Tübingen Modellprojektstadt, Wirksamkeit Schnellteststrategie

Hallo liebe Lage, höre Euch schon sehr lange, vielen Dank für die tolle Arbeit.

Ich bin promovierter Immunologe, habe in den letzten 10 Jahren sowohl in der Entwicklung von LFAs (Schnelltests) als auch in der Entwicklung von viralen Vektorimpfstoffen gearbeitet, bin im Umgang mit Corona Schnelltests geschult, und ich wohne in Tübingen.

Das Tübinger Modellprojekt war viel in der Presse und ist nun auch bei Euch gelandet. Leider habt ihr es mit folgendem Satz abgetan: „Das muss man deutlich sagen…Tübingen…Modellprojektstadt…gehen die Zahlen rasant durch die Decke.“

Ich denke diese Betrachtung ist falsch. Letzte Woche gab es eine öffentliche Gemeinderatssitzung in Tübingen in der die aktuellen Daten des Modellversuchs vorgestellt wurden. Die Ergebnisse sind sehr interessant und wertvoll. Ich habe Euch beispielhaft zwei Folien angehängt.

1. Zwischen 8.3. und 11.4. wurden in Tübingen 121.263 Schnelltests durchgeführt. Davon waren 146 PCR-bestätigt positiv. Diese getesteten Personen waren symtomlos. Das heißt das massive symtomlose Schnelltesten findet infizierte Personen, dies vermindert das Infektionsgeschehen und senkt den R-Wert.

2. (entschuldigt die schlechte Qualität: rot: Stadt Tübingen, grau: Kreis Tübingen, blau: Land, Baden-Württemberg) Die Entwicklung der 7-Tage Inzidenz in der Stadt Tübingen verlief parallel der Vergleichswerte von ganz Baden-Württemberg. Und das trotz: Öffnung Außengastronomie, Öffnung Kultur, Öffnung Einzelhandel. Das ist bereits eine wertvolle Information.

Was hier in Tübingen unternommen wird, ist eine enorme Kraftanstrengung. Für diese unsagbar mühselige Arbeit zolle ich dem Bürgermeister Palmer und Lisa Federle meinen höchsten Respekt. Bsp: Tübingen hat eine Schnelltestpflicht für Mitarbeiter in Betrieben ab 50 Mitarbeitern eingeführt (die zwei größten Arbeitgeber Uniklinikum und Universität weigerten sich mit der Begründung sie seien keine Betriebe…).

Ich finde es großartig, wie hier schnell und unbürokratisch bewegt wird. Stillstand und inkonsequenter Dauerlockdown darf nicht die Lösung sein. Natürlich werden dabei Fehler gemacht, aber diese Fehler wurden und werden konstant behoben und Verbesserungen eingeführt. Bsp: Zu Beginn des Modellversuchs musste ich an einer Schnellteststation 25 Minuten anstehen, dann wurde der Test gemacht, dann musste ich 15 Minuten warten bis mir das Ergebnis mitgeteilt wurde. Jetzt warte ich 5 Minuten, der Test wird gemacht und ich bekomme ein QR-Armbändchen und gehe. Das Testergebnis kann ich 15 min später online abrufen.

Liebe Lage, macht Euch doch bitte selbst ein Bild, besorgt Euch die Daten und ruft einfach bei dem Bürgermeister an (ob@tuebingen.de). Lernt aus den Fehlern und Erfolgen des Projekts.

Hier gibt es wirklich viel zu entdecken und zu lernen. Wie man den Menschen wieder Hoffnung, Motivation und Elan zurückgibt. Wie man Dinge schnell voran bringt. Wie man die Menschen dazu bringt mitzumachen und mit Skeptikern umgehen kann.

Ich teste mich 3x die Woche, meine 3-jährige Tochter testet sich 3x die Woche (und hat Spaß dabei!). Diese Woche findet in Tübingen ein wissenschaftlich begleiteter Versuch statt, indem 1000 negative Schnelltests aus dem realen Projekt mittels PCR validiert werden. Das wird die Falsch-Negativ Quote unter realen Bedingungen feststellen. Generell hat Tübingen jedoch bereits zweifelsfrei gezeigt, dass Schnelltests einen wertvollen Beitrag in dieser Situation leisten.

Bitte macht euch selbst ein Bild und redet nicht einfach ein wertvolles Projekt schwarz, das unter riesiger Mühe sinnvolle und wertvolle Daten liefert.

mit vielen Grüßen aus Tübingen Thomas Feger

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Danke für Ihren Beitrag, Herr Feger. Ich bin Jurist und kenne mich mit der Immunologie nicht aus. Aber ich bin selbst ein großer Freund der LAGE und freue mich, wenn hier Leute freiwillig zu einem geordneten Diskurs beitragen. Sehr herzliche Grüße / JH

Also ich bin kein promovierter Immunologe. Vielleicht fehlt mir daher der Blick, in der Grafik eine parallele Entwicklung der Inzidenzen zu erkennen. Für mich sieht das dagegen so aus, als wäre die Inzidenz bei 20% im Vergleich zum Land gestartet und dann unmittelbar vor Ostern bei ~80% angekommen. Oder um es anders zu sagen, während die Landesinzidenz um ~30% gestiegen ist, ist die Inzidenz in Tübingen Stadt um ~450% gestiegen! Erst dann entspannt sich die Lage – wohl wegen der Feiertage und der Schulferien – kurzfrisitig ziemlich parallel, um dann nach den Feiertagen wieder anzuziehen. Diesmal in Tübingen etwas langsamer als im Land BaWü, allerdings bei wieder geschlossener Außengastronomie, wenn ich das richtig gelesen habe.

Davon abgesehen ist es doch eigentlich völlig unerheblich, ob die Werte sich irgendwo anders noch schlechter entwickeln. Im Grunde geht es doch darum, ein Wachstum der Fallzahlen zu verhindern bzw. die Zahlen herunter zu bringen. Offensichtlich war der „Modellversuch“ dazu in keiner Weise in der Lage, außer wenn gerade zufällig Ferien plus Feiertage waren, sondern hat im Gegenteil den Vorteil, den sich die Tübinger Bürger in den Monaten zuvor durch die anscheinend wirklich vorbildliche Teststrategie gegenüber dem umliegenden Land offensichtlich erarbeitet haben, innerhalb weniger Wochen praktisch wieder zunichte gemacht.

Einen Anstieg summa summarum von 20 auf 90 in der Inzidenz, Tendenz steigend, kann man meiner Ansicht nach jedenfalls kaum als „Erfolg“ betrachten. Eher muss man im Gegenteil annehmen, dass der Versuch eher belegt hat, dass intensives Testen alleine eben nicht in der Lage ist, das Virus einzudämmen, sondern dass es vielleicht erst stärkerer nicht-pharmazeutischer Interventionen bedarf, um die Inzidenz runter zu bringen, bevor man sich über irgendwelche Öffnungen Gedanken macht.

Die Zahlen der Tests aus der Tabelle selber überzeugen mich übrigens auch nicht sonderlich. Die Stadt Tübingen hat meines Wissens etwa 90.000 Einwohner. Selbst wenn man mal davon ausgeht, dass die Mehrheit der Getesteten nicht von außerhalb gekommen ist, heißt das, im Schnitt hat jeder Einwohner im Rahmen des Projekts innerhalb von 5 Wochen maximal 1 Test gemacht bzw. konnte dann 1 Tag die „Freiheit genießen“. In der Realität sieht es doch aber bestimmt eher so aus, dass eine Minderheit von dieser Möglichkeit öfter oder sogar ausgiebig Gebrauch gemacht hat, während sehr viele Leute eben gar nicht teilgenommen und lieber weiterhin freiwillig auf überflüssige Kontakte verzichtet haben. Ein Muster, dass sich wie ein roter Faden durch die Pandemiebehandlung nach deutscher Art zieht. Viele schränken sich freiwillig mehr ein als gefordert, um die Pandemie zu bekämpfen, und unsere Politiker setzen die dadurch erreichten Teilerfolge möglichst unverzüglich in Lockerungen für die Unvernünftigen um. Eine Unstrategie, die tatsächlich maximalen Anreiz setzt, sich möglichst wenig an die Regeln zu halten oder diese persönlich zumindest bis zum äußersten auszureizen.

Danke für ihren Beitrag.
Wie ist die Lage in Tübingen zur Zeit? Es geht ja die Meldung um dass das Modellprojekt beendet wäre. Mich würden nähere Informationen dazu interessieren.

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Hallo Schlossermeister, Die Inzidenz steigt leider auch hier. Da der Bundeslockdown keine Ausnahmen für Modellprojekte vorsieht wurde das Projekt beendet, da die Kreiszahlen viel zu hoch sind. Finde ich sehr schade. Das da sind die neuesten Zahlen Stadtinzidenz im Vergleich - Infogram.
Von dem „1000 negative Schnelltests per PCR überprüfen- Versuch“ habe ich leider noch keine Ergebnisse erfahren.
Seit das Modellprojekt für beendet erklärt wurde, macht sich hier leider auch wieder die übliche Letargie Plan/Hoffnungslosigkeit breit.
Naja, irgendwann wird das schon wieder, viele Grüße aus Tü

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Ich glaube nach einem Jahr Pandemie und einer offensichtlich fehlenden Strategie der Regierungen (Bund und Länder), ist es zwingend notwendig Perspektiven aufzuzeigen. Tübingen hat das getan.

Über den Erfolg oder Misserfolg kann man streiten. Die Zahlen sind zwar angestiegen, aber es nur auf die Öffnung zu schieben oder nur auf die allgemeine Entwicklung ist zu kurz gegriffen. Ja am Anfang steigt es deutlich stärker an, später öffnet sich die Lücke zu GesamtBW aber wieder. Es ist aber müßig hier ohne weitere Informationen wild rumzuspekulieren. Einfach weil Tübingen keine abgeschottete Insel ist und es recht komplex ist.

Wenn ich den Threaderöffnenden richtig verstehe, dann hat man aus Anfangsfehlern gelernt (was man den Regierungen eher nicht zuschreiben kann) hat. Von daher gehe ich davon aus, dass dies ein Weg ist, wo man verantwortungsvoll vorangeht. Es zeigt eine Perspektive auf, wie es zwischen (richtigem, harten) Lockdown, den viele gerne hätten, der aber wohl nicht mehr kommen wird und wir machen einfach wieder auf und schauen mal was passiert liegt, ablaufen kann.

Wichtig ist also aus meiner Sicht, dass man versucht dem unsäglichen Unterlassen etwas entgegenzusetzen und einen wieder positiveren Blick zu ermöglichen

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Die Einteilung in die „Vernünftigen“, die „überflüssige Kontakte“ vermeiden und die „Unvernünftigen“ finde ich ziemlich gewagt. Wer legt die Maßstäbe dafür fest? Genau die Debatte, was „überflüssige“ Kontakte sind, und was nicht, muß eine gesellschaftliche Debatte geführt werden. Diese wird schnell komplex, denn nur weil für die eine etwas überflüssig ist, muß es für den anderen keineswegs genauso sein.

Ich finde, daß solche Versuche - mit all ihren Unzulänglichkeiten - einen Beitrag zu dieser Diskussion lesten, indem sie z.B. den steinigen Weg nach alternativen Ansätzen beschreiten. Die Alternative ist nichts zu tun - das finde ich unvernünftig.

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Ganz im Gegenteil. Nichts tun gehört derzeit zum Vernüntigsten, was man so machen kann. Neben alleine irgendwas tun.

Und ehrlich, ich lasse mir nicht absprechen, unvernünftige Leute als unvernünftig zu bezeichnen, bloß weil sie vielleicht der Meinung sind, Mallorca-Trips, Shoppingerlebnisse und Partys seien grundlegende und unaufschiebbare Grundpfeiler des menschlichen Daseins.

Ich finde es sehr schade, dass man den Modellversuch so „offen“ stehen lässt. Das öffnet Spekulationen Tür und Tor.

Ich finde es gut, dass man mit einer konsequenten Strategie etwas versucht hat, aber das muss man doch analytisch begleiten und vorab Erfolgskriterien festlegen. Das Tübingen-Stadt keine Insel ist, wusste man doch vorher schon.

Schade ist auch, dass man Zahlen nur aus abfotografierten Präsentationen bekommt. Einerseits werden Kritiker damit konfrontiert, dass die Zahlen die sie verwenden, den Landkreis beschreiben und die Stadt ja ganz anders ist, anderenseits findet man auf der Webseite der Stadt keine Zahlen (oder sie sind sehr gut versteckt).

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Die Zahlen gibts hier:
Präsentation im Tübinger Gemeinderat vom 15.4.2021

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