Liebe Leute,
mit großer Begeisterung höre ich nun schon seit längerem am Freitagmorgen (wenn sie denn dann schon immer da ist) beim Sport die aktuelle Lage.
Vielfach erwähnt und behauptet wird stets und ständig die angebliche Überlastung der Justiz. Ich selbst kann das natürlich nur für meinen Bereich des Strafrechts einigermaßen (subjektiv) abschätzen (18 Jahre Strafverteidiger mit einer Unterbrechung).
An belastbaren Fakten habe ich bei Destatis (mit meinem free-to-play-account) und dem Bundesamt für Justiz einige Statistiken, die sich mit Personalkennzahlen befassen, gefunden. Danach ist es offenbar so, dass in den letzten knapp 30 Jahren die Fallzahl an den Amtsgerichten (Strafrichter) um mehr als 30% abgenommen hat, in dem letzten 15 Jahren an den Landgerichten um knapp 15%. Parallel ist der Personalbestand (Vollzeitäquivalente) bei den Gerichten um ca. 5% angewachsen. Bei den Staatsanwaltschaften kommen ebenfalls deutlich weniger Ermittlungsverfahren von der Polizei an, welches zu entsprechend weniger Anklagen führt. Bei der Polizei sind in den letzten 10 Jahren auch etwa 15% mehr Vollzeitäquivalente entstanden.
Man könnte nun ketzerisch fragen: In welchen Keller hat man all diese Menschen gesperrt?
Ich höre zur Erklärung dann oftmals, dass die Verfahren viel komplizierter geworden sind als in der Vergangenheit. Dies ist nach meinem Erleben nur mit Einschränkungen so: An Amtsgerichten ist dies tatsächlich nicht der Fall, da dort wirklich komplizierte Fälle superselten stattfinden. Eine Ausnahme will ich bei den kleinen Wirtschaftsstrafsachen an Amtsgerichten machen, die sicherlich jeden durchschnittlichen Amtsrichter erst nach diversen Jahren und dem Elan sich darin wirklich einarbeiten zu wollen in eine Position bringen, nicht hoffnungslos überfordert zu sein. Dies war allerdings schon immer so und ist keine neue Entwicklung.
Dies gilt meines Erachtens in gleicher Weise für die Wirtschaftsstrafsachen am Landgericht, wobei dort die Richter oftmals besser im Stoff und besser fortgebildet erscheinen. Für manche Richter scheint dies auch eine regelrechte Passion zu sein. Die allgemeinen Strafsachen am Landgericht sind heute – im Unterschied zu früher – häufig angereichert mit Chatprotokollen, Lokalisationsdaten von Mobiltelefonen uswusf. Das ist tatsächlich deutlich mehr als es früher der Fall war. Allerdings: Wenn diese ganzen Informationen aktentechnisch und strukturell (Anklageschrift) gut aufgearbeitet sind, ist das alles gar kein Problem. Der Umgang damit ist sogar recht einfach, weil die Möglichkeiten des Selbstleseverfahrens erheblich sind, mithin die Hauptverhandlung in der Regel nicht wesentlich durch diese Datenhaufen belastet wird.
Was ich in der Praxis erlebe ist, dass die Staatsanwaltschaft oftmals sehr dürftig ausermittelte Sachverhalte anklagt. Dies geschieht aufgrund der oftmals mangelnden fachlichen und technischen Ausstattung der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Mir scheint, dass es hier massive Defizite gibt, es mithin nicht an der Personalstärke sondern an deren Kompetenz durch Aus- und Fortbildung nebst technischer Ausstattung liegt. Die Akte wird also nicht selten mit einer mäßigen Anklage dem Landgericht vor die Tür gelegt, wo man sich dann ebenfalls mindestens gefordert wenn nicht sogar überfordert sieht, diverse Dinge erstmal aufarbeiten zu müssen.
Ergo: Es mangelt aus meiner Sicht nicht an der Personalstärke, sondern an den fachlichen und technischen Möglichkeiten.
Vielleicht wäre das ja mal ein Thema, das sich zur Aufarbeitung anböte? Vielleicht liege ich ja mit meinem Eindruck auch komplett falsch.
Bis dahin bis zur nächsten Lage
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Meyer
Rechtsanwalt / Strafverteidiger