Studentenproteste in Frankreich - Sind Studenten die "Vergessenen" in der Pandemie?

Als Student in Frankreich konnte ich in den letzten Wochen mitverfolgen, wie frankreichweit eine starke Bewegung gegen die Prekarität der Studenten aufkommt. Es stimmt: In Deutschland sowie Frankreich haben Studenten seit knapp einem Jahr Online-Unterricht, einige haben ihre Nebenjobs verloren und französische Medien betonen, wie viele durch soziale Isolation und finanziellen Schwierigkeiten in (psychische) Not kommen. Der Präsident Emanuel Macron ist den Forderungen schon ein Stück weit entgegengekommen: Es gab z.B. eine Zahlung von 150€ für Studenten mit geringen finanziellen Mitteln und ab nächster Woche soll jeder Student an einem Tag in der Woche in Präsenzunterricht gehen können.

In Deutschland scheinen mir Medien, dieses Thema kaum aufzugreifen. Da stelle ich mir die Fragen:
Werden die Studenten in Deutschland zu sehr vernachlässigt?
Oder ist die Situation der Studenten in Deutschland anders als in Frankreich?

Abgesehen von der Notwendigkeit des Lockdowns zur Zeit, finde ich persönlich, dass das Bewusstsein in Deutschland dafür, wie schwierig es für Studenten seit knapp einem Jahr ist, ist zu gering. Während doch die meisten Berufstätigen (zumindest vor dem Lockdown) persönlichen Kontakt zu Kollegen und etc. hatten, fehlt es Studenten z.B. an Diskussionen zwischeneinander oder auch an dem „praktischen“ Unterricht. So hat z.B. meine Freundin, die kurz vor dem Physikum in Medizin steht, seit März kein einziges Mal präpariert (das Sezieren am Körper, das natürlich wichtig ist, um die Anatomie zu lernen). Viele Erstsemester haben noch nie den Campus betreten und schauen den ganzen Tag nur vorgefertigte Aufzeichnungen.

Letztlich finde ich, gehen die Forderungen der Studentenbewegungen in Frankreich doch etwas zu weit. Ihnen scheint nicht bewusst zu sein, dass man die Universitäten nicht wieder komplett zu öffnen und den Präsidenten nicht allein für die schwierige Lage verantwortlich machen kann.

Ich würde mich über eure Meinung zu diesem Thema freuen!

1 „Gefällt mir“

Ich kann die Wut der Studenten und Studentinnen nachvollziehen, auch wenn ich es momentan unverantwortlich anderen gegenüber finde, zu demonstrieren oder die Auflagen zu missachten.

Mich als Studentin belastet die Situation momentan sehr. Da ich mich an die Auflagen halte, treffe ich nur hin und wieder 2 Freunde mit Maske und Abstand beim Spazierengehen. Ich bin nicht mal sonderlich extrovertiert, aber auch ich komme emotional an meine Grenzen. Meine Familie will ich nicht besuchen, da meine Mutter in der Pflege arbeitet und ich sie nicht zusätzlich gefährden will. Das ist schon ziemlich einsam, obwohl ich sogar noch das Glück habe, in einer WG zu leben und daher nicht komplett alleine bin. Aber auch das bringt Konflikte mit sich, wenn sich Teile der WG nicht so an die Auflagen halten und immer mal wieder Freunde einladen etc. Das kann schon ziemlich anstrengend sein und manchmal beneide ich dann doch kurz die Menschen, die alleine Leben und diese Konflikte nicht haben.

Die Jurastudenten und Jurastudentinnen aus meinem Umfeld belastet vor allem, dass die Bibliotheken zu haben. Wir brauchen Bücher und wenn man nicht gerade finanziell so gut aufgestellt ist, sich diese selber kaufen zu können, wird es kritisch. Es ist unsicher, unter welchen Bedingungen Klausuren geschrieben werden sollen. Viele Professoren fordern Präsenzklausuren, da das Risiko zu schummeln sonst zu groß ist, aber ein Teil der Studenten ist nicht mal mehr vor Ort, sondern bei ihren Familien und wollen diese nicht gefährden durch den Kontakt mit anderen, nur um eine Klausur zu schreiben. Ein persönlicher Austausch mit Kommilitonen und ist schwierig, wenn man diese nicht schon vorher kannte.

Was mich und viele meiner Bekannten aber wirklich fertig macht, ist die finanzielle Situation. Es gibt momentan kaum Nebenjobs für Studenten und wenn es mal einen gibt, ist dieser körperlich anstrengend und mehr als Mindestlohn ist auch nicht drinnen. Ich hatte zwar etwas Geld gespart, um es mir leisten zu können, nach dem Studium in eine andere Stadt zu ziehen. Jetzt muss ich von diesem Geld leben. Das stresst mich. Aufgrund dessen, dass ich mich neben dem Studium noch ehrenamtlichen Tätigkeiten gewidmet habe und chronisch krank bin, bin ich über der Regelstudienzeit. Für Studenten über der Regelstudienzeit gibt es staatlich kaum Hilfen. Etwas Wohngeld gibt es zwar, aber auch dafür muss ich quasi einen Striptease hinlegen und alle meine Ausgaben der letzten 6 Monate offenbaren und da ich schon in einem ziemlich kleinen WG-Zimmer lebe, gehört das Geld für die Wohnung sowieso nicht zu meinen größten Ausgaben. Was mich gerade wirklich einschränkt sind die Ausgaben für Lebensmittel, anständiger Winterkleider, hin und wieder mal ein gutes Buch, Unikram, Semesterbeitrag, Medikamente, eigentlich müsste ich meine Brille anpassen, aber das kann ich mir gerade auch nicht leisten.

Selbst ein Harz IV-Empfänger hat mehr Geld für Kleider, Lebensmittel, etc. zur Verfügung als ich momentan (und wir wissen alle, dass das, was einem Harz IV Empfänger zugestanden ist, schon viel zu wenig ist). Gesunde Mahlzeiten, sich mal etwas Leckeres gönnen oder eine wärmere Jacke zuzulegen, ist gerade alles nicht drin.

Ich fühle mich mit der Situation alleine gelassen, habe Angst, wie sich das noch entwickelt und mache mir selbst Vorwürfe, dass ich mein Studium nicht schneller durchgezogen habe. Ich kenne Studenten, die kurz vor dem Abschluss abgebrochen haben und jetzt eine Ausbildung machen, da sie in dieser Unsicherheit nicht mehr leben wollen. Immerhin gibt es bei einer Ausbildung gleich Geld.

Wenn man sich Hilfe sucht, schwingt auch immer der Vorwurf mit, warum man es denn hat soweit kommen lassen und den Abschluss nicht schon hat. Ich glaube, so geht es vielen und daher werden gerade diese auch nach Corona ihre Ehrenämter nicht wieder aufnehmen, sondern nur versuchen, das Studium schnellstmöglich zu Ende zu bringen. Ich glaube, dass sich die Gesellschaft auf lange Sicht auch schadet, wenn wir Menschen, die schnellstmöglich einen guten Abschluss in Regelstudienzeit haben, höher werten als die, die langsamer studieren, aber ihre Zeit auch anderen Menschen und Problemen widmen.

Das hört sich für einige vielleicht nach persönlichem Gejammer an, aber diese Gedanken beschäftigen die meisten Studenten, die ich kenne, insbesondere die, die über der Regelstudienzeit sind und keine Eltern haben, die finanzielle aushelfen können.

3 „Gefällt mir“