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist.

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Ich glaube ein weiteres Mal nicht, dass uns der Austausch noch weiterbringt. Ich bin ob des Zeitaufwands wieder fürs erste raus.