Totimpfstoff - Warum hat es so lang gedauert?

Hallo,

da Corona und das Thema Impfgegner immer wieder behandelt werden, möchte ich auf eine Aussage aufmerksam machen, dich ich von vielen Menschen höre, die nicht geimpft sind, weil sie an Autoimmunkrankheiten leiden oder schlichtweg Angst vor den Folgen einer Impfung haben. „Sie würden sich ja gerne mit einem Totimpfstoff impfen lassen, aber der ist in Deutschland noch nicht zugelassen.“ Jetzt gibt es die ersten Meldungen über die Zulassung eines Totimpfstoff aus Frankreich in der EU-sehr spät wie ich finde, wenn dies doch für eine Gruppe die Einzige Möglichkeit zu seien scheint, sich zu impfen und es den Impfstoff in anderen Ländern bereits gibt. Diese Menschen haben das Gefühl, dass die Politik diese Gruppe (Menschen mit Rheuma, MS, Gicht, Morbus Crohn etc.) schlichtweg übersieht und sich nicht bemüht hat, die Entwicklung oder Zulassung eines solchen Impfstoffs voranzutreiben. Auch hier gibt es zunehmend die Vermutung, dass zunächst die bestehenden Impfstoffe „genügend Umsatz bringen müssten wg. Bestehender Verträge“, und deshalb hier nicht gehandelt wurde. Dass dieser Eindruck entsteht ist fatal. Ich kann dies nicht nachprüfen, aber ich kann die Menschen verstehen, immerhin haben sie mit Ihrer Krankheit weitaus größere Ängste und schränken sich im Alltag oft mehr ein als gesunde Menschen.
Könntet ihr hierzu etwas recherchieren? Angeblich ist die Herstellung einfacher, würde gerade den Hochrisikogruppen helfen und die Menschen hätten aufgrund von vergleichbar hergestellten Impfstoffen ein höheres Vertrauen. Könnte man mit einem solchen Impfstoff vielleicht auch Impfskeptiker abholen? Sofern diese Argumente zutreffen, fände ich es in der Tat fatal, dass man hier nicht früher versucht hat, die vulnerable Gruppen zu schützen.

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Der angesprochene Impfstoff „aus Frankreich“ ist vermutlich von Valneva. Die sind noch nicht zugelassen. Auch nicht in Frankreich. Die haben gerade kürzlich erst ihre Phase 3 Studie erfolgreich abgeschlossen und sind gerade dabei, ihren Zulassungsantrag bei der EMA zu vervollständigen.

Generell gibt es keine besondere Abneigung gegen Totimpfstoffe bei der Zulassung. Es gelten halt nur für alle dieselben Zulassungsbedingungen, die unter anderem ausführliche Nachweise der Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit in Phase 1/2/3-Studien umfassen sowie Nachweise darüber, dass der Impfstoff großtechnisch in gleichbleibender und ausreichend hoher Qualität und Reinheit hergestellt werden kann.

Die mRNA-Impfstoffe hatten da einen Vorteil: deren Herstellungsverfahren sind prinzipbedingt bereits relativ „sauber“, und im Wesentlichen konnte man dort das Verfahren, mit dem man kleine Mengen fürs Labor und die Testreihen hergestellt hat, eins zu eins in die großtechnische Massenfertigung übertragen. Dadurch entfällt ein kritischer Nachweis: dass mit einem vom „Laborverfahren“ abweichenden industriellen Herstellungsprozess exakt derselbe Stoff in selber Qualität produziert wird, wie der, mit dem die Tests gemacht wurden.

Novavax z.B. hängt meines Wissens genau an der Stelle seit Monaten fest: die hatten auch gute Testergebnisse, aber ihr Massenfertigungsverfahren produziert wohl einen nicht ausreichend reinen Impfstoff, weswegen ihr Herstellungsprozess bislang von keiner medizinischen Aufsichtsbehörde abgenommen wurde (ja, der Herstellungsprozess muss genehmigt werden, ebenso wie jede Anlage, es geht bei der Genehmigung nicht nur rein um den Impfstoff!).

Wie es bei dem Sinovac-Stoff aussieht, kann ich nur mutmaßen; da gab es aber lange Zeit viel Unklarheit zu Wirksamkeitsnachweisen, wohl auch, weil den Chinesen eine mutmaßlich geringe Wirksamkeit politisch unangenehm war und deshalb Nebelgranaten um das ganze Thema geworfen wurden. Wie es mit Informationen zur Herstellung aussieht und einer Zertifizierung von Herstellungsanlagen (in China? Durch die EMA?) ist mir ebenfalls unklar, auch, ob Sinopharm überhaupt jemals einen Zulassungsantrag gestellt hat - die EMA kann schließlich auch nur prüfen und zulassen, wenn der Hersteller beantragt. Allerdings sehe ich da so viele potenzielle Probleme, von denen jedes einzelne eine Zulassung definitiv verhindert, dass es mich kein bisschen wundert, dass der Stoff hierzulande nicht zugelassen wurde.

Die EMA ist eine unpolitische und unabhängige Autorität, und das ist auch gut so. Gerade die dauerskeptischen Impfskeptiker, die hinter allem eine Verschwörung wittern, sollten das doch sicher ebenso sehen! Es gibt daher auch gar keinen Grund, warum irgendjemand aus der Politik die Zulassung irgendwelcher speziellen Impfstoffe überhaupt „vorantreiben“ können sollte. Es ist eine wichtige Errungenschaft, dass die Politik dabei nix zu sagen hat. Daher entbehrt auch wildes Herumtheoretisieren und Raunen von wegen industrieller oder politischer Interessen jeglicher Grundlage.

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Quelle? Das ist ja schon recht nah an einer Verschwörung - so wie du es herleitest basierend auf einem Unverständnis der zugrunde liegenden Abläufe.

Ich bin übrigens sehr gespannt, mit welchen Gründen sich einschlägige Kreise dann doch nicht mit dem ersten zugelassenen Totimpfstoff impfen lassen.

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Diese Vermutung macht nur überhaupt keinen Sinn, da es verschiedene Unternehmen sind, die miteinander konkurrieren.

Ich bin kein Mediziner, aber ich verstehe diese Begründung nicht. Zunächst einmal sind die am Markt befindlichen Impstoffe auch „Totimpfstoffe“, weil sie ebenfalls nicht aus replikationsfähigen Pathogenen bestehen. Im Grunde sind sie sogar toter als tot, denn während man bei herkömmlichen Totimpfstoffen, auf die solche Leute ja angeblich warten, theoretisch immer noch die Befürchtung haben könnte, dass bei der Inaktivierung der Basisviren etwas schief geht und der Impfstoff dann doch infektiös ist, ist das z.B. bei den mRNA-Impfstoffen gar nicht möglich, weil zu keinem Zeitpunkt im Produktionsprozess echte Viren beteiligt sind.

Ich habe auch noch keine seriöse Quelle gesehen, wo behauptet wird, mRNA-Impfstoffe könnten bei Autoimmunerkrankungen schädlich sein, bloß dass sie mit einiger Wahrscheinlichkeit im Einzelfall nicht im selben Maße (oder gar nicht) wirksam sein könnten.

Mein Tipp wäre daher, mal mit einem seriösen Arzt darüber zu sprechen, was für Bedenken da denn evtl. bestehen könnten, oder eben auch nicht. Im Idealfall mit einem, der nicht Homöopathie, Naturheilkunde, Alternativmedizin, „ganzheitlich“ oder ähnliche Schlüsselwörter auf der Visitenkarte stehen hat.

Das hab ich mich auch schon gefragt. Vermutlich der Klassiker: Da sind Wirkstoffverstärker drin! (No shit, Sherlock.) Die erzeugen [irgendwas, was total schrecklich klingt].

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Gründe, warum Totimpfstoffe deutlich länger in der Zulassung brauchen (können) gibt es einige, ich möchte im Folgenden mal ein paar aus medizinisch-theoretischer Sicht relevante aufführen:

  1. Totimpfstoffe sind mitnichten immer einfacher herzustellen als mRNA-Imfpstoffe, wenn sie auf „althergebrachtem“ Wege durch Abtötung oder Fragmentation von vermehrten Viren erzeugt werden. Das Problem gibt es regelmäßig bei den Grippeimpfstoffen - hier wird eine gewisse Menge produziert, ist diese leer, weil mehr Menschen eine Impfung wünschten als angenommen, dann ist sie leer. Bis zum Abebben der üblichen Grippewellen (ca. zwei bis drei Monate Zeit) können keine relevanten Impfstoffmengen erzeugt werden, weil hierzu erst mühsam Viren in meist Hühnereiern bebrütet werden müssen. Eine Ausnahme bilden dabei möglicherweise Totimpfstoffe, die gentechnisch hergestellte einzelne virale Proteine enthalten. Da fehlt mir das Wissen um beurteilen zu können, wie schnell hier Prozesse im industriellen Stil nach oben skaliert werden können.

  2. Bei Totimpfstoffen ist die Dosisfindung deutlich komplexer als bei mRNA-Impfstoffen, weil sie fast immer nur durch Zugabe von sogenannten Adjuvanzien (ja, früher war das durchaus auch mal Aluminium, heute nicht mehr im großen Stil) wirken. Hierdurch kann und muss man an verschiedenen Schrauben drehen, nämlich Menge des eigentlichen Impfstoffes, Menge der Adjuvanzien, Zusammensetzung der Adjuvanzien. Bei mRNA-Impfstoffen ist es eher eine Stellschraube: Menge des eigentlichen Impfstoffes.

  3. Klassische Totimpfstoffe weisen meist eine schlechtere Schutzwirkung auf, als wir sie jetzt mit mRNA-Impfstoffen erreichen können. Eine Impfung gilt als Wirksam, wenn sie eine relative Risikoreduktion (im Volksmund „Wirksamkeit“) von über 60% erreicht. Es gibt durchaus Jahre, in denen die übliche Grippeimpfung nicht deutlich über diese Wirksamkeit hinaus kommt - die mRNA-Impfstoffe jedoch schaffen es erstmals, aus dem Stand auf Sphären jenseits der 90% zu kommen (gegenüber der Alpha-Variante). Als das klar war, hat man möglicherweise teils die Forschung für konventionelle Totimpfstoffe etwas „hinten über“ fallen lassen - weil man über die mRNA-Impfstoffe in der Lage ist, schneller höhere Schutzniveaus zu generieren.

  4. Ein Fokus auf mRNA-Impfstoffe macht durchaus auch in der langfristigen Perspektive Sinn. Diese können nämlich verhältnismäßig einfach an neue Virusvarianten angepasst werden, so das denn nötig ist. Bei Totimpfstoffen kann, je nach Variante, die Entwicklung wieder mehr oder minder von vorne losgehen - mit entsprechendem zeitlichen Versatz…

  5. Das Menschen mit Autoimmunerkrankungen konventionelle Totimpfstoffe besser vertragen als mRNA-Impfstoffe ist, je nach Impfstoff, teilweise ein Trugschluss. Eine hohe Wirksamkeit wird nämlich oft durch eine hohe Menge an Adjuvanzien erreicht. Diese bedingen jedoch eine extrem starke unspezifische Aktivierung des Immunsystems - und gerade die ist oft für Menschen mit Autoimmunerkrankungen ein großes Problem. Einschränkend muss man allerdings sagen, dass es für die konventionellen Totimpfstoffe natürlich durchaus Erfahrungswerte bei solchen Erkrankungen gibt, für mRNA-Impfstoffe logischerweise teils noch nicht. Aus dem Mangeln dieser Erfahrungswerte kann aber nicht notwendigerweise geschlossen werden, dass diese Impfstoffe für Menschen mit Autoimmunerkrankungen nicht geeignet wären.

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Als Anekdote: Einer meiner Bekannten hat Colitis Ulcerosa (wahrscheinlich in Bezug auf die Impfung äquivalent zu Morbus Crohn) und sein Arzt hat ihm dringend empfohlen, sich impfen zu lassen.

Bei ihm hats geklappt, er hat einen positiven Antikörpernachweis.

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Hallo, diese Aussagen kommen nicht von mir, sondern werden von Betroffenen geäußert. Ich höre dieses Argument immer wieder, obwohl die Menschen keine Impfgegner sind. Die Frage ist für mich, wie kann man dem entgegen treten, deshalb bin ich einfach für jegliche Aufklärung durch gute Recherche dankbar. Und ja, das sind angehende Verschwörungstheorien. Aber in diesem Fall ist für mich völlig klar, dass diese Aussagen aus Angst und Unwissenheit heraus entsteht, dem man Entgegen treten kann und nicht von einem gefestigten Querdenkermilieu stammen. Ich selbst bin geimpft, engagiere mich gegen rechts, aber ohne Transparenz und das Eingehen auf die Menschen mit solchen Gedanken, werden wir nix ändern.

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Vielen Dank für die vielen Informationen. Das ist genau das, was ich mir von meinem Kommentar erhoffte-Informationen und damit die Möglichkeit, mit den betroffenen Menschen anders zu reden, wenn vor lauter Angst Theorien aufkommen, warum der Totimpfstoff noch nicht auf dem Markt ist.

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Vielen Dank für die Informationen. Vllt kann die Lage ja einen Beitrag leisten, hier öffentlich mehr Sachlichkeit reinzubringen. Ich habe zumindest Informationen, die ich prüfen und entsprechen in Diskussionen einbeziehen kann-danke dafür. . Ich stimme im Übrigen voll zu, dass die EMA unabhängig sein muss und das gut so ist. Wie gesagt, ich versuche hier darauf aufmerksam zu machen, dass sich wieder Menschen etwas zusammen reimen, weil es einfach zu wenig Informationen gibt, das Thema in der Öffentlichkeit keine Rolle spielt und die Angst bei dieser Gruppe verständlicherweise sehr hoch ist.

Wunderbar, genau sowas muss mehr an die Öffentlichkeit. Wie viele Menschen mit Autoimmunkrankheiten vertragen den Impfstoff und wieviele nicht. Scheinbar reicht den Menschen die Empfehlung der Stiko nicht. Denn ich habe von den Betroffenen nur das Gegenteilige gehört-aufgrund der Impfung mit mRNA hatten Freunde oder Bekannte einen Schub bekommen, was in dem Fall auch zutraf (Schuppenflechte). Ob es ursächlich ist, ist etwas anderes, was ich nicht verargumentieren kann. Bei anderen ist es dann Hörensagen, was zu einer gefestigten Meinung wird und den Leuten natürlich Angst macht. Dass dieses Risiko besteht kann ja keiner ausschließen. Im übrigen haben mehrere Menschen in meinem Umkreis gemeint, der Hausarzt hätte von einer Impfung abgeraten (MS Erkrankte). Ob das stimmt weiß ich nicht, aber falls ja, kann ich einfach verstehen, warum die Leute sich nicht impfen lassen. Aber wenn mehr Informationen und Beispiele vorhanden wären, könnte man die Menschen sicherlich eher überzeugen…

Ja, eine Impfung kann bei Autoimmunerkrankungen einen neuen Schub auslösen, das ist schon richtig. Aber das gilt leider unabhängig davon, ob mRNA-Impfung oder Totimpfung (bei der Totimpfung sogar noch eher, siehe oben). Eins ist aber ziemlich sicher: Die Erkrankung trifft Menschen mit Autoimmunerkrankungen noch viel, viel stärker als die Impfung. Deswegen ist es trotz des Risikos einer Verschlechterung der Autoimmunerkrankung mehr als sinnvoll, sich impfen zu lassen. Einer Infektion mit SARS-CoV-2 und möglicherweise daraus folgendem Covid-19 können wir nämlich alle nicht entgehen - die Frage ist nur wann.