Ukraine-Krieg: Umgang mit Flüchtenden und Rassismus

Danke für das update, das war aber nicht als Vorwurf gemeint sondern als Vorsicht im Umgang mit unverifizierten Informationen und als solche formuliert.

Schönen Abend! :slight_smile:

Ich fasse jetzt nochmal alle bisherigen Quellen zusammen:

  1. The Independent - direktes Gespräch/Kontakt mit 3 Personen (unabhängig voneinander) aus Nigeria, zitiert einen Bericht des Jamaica Gleaner über 24 Jamaicanische Flüchtende, Bericht einer weiteren Person unbekannter Herkunft und Reaktion eines nigerianischen Politikers

  2. India Times - berichtet über mehrere hundert indische Studierende, bezieht sich auf The News Minute und die indische Botschaft

  3. The News Minute hat mit einer Person direkt gesprochen und bezieht sich sich weiterhin auf PTI, die größte Presseagentur Indiens

  4. Baaz News bezieht sich auf eine undefinierte Menge an Indern, mit denen sie direkt gesprochen haben

  5. Mathrubhumi News, ein indischer Nachrichtensender, berichtet und zeigt das Videomaterial und einen Bericht einer Betroffenen vor Ort.

  6. Diverse (!) Twitter-Threads und Reddit-Posts mit Videos und Augenzeugenberichten

  7. Big News Network zitiert einen indischen Beamten in Polen der Teile der Vorwürfe bestätigt.

  8. WDR-Journalistin interviewt einen pakistanischen Studenten der Vorwürfe erhebt

  9. WELT interviewt eine Person, die von individuellem Rassismus im Zug berichtet

  10. FR bezieht sich nicht nur auf TMZ, sondern berichtet u.a. auch, dass der Vorsitzende der Afrikanischen Union, der senegalesische Präsident, der Leiter der Kommission der Afrikanischen Union und der nigerianische Außenminister sich jeweils besorgt zu dem Thema äußerten.

  11. Der nigerianische Präsident hat zu dem Thema gesprichen und sich auf Videos, „first-hand evidence“ und direkten Kontakt mit Beamten des nigerianischen Konsulats bezogen. Die Afrikanische Union hat ein offizielles Statement veröffentlicht

  12. BBC hat mit mehreren nigerianischen Betroffenen gesprochen, die Vorwürfe erheben

Filippo Grandi, der „Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen“ (=Chef des UNHCR), sagt, das es Rassismus an der Grenze gebe und das, soweit er das beurteilen kann, keine (!) russische Desinformation ist. Das UNHCR habe die Vorwürfe wahrgenommen und verfolge diese:

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Wie in dem Video der Welt und auch von @PG_FFM angesprochen, scheint es wirklich von ukrainischer Seite auszugehen.
Das ist ganz klar zu verurteilen, aber leider bittere Realität dass auf der Flucht jeder sich selbst der nächste ist.

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Ich finde es auch krass, wie unterschiedlich die öffentliche Berichterstattung sowie öffentliche Meinung allgemein im Bezug auf den aktuellen Flüchtlingsstrom aus der Ukraine im Vergleich mit den überwiegend arabischischen / nord-afrikanischen Menschen 2015/16 ist. Besonders bei Ländern wie Polen oder Ungarn ist es wirklich sehr entlarvend, aber insbesondere auch hier. Und wie Ulf gesagt hat, man kommt nicht umhin zu sagen, dass das zum größten Teil Rassismus bzgl. Hautfarbe, Kultur, Religion ist, dass die Ukrainer jetzt ganz anders behandelt werden als die Flüchtenden damals.

Aber ich versuche eigentlich auch immer, meinem Gegenüber möglichst die besten Motive zu unterstellen, statt die schlechtesten (z.B. Rassismus). Also, auf die aktuelle Situation übertragen, ein paar Gedanken; Dinge, die jetzt anders sind.

  1. Die Berichte bzgl. Rassimus sind so vielfältig, aber gerade beim Grenzübertritt von Männern denke ich mir: Kein Ukrainer im wehrfähigen Alter darf gerade das Land verlassen; wenn nicht gleich geklärt werden kann, ob diejenigen eine ukrainische Staatsbürgerschaft haben, kann ich mir in Anbetracht des sicherlich großen Chaos, einer langen Schlange, übermüdeten Grenzbeamten auch durchaus vorstellen, dass es da ohne Rassismus zu unschönen Szenen kommt. Womöglich sprechen die Ausreisenden kein ukrainisch / russisch sowie die Beamten kein englisch – vielleicht bin ich naiv, idk.

  2. Es gibt ganz klar ein Gut und ein Böse, einen Aggressor und einen Angegriffenen. Im Beispiel Syrien / Libyen etc. gab es auf der einen Seite Diktatoren wie Assad oder Gaddafi. Auf der anderen ISIS und andere islamistische Gruppierungen. Wie konform z.B. die Kurden mit westlichen Werten sind, kann ich nicht einschätzen, aber ich habe die starke Vermutung, dass es hier nur sehr wenige Gruppierungen gibt, die man als Westen gerne auf Grund von gemeinsamen Werten unterstützen möchte.

  3. Hatte man damals in großen Teilen der Bevölkerung damals große sorge vor islamistischen Terror-Anschlägen. Und es ist einfach Fakt, dass dieser Faktor bei den Ukrainern komplett wegfällt.

  4. Die Flüchtenden kommen ziemlich unmittelbar mit Kriegsbeginn, also wo die Bevölkerung noch empathisch ist. Angenommen, der Konflikt köchelt noch zwei Jahre vor sich hin und beherrscht nicht mehr jede Schlagzeile. Wahrscheinlich nimmt damit die Spendenbereitschaft und der Aufnahme-Wille auch ab.

  5. Ich will mich hier nicht wie ein AfD Pressesprecher fühlen, aber ich halte es auch für eine plausible Annahme, dass die Integration von Ukrainern leichter sein sollte, da deren Alltags-Realität weniger von der unseren abweicht als bspw. in Syrien oder im Irak. Zumindest kann man so argumentieren.

Das sind so meine Gedanken dazu. Aber ich stimme auch allen hier zu, dass der Kontrast wirklich ist zwischen der Berichterstattung 2015 und der jetzigen totalen Empathie.

Ich hoffe mal, dass @elpenor und @J4hr3ndt es mitbekommen haben, dass nicht nur ihr Beitrag jeweils geschlossen wurde, sondern hier auch das Thema schon besprochen wird. :slight_smile:

Am Ende der geschlossenen Beiträge gibt es den Link auf dieses Thema hier :wink:

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Und es bestaetigt das Bild, das man aus den Geschichten von Isaak Babel hat. Das Leben der Leute, die irgendwie nicht dazugehoerten oder wenigstens im Verdacht standen, neutral zu sein, war zur Zeit seiner Reiterarmee nichts wert. Vor allem in Galizien. Man traut es sich angesichts der russischen Propaganda kaum zu sagen. Auch weil unsere Begriffe dort vielleicht nicht passen und die Ukrainer sowieso andere Sorgen haben. Vielleicht radikatisieren auch die Verhaeltnisse. Nigeria hat seine Studenten mit drei Flugzeugen jedenfalls sofort ausgeflogen

Ich finde, man braucht gar nicht bis 2015 zu gehen, um diese erschütternden Widersprüche zu finden. Aus Weißrussland bietet die Festung Europa den Flüchtenden einen kalten, menschenfeindlichen Anblick von dicht bewachtem NATO-Draht. Von der Jahrzente alten Lage im Mittelmeer ganz zu schweigen.

Die Berichterstattung diffamiert diese Menschen als »Flüchtlingswellen«, im Fall von Weißrussland versteigert sich das ZDF gar zu der Aussage, »Migranten werden hier als Waffe missbraucht.« Teile der Bevölkerung verunglimpfen sie oft im gleichen Satz als »Wirtschafts-« bzw. »iPhone-Flüchtlinge« (was denn nun?). Erschreckend viele Deutsche und Europäer empfinden diese paar zehntausend Menschen regelmäßig als Bedrohung für ihren Wohlstand.

Wie viel ein gemeinsamer Feind wie Putin doch bewirken kann: im Hass auf Russland und Putin vereint, weht auf einmal ein ganz anderer Wind: die Versorgung und Aufnahme der Ukrainischen Flüchtlenden kann gar nicht schnell genug gehen, jedenfalls, solange sie nicht das Pech haben, auch anderen bestehenden Feindbildern anzugehören.

So begrüßenswert diese Aufnahmekultur ist und man sie allen wünschen würde, die egal aus welchem Grund den Weg nach Europa antreten: leider bleibt mehr als ein bitterer Beigeschmack angesichts der tausenden anderer, denen Europa nach wie vor keine menschenwürdige Behandlung entgegenbringt, wenn sie hier überhaupt lebend ankommen.

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Grundsätzlich gebe ich dir Recht, dass die europäische Flüchtlingspolitik von Heuchelei und doppelten Standards geprägt ist.
Ich finde aber, dass die Krise an der Grenze zu Belarus im vergangenen Jahr nicht mit der aktuellen Situation von aus der Ukraine geflohenen Menschen vergleichbar ist. Damals sind viele tausend Menschen, überwiegend aus dem Irak, nach Belarus geflogen, weil sie der Korruption und dem ökonomischen Niedergang dort entfliehen wollten und den Versprechungen von schneller Weiterreise in die EU geglaubt haben. Ausgestattet mit Visa aus Belarus, das sich für die verhängten Sanktionen an der EU rächen wollte.
Das rechtfertigt nicht die Verweigerung von Versorgung und fairen Asylverfahren besonders durch Polen, erklärt aber auch die unterschiedliche Aufnahme- und Hilfsbereitschaft.

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Hallo erstmal,
kann man hier auch gefühlte Fakten äußern die nicht verifiziert sind.

Ich bin in Berlin Neukölln aufgewachsen und habe absolut nichts gegen Migranten bzw. Ausländer.
Doch sehe ich hier noch weitere gefühlte Gründe warum die Hilfsbereitschaft größer ist.
Jetzt fliehen mehrheitlich Frauen mit Kindern und ältere Männer.
Die die ihr Land verteidigen können bleiben dort bzw. fahren sogar aus dem Ausland in Ihr Heimatland zurück um es zu verteidigen obwohl die Lage (aussichtslos ist).
Das habe ich früher (2015) nicht so empfunden.
Und ich glaube die Zahlen würden das bestätigen.

Genauso werden heute Offizielle Grenzübergänge genutzt.

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Es wird bereits gewarnt, dass Frauen und Kinder aufpassen sollen mit wem sie mitgehen damit sie nicht Menschenhändlern in die Arme laufen.
Zahlen kann dir keiner geben, aber mit Sicherheit ein wichtiger Grund, warum du 2015 wenig Frauen und Kinder gesehen hast.

Hallo Ulf und Philipp,

ich tue mich ehrlich gesagt mit der normativen Vorstellung schwer, dass jede Abweichung davon, jeden Flüchtenden auf der Welt gleich zu behandeln, Rassismus oder unzulässige Diskriminierung sei. Diese Vorstellung würde dazu führen, dass ich betroffene Familienmitglieder, Verwandte, Nachbarn oder Arbeitskollegen nicht besser behandeln dürfte als Menschen von der anderen Seite der Welt. Das finde ich nicht nur absurd, sondern unmenschlich - würde ich denjenigen, der mir näher steht, nicht eher unterstützen, dann wäre meine Beziehung zu ihm nichts wert. Die Ukraine steht uns sprachlich, geographisch und kulturell näher als z.B. Syrien (was bitte nicht als Geringschätzung von Syriens beachtlicher Kultur und Geschichte missverstanden werden soll). Dass sich diese Nähe in höhere Hilfsbereitschaft ausdrückt, ist kein Bug, sondern ein wünschenswertes Feature. (Das heißt nicht, dass meine Hilfsbereitschaft für Menschen von der anderen Seite der Welt Null sein darf oder soll; nur, dass Abstufungen zulässig sind).

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s. auch

Ich würde eher sagen: es ist ein prinzipiell unlösbares Spannungsfeld. Einerseits gebe ich dir Recht, dass es ein zutiefst menschliches Verhalten ist, Individuen, die uns besonders nahe stehen, anders zu behandeln. Auf der anderen Seite ist es ein Grundpfeiler unserer Moral, dass die Menschenwürde überall auf der Welt gleich viel wert ist. Ich erlebe, dass wir als Gesellschaft keine besonders logische oder konsequente Art haben, mit diesem Widerspruch umzugehen. Der Problematik wird meist ausgewichen oder sie wird tot geschwiegen.

Verstört hat mich das z.B. etwas beim Thema globale Impfstoff-Verteilung: als der Impfstoff in Deutschland knapp war, hatten wir eine hochaufgeladene moralische Diskussion um die Verteilung. Aber die Reichweite dieser Debatte ging genau bis zu Bundesgrenze. Als wir dann den Markt leer gekauft und genug Impfstoff hatten, konnte es mit der zweiten und dritten Dosis nicht schnell genug gehen. Trotz eindringlicher Apelle der WHO ist es uns ziemlich am *rsch vorbei gegangen, dass dieses Verhalten die Impfstoffknappheit im Rest der Welt verschärft hat. Ich verstehe, dass man zu dem Schluss kommen kann, dass die Impfung der eigenen Bevölkerung Vorrang hat. Aber dass dieses Spannungsfeld medial praktisch gar nicht thematisiert wurde – übrigens auch in der Lage nicht – fand ich erschreckend. Belohnt wurden wir mit der Delta-Variante.

Nun ist die Flucht vor Krieg und Terror nochmal eine andere Hausnummer als das Impfen. Stiller Konsens dürfte inzwischen sein, dass ein realistisches mittelfristiges Ziel der Weltgemeinschaft nicht gleiche Lebensbedingungen für alle sein kann, sondern flächendeckende Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Aber selbst das gestaltet sich schwierig. Man dürfte schnell zu dem Schluss kommen, dass wir die Standards der Unterstützung, die wir derzeit für die Ukraine aufbringen, global kaum leisten könnten.

So eine richtig perfekte Lösung scheint mir also in weiter Ferne. Dass wir allerdings an unserer Landesgrenze Flüchtlinge in solche sortieren, die uns nahe stehen und solche, die das weniger tun, erscheint mir so stark im Widerspruch zu unseren moralischen Prinzipien zu stehen, dass ich es ablehne. Um eine Brücke zu bauen könnte man auch sagen: dadurch, dass diese Menschen vor unserer Haustür stehen und um Hilfe bitten, sollten sie uns bereits nahe genug sein, damit wir uns zu dieser Hilfe verpflichtet fühlen. Dass es an anderen Orten der Welt ggf. Menschen gibt, die noch dringender diese Hilfe bräuchten, bleibt leider Teil des o.g. unlösbaren Spannungsfeldes.

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Es ist nicht genau erkennbar, worauf du dich jetzt beziehst.
Im ersten Thread ging es darum, dass Gaststudenten an der Grenze abgewiesen worden sein sollen, weil sie augenscheinlich keine ukrainischen Staatsbürger waren. Man kann ihnen schlecht vorwerfen, da zu sein, wo sie waren.

Und wenn es um den Vergleich Syrer/Ukrainer gehen soll:
Ja, die Nachbarn sind in der Verantwortung. Die haben bei den Kriegen in Irak/Afghanistan/Syrien auch einiges geleistet.
Es stellt sich halt die Frage, welche moralische Verantwortung unsere Länder da tragen.
Ein Entwicklungsland, das teilweise nicht mal die eigenen Leute richtig ernähren kann, soll dann auch noch Hunderttausende Flüchtlinge aufnehmen, weil die UN/NATO/USA gerade den Nachbarn auseinander nimmt (unabhängig davon, ob begründet).
In meinen Augen sollten wir die Flüchtlinge nicht unbedingt aufnehmen, aber die Nachbarn entsprechend unterstützen, dass sie ihrer Aufgabe gerecht werden können.
Was in Lybien momentan passiert, meine ich damit explizit nicht.
Wir brauchen Lösungen, denn die Armut wird mit steigender Umweltzerstörung noch zunehmen.

Das scheint mir gerade eine beliebte Floskel zu sein, der erstaunlich wenig widersprochen wird. Mag schon sein, dass das auf dem kyrillischen Alphabet basierende Ukrainisch dem Deutschen gerade noch näher ist als Arabisch, und es mag ebenfalls sein, dass von München aus gesehen Aleppo noch ein paar Kilometer weiter weg ist als Donezk.

Aber was soll es denn bitte bedeuten, dass „uns“ die Ukraine „kulturell näher“ ist als Syrien? Was ist denn die Kultur der Ukraine? Welche Kriterien entscheiden über die generalisierte Akkulturationsfähigkeit einer so diversen Gesellschaft wie der der Ukraine im Vergleich zur syrischen?

Oder liegt es nicht viel näher anzunehmen, dass „kulturelle Nähe“ eine vermeintlich unverdächtige Konzeption ist, um zum Ausdruck zu bringen, dass es eben ganz überwiegend weiße Menschen sind, die gerade fliehen müssen?

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Das sind alles Personen, mit denen mich persönlich, emotional etwas verbindet. Natürlich kümmere ich mich zuerst um die. Aber warum sollte mir ein Mensch aus einem anderen Viertel meiner Stadt, den ich noch nie im Leben getroffen habe, eher am Herzen liegen als der vom anderen Ende der Welt? Die gleiche Kultur und Sprache als Argument ist da kaum tauglicher als die gleiche Hautfarbe. Beides ist Grundlage für Rassismus.

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