Das Österreich-Szenario scheint zum Glück noch in relativer Ferne zu sein.
Die FPÖ ist zwar von ihrer Ausrichtung in der Tat sehr ähnlich zur AfD und Kickl ist sogar vergleichbar mit Höcke, aber der Unterschied ist, dass die FPÖ schon sehr etabliert ist, u.a. schon fünf Mal in der Bundesregierung saß und in fünf Landesregierungen vertreten ist, in der Steiermark gar den Landeshauptmann (also „Ministerpräsidenten“) stellt.
Die AfD ist - zum Glück - dagegen noch sehr isoliert in Deutschland. Langfristig will die AfD genau da hin, wo die FPÖ heute ist - aber das dürfte, wenn der Wähler tatsächlich so blöd ist, das zu wollen - frühestens in 8 bis 12 Jahren so weit sein…
Was das Verhalten der SPD angeht - dank Söder ist sie in einer relativ guten Position. Da Söder ja jede Regierung mit den Grünen ausschließt (und es noch undenkbar ist, dass die Union mit der AfD koaliert), bleibt nur die SPD als Koalitionspartner übrig. Daher müsste die SPD sich schon sehr verzocken. Die Union - so wenig ich auch von ihr halte - hat sich in der Vergangenheit auch immer recht pragmatisch gezeigt, was Koalitionsverhandlungen betrifft. Späße wie jene der FDP 2017 sind i.d.R. von der Union und der SPD nicht zu erwarten. Dazu ist bei beiden Parteien der Drang zur Macht zu stark.
Außerdem ist anzumerken, dass weder die SPD noch die Union besondere Ausschlüsse hat, also Themen, die den Parteien so wichtig sind, dass sie, wenn diese nicht umgesetzt würden, keine Regierungsbeteiligung wollen würden. Beide Parteien sind meiner Einschätzung nach bereit, wesentliche Teile ihres Wertekanons für eine Regierungsbeteiligung über Bord zu werfen. Von der SPD kennen wir das auch kaum anders („Wer hat uns verraten…“), aber auch die Union hat sich in der Merkel-Zeit ja schon sehr der SPD angenährt.
Dazu kommt der Faktor Merz: Merz wollte so oft Kanzler werden und ist immer gescheitert. Jetzt sieht er seine Chance - und die will er unbedingt nutzen. Gleichzeitig will er seine Kanzlerschaft nicht mit der AfD beschmutzen. Es gibt daher ein sehr, sehr, sehr großes Interesse von Merz, dass die Koalitionsverhandlungen nicht platzen. Union und SPD haben beide ein immenses Interesse daran.
Klar, dass ein ehemaliger Kanzler nach einer Niederlage als Minister weitermacht wäre historisch glaube ich ein Novum - es gehört quasi zum guten Ton, als Kanzler nach der Abwahl den Nachfolger ran zu lassen. Gerade in diesem Fall halte ich es für wahrscheinlich, dass die SPD sehr schnell ihre Reihen hinter irgendeinem Seeheimer schließen wird, um einen reibungslosen Übergang zum Juniorpartner der Union vorzubereiten. Die SPD würde in dieser Situation vermutlich eher keine Richtungskämpfe austragen, das erwarte ich eher ein oder zwei Jahre vor der BTW 2029…