Tötung von al-Sawahiri in Kabul - Einschätzung

Dies ist nur ein aktuelles Beispiel.USA töten al Qaida Chef mit Drohne in Afghanistan.

Es ist nicht so, dass ich ihm eineTräne nachweinen würde. Auf der anderen Seite bin ich grundsätzlich gegen Todesstrafe, besonders ohne Gerichtsurteil.
Hier geht es mir darum, ob es völkerrechtlich zulässig und international politisch klug ist, so einen Anschlag zu verüben, und welche Alternativen es ggf. gegeben hätte.
1.) Terroristen sind Verbrecher und gehören vor Gericht. Erschießen erzeugt Märtyrer.
2.) Angriff in einem Land, mit dem man nicht in Kriegszustand ist, geht nur mit Genehmigung des Vertreters.
3.) Keiner muss sich mit dem Taliban-Regime gut stellen, aber man sollte sie vielleicht auch nicht unnötig provozieren.

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Lto findet deutliche Worte.

Die USA haben da ja eine gänzlich andere Rechtsansicht als wir Europäer. Das Argument in Kürze: Die USA befinden sich in einem nicht-internationalen, bewaffneten Konflikt mit Al-Kaida. Das macht al-Zawahiri zu einem legitimen militärischen Ziel, sofern er sich in der militärischen Kommandokette befindet und darf nicht lediglich ein politischer Anführer sein. Da al-Kaida eine paramilitärische Organisation ist, dürfte diese Frage die Biden-Administration nicht sonderlich beschäftigt haben.

Interessanter ist die Frage, ob die USA diesen Angriff in Afghanistan durchführen durften. Die gängige Auffassung der USA ist hier, dass dafür die Erlaubnis des Staates vorliegen muss. Alternativ gibt es die Unwilling-or-Unable-Doktrin: Nach dieser Rechtsauffassung dürfen die USA eingreifen, sofern der Staat, in dem sich nicht-staatliche bewaffnete Akteure aufhalten, nicht in der Lage oder nicht willens ist, gegen diese vorzugehen.

Die Zustimmung der Taliban hatten die USA in diesem Fall wohl kaum, aber es ist auch nicht von den USA anerkannt. Gleichzeitig existiert die bisherige Regierung nicht mehr. Folglich ist auch unklar, von wem die USA überhaupt eine Erlaubnis hätten einholen können. Die Unable-or-Unwilling-Doktrin ist möglicherweise nicht ganz wasserdicht in diesem Fall, da die USA die Taliban-Regierung nicht anerkennt. Der Test, ob die Regierung „unable or unwilling“ ist, lässt sich aufgrund einer fehlenden Regierung also möglicherweise nur schwierig beantworten.

Gleichzeitig ist das kein ganz neues Problem, im Jemen ist/war die Situation schließlich ähnlich. Außerdem wurde al-Kaida bereits lange durch die Taliban unterstützt, und al-Zawahiri wurde offensichtlich vom Haqqani-Netzwerk untergebracht. Da dieses wiederum Teil der Taliban-Regierung ist, lässt sich schon ein überzeugendes Argument dafür machen, dass die Taliban „unable or unwilling“ waren, gegen al-Zawahiri vorzugehen.

Man muss diese Ansicht des Völkerrechts nicht teilen – viele Staaten tun es nicht. Gleichzeitig ist es wichtig, hier zwischen der US-amerikanischen und der europäischen Völkerrechtsauffassung zu differenzieren. Die Antwort lautet also: Als europäischer Sicht war der Angriff nicht legal, aus amerikanischer Sicht allerdings schon.

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Ja, deutliche Worte, aber auch deutliche juristische Worte? Moralisch verurteilenswert ist eine Sache, aber der Standpunkt der USA, es handele sich um einen Kombattanten in einer kriegerischen Auseinandersetzung, ist ja nicht völlig abwegig und weicht von der deutsch/europäischen ab. Der Kombattantenstatus entfällt sicher auch nicht nur deshalb, weil al-Sawahiri gerade nicht kämpft, sonst hätte ja der Kombattant seinen Status selbst in der Hand, auch das die Amerikaner aus Afghanistan abgezogen sind, ist m.E. ein schwaches Argument: Kriege finden heute nicht mehr „vor Ort“ statt. Ich habe mir da noch keine abschließende Meinung gebildet. - Interessant finde ich die gewählte Waffe, offenbar haben die USA auf die Kritik an Kollateralschäden reagiert.

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Hier noch, in Reaktion auf den Beitrag von @roseman62, ein Artikel zur Hellfire R9X:

Naja, hier muss man mal grundsätzlich hinterfragen, wer legitime Ziele in einem Krieg sind.

Eigentlich gilt im Krieg grundsätzlich, dass nur Kombattanten ohne Gerichtsverfahren gezielt getötet werden dürfen. Kombattanten sind nach der Haager Landkriegsordnung Angehörige der regulären Streitkräfte mit Kampfauftrag. Daher wäre z.B. ein gezielter Anschlag auf den Verteidigungsminister Russlands (oder Putin selbst) seitens der Ukraine im aktuellen dortigen Krieg keine legitime Kriegshandlung, sondern Terrorismus (auch wenn ich Schoigu keine Träne nachweinen würde…).

Beim Führungspersonal in Fällen des asymmetrischen Konfliktes, also Leuten wie Bin Laden oder al-Sawahiri, stellt sich daher natürlich die Frage, ob ein Anschlag (z.B. mittels Drohnen) überhaupt legitim sein kann, weil diese Personen in aller Regel keinen Kampfauftrag haben. Andererseits agieren sie als Führer und taktische Planer in sehr „kampfnaher“ Umgebung, also eher wie ein Stabsoffizier im frontfernen Gefechtsstand als ein Verteidigungsminister. Und da verläuft halt die Grenze: Sind diese Leute eher Stabsoffiziere oder Politiker?

Hier würde ich mich durchaus der Meinung anschließen, dass es eher Offiziere (daher militärische Führer, die indirekt an Kampfhandlungen beteiligt sind) sind als Politiker, weshalb sie grundsätzlich Ziel von militärischen Angriffen sein dürfen.

Dazu kommt natürlich, dass Angriffe auf militärische Infrastruktur immer erlaubt sind - daher: Auch wenn im Waffenlager nur Nicht-Kombattanten arbeiten, darf das Ding bombardiert werden. Die Arbeiter dort wären halt legitime Kollateralschäden. Gleiches gilt natürlich für Terror-Anführer und deren Zentralen. Wenn ein solcher Anführer beim Angriff auf eine Al-Kaida Zentrale zu Tode kommt… tja, dann ist auch das ein „legitimer“ Kollateralschaden.

Die Frage, ob Angriffe auf Ziele in Ländern ohne deren Zustimmung erlaubt sind, ist völkerrechtlich eigentlich einfach zu beantworten: Natürlich sind sie es nicht, weil es zweifelsohne ein Eingriff in die Souveränität eines Staates ist (illegales Eindringen in den Luftraum, Infrastruktur zerstört, Menschen getötet). Das ist ohne Zweifel nicht durch völkerrechtliche Verträge oder andere Grundlagen gedeckt (und eine Doktrin wie die amerikanische Unable-or-Unwillig-Doktrin ist grundsätzlich keine völkerrechtliche, daher zwischenstaatliche, Rechtsgrundlage, sondern nur die Ankündigung, wie man agieren wird, Recht hin oder her).

Die Frage ist nur, welche Konsequenz diese Verstöße haben. Und darauf lautet die Antwort eben: Keine. Außer diplomatischen Verwerfungen zwischen dem verletzten Land (hier: Afghanistan) und dem Rechtsbrecher (hier: USA). Der Rest der Welt ignoriert diese Dinge, weil weder westliche Staaten, noch Russland (Tschetschenien), noch China (Uiguren), hier ein Interesse daran haben, dass die USA keine Islamistenführer umbringen. Die einzigen, die sich daran unter Umständen stören, sind radikale islamische Staaten - und deren Meinung interessiert in der Regel niemanden.

Völkerrecht läuft halt leider doch häufig auf das Recht des Stärkeren hinaus, eben weil es keine wirksamen Kontroll- und Bestrafungsmechanismen gibt, sondern Kontrolle und Bestrafung (z.B. in Form von Sanktionen) nur im politischen Kontext stattfinden, daher: Wenn Staaten Interesse daran haben. Sad but true.

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Also ich persönlich habe ja weder das eine noch das andere gesagt. Ich kenne weder herrschende noch Mindermeinung der Auffassungen. Aber ich fühl mich aufgrund des Antworten Features mal angesprochen :wink:

Fair point. Andererseits begibst du dich damit natürlich in Abgrenzungsprobleme. Wie viel „Pause“ brauchts denn dann, um den Kombattantenstatus zu verlieren? Oder einmal Kämpfer immer Kämpfer?
Denn keep in mind: Der Krieg gegen den Terror richtet sich ja mWn nicht gegen irgendwen bestimmten, was durchaus bequem ist: Der Terror allgemein kann schließlich nicht kapitulieren, also entscheiden einseitig die USA wie lange Krieg ist. Nimm dazu noch das hier

und es ist auch örtlich mehr oder weniger unbeschränkt. Hab ich nen Denkfehler oder ist das einfach ein Blankoscheck?

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Nein, das ist vollkommen korrekt. Die 2001 AUMF (Authorization of Military Force, also die Erlaubnis des US Congress, gegen die Verantwortlichen von 9/11 vorzugehen) ist nicht auf einen Ort beschränkt wurde schon für zahlreiche Militäreinsätze der USA herangezogen.

Es ist eine sehr bequeme Position, die Tötung eines bekannten Islamistenführers als „Mord“ zu bezeichnen, wenn man sich dabei hinter eigener Rechtsauslegung (plus moralischer Überlegenheit) versteckt, aber zu dem grundsätzliche Problem, wie man den Terrorismus bekämpfen kann, schweigt.

Wozu dann dieser unangemessen polemische Kommentar? Zur Darstellung moralischer Überlegenheit?

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Völlig unabhängig vom Völkerrecht muss man sich aber schon fragen, ob diese gezielten Tötungen von sogenanten al-Kaida Anführern noch ein echtes Ziel verfolgt außer Rache. In den letzten Jahren, insbesondere unter dem Friedensnobelpreisträger Obama, wurden etliche Anführer der Terrororganisation mit Drohnen ermordet. Was hat es gebracht? Fühlen sich die USA nun sicherer? Anscheinend nicht, wenn man die aktuellen Aussagen nach dem Akt liest. Dort werden hauptsächlich Warnungen vor Racheakten ausgesprochen.

Wenn jedoch das Abschlagen eines Kopfes 2 neue wachsen lässt und den Hass nur gründlicher zementiert, dann sind diese Morde nicht nur moralisch stark fragwürdig, sondern auch für die Sicherheitslage der USA und auch der restlichen westlichen Welt wertlos.

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Neueste Forschungen deuten nicht darauf hin, dass Drohnenangriffe die Unterstützung für Terrorgruppen steigern. Gleichzeitig legt die Studienlage nahe, dass die Drohnenangriffe zwar keine Anschläge in den USA verhindert haben (dafür waren vermutlich andere Maßnahmen verantwortlich), aber zumindest die Wahrscheinlichkeit solcher reduzieren konnten.

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Nein. Ich fand den Artikel nur inhaltlich schwach. Das war aber keine Kritik an der Person, die ihn hier verlinkt hat. Andere mögen ihn ja hilfreich finden.
Habe den Satz aber nun auch gelöscht.

Es ist niemals wertlos, seine erklärten Feinde zu bekämpfen. Außerdem planen tote Terroristen keine Aktionen mehr.

Sawahiri war seit Jahrzehnten eine bedeutende Person des islamistischen Terrors und mindestens indirekt verantwortlich für unzählige Morde.

Eine interessante Argumentation. Demnach wäre im Kriegsfall ein direkter Angriff auf den amerikanischen Präsidenten als Oberster Anführer der Streitkräfte wohl legitim, zumal er militärische Aktionen wie die Drohnenangriffe mit plant und befiehlt.
Wie das in Russland ist, weiß ich nicht genau, aber wenn man ein Treffen des Generalstabs mit der Regierung angreifen würde, wären die Regierungsmitglieder zumindest legitime Kollateralschäden?

Bekämpfen und Ermorden sind für mich noch sehr unterscheidliche Aktionen. Und natürlich planen Tote nichts mehr, aber jetzt planen eben ein paar andere Personen Anschläge. Dies ist keine Strategie, es ist Rache. Nichts sonst.

Wie absurd die amerikanische Definition und die dazugehörigen ethischen Grundsätze sind zeigt sich immer wenn man die Dinge umdreht.
Demnach dürfte eine afghanische Drohne den amerikanischen CIA Chef angreifen wenn er zu Hause bei seiner Familie ist. Begründung er koordiniert und plant die Angriffe/Tötungen.

Der Krieg mit Drohnen (ausserhalb einer klar definierten Konfliktzone) ist auch eine Form von Terror.

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Das ist kein Diskussionsbeitrag mehr, sondern - Propaganda.

Also erst einmal ist Afghanistan zwar eine Konfliktzone, aber kein Staat, mit dem die USA einen militärischen Konflikt haben.

Und wenn wir jedesmal eine Rakete losschicken würden, wenn ein Terroranschlag passiert, der auf Grund von Propaganda und Planung in irgendwelchen Ländern zurückgeht, dann würde ständig in fast allen Ländern Raketen einschlagen. Die Anschläge der RAF, NSU, oder die neueren Anschläge auf Flüchtlinge, Politiker, etc. die in Deutschland geplant und deren zugrunde liegende Propaganda in Deutschland verbreitet wurde, die US Amokläufe und der Sturm auf das Kapitol mit US-amerikanischer Propaganda (sogar mit Regierungsbeteiligung)ind in den USA geplant und natürlich der terroristische Überfall auf die Ukraine.
Auch wenn ich Dich so verstehe, dass das nur gilt, wenn die Terror-Anschläge oder der Aufenthalt der Terroristen mit bewusster Duldung der jeweiligen Regierung geschieht, wüsste ich nicht, wo man da die Grenze ziehen sollte.

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Ich fände es auch besser, wenn es keine Menschen gäbe, die unsere Art zu leben so hassen, dass sie Anschläge und Attentate begehen. Aber die gibt es nunmal und daher auch die Herausforderung, dieser Gefahr zu begegnen.
Und wer die Tötung von Sawahiri als Mord bezeichnet, sollte schon sagen, was die Alternative zu einem Drohenangriff ist.