Tempolimit: Ein Fall für die GFF?

StVO § 1: Grundregeln
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Hallo Leute,
ich hatte vor kurzem einen interessanten Gedanken. Wahrscheinlich können mir viele kluge Köpfe hier sofort sagen, warum das nicht funktioniert. Trotzdem möchte ich den Gedanken teilen und eure Meinung dazu hören:

Die Deutsche Umwelthilfe hat letztes Jahr angekündigt, sie wolle ein Tempolimit notfalls einklagen. Sie bezieht sich dabei auf die dadurch erreichbare CO2-Reduktion. In der Lage wurde schon mehrmals besprochen, dass Gerichte die konkreten Maßnahmen zur CO2 Einsparung jedoch dem Gesetzgeber überlassen (müssen). Daher wird die Klage wohl nicht sehr aussichtsreich sein.

Nun zu meiner Idee. Oben steht Paragraph 1 der Straßenverkehrsodrnung. Mir stellt sich die Frage, ob es aussichtsreich sein könnte, anhand eines konkreten Unfalls wegen überhöhter Geschwindigkeit, ein Gericht zu dem Urteil zu bewegen, dass Geschwindigkeiten im Straßenverkehr von über bspw. 200km/h generell eine Gefährdung anderer sind und dem Grundsatz der ständigen gegenseitigen Vorsicht widerspricht.

Das käme doch einem Tempolimit gleich, oder? Könnte mit dieser Argumentation ein Tempolimit eingeklagt werden?

Grüße!

Das ist längst Praxis:

edit: Zumindest bekommt „der Raser“ immer eine Mitschuld.

Ja, die Richtgeschwindigkeit geht in diese Richtung. Aber wenn es tatsächlich der Fall wäre, dass man ab 130 km/h gegen Paragraph 1 verstößt, müsste es der Polizei dann nicht möglich sein zu blitzen und Bußgelder an Raser auszustellen? Das wird ja in der Praxis nicht gemacht. Ist das rechtlich also doch nicht möglich (wahrscheinlich) oder verweigert die Polizei die Umsetzung?

Ich würde mal davon ausgehen, dass die Geschwindigkeitsregeln aus §3 der StVO als Lex Specialis der allgemeinen Rücksichtsklausel aus §1 vorgehen. Und dort steht eben, dass auf Autobahnen kein Tempolimit gilt.

Die lange währende politische Diskussion darüber, ohne dass es zur Einführung eines Tempolimits kommt, zeigt ja auch gerade, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber offensichtlich gerade nicht der Meinung ist, dass derart hohe Geschwindigkeiten generell verboten werden sollen. Da ist die Rechtsprechung dann auch daran gebunden und würde ansonsten die Gewaltenteilung in Frage stellen.

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Es gibt fast keine Kontrollen der StVO. Man kann leider diesen Paragraphen deutlich übertreten ohne, dass es Konsequenzen hat. Konsequenzen gibt es eigentlich nur im Falle eine Unfalls oder bei extremen Überschreitungen und der zufälligen Anwesenheit einer engagierten Streife.
Diese weitgehende Wirkungslosikeit der bestehenden Tempolimits (und auch anderer Verkehrsregeln) ist mein Hauptargument gegen ein generelles Tempolimit, denn was nützen die weiteren Tempolimits, wenn die bestehenden nur so eine geringe Wirksamkeit haben (Ohne Tempolimit fahren 58% schneller als 120 km/h, mit Tempolimit sind es „nur“ 39%, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-06-15_texte_38-2020_wirkung-tempolimit_bf.pdf).

Für mich ist auch fraglich, was die größere Einsparung bringt, die Durchsetzung der aktuellen StVO oder ein generelles Tempolimit.

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Wenn das kein Argument ist, wie wäre es hiermit:

Das Verfassungsgericht hat ja schon anerkannt, dass CO2-Ausstoß die Freiheit zukünftiger Generationen (und auch der aktuellen jungen, also meiner eingeschlossen?) beeinträchtigt. Nun ist die Frage: Ist „keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen und Schnellstraßen“ ein Grundrecht, das sich damit aufwiegen lässt? Jedes km/h mehr erzeugt schließlich faktisch unnötige Emissionen.

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Also ich glaube, so aus dem Bauch raus, dass ein Tempolimit auf Autobahnen aktuell wohl kein Projekt für die GFF sein wird. Insbesondere nachdem @vieuxrenard letztes erst wieder die Rahmenbedingungen der GFF erklärt hat, die ich auch nachvollziehen kann.

Denn das Bundesverfassungsgericht kann ja maximal bewirken, dass die jetzige StVO für verfassungswidrig erklärt wird. Aber wie dann eine neue StVO aussieht, insbesondere mit einem FPD-Verkehrsminister, das wäre die große Frage.

edit:
Zu früh abgeschickt. Die Wikipedia (Quelle) schreibt zum Erlassen von Verordnungen (z.B. StVO):

Das Parlament darf dabei der Exekutive [Anm.: z.B. Ministerium] die Freiheit einräumen, […] darf jedoch […] die wesentlichen Entscheidungen nicht aus der Hand geben; als „wesentlich“ gelten verschiedene wichtige Rechtsfragen, wie unter anderem – aber nicht nur – Grundrechtseingriffe.

Ich könnte mir also vorstellen, dass, wenn das BVerG die StVO wegen Tempolimits abschießt, dass diese Tempolimits in der folgenden Novelle der StVO dann zwingend drin sein müssten.

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Ist doch schonmal was und ein Argument für ein Tempolimit.

Ansonsten könntest du mit der Argumentation auch alle anderen Regeln und Gesetze aushebeln.

Soweit ich weiß ist der Handel mit Betäubungsmitteln in Deutschland streng reguliert.

Halten sich Drogenhändler nicht wirklich dran, also können wir ja die Regulierung auch abschaffen oder?

Selbe Argumentationskette also wärst du wohl auch für die Freigabe von allen möglichen Rauschmitteln, weil sich ja X% eh nicht an das Verbot halten.

Wenn 39% aller Deutschen trotz Verbot mit Drogen handeln, dann ist dieses Verbot aus meiner Sicht zu hinterfragen, denn dieses Gesetz ist nicht zielführend. Gut möglich, dass die Idee dahinter sinnvoll und erstrebenswert ist, aber was sollen wir mit einem nutzlosen Gesetz? Und wenn wir ein „nutzloses“ Gesetz auf alle Autobahnen ausweiten, wird es nicht besser.

Ich finde den aktuellen Zustand auch deshalb schlecht, weil gerade Fahranfänger ohne regelmäßige Kontrolle auf die Straßen losgelassen werden. Mir wurde z. B. damals gesagt also 10 km/h innerorts und 20 km/h außerorts sollte man schon schneller fahren. Da wird einem eingeredet, dass diese Schilder nichts zu bedeuten haben. Und wenn man schneller fährt - dann passiert schlicht und einfach nichts. Es passiert erst dann was, wenn ein Unfall passiert. Einen „Warnschuss“ gibt es nicht.

Vielleicht kann sich jemand dazu äußern, der sich besser mit Gesetzen auskennt. Wie bewertet man ein Gesetzt, da nur 61% aller Betroffenen befolgen?

Das Gesetz ist doch nicht nutzlos nur weil die Durchsetzung mangelhaft ist.

Wer hat dir denn sowas erzählt?

Das einzige was wirklich hilft: Verfolgungsdruck erhöhen und Strafen drastisch rauf.

Nicht so ein bisschen du du.

Wegen mir ab 30 km/h Innerorts und 50 km/h Außerorts = Auto weg (ohne Entschädigung)

Da brauchst du nur ein paar wenige „erwischen“ dann reduzieren sich die 39% aber ordentlich.

Nur sowas ist im Land von „frei Fahrt für freie Bürger“ als oberstes und unantastbar es Grundrecht natürlich unmöglich.

Lieber darüber sinnieren ob man nicht wegen der Regelbrecher lieber die Regeln abschaffen sollte.

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Ich kann das bestätigen. Bei mir war es mein Vater, der mich beim begleiteten fahren (Führerschein mit 17) gedrängt hat schneller zu fahren, um die anderen Autos hinter mir nicht zu verärgern.

Ansonsten: Wenn ein Gesetz beschlossen ist, ist es per Definition des Volkes Willen und muss durchgesetzt werden. Auch wenn nur 61% sich daran halten und es für richtg halten ist das die verdammte Mehrheit und die entscheidet nunmal in einer Denokratie. Wenn ein Gesetz nicht vernünftig durchgesetzt wird, ist nicht das Gesetz zu ändern sondern die Durchsetzung.

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Als die StVO eingeführt wurde, waren ca. 95% der Autos gar nicht fähig schneller als 100-120 zu fahren.

Was mir ja darum unverständlich ist: warum werden Fahrzeuge (außer für die Polizei meinetwegen) nicht einfach auf 120 gedrosselt und fertig. Oder meinetwegen auch gerne auf 100. Dann kann mensch sich immer noch ein großes Auto kaufen, um zu zeigen, wie toll mensch ist, aber ist wenigstens nicht mehr in der Lage, auf der Autobahn zu drängeln.

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Warum werden LKWs nicht einfach elektronisch auf 80km/h gedrosselt?

Vielleicht weil selbst die Drosselung auf 90km/h schon nicht funktioniert.

Ich will hier nicht als der Verteidiger der „Freien Fahrt“ abgestempelt werden, aber ja, es ist halt wieder eine der Fragen über Freiheit vs. Regulierung. Irgendwie hat ein Teil der Gesellschaft in Deutschland die Tendenz, sich nur wohl zu fühlen, wenn es für alles eine Regel gibt. Da übernachtet eine Fußballmannschaft auf dem Rollfeld, weil der Flieger 5 Minuten nach Mitternacht abheben würde. Oder eine sichere Nutzung des Internets nur dann gegeben ist, wenn man auf jeder Website 15 Seiten AGB akzeptiert, usw. Vielleicht braucht es eine gesellschaftliche Therapie, die Freiheit wieder als Wert und nicht mehr als Bedrohung dastehen lässt.

Und ja, Freiheit heißt für mich auch, dass automatische Not-Bremssysteme in allen Fahrzeugen Pflicht werden und nicht deaktiviert werden können. Natürlich auch, dass die CO2 Kosten auf das Benzin umgelegt wird und der Sprit dann auch gern 3,5 Euro pro Liter kostet.

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Ich würde hier genau anders herum argumentieren. Unsere Gesetze sind alle historisch gewachsen. Bevor es sie gab hatten wir viel mehr Freiheit. Aber sie wurden eingeführt weil es aufgrund mangelnder Selbstverantwortung und neuer Entwicklungen derer bedurfte.

Beispiel: früher gab es innerhalb geschlossener Ortschaften kein Tempolimit, weil es keine Autos gab, die schneller als 50 km/h fahren konnten. Es gab die Freiheit zu fahren so schnell man wollte. Offensichtlich waren die Menschen bei weiter entwickelten Autos nicht eigenverantwortlich genug im Ort zu bremsen. Also musste aus Notwehr ein Tempolimit innerorts eingeführt werden um die Menschen mit der Gewalt des Staates am unangepassten Fahren zu hindern.

Geschichte wiederholt sich, jetzt bei Autobahnen.

Noch mal zum großen Ganzen: mMn ist die bloße Existenz von Regeln und Gesetzen der Beweis, dass die Freiheit in der Vergangenheit nicht funktioniert hat; sie wurden sicher nicht grundlos eingeführt. Und ja, klar gibt es auch antiquierte Gesetze, die heute keinen Sinn mehr ergeben.

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Ich selbst zähle mich zu dem Teil, der eine Tendenz dazu hat, bestehende Regulierung streng durchzusetzen und ggf. auch weitere Regulierung einzufordern. Hintergrund ist, dass die vielbeschworene Eigenverantwortung m. E. leider nicht funktioniert. Es wird immer mit der Freiheit und Eigenverantwortung argumentiert, wenn es um Beschränkungen geht, aber die Verantwortung ggü der Gesellschaft wird weitestgehend ignoriert. In der Krise wird dann aber nach staatlicher Unterstützung geschrien, eigenverantwortlich in den fetten Jahren vorsorgen wird da irgendwie vergessen. Da Freiheit zu einer Floskel für Egoismus geworden ist und die Verantwortung nicht übernommen wird, muss halt reguliert werden. Es gibt dazu einen Essay beim Deutschlandfunk.

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