Bei all der Diskussion um das Veronika Grimm Interview habe ich mal wieder das Gefühl, die Lage ist wieder ein Stück weiter in Richtig „Die Wirtschaft als heilige Kuh und gelobt sei ewiges Wachstum“ gerückt. Diese Panik, dass Deutschland 0 Wirtschaftswachstum hat. Na und? Was ist daran so schlimm?
Wir hatten seit 1990 ein fast kontinuierliches BIP-Wachstum von 1,3 Billionen € auf 4,3Billionen €. Geht es dadurch allen Bürgen um den Faktor 3 etwa besser? Kann eine Volkswirtschaft überhaupt ewig wachsen bei begrenzten planetaren Resourcen und müssen wir bei einer Nullrunde wirklich in Panik verfallen, oder sollten wir uns nicht lieber freuen, wie gut es uns geht und daran arbeiten, den Wohlstand besser zu verteilen? Als Kontrast zu Veronika Grimm in die andere Richtung würde ich gerne mal Ulrike Herrmann zum Interview in der Lage sehen. Hier ein spannendes Interview mit ihr von Jung&Naiv.
Das Problem scheint mir zu sein, dass unser (internationales) Wirtschaftssystem auf endlosem Wachstum basiert und Deutschland (oder die EU) da nicht ohne massive Nachteile aussteigen kann. Bedeutet: Wenn wir jetzt sagen, dass Nullwachstum in Ordnung ist, werden wir vermutlich massive Probleme mit den Kapitalgebern bekommen, daher: Investitionen bleiben aus, Zinsen steigen massiv usw.
Oder anders gesagt: So lange der Rest der Welt noch Wachstum auf Kosten der Umwelt praktiziert („Drill Baby Drill“) haben diejenigen, die das nicht tun, im internationalen Wettbewerb einen massiven Nachteil. Mit Trump an der Spitze der USA müssen wir sogar aufpassen, dass eine Null-Wachstums-Politik nicht wie einst der Sozialismus als „Bedrohung für den American Way of Life“ betrachtet und aktiv bekämpft wird… das würde die Probleme dann nochmal vervielfachen.
Also ich sehe nicht, wie wir (als Deutschland oder EU) aus diesem Wachstums-Wahnsinn herauskommen können. Wie denkst du, könnte das gelingen?
Wenn wir jetzt sagen, dass Nullwachstum in Ordnung ist, werden wir vermutlich massive Probleme mit den Kapitalgebern bekommen, daher: Investitionen bleiben aus, Zinsen steigen massiv usw.
das würde vielleicht passieren, wenn wir sagen, dass wir Wachstum bekämpfen und die Wirtschaft schrumpfen möchten. Und nicht mal das, wenn wir es auf einzelne Branchen beschränken. Was sollte denn Jemanden daran hindern, z.B. in Herstellern von grünen Zukunftstechnologien zu investieren? Da kommt es doch auf das konkrete Projekt und Standortbedingungen an und nicht auf zukünftige Gesamtwirtschaftswachstumsprognosen oder Rhetorik.
Mit Trump an der Spitze der USA müssen wir sogar aufpassen, dass eine Null-Wachstums-Politik nicht wie einst der Sozialismus als „Bedrohung für den American Way of Life“ betrachtet und aktiv bekämpft wird
Das ist aber ganz schön weit her geholt. Ich bin mir sicher, Trump wird in seiner Amtszeit noch 100 weitere Gründe finden, warum Deutschland doof ist und 100 weitere Gründe, warum am nächsten Tag ein anderes Land doof ist. Ich erinnere an die Strafzölle gegen deutsche Autos aus Trump1 Zeiten, die er kurz darauf wieder zurückziehen musste. Und die Strafzölle von neulich gegen die EU (vor allem Deutschland) von Trump2, die er gleich wieder „ausgesetzt“ hat und ihn jetzt auch nicht mehr interessieren;)
Wäre es nicht gewachsen, ginge es (fast) allen bedeutend schlechter. So herum muss man es lesen.
Es geht nicht nur um Gleichheit, sondern um eine Verbesserung für die möglichst breite Masse.
Wenn die Gewinne aber unten nicht ankommen und die Besteuerung der obersten 5% nicht funktioniert, stimmt diese Aussage nicht.
Ein Problem sind die komplett unterschiedlichen Ansprüche zwischen damals und jetzt. Heute ist Elektronik und Urlaub mit Flugzeug sehr günstig, dafür sind Mieten, insbesondere bei Neuvermietung, drastisch gestiegen. Geht es jemandem, der Mindestlohn verdient, heute essenziell schlechter als jemandem, der 1990 zum damals niedrigsten Lohn gearbeitet hat? Und was ist essenziell? Ich weiß es nicht.
Dach überm Kopf, Essen, Bildung? Für mich wären guter ÖPNV, öffentliche Toiletten und wohnortnahe kostengünstige Freizeitangebote (Schwimmbäder, Parks, Bibliotheken, Museen, Spielplätze) sehr wichtig.
Wenn Ulrike Herrmann schreibt, dass sich Wirtschaftswachstum und Klimaschutz gegenseitig ausschließen, dann ließe sich Klimaschutz ja nur dadurch erreichen, dass man die Wirtschaft in Summe schrumpft / stagnieren lässt und somit das Wachstum bekämpft.
Ja, das stimmt. Das ist wahrscheinlich die bittere Wahrheit, mit der ich noch nicht gleich rein preschen wollte. In gewissen Bereichen muss dann gezielt geschrumpft werden.
Investitionen bleiben aus,
Ja, in den entsprechenden Bereichen. Das ist aber unter dem Paradigma dann aber gewollt.
Zinsen steigen massiv usw.
Sie werden, denke ich, sinken, weil es parallel dazu schwächere Geldvermehrungsmöglichkeiten durch die Wirtschaft gibt.
Langfristig wird es darauf hinsteuern, aber der Weg dahin ist ja mit viel Transformation gepflastert.
So wie die USA mit dem inflation-reduction-act kann die Politik da ansetzen und den Wandel anstoßen und lenken.
Ja, BIP Rückgang wird praktisch immer zu sinkenden Zinsen führen, weil Investitionen ausbleiben und die Nachfrage nach Krediten einbricht. Zinssenkung wäre eine der ersten Maßnahmen, um die Konjunktur zu stützen.
Perfekt, nachdem dann eine Philosophin ihre viel kritisierten Thesen (bspw. hier im Handelsblatt Handelsblatt oder hier in in der FAZ (leider hinter der Paywall) Wirtschaftsbücher: Ulrike Herrmann – „Das Ende des Kapitalismus“) zur VWL befragt haben, lassen wir uns am besten von einem Mahlermeister erklären wie wir Probleme mit der Migration klären (parallelen zu real existierenden Personen sind selbstverständlich nur zufällig).
Man kann Veronika Grimm kritisieren (zu meiner Wahrnehmung des Begriffs „Neoliberalismus“ habe ich mich an anderer Stelle hier schon geäußert), aber ausgerechnet diesen Gegenpol vorzuschlagen geht mMn zu weit. Wenn ich richtig informiert bin, ist der aktuelle Stand der Forschung, dass Klimaschutz nur funktionieren wird, wenn er mir Wachstum einhergeht.
Und schon haben wir wieder das typische Philosophen-Bashing…
Die Frau hat eine Ausbildung als Bankkauffreu, eine journalistische Ausbildung samt Volontariat abgeleistet und danach Philosophie und Geschichte studiert. Ja, dadurch hat sie Einsichten in die Funktionsweise einer Gesellschaft, die konträr zur in der VWL dominanten neoliberalen (extra für dich ) Sichtweise stehen. Gerade deshalb sind diese Einsichten als Gegenpol relevant.
Die Philosophie behandelt das Thema „Wirtschaftssystem“ grundsätzlich aus einer anderes Blickrichtung als die VWL - und das ist eine gute Sache. Diese Herabwürdigung von Philosophen zeigt nur, dass diejenigen, die die Philosophen herabwürdigen, nie Philosophie studiert haben und in aller Regel nicht mal wissen, was Philosophie eigentlich ist. Es verrät mehr über die Kritiker als über die Kritisierten.
Hier überhaupt mit „Stand der Forschung“ zu argumentieren zeigt schon, dass die VWL mit einer Naturwissenschaft verwechselt wird. Wenn, dann gibt es, ähnlich wie in den Rechtswissenschaften (und der Philosophie ) eher einen Stand der Diskussion / Meinungen, aber gerade keinen „Stand der Forschung“, der eine Objektivität vortäuscht, die in diesen Fragen einfach nicht existieren kann.
Das ist leider viel zu kurz gesprungen. Industrien existieren nicht unabhängig voneinander, alles ist ein komplexes Netzwerk. Einfaches Beispiel ist die Infrastruktur.
Ob über ein Gleis rollt der Teile für ein Auto transportiert oder für Solarzellen ist egal. Wenn wir jetzt keine Autos mehr herstellen, müssen wir trotzdem noch einen Großteil der Infrastruktur aufrechterhalten, dafür bezahlen müssen dann aber weniger Firmen (im Beispiel hier jetzt die, die Solarzellen herstellen).
Dann bedeuten geringere Skaleneffekte auf öffentliche Infrastruktur auch, dass wir entweder weniger Geld für anderes zur Verfügung haben (also ggf. weniger Geld für Ausbildung und Forschung) oder die Steuern erhöhen müssen (was den Standort DE nicht gerade attraktiver macht).
Dazu käme eine erhöhte Arbeitslosigkeit und damit eine erhöhte Chance auf Armut, welche zu politischer Unsicherheit führt, weil Menschen die sich abgehängt fühlen radikale Parteien wählen.
Dazu würde das Kreditrating DEs beschädigt werden. Also höhere Zinsen (bei einem kleiner werdenden Steuerkuchen ist der Effekt prozentual betrachtet sogar nochmal deutlich höher).
Zusammenfassend ist das alles einfach keine gute Idee.
Ich habe selbst VWL studiert. Die vorherrschende Meinung ist ganz klar die benannte. Nenne mir relevante (aktuelle) Veröffentlichungen, dann schaue ich mir die gerne an und Ändere gerne meinen Standpunkt. Mir ist gerade aus dem Stehgreif kein relevanter Ökonom bekannt, der diese These vertritt.
Zum Thema „Philosophie Bashing“: Es geht nicht darum Philosophen generell herabzuwürdigen, das schreibe ich nicht, da baust du einen Strawman. Es geht darum, dass es mit Sicherheit geeignetere Gesprächspartner gibt, die diese Position besser vertreten können.
Neoliberalismus als vorherrschend zu bezeichnen ist auch etwas lächerlich, in der VWL ist seit Jahren ein Trend weg vom Chicagoer Gedankenmodell zu erkennen. Marcel Fratzscher ruft ja auch ständig das Ende des Neoliberalismus aus (mal davon abgesehen, dass Neoliberalismus in seinem ursprünglichen Gedanken ja eine Verbesserung des Liberalismus für mehr Schutz des Menschen ist, was viele hier ja gerne immer wieder vergessen). Auch Eucken ist ja lange nicht mehr so populär wie er es in DE lange war. Mit Lars Feld ist ja 2021 auch einer der prominentesten Anhänger dieser Schule in DE aus dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geflogen.
EDIT: Jackson ist mir natürlich bekannt, aber zB Nordhaus macht die doppelte Anzahl an Zitationen / Jahr, um die prominentesten Gesichter der beiden Seiten aufzugreifen.
Überrascht mich nun ganz und gar nicht und erklärt vieles
… und hier würde der Philosoph direkt auf den naturalistischen Fehlschluss hinweisen. Es kann viele Gründe geben, warum die Meinung, dass „Klimaschutz nur funktionieren [würde], wenn er mit Wachstum einherginge“, in der VWL dominant ist. Ich würde darauf verweisen, dass es daran liegt, dass die VWL als solche neoliberal (ja, in einem weiten Sinne) geprägt ist, was man schon bemerkt, wenn man sich mal einen Hörsaal voller BWL-Studenten anschaut… ebenso, wie der durchschnittliche Kunststudent (mit Ausnahme gescheiterter Österreicher…) eher progressiv ist, ist der durchschnittliche VWLer ähnlich wie der durchschnittliche Jurist eher neoliberal-konservativ. Wohlbemerkt nicht jeder, aber es gibt eine Tendenz (die sich z.B. bei jeder AStA-Wahl an jeder Hochschule, die es nach Studiengängen aufschlüsselt, auch sehr schön belegen lässt…).
Und genau deshalb habe ich deine Bezeichnung als „Stand der Forschung“ kritisiert, weil VWL ähnlich wie Jura und Philosophie primär eine Meinungswissenschaft ist, wobei die VWL immer versucht, das hinter wissenschaftlicher Methode zu verstecken. Aber es werden eben in den meisten Fällen keine „messbaren“ Dinge diskutiert, sondern Meinungen, wie Menschen auf bestimmte Sachverhalte reagieren würden.
Doch, du sprichst einer Philosophin (die zudem einen Hintergrund im Bankenwesen sowie dem Journalismus hat) die Qualifikation ab, weil sie Philosophin und nicht VWLer ist. Darin steckt das typisch-falsche Denken, ein VWLer könnte jeden Aspekt der VWL besser beleuchten als ein Philosoph, und das ist Unsinn. Den gleichen Fehler machen auch Mediziner teilweise, wenn sie sich einbilden, mehr von Medizinethik zu verstehen, als Philosophen (Spoiler: Tun sie nicht!) oder historisch auch z.B. Psychologen, wenn sie damals die Meinung vertraten, die philosophische Logik durch ihre Wissenschaft obsolet machen zu können (Spoiler: Konnten sie nicht) oder eben hier im Forum auch in der Vergangenheit Leute, die sich echauffierten, wenn Philosophen sich zum Ukraine-Krieg geäußert haben, weil das doch bitte den Politologen oder ranghohen Militärs zu überlassen sei (wie in diesem Thread).
Die Philosophie ist eine Meta-Wissenschaft und kann zu allen Themen etwas beitragen. Gerade die Frage nach dem Mantra des „ewigen Wachstums“ ist im Kern eine Wirtschaftsethische Frage (z.B. im Hinblick auf die Fragestellung, ob unsere Generation das Recht hat, durch immer weiteres Wachstum die Rohstoffe aufzubrauchen, sodass spätere Generationen wesentlich weniger Luxus haben werden als wir…). Hier mit der VWL-Brille zu argumentieren, dass solche Stimmen nicht zu hören seien, weil es doch VWLer gäbe, die für das Thema besser qualifiziert seien, zeugt davon, dass man nicht Willens ist, den Blick auf die Problematik zu weiten.
Bitte nicht wieder diese Diskussion… im letzten Thread wolltest du uns erzählen, dass Ordoliberalismus doch etwas ganz anderes als Neoliberalismus sei, ich verwies darauf, dass der Ordoliberalismus u.a. laut der Wikipedia dem Oberbegriff des Neoliberalismus untergeordnet wird, jetzt versuchst du zu erklären, dass die Chicagoer Schule, die sich vor allem durch den „Fokus auf freie Märkte“ und „staatliche Abstinenz“ auszeichnet natürlich etwas ganz anderes ist als das, was wir hier - außerhalb des akademischen Diskurses - als „Neoliberal“ bezeichnen.
Falls es dir nicht aufgefallen ist: Wir sind hier nicht in einem VWL-Seminar. Ja, innerhalb der VWL kann man gerne „Chicagoer Schule“, „Ordoliberalismus“ und „Neoliberalismus“ anhand ihrer - zweifellos vorhandenen - Unterschiede strikt trennen, außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses hingegen ist es durchaus zulässig, alle diese Theorien wegen ihres Fokus auf „freie Märkte“ als Neoliberal zu bezeichnen, um zumindest ein grobes Vokabular zu haben. Ich bin mir sicher, dass du genau verstehst, was wir meinen, wenn wir „neoliberale“ Wirtschaftspolitik ablehnen, auch wenn das, was wir meinen, ganz streng genommen schon Ordoliberal ist oder eher der „Chicagoer Schule“ zuzuordnen ist.
Und wenn die Sonne sich um die Erde dreht, dann dreht sich die Sonne um die Erde. Wer etwas anderes behauptet, kommt auf den Scheitrhaufen.
Du bestätigst gerade alle Vorteile und warum ich die ordoliberale Sekte für die Probleme verantwortlich mache, die wir gerade haben.
Ich fände es gut, sich auch mal bewusst mit der Gegenseite zu beschäftigen. Ich finde auch, dass es funktionieren kann, mal mit jemandem zu reden, der nicht nur den VWL-Blick darauf hat. Bewusst als kleine Spitze formuliert, weil hier viele den Vorschlag, jemanden einzuladen, der eben nicht mehr auf Wachstum setzen als Grundlage unseres Systems sieht, damit beantwortet, dass das ja nicht funktioniert.
Ja, das können sich viele nicht vorstellen. So wie man sich mal ein Auto nicht vorstellen konnte, eine Heizung, oder (weil er neben mir gerade läuft und ich immer wieder davon begeistert bin) was man alles mit einem 3D-Drucker selbst drucken kann.
Ich fände es super, wenn der Gegenpol zur klassischen Sicht mehr zur Sprache käme, insbesondere, da Frau Grimm ja doch eine recht weitreichende Meinung in der Hinsicht zu vertreten schien und nach meinem Dafürhalten von der Lage dafür zu wenig kritisch hinterfragt worden ist.
Im übrigen hört man auch aus der liberalen Ecke Zweifel am ewigen Wachstum. Es wird halt dann anders formuliert und davon gesprochen, dass in Zukunft Dienstleistungen wichtiger werden und die Verluste aus der Produktion ausgleichen werden.
Ich denke man kann Frau Hermann durchaus einladen, wenn man - ähnlich wie bei anderen Interviews mit z.B. Mario Voigt - bereit ist sich mit ihren sehr umstrittenen Thesen entsprechend kritisch auseinander zu setzen. Was für Frau Grimm gilt, gilt auch für das andere Ende des Spektrums. Auch finde ich es generell in Ordnung sich eine Einschätzung aus einem anderen Bereich als der Ökonomie einzuholen.
Wir sollten uns aber sehr klar machen, wo speziell bei den Thesen von Frau Hermann die Probleme liegen. Sie hat ihre Thesen mal sehr ausführlich bei Lanz vorgestellt. Es gibt zudem natürlich viele Artikel über ihr Buch. Das Buch selbst habe ich nicht gelesen. Bei Lanz macht sie eine Aussage recht deutlich:
Sie sagt (etwas kondensiert dargestellt) dass wir aufgrund der Dringlichkeit der Klimaschutz Problematik keine Zeit haben werden wesentliche neue Technologien zu entwickeln. Wir werden die Transformation also mit den vorhandenen Technologien stemmen müssen. Das funktioniert wiederum nur, wenn die Wirtschaft schrumpft.
Was ich zunächst mal als These durchaus plausibel finde ist dass stetiges Wirtschaftswachstum auf lange Sicht tatsächlich schwierig zu vereinbaren sein wird mit begrenzten Ressourcen. Niemand ist in der Lage zu definieren, wie lange technologische Sprünge durch Effizienzgewinne in der Ressourcenverwertung und konsequente Bepreisung externer Kosten uns hier über Wasser halten werden. Aber es wird per Definition nicht unendlich lange sein und wir brauchen dafür auf lange Sicht eine Lösung.
Speziell an den Thesen von Frau Hermann habe ich aber zwei ganz zentrale Kritikpunkte.
Der eine ist, dass technologische Sprünge eine ganz zentrale Voraussetzung sind, damit wir Netto Null Emissionen erreichen, was wiederum eine zwingende Voraussetzung für den Kampf gegen den Klimawandel unabhängig vom gewählten Szenario ist. Stand heute haben wir keine halbwegs ökonomisch betreibbaren Technologien um Negativemissionen im großen Stil, saisonale Speicherung im großen Stil zu ermöglichen und haben viele komplexe Industrieprozesse für deren vollständige Dekarbonisierung es noch viel Forschung und Entwicklung braucht.
Der andere ist, dass natürlich die Zeit drängt und wir vielleicht mit der ein oder anderen Technologie Probleme haben werden, diesen Zeitplan zu erfüllen. Wenn wir innerhalb von 20 Jahren auf Netto Null sein wollen, dann müssen alle diese Technologien spätestens bis dahin produktiv im Einsatz sein. Allerdings - und das ist der entscheidende Punkt - bei einer „Technologie“ ist es besonders unrealistisch, dass sie bis dahin voll etabliert ist und die nennt sich „Postwachstumsökonomie“. Wir sind heute meilenweit davon entfernt ein umfassendes Konzept zu haben, wie sowas im Detail funktionieren würde. Wir haben es nirgends im großen Stil als Reallabor erforscht. Und es ist völlig offen, wie Deutschland sowas im Kontext des globalisierten Welthandels umsetzen würde. Und das alles vorausgesetzt, dass alle Beteiligten vollkommen überzeugt von der Idee sind und hinter der Umsetzung stehen. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass wir bis 2050 funktionierende Kernfusionsreaktoren haben als eine in der Praxis umgesetzte und funktionierende Postwachstumsökonomie. Genau das wäre aber die Voraussetzung wenn man Hermanns Thesen ernst nimmt.
Und damit widerlegt Hermann mit ihren eigenen Argumenten ihre eigenen Thesen. Ein Weg aus der Klimakrise basierend auf grünem Wachstum ist anspruchsvoll und nicht frei von Risiken. Aber es gibt viele Konzepte die detailliert durchgerechnet und von einer breiten wissenschaftlichen Basis als realistisch erachtet werden. Der Weg von Hermann ist Stand heute nicht mehr als eine Utopie, die genug Aufsehen erregt um gute Verkaufszahlen für ein Buch zu generieren aber wenig zur konkreten Lösung unserer Klimakrise beiträgt.
Schön, dass alle deine Beispiele mit Wirtschaftswachstum einhergehen und im liberalen Kapitalismus entstanden sind, der Fortschritt und Innovation belohnt. Die Ironie dahinter lässt mich schmunzeln.