Straßenblockaden Berlin/ Strategie der Klimabewegung

Hallo zusammen,

die Strategie für die Klimagerechtigkeitsbewegung empfand ich als zu eng gefasst. Die Frage der Gewalt ist eine aktuelle, lässt sich jedoch nicht einfach negieren. In der letzten Lage wurde die Anti-AKW-Bewegung angesprochen, die sowohl friedliche als auch militante Aktionsformen als Werkzeug ausübte. Dass dort nicht mehr detaillierter drauf eingegangen wurde, sondern die friedlichen Proteste in den Vordergrund gestellt wurden, ist ein falsches Framing dieser (erfolgreichen) Bewegung!

Um die Diskussion nochmal anhand von Andreas Malm und Noam Chomsky aufzugreifen, hier ein Debattenbeitrag zur Strategie für die Klimagerechtigkeitsbewegung:

Gerne kommentieren.

Wenn ich dich richtig verstehe, bist du der Meinung, dass es sowohl gewaltfreien als auch gewalttätigen Protest braucht. Ich verstehe aus folgenden Gründen nicht, wie man zu dieser Bewertung kommt.

  1. Die meisten Dinge, die zum Beispiel in dem Artikel angesprochen werden, sind Dinge wie Ölpipelines, Gas- und Kohlekraftwerke oder Bohrinseln. Ohne die Bücher gelesen zu haben, was stellt man sich denn vor, was die Konsequenz ist? Man sabotiert oder zerstört kritische Infrastruktur, die nicht obsolet ist, weil wir unsere Wirtschaft nicht schnell genug transofrmiert haben. Dann sitzen die Leute aber im Dunkeln oder Kalten, weil das Heizkraftwerk nicht mehr läuft. Das ist auch Gewalt an Menschen. So frustrierend das ist, aber man kann die Dinge, „die uns kaputt machen“, nicht kaputt machen, solange die Transformation nicht erfolgt ist.
  2. Wer bestimmt denn, was „akzeptierte“ Gewalt ist? Klar, wir können uns in irgendeiner Echokammer sicher drauf einigen, dass der Klimawandel unser größtes Problem ist. Das unterschreibe ich sofort. Das unterschreibt aber ein signifikanter Teil der Bevölkerung so nicht. Genauso wie (hoffentlich) keiner und keine in diesem Forum der Meinung ist, dass man 5G-Masten beschädigen darf, weil sie uns angeblich Gewalt antun. Darf dann jeder, der behauptet, „dass man kaputt machen muss, was einen kaputt macht“ - aus welchen ideologischen Gründen auch immer - Gewalt ausüben? Ich dachte, aus dieser Falle hätten wir uns im Zuge der Aufklärung befreit.
  3. Wieviele Beispiele gibt es, in denen Gewalt wirklich zu einer besseren Situation geführt hat? Die BLM Proteste zum Beispiel haben natürlich ein wichtiges Schlaglicht auf ein horrendes Problem geworfen. Ich stelle aber die Hypothese aus, dass die Gewaltexzesse zumindest in den USA der Bewegung viel mehr geschadet haben. So haben die Gegner nämlich ein allzu leichtes Gegenargument. Und ich persönlich würde nur sehr ungern die Rittenhouses und Unterstützer hier in Deutschland haben, die meinen sich im Recht gegen Kriminelle zu stellen.

Wollen wir militante Gegner von Stromtrassen durch Bayern, die absolut notwendig sind in Zukunft? Oder gegen Windräder? Ich persönlich habe je nach Sachlage große Sympathien für Waldbesetzer, Kernkrafttgegner usw. Aber wenn das Wort militant vorkommt, bin ich raus.

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Gewalt erzeugt Gegengewalt. In dieser Eskalationsspirale wollen wir alle uns bestimmt nicht wiederfinden, oder?

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Moin moin,
fand das Thema auch sehr spannend in der Lage, weshalb ich mich jetzt tatsächlich auch erstmals hier melden wollte. Die Dichotomie von „Gewaltfreiheit“ und „Gewalt“ bzw. Pazifismus vs. Militanz ist meiner Meinung nach gar nicht das Entscheidende. Ich bin selbst Teil der Klimabewegung (Scientists4Future) und stelle mir die Frage nach der Strategie schon länger. Meiner Meinung nach missachtet die Analyse insbesondere von Extinction Rebellion bisher vollkommen die Staatsform und das politische sowie gesellschaftliche System, innerhalb dessen der Protest vonstatten geht. Gewaltfreie Strategien im Sinne Ghandis oder Martin Luther Kings gelten immer wieder als Vorbilder – nur war die politische Macht einfach vollkommen anders verteilt und die Partizipationsmögilchkeiten innerhalb des bestehenden Systems vollkommen anders. Gewaltfreier Widerstand erfährt seine Wirkung erst durch die repressive Antwort des übermächtigen Gegners. Die Klimabewegung hat als Gegenüber aber viel mehr eine imaginierte Übermacht der fossilen Politik. Selbstverständlich ist das irgendwie auch richtig (Stichwort Lobbyismus usw.), aber diese Übermacht ist nun einmal keine geteilte Konstruktion der Gesellschaft.
Ich habe bei der vorletzten Aktionswoche von XR in Berlin mal beobachtet, was da so passiert, und es ist wahrlich schmerzhaft mit anzusehen, wie sich engagierte Menschen von der Polizei abführen lassen, wie sie Straftaten begehen, für die sie wirklich aktenkundig werden usw., und niemand bekommt es mit. In der Lage wurde das auch so abgetan von wegen „die besetzen ein bisschen was und verhindern hier mal Kohletransport und so“, aber dort wird sich absichtlich auch Polizeigewalt ausgesetzt.
Langer Vorrede kurzer Sinn: Meiner Meinung nach verpasst die Klimabewegung, sich verbündete in den „klassischen“ Medien zu sichern. Alles läuft über Soziale Medien und verhallt in den Echokammern. XR macht eine Großaktion, aber keine Bilder in der tagesschau, keine Erwähnung im Deutschlandfunk, usw. Was die 68er und auch die Friedensbewegung besser machten: Sie hatten selbst Journalisten unter ihnen, sie wussten, wie Medien funktionieren, und selbst Martin Luther King wusste, dass es nicht darum geht, gewaltfrei zu sein, sondern gewaltfrei auszusehen, sodass man einfach die entsprechenden Bilder liefern muss. Die Klimabewegung hat mitnichten die Diskurshoheit gewonnen, wie in der Lage gesagt. Für Umwelt- und Klimaschutz waren schon vorher fast alle in Deutschland. Isoliert gefragt sind es heute deutlich über 50%. Aber in Verbindung mit anderen Politikbereichen ist das Klima dann eben doch nicht so wichtig. Die Klimabewegung findet keine Bilder, sie findet eben kein Narrativ, das in Handlungsoptionen umzuwandeln wäre, sie findet keine Erzählung, der sich eine breitere Masse auch demokratisch aktiv anschließen würde. Sie findet auch keinen Weg in die Medien, auch wenn es so aussehen mag. Die großen Aktionen bleiben fast vollständig unsichtbar. Manchmal denke ich, die Ablehnung gegenüber „dem System“ und die Missachtung durch das System bestärken sich nur gegenseitig. Die bösen Medien berichten nicht über uns – also wollen wir auch nichts mit denen zu tun haben. Dann können sie eben auch nicht berichten. Und dann sind sie wieder böse. Repeat.
Leider sind Protest und mediale Aufmerksamkeit nicht untrennbar miteinander verbunden. Die Berichterstattung über Polizeigewalt gegen friedliche Aktivisten ist leider kein mechanisches Gesetz und kein Selbstläufer. Man muss selbst dafür sorgen, dass man „vorkommt“, und zwar über den Protest selbst hinaus. Außer, man macht ihn unübersehbar groß – und dann sind wir nämlich genau bei der „Grünen RAF“.
Entschuldigt bitte den langen Beitrag…

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Berlin ist mir sehr hängen geblieben.
Und zwar wurden die Aktionen ja angekündigt.
Und das hatte durchaus Medienresonanz erzeugt.
Die Tagesschau warnte vor einer Stadt dem Terror preis gegeben, Politiker überschlugen sich, die Aktivisten vor Straftaten mit einem harten Arm des Gesetzes zu warnen, wochenlang durfte ich mir im Dorf anhören, dass das, was die Klimaaktivisten da veranstalteten, auch nicht der richtige Weg sei, sogar von unserer Pfarrerin.
Dabei hörte man von den Aktionen nicht mehr viel. Ein paar Journalisten sendeten noch deprimierte Berichte ab, enttäuscht, dass es nun doch keine Story des Jahres gab.

Du hast mich zu einseitig verstanden. Es geht mir nicht darum Gewalt zu diskutieren und dass wir morgen damit anfangen sollten. Sondern, dass Militanz schon immer ein Werkzeug der Arbeiter*innenklasse war (Matrosenaufstand und Generalstreik 1918). Werkzeuge müssen aber verhältnismäßig eingesetzt werden und dürfen keinem Selbstzweck dienen.
Wie in dem Artikel gesagt, Militanz der Militanzwillen ist Terrorismus und wird von staatlicher Seite mit Repression beantwortet werden.
Aber die Frage der Militanz zeigt sich, wie ich finde, sehr gut an der Anti-AKW-Bewegung: Diese soziale Bewegung war militant, wenn sie es musste. Sie war friedlich, wenn sie es konnte. Keine Seite hat sich von der anderen entsolidarisiert und letztlich hat diese Bewegung gewonnen. Merkel wäre nie so entschlossen aus der Atomkraft ausgetreten, hätte es die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung, so wie sie es gegeben hatte, nicht gegeben.

Welche Form der Gewalt wir für die Klimabewegung für legitim halten, will und kann ich als Einzelperson nicht beantworten. Wir sollten aber aufpassen, dass sich die Klimabewegung von Seiten ihrer Gegner an dieser Frage nicht spalten lassen darf.
Eins steht fest, die Gewalt eines Stein in einem Schaufenster oder einer sabotierten Pipeline, ist nichts im Verhältnis dazu, was unsere Kindern und deren Kinder an struktureller Gewalt des (fossilen) Kapitals und staatlicher Repression bevorsteht, wenn die Klimakrise erst einmal richtig anfängt zu kicken.

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In diesem Sinne fand ich es einerseits gut, vom Inhalt her aber natürlich absolut erschreckend, dass das neue Versammlungsgesetz in NRW bisher ausschließlich gegen Teilnehmer*innen bei Klima-Protesten eingesetzt wurde (jedenfalls gehe ich jetzt einfach mal davon aus, dass das noch so stimmt). Darüber habe ich ansonsten kaum etwas gelesen.

Von daher kann ich verstehen, dass es wichtig ist, in diese Richtung zu eskalieren und Aufmerksamkeit zu generieren. Mit „eskalieren“ meine ich hier natürlich nicht gewalttätig, sondern wie Philip und Ulf es auch aufgezeigt haben, mit zivilem Ungehorsam, um eine Reaktion von Polizei und Ordnungsbehörden zu provozieren. Aber wie Du auch sagst ist es dann wichtig, auch die mediale Aufmerksamkeit zu bekommen und zu halten.

Mit einer grünen RAF ist wirklich niemandem geholfen. Ich hatte den Eindruck, dass das bei den G7-Protesten beispielsweise in Ansätzen gelungen ist, aber auch da hat es eine kleine Minderheit von aggressiven Idioten es geschafft, den Diskurs zu lenken und in Augen zu vieler die Polizeigewalt zu legitimieren.

Die Eskalationsspirale zu befeuern finde ich keine gute Idee.

Ich kann mich noch daran erinnern wie Shell die Brent Spar – Wikipedia versenken wollte. Ein Boykott von den Tankstellen hat Shell umdenken lassen.
In Zeiten von Schwarmverhalten in der interessierten Gesellschaft sehe ich solche Boykotts als das am meisten erfolgversprechende Mittel an.

Es gibt hier einen Unterschied zum Klimawandel als solchen. Bei der Shell-Platform gab es ein singuläres Ereignis mit einem Ort und einer Deadline auf das man „hinarbeiten“ konnte. Beim Klimawandel haben weder Ort noch Deadline. Das macht den Kampf dagegen für viele Außenstehende auch so schwierig zu fassen.
Aber das Entscheidende bei organisiertem Boykott ist nicht der Boykott, sondern das organisiert sein.
Wir brauchen neben der Klimabewegung eine Arbeiterinnenbewegung, die das Thema Klima ganz oben auf die Agenda setzt. Was wir doch wollen ist dass nicht nur Schülerinnen freitags auf der Straße stehen sondern dass auch Vater und Mutter, sowie deren gewerkschaftlich organisierte Betriebe mitstreiken. Dann entsteht wirklich Druck auf (fossiles) Kapital und deren Interessen in der Politik.

Ist demokratisch geäußerte Gewalt nicht legitime Gewalt? Militanz und Ziviler Ungehorsam sind hierbei Werkzeuge des Ausdrucks - niemals Selbstzweck.
Das ist auch das Fazit des anfänglichen Artikels.

Gewalt bleibt Gewalt und die findet bei mir keine Legitimation!
Ich habe dieses Thema als die Suche nach neuen „Strategien für die Klimabewegung“ gelesen. In diesem Sinne sind meine Beiträge auch zu betrachten. Ihr 1. Beitrag habe ich als Auftakt für das Thema wahr genommen sehe ihn aber nicht als Leitlinie für die Diskussion hier.

Shell war nur ein Beispiel. Aber es gab noch den Boykott gegen die JET Tankstellen um den Konzern dem diese angehörten für den Ausstieg aus FCKW zu überreden, was ja auch gelungen ist. Für mich zeigt das, dass ein geplanter Boykott geeignet ist um Teilziele der Klimabewegung zu erreichen.
Siehe hierzu auch

Aber was ist denn demokratisch legitimierte Gewalt anderes als der Staat in dem Leben? Also tatsächlich Staatstheoretisch, Gewaltenteilung, Gewaltmonopol des Staates etc.

Boykotte können durchaus sehr erfolgsversprechende Werkzeuge sein. Keine Frage. Dennoch stelle ich mal die Grundvoraussetzung in Frage, dass es eine Mehrheit in Deutschland gibt, die für Klimaschutz einem Boykott-Aufruf folgen würde, wenn es private Einschnitt für das Individuum bedeutet. Also muss man die Boykott-Nachfrage erhöhen, eben durch Öffentlichkeitsarbeit, Demos, Proteste, Zivilen Ungehorsam oder auch Militanz gegen Infrastruktur. Nicht, dass ich da mitgehen, aber das ist eine logische Kette der Eskalation mit dem klaren Ziel der Öffentlichkeitswirksamkeit.

Einen besseren Hebel finde ich allerdings nicht auf der konsumierenden Seite der Gesellschaft, sondern auf der produzierenden Seite. Denn Absatzmärkte lassen sich erschließen, auch im Ausland. Aber eine durch einen Generalstreik 4 Future stillgelegte Produktion bringt das (fossile) Kapital nicht nur in Schwierigkeiten, sondern in ernsthafte Bedrängnis.
Klar, das ist schwieriger, aber im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltiger.

Hallo,

ich finde @drkolibri, du hast das sehr gut dargestellt, warum es für viele Aktivist*innen als notwenig erscheint zu härteren Aktionsformen zu greifen. Dabei ist noch ein weiterer Punkt m. E. extrem wichtig ist zu beachten.

In der Wissenschaft gibt es die Theorie des sog. “Protest Paradigms” (welches sich mit Noam Chomsky’s Propaganda Theorie aus “Manufacturing Consent” deckt) und welches besagt, dass die Medien in der Berichterstattung über soziale Bewegungen und Proteste dazu tendieren, lediglich über Oberflächlichkeiten zu berichten, während die Inhalte auf der Strecke bleiben. Tatsächlich zeigen der Großteil der Studien zu diesem Thema diese Tendenz (1).

Leider hat meine Masterarbeit über 120 Zeitungsartikel in der SZ und taz diese Theorie ebenfalls signifikant bestätigt. Natürlich können qualitative Textanalysen immer sehr gebiased sein. Da ich aber selbst in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv bin und “weiß” um welche Inhalte es gehen sollte, fand ich es extrem erschreckend wie selten eben diese vorkommen.

Und hier stellt sich dann ebenfalls die Frage nach neuen Strategien. Bündnisse querbeet durch alle Bevölkerungsschichten und -bereiche sind m.E. eine notwendige, aber möglicherweise keine hinreichende Bedingung für positive und breit akzeptierte Veränderung.

(1) für Quellen s. bspw.:

I) von Zabern, L., & Tulloch, C. D. (2020). Rebel with a cause- the framing of climate change and intergenerational justice in the German press treatment of the Fridays for Future protests. Media, Culture & Society, 43(1), 23–47. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0163443720960923?casa_token=IaEyI4Y8gfEAAAAA%3AYiOsiC438LfHvFWfmNfM0uLaaSwipFPpFZpGl2ocT1J736rJzpi90UVMMt3Kr1f5SfVfa4qYgA

II) Bergmann, Z., & Ossewaarde, R. (2020). Youth climate activists meet environmental governance: ageist depictions of the FFF movement and Greta Thunberg in German newspaper coverage. Journal of Multicultural Discourses, 15(3), 267–290. https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/17447143.2020.1745211

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Aus aktuellem Anlass: wie würdet ihr in diesem Zusammenhang die Straßenblockaden von „letzte Generation“ einordnen? Das ist sicher keine direkte Gewalt sondern nur ziviler Ungehorsam. Es stellt sich allerdings die Frage, ob z.B. das damit einhergehende Blockieren von Rettungswegen für Krankenwagen, Notärzte etc. in Kauf zu nehmen ist - zumindest wenn so ein Protest unangemeldet ist. Wie sieht es mit der Unfallgefahr aus? Für den „normalen“ Berufspendler ist sowas sicherlich extrem ärgerlich aber möglicherweise als Protestform hinzunehmen. Kritisiert wird wiederum, dass der Protest nicht zielgerichtet genug war – also, dass die leidtragenden Autofahrer nicht unbedingt die richtige Zielgruppe für das Protest-Thema (Lebensmittelverschwendung) waren. Ich bin noch nicht tief genug im Thema drin, um mir ein abschließendes Urteil bilden zu können und wollte daher die Community dazu ermutigen, ihre Meinungen zu teilen.