Übergangssystem: Sackgasse für Hunderttausende Jugendliche ohne Ausbildung

Im europäischen Vergleich glänzt Deutschland mit einer geringen Jugendarbeitslosigkeit. Unter anderem liegt das aber auch daran, dass rund 340.000 junge Menschen nicht in der Arbeitslosenstatistik auftauchen, weil sie im sogenannten Übergangssystem stecken (Stand 2019).

Das Übergangssystem adressiert leistungsschwächere und / oder sozial benachteiligte Jugendliche und fungiert als Auffangbecken für diejenigen, die keinen Ausbildungs- und Studienplatz gefunden haben. Maßnahmen, Programme, Berufsvorbereitungen sollen zu einem Ausbildungsvertrag verhelfen.

Aber: Die meisten Maßnahmen im Übergangssystem werden nicht auf ihren Erfolg gemessen, sind intransparent und helfen nur circa der Hälfte der Jugendlichen beim Sprung in die Ausbildung. Der Rest von ihnen verweilt manchmal über Jahre hinweg im System und taucht in keiner Arbeitslosenstatistik auf. Demotivation inklusive!

Das ist umso tragischer, als diese jungen Menschen theoretisch verfügbar wären für den Ausbildungsmarkt und auf der anderen Seite der Fachkräftemangel ein immer größeres Problem in Deutschland wird - noch beschleunigt durch Corona.

Quellen:

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Ich frage mich derzeit fast jeden Tag wo all diese sind. Egal ob Azubi, Facharbeiter oder Produktionshelfer. Ich suche seit Monaten zwei neue MA für die Produktion in der Gießerei und es ist so, dass ich in den Bewerberportalen die Leute anschreiben kann, ob sie nicht mal hier vorbei kommen und sich das ganze anschauen möchten.
Auzbis das gleiche, von allein kommt keine Bewerbung mehr. Ich muss junge Leute aktiv anschreiben, ansprechen, ob sie nicht Lust hätten, sich bei uns zu bewerben…
Facharbeiter suche ich schon gar nicht mehr. Meine Voraussetzung beschränkt sich wirklich nur noch auf „hat schon mal flüssiges Metall gesehen“.

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Darf ich hier direkt mal eine Nachfrage stellen? Ich bin Lehrer an einer Gesamtschule und auch im Bereich der Berufsorientierung tätig.

Gibt es etwas, was du dir vom System Schule bezüglich von Auszubildenden wünschen würdest?

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Vielleicht sollten Schüler wieder mehr gesagt bekommen, dass sie auch ohne Studium ein gutes Leben haben können.
Mir kommt es so vor als ob viele junge Menschen das Gefühl haben, sie wären weniger Wert ohne einen Hochschulabschluss.
Gibt es etwa keine glücklichen Maler, Maurer, Schmelzer oder Stapler-Fahrer?
Wir können doch kein Land sein, dass nur aus Ingenieuren besteht.

Ganz oft fehlt einfach das Interesse an diesen Ausbildungsplätzen.
Ein junger Mann, der sich mehr oder weniger nur so durch die Schule durchmogelt, findet vielleicht in der Ausbildung zum Koch die Berufung seines Lebens.
Ein junges Mädchen bemerkt, dass ihm die Arbeit als Dachdeckerin so sehr gefällt, dass sie sich eines Tages selbstständig macht.

Aber wie löst man das? Vielleicht mehr Praktika mit ausgewürfelten Berufen?

So sieht es zumindest bei uns am Land (Kreis Siegen-Wittgenstein) aus. Wie es in den Städten ist kann ich leider nicht sagen.

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Das ist problematisch und auch die Eltern spielen da eine große Rolle.
Zertifikate werden in Deutschland überbewertet.
Das Handwerk hier wirbt mit dem Slogan: „Jeder lernt seinen Kopf einzusetzen, die Hände benutzen sollen andere“ (oder so ähnlich)
Wir sind zu einer Generation von Managern geworden. Jeder schielt in die Büroetagen.
Für mich ein Zeichen, dass dort zu gut bezahlt wird. Aber da wird sich in nächster Zeit wenig ändern.

Auf der anderen Seite haben junge Bewerber ganz andere Ansprüche als früher.
Das Gehalt soll natürlich passen. Es sollen aber auch die Arbeitsbedingungen passen. 40-Stunden-Woche, Schichtarbeit, um 5 Uhr schon im Betrieb stehen, unflexible Arbeitszeiten. Das schreckt mehr ab als das Gehalt. Die Work-Life-Balance wird ganz anders bewertet als früher. Der Vater, der nur am Wochenende bei seinen Kindern ist, ist für junge Leute gar nicht mehr vorstellbar.
Dazu kommt natürlich in Deinem Fall, dass sich junge Leute fragen, wie bei steigenden Energiekosten die Zukunft dieses Betriebs aussieht.
Ob sie Freitags fürs Klima auf die Straße gehen können und das mit ihrem Beruf ethisch vereinbaren können.

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Aber doch gerade dieses 40std 3 Schicht vielleicht noch den Samstag dazu sind doch der Grundpfeiler unseres jetzigen Wohlstands.
Für mich ist das so,
ich arbeite nicht nur wegen dem Geld am Konto. Mein Job ist ein Teil meines Lebens. Ich bin damit emotional verbunden.
Ich bin jetzt 35 Jahre und Betriebsleiter einer Messinggießerei. Doch meine Einstellung zur Arbeit finde ich in meiner Altersgruppe nirgends mehr. Die Altersgruppe 55-65 Jahre denkt eher so wie ich.

Work-Life-Balance Wie man so schön sagt, ist ganz gut. Aber es ist auch etwas das man sich als Wirtschaft leisten können muss.

Wir müssen wieder raus aus den meetings und ran an die Werkbank.

Jetzt nochmal zum Ursprungsthema zurück.
Auffangbecken, das ist ein Begriff den die Jugendlichen vielleicht selbst oft hören und sich dem entsprechend fühlen.
Ich kenne den genauen Inhalt der Maßnahmen nicht. Ich hoffe es besteht wieder nicht nur aus „wie schreibe ich eine Bewerbung“. Wünschenswert wäre es, wenn die Jugendlichen zu vielen verschiedenen Praktika herangezogen werden. So könnte der ein oder andere doch vielleicht die scheu verlieren sich einen Beruf zu suchen der nicht im Vorstandsvorsitz gipfelt.
Warum nicht mal der geilste Schweißer der Firma werden?

Du hast echt recht. Ich hab mich am Ende fürs Maschinenbaustudium entschieden - aber im Vorpraktikum gemerkt, dass diese Arbeitszeiten mit Start um 6:30 Uhr gar nicht so schlimm sind, wie ich immer dachte. Ohne Zwang zum Vorpraktikum hätte ich mir das niemals angetan :sweat_smile: Der Job an sich in der Metallwerkstatt wär nichts für mich gewesen (müssen die Azubis bei euch auch diesen ganzen Mist mit irgendwelche kleine Bleche auf Zehntelmillimeter genau feilen machen? Das ist echt Banane), aber ich hab schon das Gefühl, dass für viele Jugendliche die Arbeitszeiten ein Ausschlusskriterium sind, weil sie sich nicht vorstellen können, dass man sich daran gewöhnt.

Ich war nach einem Studiumsabbruch und darauf folgenden psychischen Problemen 5 Monate in so einer Maßnahme.
Man verbringt Zeit in der Schule, die sich auf Hauptschulniveau bewegt, die meisten meiner Klassenkameraden hatten keinen Abschluss. Es gehörte aber auch Unterricht am Computer mit Word und Excel dazu.
Außerdem gab es eine Werkstatt, für mich, der bisher wenig handwerklich gearbeitet hatte (in der Schule war eher Stricken und so Zeug angesagt) der spannendste Teil. Haben dort mit Holz gearbeitet, aber auch kleine Schaltungen zusammenbasteln dürfen.
Ziel ist es aber, möglichst viele Praktika zu machen und darüber eine Lehrstelle zu finden. Dafür waren die Lehrer auch unterwegs in den Betrieben und haben aktiv Kontakte geknüpft.
Das ist jetzt 20 Jahre her und ich weiß nicht, ob das heute noch so ist.
Auch hatten die Jugendlichen wohl Glück, dass die Lehrer echt motiviert waren.
Für mich war es eine gute Zeit, Abstand zu finden, runter zu kommen und das Leben aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Durchaus sehr interessante Gedanken, die ich hier lese.

Es scheint wohl so zu sein, dass geistige Arbeit einerseits besser angesehen und besser bezahlt wird ls körperliche Arbeit. Den genauen Grund (oder die) kann ich mir noch nicht richtig erklären.

Ein wichtiger Punkt, neben Gehalt und Arbeitszeit, scheint oft auch die Größe des Betriebs zu sein. Kleinere Betriebe werden wohl als weniger gut angesehen.

Harte körperliche Arbeit ist oft mit wenig Verantwortung verbunden da, in der Regel, die meisten Handgriffe vorgegeben sind. Teilweise sind auch keine Sprachkenntnisse unbedingt Voraussetzung, weshalb die Arbeitsplätze auch viel von Zuwanderer besetzt werden. Das sind dann die, die den Deutschen die Arbeitsplätze weg nehmen bla bla bla rechtes Gesülze… Aber vielleicht kommt auch oft daher die schlechtere Lohngruppe.
Die Größe des Betriebs ist auch oft ein Grund, da stimme ich zu.
Aber warum eigentlich? Ein Industriebetrieb mit 500 MA wird in Krisenzeiten eher mal 50 oder 100 MA entlassen als ein kleines Unternehmen mit 25 MA. Da ist die einzelne Arbeitskraft viel Wertvoller! Auch Lohn und Gehalt muss in großen Betrieben nicht immer besser sein.

Das würde ich so nur zum Teil unterschreiben, dass „geistige“ Arbeit insgesamt besser angesehen oder bezahlt wäre - nicht umsonst sagt man auch, dass das Handwerk einen goldenen Boden hat. Was aber in meinen Augen vielleicht eher das Handwerk für viele junge Menschen unattraktiv machen könnte ist ein Außenbild, das durchaus auch noch solche Sprüche wie „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ lebt, sein. Ich habe für mein erstes Studium ein Vorpraktikum in einem mittelständischem, eher handwerklich orientierten Betrieb gemacht, dort war es beispielsweise üblich, dass das erste Lehrjahr immer für die Sauberkeit der Werkstatt zuständig ist, obwohl Aufräumen und Putzen natürlich deutlich schneller geht, wenn es einfach alle eben machen. Klassischer Fall von „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ eben. Auch ist der Ton, insbesondere in Bezug auf Kritik, dort oft eher rauer gewesen. Das ist natürlich nur ein einzelnes Beispiel und meine subjektive Empfindung - vielleicht gibt es dazu allerdings ja sogar Daten.

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Ich habe studiert und promoviert. Die geistige Arbeit wird grundsätzlich besser bezahlt, als handwerkliche. Das ist aus meiner Sicht auch richtig und zwar nicht, weil die Arbeit an sich einen unterschiedlichen Wert hat, sondern weil die geistige Arbeit andere Kosten verursacht. Das Studium kostet Jahre und zwar i. d. R. Lebenszeit. Man startet später in den Beruf, damit steht man später auf eigenen Beinen und bekommt später Kinder. Die Enkel erlebt man noch, aber nicht, dass sie erwachsen werden. Dazu kommt, dass man sehr spezialisiert ist. Dadurch ist man auf wenige Arbeitgeber festgelegt. Heißt erstens, dass man ein höheres Risiko hat, wenn man Arbeitslos wird und zweites, dass man flexibel sein muss. Meine StudienkollegInnen haben sich deutschlandweit beworben, ein paar sogar auch im Ausland. Diese Aspekte waren mir bei der Wahl meines Berufes größtenteils nicht bekannt/bewußt.

Ich habe allerdings durchaus die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gibt, die handwerkliche Arbeit als „minderwertige“ Arbeit ansehen oder auch Handwerker, die geistige Arbeit nicht als „richtige“ Arbeit anerkennen.

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Ich habe aus meinem Abschluss-Jahr (2017) den Studien- und Berufswahl Ratgeber der Bundesagentur für Arbeit aufgehoben. Das sind 660 Seiten so dünn und so dicht beschrieben wie die Bibel. Da hat man doch keine Chance das Richtige für sich drin zu finden. Zu viel Auswahl ist vielleicht auch ein Teil des Problems.

Bemerkenswert auch:
440 Seiten über Studium und Studiengänge
30 Seiten Öffentlicher Dienst
21 Seiten Ausbildung

Da gibt es aber noch deutlich mehr Berufszweige die deutlich mehr Anerkennung verlangen.

Was ist mit den vielen Köchen, Kellnern, Barkeeper bdie sich die Wochenenden im die Ohren hauen, damit die Handwerker und „Geistarbeiter“ einen drauf machen können?

Oder die vielen Reinigungskräfte die durch die Büros ziehen, wenn alle „Geistarbeiter“ längst Feierabend haben?

Da sind noch nichtmal all jene Berufe dabei die rund um die Ihr benötigt werden.

Ein bisschen mehr gegenseitige Anerkennung und ab und zu ein freundliches Wort tun da schon Wunder.

Ich hab mal zur Weihnachtszeit einfach einen freundlichen Zettel und eine Tafel Schokolade an unsere Reinigungsperson hinterlassen, obwohl ich die noch nie gesehen habe.

Der Zettel war mit einem sehr großen „DANKE“ am nächsten Morgen noch da.

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Da gebe ich dir recht, man schätzt die „kleinen“ um einen herum oft zu selten. Wie wertvoll die Reinigungskraft ist merkt man, wenn sie mal zwei Wochen fehlt und es keinen Ersatz gibt.

Ja, aber auch das gehört dazu. Fegen der Werkstatt, Kaffee holen, sich an den Stuhl festkleben lassen usw. Aber auch diese Zeit geht ja vorbei und es stärkt im nachhinein das Gemeinschaftsgefühl.

Ob man das immer in Geld wieder aufwiegen kann wage ich zu bezweifeln.
Es hat beides seine Vor- und Nachteile.

Geistige Arbeit, finde ich, fordert oft auch viel mehr persönliche initiative zu seiner Aufgabe.
Als Arbeiter in einem Industriebetrieb drückt man nach acht Stunden die Karte und winkt dann vielleicht noch freundlich wenn man durch das Tor nach Hause fährt.

Das ist völlig richtig. Ich habe lediglich in geiste und handwerkliche Arbeit unterschieden. Da müsste man noch viel mehr ins Detail gehen.

Das ist völlig richtig. Ich habe das hier erwähnt, weil mir das bei meiner Berufsentscheidung nicht bewußt war und ich es für wichtig halte. Nichts desto trotz ist es aus meiner Sicht ein Grund, warum man mit Studium mehr Geld verdienen sollte, als ohne (und ohne mich festzulegen, wie viel denn mehr ist).

Hätte man auch das über ein frühes Praktikum bei Beschäftigten mit dem Studiengang erfahren können? Ich weiß ja nicht von welchem Job wir hier reden.

Aber genau das ist doch mein Punkt. Im Handwerk ist die Meinung weit verbreitet, das gehöre nun einmal dazu. Das ist aber eben nicht unbedingt wertschätzender Umgang mit den jungen Menschen, und es gibt heute eine Fülle an Berufen und Studiengängen, die man ergreifen kann, wo das eben nicht zur Tagesordnung gehört. Junge Menschen möchten das eben auch oft einfach nicht mehr mit sich machen lassen, sie wollen keine starren, unbegründeten Hierarchien und unbegründete Aufgaben (denn mal rein sachlich, natürlich muss die Werkstatt sauber gehalten werden, und natürlich müssen auch Auszubildende lernen, wie das zu tun ist, aber warum müssen es dann nur die Auszubildenden machen?). Du hast nach Gründen gefragt, warum Ausbildungen im Handwerk heute oft als unattraktiv angesehen werden. Ich habe dir einen genannt. Jetzt kannst du natürlich sagen „ja, das gehört aber nun einmal dazu“, klar. Das bringt dann aber dich und deinen Betrieb kaum weiter in der verzweifelten Suche nach Auszubildenden.

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Dann ist ja gut das ich eine Metallgießerei leite und keinen Handwerksbetrieb :grin:
Hast aber recht, das kann viele abschrecken.

Ich hatte ein Praktikum â 6 Monate - hat nichts genutzt. Liegt aber auch daran, dass ich in meinem Umfeld niemanden hatte, der Studiert hat.
Das gilt nicht nur für meinen Job (habe Physik studiert), sondern das trifft auf so ziemlich alle Studienkollegen zu. Meine Studienfreunde sind über ganz Deutschland verstreut und teilweise auch im Ausland.