Triage bei Ungeimpften

Die Überlastung der Krankenhäuser könnte uns hier in Deutschland ja bevorstehen, zumindest wird es diskutiert. Was dann passieren wird, ist die Triage und da gab es ja auch bereits irgendwann mal das Thema in der Lage, wie die Ärzte vorgehen müssen. Grundtenor vom Ethikrat war soweit ich mich erinnere, dass für jeden Patienten entschieden werden muss, wie groß seine Überlebenschance ist, wenn er behandelt wird. Behandelt werden dann die Patienten, mit den größten Überlebenschancen. Dabei spielt es keine Rolle wie alt der Patient ist.

Wie sieht das jetzt aus mit Geimpften, Ungeimpften und den anderen „normalen“ Intensivpatienten?

Ist das realistisch? Ich bin kein Arzt, aber müsste ein durchschnittliches Unfallopfer nicht in der Regel bevorzugt werden, da die Überlebenschancen besser sind und besser eingeschätzt werden können? Die Behandlungsdauer ist bei Corona dazu ja oft sehr lange.
Oder provokant gefragt, wenn alle Betten voll sind und ein Unfallopfer kommt, müsste dann im Fall einer Triage nicht eigentlich als erstes die Behandlung der Coronapatienten gestoppt werden, die da seit Monaten liegen?

Wir haben das Thema Triage vor einem Jahr diskutiert, damit allen klar war, wie die gesetzliche Regelung dazu aussieht. Jetzt halte ich eine Neubewertung für sinnvoll, da die Impfung dazu gekommen ist und das Thema auch wieder vor der Tür steht. Ich will nicht hoffen, dass es dazu kommt, aber wenn ich mir das so ansehe, bin ich mir da nicht sicher, ob wir da nicht vielleicht drauf zusteuern.

Gibt es eine Vorgehensweise, wenn man einen Geimpften und einen Ungeimpften Patienten hat, die beide die gleichen Überlebenschancen haben? Oder anders gesagt, ist eine Impfung bei der Triage zu berücksichtigen?

Das geht nicht gegen dich, aber ich empfinde solche Überlegungen aus unanständig. Setzen sie doch voraus, dass da Krankenhauspersonal eine mit dem Tode ringende Patientengruppe aus der Intensivstation wirft, um für neu eintreffende Patienten aus einer anderen Gruppe Platz zu schaffen. Kann man ja am grünen Tisch alles durchspielen, aber in den Kliniken arbeiten Menschen, keine Roboter.

(Was stattdessen passieren wird, ist natürlich vom Ergebnis her nicht besser: die Leute werden in Krankenwagen und Rettungshubschraubern sterben, weil es keine Krankenhäuser mehr gibt, die sie aufnehmen können.)

Die Überlegung mag unanständig sein, sie scheint aber laut der Aussage des Intensivpflegers in dem Video zu Jens Spahn bereits notwendig zu sein.
Um es nicht aus dem Kontext zu reißen, von 41:00-43:35 beschreibt er die Situation während der 2. Welle.
Von 44:45-46:12 geht es um die aktuelle Situation/Prognose und das bereits (er schwächt das ab) bereits triagiert wird.
Ich kann den Wahrheitsgehalt der Aussagen nicht verifizieren, die Videos von Alexander Prinz machen aber auf mich immer den Eindruck, dass sie gut recherchiert und stichhaltig sind.

Ich denke, es macht für das subjektive Erleben einen sehr großen Unterschied, ob man bei zeitgleich neu eingelieferten Patienten die auswählt, deren Überlebenschance am höchsten erscheint - oder bereits in Behandlung befindliche Patienten zum Sterben vor die Tür rollt, um Platz zu machen für eine bevorzugte Patientengruppe. Letzteres wäre ja die Folgerung aus dem Gedankenspiel, ungeimpfte COVID19-Patienten mit geringerer Priorität zu versorgen.

Das mag sicherlich in der Wahrnehmung unterschiedlich sein, vergleichbar wenn man sich beim kochen aus versehen in den Finger schneidet, oder man absichtlich das Messer ansetzt und den Schnitt bewusst durchführt - für den Schnitt an sich ist das unerheblich.

Für den Patienten der im Sterben liegt, macht der subjektive Rahmen wohl auch keinen Unterschied, für die Angehörigen kann die Entscheidung wohl auch traumatisieren, von der öffentlichen Wahrnehmung ganz zu schweigen.

Die Ziehung der Grenze macht es so schwierig, zumal es kein vergleichbares Szenario gibt, wie wenn man sich zwischen einem Geimpfte und Ungeimpfte entscheiden muss, mit der Folge der Entscheidung entweder zu sterben oder zu leben.

Da die möglichen Entscheidungen aber ja konkret im Raum stehen, muss es doch aber eine Leitfaden dazu geben, um zum einen die Kliniken vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen aber auch um das Klinikpersonal, wenn auch nur geringfügig, moralisch zu entlasten?
Was wäre ein möglicher anderer Ansatz als Ungeimpft gegen Geimpft?

Das ist genau der Knackpunkt. Nach allem, was mir bekannt ist (und was wir im Studium in Kursen zu Ethik, etc. diskutiert haben) ist das eben nicht so.
Sinn von Triage soll es ja sein, dass bei beschränkten Ressourcen diejenigen Patienten bestmöglich versorgt werden, die die größtmöglichen Überlebenschance haben. Wenn man jetzt bei einem absoluten Mangel an Intensivbetten täglich überprüft, wer denn aus der Summe von neu ankommenden Patienten sowie den bereits auf ITS befindlichen Patienten die höchsten Überlebenschancen hat, dann werden im Prinzip alle Patienten, die mehr als einige wenige Tage Intensivbehandlung bedürfen immer den Kürzeren ziehen. Es kann also dazu kommen, dass ein Patient, der heute ein Intensivbett benötigt es auch bekommt, dafür aber jemand anderes verstirbt. Morgen kann der selbe Patient dann schon der mit der „schlechtesten“ Prognose sein, dann würde er zugunsten eines „neuen“ Patienten sterben gelassen - in Summe ist damit im Prinzip auch der erste Patient „umsonst“ gestorben. Diese Art von Triage würde einen unglaublich hohen Wust an Toten erzeugen - und genau deswegen wird sie meines Wissens für nicht praktikabel gehalten.

Triage gilt deshalb im eigentlichen Sinne immer nur dann, wenn mehrere Patienten zeitgleich (!) um knappe Ressourcen konkurrieren. Gewissermaßen also ich habe in meiner Notaufnahme einen Schwerstverletzten, einen schwer an Covid-19 Erkrankten und einen Suizidversuch, aber nur ein Intensivbett. Dann müsste aus den dreien derjenige mit den höchsten Überlebenschancen ausgewählt werden, und das Bett bekommen. Der wird dann aber auch richtig behandelt und nicht nur solange, bis jemand anderes kommt.

Davon abzugrenzen sind „weiche“ Triagekriterien, wie das Verlegen von Patienten, die schon irgendwie überleben, auf Normalstation, obwohl sie aus Sicherheitsgründen (und aufgrund eines hohen Komplikationsrisikos) eigentlich besser auf einer Intensivstation aufgehoben wären. Das ist seit Jahren gang und gebe. Das gilt aber eben nicht für z.b. beatmete Patienten - eine Therapie, die auf Normalstation nicht fortgesetzt werden kann. Meines Wissens nach wird da dann eben nicht die Beatmung abgestellt. Das hat auch rechtliche Gründe - auch der Ethikrat verweist in seinen Stellungnahmen zu möglicher Triage (z.B. hier: Deutscher Ethikrat ) darauf, dass bei einer Ex-post-Triage (also dem Beenden bereits eingeleiteter Maßnahmen) KEINE Rechtssicherheit besteht. Wollten wir als Gesellschaft also, dass auch diese möglich wird, so müssten wir schon ein entsprechendes Gesetz über unsere gewählten Vertreter auf den Weg bringen. Dieses Gesetz gibt es meines Wissens aber bis heute nicht.

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Unanständig oder unangenehm? @AlexS hat es ganz passend zusammengefasst:

Vielen Dank für diese Antwort. Das heißt aber auch konkret, dass ein aufgenommer Patient nicht mehr entlassen wird, egal wie viele andere Patienten mit welchen Überlebenschancen kommen. Im Falle einer längeren Zeit mit Triagesituation bedeutet dies folglich auch, dass sich die Intensivstationen mit Patienten füllen werden, die besonders lange behandelt werden müssen.

Solange er*sie einer Organersatztherapie bedarf und diese weiterhin auf einer grundsätzlich positiven Prognose beruht wohlmöglich ja.

Nicht zwangsläufig. Solange bzw. sobald es ein freies Bett gibt, gilt die Triage ja wieder unter allen ankommenden Patienten - und unter denen darf dann ja die voraussichtliche Therapiedauer durchaus in etwatige prognostische Überlegungen mit einbezogen werden. Aber klar, das ist ein Problem. Und genau weil wir dieses Problem haben, sollten wir alle als Gesellschaft alles daran setzen, die „harte“ Triage zu verhindern.

Hier mal eine juristische Einordnung von RA Chan-jo Jun

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