Steuer-ID wird zur allumfassenden Personenkennziffer

Unter dem Vorwand einer leichteren Zuteilung öffentlicher Gelder an bedürftige Bürger:innen ist im Dezember mit dem Jahressteuergesetz 2022 die einheitliche Steuer-ID zur umfassenden Personenkennziffer mutiert, denn Bankdaten werden mit der Steuer-ID verknüpft.
Genauere Informationen dazu hier:

Bei Themen, die derart kontrovers sind, halte ich es immer für wichtig, zu Beginn erst mal aufzuführen, welche Argumente für und gegen diese Neuerung sprechen.

Für eine einheitliche Personenkennziffer spricht die Vereinfachung der Digitalisierung der Verwaltung. Wenn alle Daten direkt unter einer Kennziffer gesammelt werden ist es natürlich einfacher, diese Daten zu verknüpfen, als wenn jedes Amt eine eigene Kennziffer (z.B. Steuer-ID, BG-Nummer, BAföG-Fördernummer usw.) benutzt. Durch die Zusammenführung der Daten kann z.B. Missbrauch wesentlich effektiver bekämpft und Kontrolle (z.B. bei waffenrechtlichen Genehmigungen) wesentlich besser gewährleistet werden.

Dagegen spricht hingegen in erster Linie der Datenschutz. Die Zusammenführung dieser Daten ist ein wesentlicher Schritt hin zum „gläsernen Bürger“ und diese so zusammengeführten Daten sind für böswillige Angreifer in jedem Fall extrem verlockend, weshalb damit zu rechnen ist, dass früher oder später, sei es durch Hacker oder durch Mitarbeiter mit Zugriffsrechten, zu Leaks kommen wird.

Die Abwägung dieser Argumente ist primär ein politischer, sekundär ein juristischer Prozess. Zuerst muss die Politik abwägen, ob hier der Zweck die Mittel (und die damit verbundenen Gefahren) billigt, danach wird die Frage zu stellen sein, ob das Ergebnis der politischen Abwägung auch einer verfassungsrechtlichen Kontrolle standhalten wird, denn eines ist klar: Es wird Klagen dagegen geben, das BVerfG wird sich damit auseinander setzen müssen.

Das Ergebnis ist kaum sicher vorherzusagen - es hängt zum einen von der genauen Ausgestaltung der Personenkennziffer ab (z.B. welche Register alle hinzugezogen werden, wie der Zugriff auf die Daten geregelt ist usw.), zum anderen davon, wie weit das BVerfG die „informationelle Selbstbestimmung“ auslegt und wie weit das BVerfG eine Schutzwürdigkeit der Bürger gegenüber dem Staat vor einer „zu starken Katalogisierung“ definiert (siehe z.B. die Urteile Mikrozensusbeschluss und dem Volkszählungsurteil).

In der Tendenz würde ich mich eher dem Statement des deutschen Anwaltvereins anschließen, wobei ich die Sache für weniger eindeutig halte, als besagtes Statement (aber so sind Statements von Anwälten natürlich… selbstverständlich ist jeder Anwalt von seiner Position nach Außen hin total und zu 100% überzeugt :wink: ). Auch die GFF wird vermutlich ähnlich wie der DAV argumentieren.

Der Grund, warum ich nicht ganz so überzeugt bin, liegt einfach daran, dass ich das Bedürfnis des Staates nach Effizienzsteigerung im Bereich digitaler Verwaltung höher bewerte und die Abwägung deshalb nicht so eindeutig ausfällt. Wenn wir in andere Länder schauen, die eine sehr gute Digitalisierung der Verwaltung erreicht haben, stellen wir schon fest, dass solche Dinge wie die in Deutschland jetzt geplante Personenkennziffer in diesen Staaten eine Selbstverständlichkeit sind. Wir deutschen sind im Hinblick auf Datenschutz eben eindeutig die statistischen Ausreißer - was gut und wichtig ist („somebody has to do it…“), aber auch manche an sich sinnvolle Modernisierung verhindert…

4 „Gefällt mir“

Eine solche ID ist einfach unverzichtbar wenn es um die Modernisierung des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat geht.

Der Staat kann viel eher als Dienstleister auftreten, wenn er mehr Personendaten miteinander verknüpfen kann, wenn es bspw. um Leistungen wie das Kinder- , Wohngeld o.ä. geht, die dann nicht extra beansprucht werden müssen, sondern vom Staat proaktiv ausgezahlt werden können, weil der Staat von sich aus erkennt, das dort ein Anspruch besteht. Dadurch könnte auch vermieden werden, das Bürgern Leistungen aufgrund von Unwissen nicht zur Verfügung gestellt werden.

Das ist die Hauptsache, denke ich. Im Grunde ist so eine PKZ ja eigentlich bloß eine einfach zu handhabende Abkürzung für andere personenbezogene Daten, die ansonsten alternativ genutzt werden, bspw. Vorname+Nachname+Geburtsdatum oder wahlweise Adresse. Klar kann es bei Letzterem zu Verwechselungen aufgrund von Schreibfehlern oder verbreiteten Namen kommen, aber es kann ja kein „Recht auf verwechselt werden“ geben, zumal dieses halt nicht jedem gleichmäßig zufallen dürfte und durchaus auch zum Nachteil ausfallen kann.

Solange also Einwohnermeldeamt, Finanzamt, Jobcenter, Wohngeldstelle, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Standesamt, Auszahlstelle für Klimageld usw. jeweils ihre eigenen Datensätze pflegen, bloß mit der Steuer-ID als Index, würde ich das Problem auf den ersten Blick als verhältnismäßig gering einschätzen.

Die rote Linie wäre aber spätestens da, wo „Synergieeffekte genutzt“ würden und verschiedene Behörden dann ihre Datenbanken in gemeinsame überführen, in der dann wirklich umfassende Dossiers über die Mehrzahl der Bundesbürger zusammenkommen. Und zwar horizontal wie vertikal. Die Krankenkasse muss selbstverständlich nicht wissen, ob ich Wohngeld beziehe, aber wir brauchen imho bspw. auch kein bundesweites Melderegister. Es würde völlig ausreichen, wenn die Kommunen jeweils eigene Register mit derselben API und evtl. mit Bundesmitteln erstellten Software laufen hätten. Wechselseitige Abfragen bei begründetem Interesse und am besten mit Zustimmung des Betroffenen wären natürlich etwas anderes.

Ebenfalls muss aber unterbunden werden, dass u.U. die Steuer-ID von irgendwelchen Stellen gleichzeitig als „Passwort“ verwendet wird, um Zugang zu Leistungen und/oder Auskünften über den eigenen Status zu erhalten. Die Steuer-IDs sehr vieler Leute werden zwangsläufig nicht auf ewig ein „Geheimnis“ bleiben. Es darf also niemand davon ausgehen, dass er es mit einer bestimmten Person zu tun hat, bloß weil der seine Steuer-ID kennt. Für sowas bräuchte es dann immer noch bspw. den elektronischen Personalausweis.

1 „Gefällt mir“

Danke dir, das ist ein großartiger Beitrag, der sich weitgehend mit meiner Sicht darauf deckt.

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. hat bisher nicht gegen die breitere Verwendung der Steuer-ID als solche geklagt und wird es wohl auch nicht tun. Wir schauen uns aber sehr genau die Ausgestaltung an, also die Zugriffsrechte und vor allem die Vorschriften zur Sicherung der Transparenz: Bestimmte Abfragen sollten nur mit opt-in der betroffenen Person möglich sein, andere müssen wohl auch ohne möglich sein, diese sollten dann aber zumindest im Nachhinein eine Informationspflicht auslösen. Das sind aus meiner Sicht die Fragen, an denen sich entscheidet, ob das eine sinnvolle Steigerung der Effizienz oder eine Datenkrake wird.

1 „Gefällt mir“

In der Ausgestaltung liegt verständlicherweise ein ganz wesentliche Aufgabe (Teufel und Detail), doch glaube ich, dass in der Diskussion noch ein Punkt untergegangen ist. Wird eine Erleichterung in der Identifikation geschaffen, so wird die Identifikation auch häufiger verwendet werden. Dies kann kritisch werden und die Privatsphäre verringern. Eine ähnliche Befürchtung gibt es übrigens mit der Einführung von eIDAS 2.0 wie epicenter.works beschreibt.

Im Gegenzug, und dies ist mein Argument, wäre es sinnvoll Menschen die Möglichkeit zu mehr Privatsphäre zu geben. Also z.B. durch die Verwendung von Pseudonymen. Dies müssen einerseits zuverlässig zu einer PZK in Bezug stehen, jedoch wäre die Ableitung der PKZ aus einem Pseudonym einzuschränken bzw. zu beschränken. Andererseits sollten die Menschen, die Pseudonyme verwenden wollen, sowohl mnemotechnisch hilfreiche Auswahl treffen, als auch beliebig viele Pseudonyme für ihre persönliche Identität verwenden dürfen.

Wenn der Gebrauch der PKZ ergänzt würden durch eine Reihe von Pseudonymen, könnte der Ausgleich zwischen Bürgerinteressen und Missbrauchsrisiko einerseits und leistungsfähigeren Digitalisierung andererseits verbessert werden. Natürlich sind noch weitere Details zu klären, um eine solche Lösung zu schaffen, doch ist der grundsätzliche Ansatz hier Menschen zu ermöglichen ihre bürgerliche Identität selbst kontrollieren zu können, bisher nicht Teil der Diskussion und fehlt.