Zur Diskussion hier passt ein längerer Tweet, der zwei Szenarien miteinander vergleicht: a) ein „Einfrieren“ des Konflikts und b) einen Sieg der Ukraine und Zusammenbruch des gegenwärtigen Regimes in Russland: https://twitter.com/Tatarigami_UA/status/1682242585023201282?s=20
Hier fände ich ja mal Argumente spannend. Warum sind die Beispiele nicht vergleichbar? Wodurch genau schränkte der Widerstand von Viet Cong, FLN oder Taliban den Einsatz von Atomwaffen ein? Warum soll es nicht gewichtigere Gründe gegeben haben, Atomwaffen nicht einzusetzen und warum gelten diese Gründe nun auf einmal nicht mehr? So bleibt es einfach nur eine Behauptung und darauf aufbauend eine völlig unterschiedliche Bewertung einer ähnlichen Situation.
Auf der einen Seite ist das völlig richtig, auf der anderen Seite muss man aber realisieren, dass der Westen hier gänzlich seine Glaubwürdigkeit in den Augen der Welt verloren hat.
Spontan fallen mir die Angriffskriege (oder in unserer Sprache Kampf gegen Terror und Diktatur) des Westens in Afghanistan und dem Irak, in Syrien, im syrischen Kurdengebiet, in Libyen ein.
Wie können wir glaubhaft machen, dass uns internationales Recht wichtig und zu achten ist, während wir es mit Füßen traten. Die westliche Haltung muss in den Augen der Welt gänzlich willkürlich erscheinen.
Gerade im Taiwan-Fall ist das offensichtlich. Wir wissen, dass die Volksrepublik China hier formal im Recht ist (abtrünnige Provinz) und doch unterstützen wir Taiwans fortgesetzte Separation durch militärische Ausrüstung und Präsenz in den umstrittenen Gebieten.
Ich fürchte, dass deine globale Botschaft im nicht-westlichen Ausland anders aufgefasst wird. Eher lautet sie, „militärische Intervention gegen den Westen oder seine Verbündeten, egal ob gerechtfertigt oder illegitim, lohnt sich nicht. Aber seid sicher, wenn wir eine Chance oder einen vorgeschobenen Grund sehen, werden wir nicht zögern eure Verbündeten anzugreifen!“.
Viet Cong, FLN oder Taliban wurden nicht von mehreren anderen nuklearen Großmächten unterstützt. Anders die Ukraine. Weiterhin haben sich die erstgenannten auf unkonventionelle Kriegsführung beschränken müssen (Guerilla, Terror, etc).
Syrien war auf einem guten Weg. Die Bevölkerung atmete spürbar auf, als Assad in deren Gebieten keine Macht mehr hatte. Hier hätte das eingreifen auf jeden Fall positive Folgen gehabt, wenn Russland und die Türkei sich nicht auf die Seite Assads gestellt hätten. Auch Afghanistan wäre ohne Russlands Einmischung anders ausgegangen.
Insofern: ja, da haben die USA sicher grenzwertig gehandelt. Aber Russland genauso. Wüsste also nicht, wieso der Westen hier seine Glaubwürdigkeit verloren hätte. Die meisten Frauen werden der kurzen Freiheit jedenfalls nachtrauern - und auch viele junge Männer.
Grade da bin ich mir nicht sicher, ob viele Staaten, vor allem autokratische, die militärisch-gewaltsamen Mittel nicht wieder verstärkt ins Kalkül ziehen.
Was hat man zu befürchten, ausser wirtschaftliche Sanktionen?
Eine UN als Weltpolizei funktioniert ja aufgrund der Uneinigkeit und der Verwicklung mindestens eines der ständigen Mitglieder nie wirklich
Das stimmt nicht: Moskau schoß im Vietnamkrieg mit - DER SPIEGEL
„Der Oberbefehlshaber der sowjetischen Militärberater, General a. D. Wladimir Abramow, behauptet heute, seine Soldaten hätten 1044 US-Flugzeuge über Nordvietnam abgeschossen.“
Und was China angeht hätte eine Atombombe über Hanoi sicher mit einer über Taipeh beantwortet werden können.
Passend dazu noch diese Meldung von 1979: DDR-Truppen nach Vietnam - DER SPIEGEL
Das Problem mit der FLN wäre gewesen, dass Frankreich die Atombombe über seinen eigenen Städten hätte abwerfen müssen. 1848 war die bevölkerungsreiche Küstenregion Algeriens in 3 Departments organisiert und in das Mutterland integriert worden, Algier war also genauso eine französische Stadt wie Marseille oder Straßburg.
Und die Taliban wurden streng genommen erst 1994 gegründet - 5 Jahre nach Abzug der sowjetischen Truppen. Ihre Vorgänger - die Mudschahedin - sind jedoch von den USA unterstützt worden. Die Frage für die Sowjetunion dürfte damals eher gewesen sein, worauf sie eine Atombombe hätten abwerfen sollen, da diese vor allem dünn besiedelte ländliche Gegenden kontrollierten. Die großen Bevölkerungszentren sind erst gegen oder nach dem Ende des Militäreinsatzes an die aufständischen Afghanen gefallen. Der auf den Abzug folgende Bürgerkrieg dauerte bis 2001, als der Westen zu Gunsten der Opposition, die noch einige größere Gebiete vor allem im Nordosten des Landes kontrollierte, militärisch eingriff.
Ich halte das auch für traurig und würde lieber in einer Welt leben, in der es überall Frieden, Freiheit und Grund- und Menschenrechte gäbe. Aber leider ist die Welt nicht so, und in den letzten Jahre habe ich den Eindruck, dass diese Werte eher auf dem Rückzug sind und totalitäre wirkmächtiger werden.
In dieser Realität halte ich es für notwendig, dass die, die diese Werte für wichtig halten, auch die militärische Stärke aufbauen, sie zu verteidigen.
Im Grunde möchte ich dir recht geben @der_Matti. Aber leider gilt das nur für den Blick mit unserer Westler-Brille. Genauso gibt es in den betroffenen Ländern auch nicht wenige Menschen, die die westlichen Interventionen ablehnten.
Nimm als Beispiel den syrischen „Bürger“-Krieg oder Libyen. Die Bevölkerung war keineswegs eindeutig gegen ihre Machthaber, sonst hätte dieser auch ohne uns keinen Rückhalt gehabt. Stattdessen haben wir uns auf die Seite von Rebellen gestellt, ebenso wie Russland 2014 in Luhansk und dem Donbass.
Zumal in Syrien ganz klar außenpolitische Gründe mit im Fokus standen. Russland hat dort wichtige Militärbasen (bspw. Tartus). Ein Regimechange hätte Russland deutlich geschwächt. Und Russland agiert dort legitim auf Bitte des syrischen Präsidenten. Von russischer Einmischung kann dort keine Rede sein.
Es gibt übrigens einen Grundsatz internationalen Rechts, nämlich sich aus rein inneren Angelegenheiten heraus zu halten (sofern es keine UN Resolution gibt).
Entschuldige, in meinem Satz fehlte ein Einschub. Ich habe ihn hinzugefügt. Richtig sollte es heißen
Und natürlich sehe ich das Problem mit der Uneinigkeit der UN. Zur Wahrheit gehört aber auch hier dazu, dass der Westen diese Waffe auch regelmäßig zieht, bspw. wenn es um berechtigte Kritik und Sanktionen gegen Israel geht.
Uns wäre sicher allen geholfen, wenn wir die Maske der Doppelmoral öfter absetzen würden.
Aber der Unterschied ist dann doch, dass die jetzige Unterstützung nicht im Geheimen stattfindet. Sie wird offen kommuniziert, weswegen man sich sehr vorsichtig herantasten musste, was „akzeptiert“ wird und was ggfs eine Eskalation ausgelöst hätte.
Die USA hatten jedes Recht, in Afghanistan ein Terror-Netzwerk zu zerschlagen, dass für Tausende tote Amerikaner verantwortlich war (und nebenbei noch ein Steinzeit-Regime, dass Menschen in Fußballstadien gesteinigt hat zumindest für 20 Jahre von der Macht im Staat weggehalten). In Syrien und Libyen hat man Aufständische gegen diktatorische Regime unterstützt, das im Falle Libyens jahrzehntelanger Sponsor des internationalen Terrorismus war. Einzig der Irak-Krieg war von Beginn an ein Riesen-Fehler.
Schön die Rechtsauffassung des kommunistischen Chinas geteilt. Ich sehe ein freies Land, was durch einen Aggressor existenziell gefährdet ist…wenn wir so ein Land nicht unterstützen, können wir internationale Politik auch ganz sein lassen.
Ein Präsident, der sein eigenes Volk mit Fassbomben bombardiert und Millionen in die Flucht getrieben hat. Die im Regelfall auch nicht mehr zurück möchten, weil sie dort auch nicht besonders willkommen sind.
Das ist alles relativ. Natürlich wurde das damals von offizieller Seite abgestritten. Aber es war ein offenes Geheimnis, dass sie stattgefunden hat. Und mit „offen“ meine ich nicht nur, dass die Gegenseite davon wusste, sondern dass es der Bevölkerung des jeweils unterstützenden Landes bekannt war (so sie es denn wissen wollte).
Ich könnte jetzt viel zu dem schreiben was du hier argumentierst. Aber ich glaube wir haben da grundlegend unterschiedliche Ansichten von Recht.
Für mich sollte Recht universell gelten. Wir können uns nicht herausnehmen gegen Recht zu verstoßen, nur weil es unsere liberal-demokratischen Ansichten in anderen Staaten verbreitet. Wir müssen uns darüber klar sein, dass unsere Ansichten historisch und auch global eher dem Sonderfall, nicht dem Normalfall entsprechen. Und das unsere Interventionen selten ein stabileres Land schafften. Stattdessen geht es vielen Menschen nach dem Abzug westlicher Truppen eher schlechter als zuvor.
Anyway, zur Taiwanfrage gab es schon etliche Diskussionen. Aus meiner Sicht hat @Daniel_K den Stand gut zusammengefasst.
Nochmal in Kürze, ich habe Sympathien für die menschenrechtliche Komponente unserer westlichen Interventionen. Aber man tut aus meiner Sicht gut daran, sich in die andere Position hineinzuversetzen. Und da kann ich jeden nachvollziehen, der der westlichen Welt Doppelmoral par excellence vorwirft.
Ich an deren Stelle würde dem Westen nicht vertrauen, dass dieser sich an eine Message wie „Militärische Intervention lohnt sich nicht, weil es internationale Interventionen militärischer Art zu befürchten gibt.“ selbst hält.
Man hat Libyen in die Steinzeit gebombt und nennt es Fortschritt, dass es dort jetzt immerhin wieder Sklavenmärkte gibt. Tut mir leid, aber gerade in Libyen kann ich den positiven Beitrag des Westens beim besten Willen nicht erkennen.
Das ist aber auch die Auffassung unserer Regierung, die die Ein-China-Politik unterstützt und die VR China als alleinigen Vertreter Chinas anerkennt. So lange es keine in gegenseitigem Einvernehmen getroffenen anderen Vereinbarungen gibt sind die 1945 von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges definierten Grenzen verbindlich, und Taiwan wurde damals China zugesprochen. Die demokratischen Errungenschaften Taiwans in allen Ehren, aber völkerrechtlich ist entweder Taiwan ein Teil Festlandchinas, oder Festlandchina ein Teil Taiwans.
So wie ich das sehe, begeht die Wagner-Gruppe gerade Kriegsverbrechen in Mali und Russland in der Ukraine.
Vielleicht sollte man sich darauf konzentrieren.
Ohne die chinesische Kriegsdrohung könnte Taiwan längst eine unabhängige Republik sein, die von der freien Welt auch anerkannt würde. Geradezu zynisch ist in diesem Fall der Hinweis auf das Völkerrecht, das ansonsten China nichts bedeutet, siehe seine genozidale Politik gegenüber Minderheiten. In der Zentrale der KPC lacht man sich über eine solche Haltung sicher kaputt.
Wir - daher der Westen - sehen uns als Verfechter des Völkerrechts, weil wir realisieren, wie wichtig ein stabiles Völkerrecht ist, gerade um Kriege zu verhindern. Das ist in der Ukraine leider gescheitert, gerade weil es leider mit Russland und China zwei mächtige Staaten gibt, die das Völkerrecht fragwürdig auslegen.
Was du nun forderst, ist, es genau so wie China und Russland zu tun. Dadurch wäre das Völkerrecht offiziell Tot und Begraben, weil dann China und Russland - mit Recht - sagen würden: „Ihr haltet euch an das Völkerrecht doch auch nur, wenn es euch in den Kram passt - warum sollten wir uns dann daran halten?!?“
So funktioniert das einfach nicht. Wir - daher der Westen - haben ein Interesse an der Stärkung des Völkerrechts. Deshalb können wir es nicht nach belieben brechen, weil wir dadurch das Völkerrecht nur noch weiter schwächen. Und das bedeutet dann eben auch, mal völkerrechtlich unschöne Resultate zu akzeptieren, ebenso wie wir in der Justiz in einem Rechtstaat hin und wieder Resultate akzeptieren müssen, die nicht mit unserem Rechtsempfinden übereinstimmen.
Für den ein oder anderen Teilnehmer hier müsste erst geklärt werden, ob die Wagner Gruppe in Mali nicht durch die „legitime“ Regierung „eingeladen“ wurde.
Sie legen sich das Völkerrecht nicht fragwürdig aus, sondern brechen es. Buchstäblich täglich.
Recht ohne die Möglichkeit es auch durchzusetzen, ist zahnlos. Sich daran zu binden, während andere es regelmäßig brechen, ist sinnlos.
Und um noch mal die Brücke zum eigentlichen Thema zu schlagen, hier ein Artikel aus dem letzten Jahr, der zeigt, dass in Syrien eher mehr westliche Intervention nötig gewesen wäre. Von Russlands Einsatz samt zahlloser Kriegsverbrechen in Syrien bis zur Invasion in der Ukraine führt eine gerade Linie.
Zitat von UN-Generalsekretär Guterres anlässlich seiner kommenden Agenda für den Frieden:
„Einsätze zur Friedenssicherung können nicht erfolgreich sein, wenn da kein Frieden ist, der zu bewahren ist.“
Damit beschreibt er das Dilemma der UN ganz treffend.
Wie hier im Thread schon erwähnt, funktioniert sowas nicht, wenn man mit einem festen westlichen Wertebild in die Welt zieht und versucht, dieses Bild 1:1 überzustülpen, ohne sich der kulturellen und historischen Gegebenheiten vor Ort klar zu sein, auch wenn sie uns nicht gefallen.