Umgang der Gesellschaft mit (sexualisierter) Gewalt

Liebes Lage-Team

Wegen euerer Berichterstattung zum Thema der Verfolgung von Kindesmissbrauchsdarstellungen fühle ich mich an meine Vergangenheit erinnert.

Zuerst einmal zu eurem Beitrag: Nach dem Hören des Interviews war ich regelrecht schockiert. Mir war nicht bewusst, dass die Ermittlungsbehörden diese Arten von Straftaten so stark vernachlässigen. Vielen Dank für diese Aufklärung!

Jetzt zu meinem Thema: Ich bin selbst Opfer sexueller Gewalt. Mit 12 Jahren bin ich von einem Fremden in einem Park vergewaltigt worden. So schlimm diese Tat für mich war, sind es heute nach fast 30 Jahren andere Punkte, die mich viel stärker belasten und prägen. Einige Personen aus meinem Umfeld sind extrem verletzend mit der Vergewaltigung umgegangen. Ich habe damals bestimmt nicht alles mitbekommen, doch zwei Situationen sind immer noch präsent und bereiten mir regelmäßig Probleme

  • Kurz nach der Tat kam eine Nachbarin und gute Bekannte meiner Eltern zu mir und fragte mich, warum ich denn mit dem Mann mitgegangen sei. Da hört sich zunächst nach einer „normalen“ Frage an, hatte für mich aber eine ganz andere Dimension, da mir dadurch das Gefühl gegeben wurde, als sei ich schuld an der Tat, weil ich zu dumm war. Natürlich habe ich mir diese Frage auch oft genug selbst gestellt.
  • Ein damals guter Freund wollte irgendetwas von mir (ich kann mich nicht mehr daran erinnern was). Als ich ihm dabei nicht helfen wollte kam als Antwort: „Wenn du das nicht machst, dann erzähle ich allen ich der Schule davon“. Naja, ich denke das brauch ich nicht weiter zu erläutern.

Diese zwei Situationen sind mir erst deutlich später bewusst geworden - wahrscheinlich erst nach Jahren - und haben im Nachhinein mein Vertrauen in andere Personen verändert.

Anderes Thema: Vor zwei Jahren habe ich auf einer Einkaufsstraße aus einem geöffneten Fenster Schreie von einer Frau und Schlaggeräusche gehört. Zunächst habe ich gerufen, was dort los sei. Ein Mann steckte seinen Kopf zum Fenster heraus und meinte ich solle „die Schnauze halten“, dann ging es weiter. Ich habe dann sofort die Polizei gerufen. Das merkwürdige war, dass mindestens zehn weitere Personen auf der Straße standen (direkt gegenüber des Hauses war eine Pizzeria) und sich die Situation angeschaut haben, ohne etwas zu unternehmen. So wird das leider nichts mit einer besseren Gesellschaft!

Zum Schluss: Erst Zwanzig Jahre nach der Tat war ich bereit mich einer psychologischen Behandlung zu stellen, da sich zunehmend depressionsähnliche Zustände bei mir zeigten. Der Psychologe konnte mit zum Glück sehr gut helfen. Der Täter wurde nie gefasst, ich konnte zwar jemanden in einer Kartei erkennen, daraus wurde aber aus unbekannten Gründen nichts.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es viele Menschen mit ähnlichen Erfahrungen gibt. Was hat sich in den letzten Jahrzehnten getan, um die Menschen auf einen besseren Umgang mit egal welcher Gewalt einzustellen?

2 „Gefällt mir“