Soziale Reformen sind unrealistisch - die Lage sollte realistischer werden!

Ich wollte zu der Besprechung der Themen Mietrechtsreform, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und „spürbarer“ Politik im Allgemeinen mal ein Hörer-Feedback geben: Ich stimme euren Forderungen weitgehend zu, kann mir das alles aber leider nicht mehr anhören und wollte mal aufschreiben warum. Es ist eine sehr individuelle Wahrnehmung, mit der es einigen aber vielleicht ähnlich geht.

Sowohl zur Finanzierung dringend notwendiger Investitionen als auch aus einer puren Gerechtigkeitsperspektive sind es evident berechtigte Forderungen, die für viele Leute wirklich relevant wären. Ich zähle mich dazu, meine Situation entspricht meiner subjektiven Wahrnehmung nach auch der vieler meiner Bekannten: Meine Partnerin und ich haben im Studium am Existenzminimum gelebt, nun lange Ausbildungen hinter uns und starten mit Anfang/Mitte 30 in den Beruf. Wir leben in einer Großstadt, zahlen Indexmiete an eine Erbengemeinschaft und sind inflationsbereinigt in den letzten Jahren deutlich ärmer geworden. Miete ist - insbesondere nach der Inflation der letzten Jahre - mit Abstand der größte Posten in unserem Haushaltsbudget. Ich arbeite deutlich mehr als 40 Stunden, verdiene aber auch oberhalb des Durchschnittseinkommens und zahle davon nach meinen Lebenshaltungskosten in einen ETF-Sparplan und meinen Studienkredit ab. Von dem Rest gehe ich einmal im Monat essen, fahre einmal im Jahr in den Urlaub, sehe aber sonst keinen größeren Meilenstein, auf den ich mich freue. Da die Mieten hier schneller steigen als der Verbraucherpreisindex, wäre ein Umzug sogar die schlechtere Option. Völliger finanzieller Wahnsinn wäre es, Kinder zu bekommen und so Einkommen zu verringern, während gleichzeitig das Wohnraumbedürfnis steigt. Wir haben bis auf drei Nettogehälter-Notgroschen kein Vermögen, werden nichts erben und haben die Idee, durch Eigentumserwerb aus der Mieterrolle auszusteigen, begraben. Was passiert, wenn eines unserer Elternteile pflegebedürftig wird, weiß ich nicht. Damit nagen wir nicht am Hungertuch und sind insgesamt wohl sogar privilegiert. Ich und viele meiner Bekannten haben die vielleicht naive Vorstellung, irgendwie zur „Mitte“ zu zählen. Wie die alleinerziehende, Teilzeit arbeitende Person an der Supermarkt-Kasse hier überlebt, ist mir schleierhaft. Meine Nachbarin hingegen ist sehr nett, arbeitet an zwei Nachmittagen in der Woche als Schwimmlehrerin und hat 60 Eigentumswohnungen geerbt. Sie geht viel mit dem Hund raus und fängt jetzt eine Ausbildung zur Yogalehrerin an. Ich gönne ihr alles Glück der Welt, aber wenn ich die Worte Leistungsgesellschaft (FDP, CDU) oder soziale Mobilität (SPD) höre, wird mir schlecht. Wählen gehe ich nur noch, um gegen die AfD zu stimmen.

Im Studium fand ich politische Themen lange spannend und war ein bisschen stolz darauf, Bescheid zu wissen und auf dem Laufenden zu bleiben. Vermutlich während der Corona-Pandemie hat mein Interesse spürbar abgenommen. Wenn in Ökonomen-Interviews der Lage die Sprache auf die Deckelung von Mieten oder auf eine Reform der Vermögens- oder Erbschaftsbesteuerung kommt, schalte ich sofort zum nächsten Podcast. Dem Interview mit Isabella Weber habe ich eine Chance gegeben, aber bei der Forderung nach einem Mieteranspruch auf einen Wärmepumpen-Einbau wollte ich mir die Haare raufen.

In welcher Welt sollen das realistische Vorhaben sein? Wer soll diese Vorhaben umsetzen? Mit dem nächsten Kanzler Merz sind Reformen speziell in diesen Bereichen oder eine „spürbare“ Politik im Allgemeinen mindestens für die nächsten 10 Jahre abgeräumt, egal wer pro forma Koalitionspartner wird. Selbst als Wahlkampfthema „linker“ Parteien sind diese Forderungen maximal ungeeignet: Die Teilmenge der Wähler, die nicht durch die Migrationsdebatte emotionalisiert ist, hat keine Erfahrung gemacht, auf deren Grundlage sie solche Projekte für glaubhaft halten könnte: SPD und Grüne konnten sich bei Migrationsfragen blitzschnell zu allerlei Scheußlichkeiten durchringen, auch das Rentenpaket ist für Leute meiner Generation ein weiteres Folterinstrument, war politisch für beide aber überhaupt kein Problem. Einen Anlauf dazu, Vermögen und Erbschaften ebenfalls an den notwendigen Einnahmen zu beteiligen, hat man in der Ampel allerdings nicht einmal gefordert, geschweige denn versucht. Wenn Ex-Regierungsparteien nun mit Wahlkampfthemen „spürbarer“ Politik punkten wollen, empfinde ich das fast als beleidigend. Die Ampel ist besser als ihr Ruf, hat am Maßstab „spürbarer“ Politik aber derart versagt, dass wir froh sein können, wenn Merz eine Regierungsmehrheit ohne AfD und BSW hinbekommt.

In eurer Position als Polit-Podcast finde ich gut, dass auch Forderungen formuliert werden. Oftmals fühle ich mich dabei aber an philosophische Elfenbeinturm-Diskussion aus dem Studium erinnert: Interessant, teils spannende Konzepte, in die man sich gedanklich eingraben kann, aber fernab jeder Realität. Jedenfalls mir würde es die Beimischung von ein bisschen Realismus erträglicher machen, sich diese Ideen anzuhören.

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@flzflz erstmal teile ich viele deiner Einschätzungen.

Das stimmt allerdings nicht. Sowohl SPD, als auch Grüne haben Vermögens- und höhere Erbschaftssteuern in ihren Partei- und Wahlprogrammen. Fakt ist aber, dass es dafür bei der letzten Bundestagswahl keine politischen Mehrheiten gab. Daran sind aber kaum jene Parteien schuld, die es ja eigentlich umsetzen wollen.

Wichtig wäre hier mehr politische Agitiation für solche Maßnahmen – zum Beispiel von Menschen wie dir. Das soll natürlich kein Vorwurf an dich oder „Victim Blaming“ sein. Aber ich persönlich versuche schon seit mehr als 10 Jahren jeden Gesprächspartner von Vermögens- und Erbschaftssteuern zu überzeugen und höre viel zu oft „brauchen wir nicht, ist schädlich“ als Antwort. Und das ist auch ein Ergebnis davon, dass hier zu wenige Menschen in unserer Gesellschaft öffentlich und nachdrücklich Position beziehen.

Sowohl Vermögens-, als auch Erbschaftssteuern können mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag eingeführt und verändert werden. Noch Anfang 2022 hätte es dafür mit einer nach den Umfragen damals bestehenden Mehrheit für Rot-Grün gereicht. Die Chance für eine passende politische Konstellation in den nächsten Jahren liegt weit über 0 – selbst bei der kommenden Wahl. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass für solche Politik Stimmung gemacht wird und dafür sind Plattformen wie die Lage sehr wichtig.

Warum? Natürlich kann man immer sagen „ihr habt in der Regierungsverantwortung nicht genug gemacht“. Das ist völlig legitim und nachvollziehbar.

Aber bei einer Maßnahme wie der Vermögenssteuer, die ja nicht mal im Koalitionsvertrag stand, kann man den Grünen und der SPD meiner Ansicht nach keinen Vorwurf machen. Politik ist kein Wunschkonzert. Wenn bei der letzten Bundestagswahl keine politische Mehrheit für höhere Steuern auf Vermögen da war, dann ist das kaum ein Versagen jener Parteien, die damit Wahlkampf gemacht haben (ich wiederhole mich).

Ich würde mich der Kritik von Dirk und Ulf anschließen, dass Scholz die Gretchenfrage schon vor einem Jahr nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zur Schuldenbremse hätte stellen müssen. Da gibt es meiner Ansicht nach ein klares politisches Versagen. Dass jetzt von SPD und Grünen wieder mehr soziale Themen in den Vordergrund gestellt werden finde ich dagegen folgerichtig (wenn auch zu spät) und keinen Grund für Vorwürfe.

Mein Tipp: mit dem Mietvertrag zum Mieterschutzbund gehen und ihn juristisch prüfen lassen. Es ist nicht einfach, einen Indexmietvertrag „wasserdicht“ zu verfassen. Eure Chance, dass es darin juristische Fehler gibt, die die Mietanpassung aushebeln, ist real.

Außerdem hebt auch ein Indexmietvertrag die Mietpreisbremse und sonstige Begrenzungen (z.B. Mietwucher) bei der Anhebung von Mietpreisen nicht auf.

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Das Beispiel fand ich auch sehr wild. Da gibt’s sicher besseres, siehe die Beispiele https://talk.lagedernation.org/t/ldn-405-wahlkampf-debatte-ueber-wirklich-sinnvolle-themen/25718/8

Eine Einkommensteuerverschiebung in den mittleren bis oberen Einkommen würde deutlich mehr dazu eintragen, dass sich Arbeit wieder lohnt. Gleichzeitig Einkommen aus Kapital deutlich mehr besteuern, auch progressiv.
Whatever. Die Konzepte sind bekannt.
Es fehlt an der politischen Mehrheit. Um diese zu erreichen muss man die Themen in den Diskurs bringen und emotionalisieren und nicht trocken diskutieren.
Verstehe den Frust und verstehe nicht wieso es dafür keine Mehrheiten gibt. Das System der Kompromisse in Koalitionen in einer Demokratie muss man auch verstehen und kann es den Parteien nicht immer als negativ anrechnen, wenn man ihnen vorher keine Mehrheit. Erschafft hat.

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Diese Zusammenfassung verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Wir versuchen ziemlich konsequent, konstruktive Vorschläge zu machen, was sich politisch ändern müsste. Warum würde es die Situation für dich erträglicher machen, wenn wir dann zugleich sagen würden, dass das leider alles nicht passieren und Merz uns in die Neunzigerjahre zurückführen werde? Schafft das nicht eher deutlich mehr Frustration?

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11 Beiträge wurden in ein neues Thema verschoben: Ist die Linke wählbar?

Ich komme Mal wieder auf den Ausgangspost zurück. In der Wochendämmerung wurde die Studie der Hans-Böckler Stiftung angesprochen.

https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-sorgen-um-lebensstandard-strahlen-bis-in-mittelschicht-aus-64567.htm

80% aller Menschen in den vier untersuchten Bevölkerungsgruppen (die gingen bis zu einem Einkommen von maximal 3360€/Monat) haben keine Ersparnisse. Heißt du bist kein Einzelfall @flzflz.
Ehrlich gesagt finde ich diese Zahl sehr erschreckend und kann mir nicht vorstellen, das diese Brisanz in der Politik angekommen ist.

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Ein Beitrag wurde in ein existierendes Thema verschoben: Ist die Linke wählbar?

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Vielen Dank für die Kommentare. Dass die hier angesprochenen Reformen mit der FDP nicht möglich waren, stimmt natürlich, darum ging es mir aber nicht. Mein Punkt bezog sich darauf, dass diese Themen als Wahlkampfthemen riskant, weil offensichtlich unrealistisch sind.

Vielen wird man weitreichende soziale Reformen schon nicht erklären können. Ich kann mir auch wahnsinnig gut vorstellen, warum man diese Konzepte in Deutschland lieber in der Schublade behält. Schon bei der Wärmepumpe hat die Springerpresse eine unglaubliche Kampagne gefahren, wie das bei Reform von Vermögens- und Erbschaftssteuer aussähe, kann ich mir kaum vorstellen. Leider wirkt das und die Lagehörerschaft allein geht nicht an die Urne. Ich kann ja nicht mal meiner Mutter erklären, warum sie seit Jahren gegen ihre eigenen Interessen wählt.

Selbst Wähler, die den Forderungen zustimmen, glauben nicht ernsthaft, dass davon etwas umgesetzt wird. Dass SPD und Grüne Steuerreformen schon länger im Parteiprogramm haben, mag ja der parteiinternen Beschlusslage entsprechen, das liest aber kein Mensch bzw. findet es medial nicht statt. Dass Politik „nun mal kein Wunschkonzert“ ist, ist genau mein Punkt. Selbst wenn SPD und Grüne an einer nächsten Regierung beteiligt wären, dann als Juniorpartner der Unionsparteien. Dass dort Erbschafts-/Vermögenssteuern/Mieterschutz/… auch nur angesprochen würden, ist ausgeschlossen. Auch in der Ampel haben sie diese Themen nicht ernsthaft auf die Agenda gesetzt (unabhängig davon, ob irgendwas umgesetzt wird). SPD und Grüne haben sich bei jedem Vertrauensbruch der FDP wieder und wieder für den Koalitionsfrieden entschieden, anstatt das als Gelegenheit zur Werbung für eigene, progressivere Politik zu nutzen, die den Streit ggf. eskaliert hätte. Ich kann das strategisch verstehen und will es im Ergebnis gar nicht kritisieren. Man muss aber entweder früher die Reißleine ziehen oder seinen Frieden damit machen, dass die Leute einen bei der nächsten Wahl eben daran messen. (Das war im I.Weber-Interview sogar der Kontext von US-Wahlen und dem Vergleich mit Deutschland.)

Was daraus für die Lage folgt, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Vielleicht ist es nur meine stumpfe Frustration. Was für mich persönlich erträglich ist oder nicht, ist ja nicht eure Sache. Ich habe den Beitrag recht impulsiv gepostet, weil mir selbst aufgefallen ist, dass ich (ganz subjektiv) mittlerweile gereizt auf diese Themen reagiere, obwohl sie politisch meiner Meinung entsprechen. Vielleicht ein Beispiel: Das Interview mit Katharina Beck habe ich gehört und fand sie als Gesprächspartnerin wirklich toll und inhaltlich überzeugend. Da ging es sogar um ihre Befürchtung, dass diese Themen sofort „verhetzt“ werden. Sehe ich auch so (s.o.). Dass vermögende Interessen eine große Medienmacht haben, ist aber ein alter Hut. Was folgt daraus? Frau Beck hat ganz klar gesagt, dass in den letzten Koalitionsverhandlungen Prioritäten zu setzen waren und ihnen der Ausbau der Erneuerbaren wichtiger war. Okay. Erwarten die SPD und Grüne in naher Zukunft eine ähnliche Gelegenheit wie 2021? (Zzt beide zusammen bei ca. 25 %) Falls ja, werden die Prioritäten dann anders gesetzt? Kann man in Deutschland eine Mietendeckelung oder eine Erbschafts- und Vermögenssteuerreform durchsetzen, wenn man dafür die Erneuerbaren/andere Themen opfert? Will man das? An den Antworten wäre ich schon interessiert gewesen.

An meiner Wahlentscheidung ändert das nichts. Ich befürchte aber, dass die Maximalforderungen wie „Dein Vermieter baut dir eine Wärmepumpe ein“ von unentschiedenen, vielleicht „links-offenen“ Wählern als Luftschlösser durchschaut werden und eher dazu führen, dass sie innerlich abschalten und bei der Wahl zu Hause bleiben. (Meiner anekdotischen Erfahrung nach kriegen viele ihren Vermieter nicht mal dazu den Schimmel dauerhaft zu entfernen und ertragen die Situation lieber, als sich eine neue Bleibe zu suchen.) Auf der Grundlage halte ich diese Themen für gefährlich, wenn man sich nicht gleichzeitig ehrlich macht. Ja, m.E. gehört dazu, dass eine Umsetzung nicht realistisch ist und den „linken Parteien“ andere Themen im Zweifel ggf. wichtiger sind (die ich auch für wichtig halte!). Das mag frustrierend sein, wäre aber ehrlich. Die Tür war kurz offen, jetzt ist sie halt erstmal zu.

Klar, ich leite das nur aus meiner eigenen Wahrnehmung/Reaktion ab. Vielleicht und hoffentlich liege ich daneben und die 2022-Mehrheit für Rot/Grün ist total greifbar und es braucht nur noch ein Steuerreform-Interview mehr. Mir fällt nur auf, dass viele die eingetretene Teuerung und die Reallohnverluste deutlich spüren, auch weil der Vergleich zu wenigen Jahren vorher so deutlich ist. Die politische Kommunikation beschränkt sich aber darauf, sich für die Stabilisierung der Inflation zu loben. Ich sehe für 2025 daher weder eine rot-grüne Regierung, noch dass mein Vermieter mir auf seine Kosten in absehbarer Zeit eine Wärmepumpe einbaut.

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Der Unterschied zum Schimmel wäre, dass es Fördergelder seitens des Staates geben sollte, wenn ich richtig verstanden habe. Wenn es ihm bezahlt wird, wird der Vermieter vielleicht gern eine einbauen.

Den Frust verstehe ich. Aber ist Aufgeben eine Option? Ich finde nicht. Mittlerweile denke ich, dass die Veränderungen aus der Zivilgesellschaft kommen bzw. angestoßen und verlangt werden müssen.

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Würdest du insgesamt dafür plädieren, dass Grüne und SPD nur noch für solche Themen Wahlkampf machen, die absehbar als Juniorpartner in einer Regierung mit der CDU umsetzbar sind? Das schiene mir unklug. Durch das Aufstellen von eigenen, starken Forderungen wird auch Verhandlungsspielraum geschaffen, der dann in Koalitionsverhandlungen genutzt werden kann. Wenn SPD und Grüne bereits im Wahlkampf nur das mit einer CDU Machbare forderten, dann wären diese Forderungen der Ausgangspunkt in Verhandlungen mit der CDU, von dem aus sich SPD/Grüne auf die CDU zubewegen müssten, und das Ergebnis wäre eine programmatisch noch CDU-lastigere Regierung. So zumindest meine Befürchtung.

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Gibt es irgendwen außer Putin und seinen Getreuen die diesen Krieg nicht verabscheuen?

Ich finde diese Aussage ziemlich grenzwertig, da sie allen die die Unterstützung der Ukraine befürworten zu Kriegstreibern macht und somit dann doch wieder Putins Narrative bedient.

Es ist doch nicht die Ukraine die den Krieg begonnen hat, Kriegstreiber sind also im Endeffekt alle die Putin „bedienen“, denn es dürfte wohl klar sei dass, wenn Putin „gewinnt“ in der Ukraine nicht Schluss sein wird, dann gibt es für Putin nur eine Kriegspause zum Auffüllen der Arsenale bevor er den nächsten Krieg beginnt.

Danke für deinen Kommentar. Nein, natürlich braucht man Positionen, mit denen man in Verhandlungen geht.

Aus Parteiensicht bezweifle ich aber, ob diese Themen als zentrale Wahlkampfinhalte geeignet sind. Beide Parteien sollten sich bewusst sein, wie sich die Lage vieler Menschen während ihrer Regierungszeit entwickelt hat. Dabei können sie sich die Frage stellen, ob sie in Regierungsverantwortung bei der Bevölkerung den Eindruck erzeugt haben, ihre Situation zu sichern oder zu verbessern. Wenn das nicht so sein sollte, wird es sehr schwer, das vorherige Wahlergebnis zu halten oder zu verbessern. Das ist total unfair, weil die SPD und Grüne sich Inflation und die FDP nicht gewünscht haben und auch den Ukrainekrieg nicht angefangen haben (wobei die SPD sich schon Fragen zu ihrer Russlandpolitik gefallen lassen muss). Wie in vielen anderen Ländern dürften die bestehenden Regierungsparteien dafür trotzdem abgestraft werden. Vor diesem Hintergrund befürchte ich, dass sich nicht viele Leute brennend dafür interessieren werden, welche Steuerkonzepte SPD und Grüne umsetzen würden, wenn sie in Alleinverantwortung wären (mich eingeschlossen).

Wahrscheinlich hätte man weit vorher schon die FDP rausschmeissen, bis zu Neuwahlen so lang wie möglich konsequent linke Politik einbringen und so eine echte Stimmung für Rot-Grün schaffen müssen. Ob das geklappt hätte, wer weiß. Man hat es aber nicht versucht, sondern Zeit verschwendet und wieder und wieder Minimalkompromisse mit der FDP gesucht. Dafür gibt es berechtigte Gründe, es hat aber auch seinen Preis. Alle sind genervt, Union bei über 30 %, von AfD und BSW ganz zu schweigen.

Ich weiß auch nicht, wie man das jetzt durch Wahlkampf korrigieren soll oder wie eine überzeugende, positive Message aussehen könnte. Vermutlich gibt es keine, zumal die Zeit bis zu den Neuwahlen sehr begrenzt sein wird. Katharina Beck hat deutlich formuliert, dass Umweltpolitik 2021 die größere Priorität gegenüber sozialen Aspekten hatte. Ich habe nicht den Eindruck, das sich daran etwas geändert hat. Immerhin weiß man so, woran man ist und was man erwarten kann. Für die Grünen sind Umweltthemen als Parteikern wichtiger, dort besteht auch mehr Kooperationsspielraum mit Schwarz-Gelb und so mehr Chance auf Regierungsverantwortung und Umsetzung. Wenn Habeck sich jetzt noch der Union annähert, braucht man daher zeitgleich keinen Wahlkampf mit sozialen Inhalten machen. Ich erwarte dann halt die nächsten steuerfinanzierten Zuwendungen für Leute, die sich ein E-Auto leisten können oder ihr Eigenheim sanieren wollen, und mehr eben nicht. Von Katharina Becks Steuerplänen wird man spätestens ab dem Wahltag nichts mehr hören. Mit Glück lässt sich die CDU darauf ein, dass die Steuerfreiheit beim Vererben von 300 Wohneinheiten ab 2035 erst ab 500 Wohneinheiten greift. Das ist dann die große Erbschaftssteuerreform und das Thema ist tot.

Aus Sicht eines Medienkonsumenten finde ich Fragen nach einem realistischen Pfad zu einer Umsetzung und zur Gewichtung verschiedener Themen berechtigt. Wenn ich als Antwort höre, dass es die Meinungsmacht reicher Menschen schwierig macht, dürfen die Fragen da eben nicht aufhören. Was ist man bereit zu opfern, welchen Stellenwert haben soziale Reformen in Verhandlungen gegenüber anderen Themen? Dass wir uns alle an den Händen fassen und gemeinsam die BILD blöd finden, reicht nicht.

P.S.: Ich hatte meinen ursprünglichen Beitrag als Kommentar unter das I.Weber-Interview-Thema gepostet, da ist jetzt irgendwie ein eigener Beitrag draus geworden, die etwas drastisch formulierte Überschrift ist nicht von mir. Habe mich gestern erst angemeldet und weiß noch nicht so recht wie das hier läuft.

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Verstehe ich nicht. Wo macht das Menschen zu Kriegstreibern? Mal abgesehen davon, dass ich inhaltlich nicht widersprochen habe, sondern nur aus einer Kommunikationstheoretischen Perspektive.

Ihr entfernt euch vom Threadthema…

Dem Satz „Soziale Reformen sind unrealistisch“ würde ich erstmal zustimmen. Ich glaube aber, bevor wir realistischer werden, sollten wir uns die Frage nach dem „Warum“ stellen.
Warum gibt es nicht genug Wähler dafür? Und als nächste Frage dann: Wie ändert man das?

Mögliche Szenarien:
a) Die Anzahl der Leute, die wirklich soziale Reformen benötigen ist zu klein. Das wäre einerseits fein, weil es dann den meisten gut geht. Würde gleichzeitig aber ein finsteres Licht auf die Bevölkerung werfen, weil es der Mehrheit egal ist, dass es da noch ein paar arme Schlucker gibt.

b) Es ist eben genau umgekehrt: allein die Leute, die von einer entsprechend ausgestalteten Erbschaftssteuer, einer Einkommenssteuerreform, einer Vermögenssteuer, einem Mietendeckel, etc. und den dann möglichen Investitionen profitieren würden, würden ausreichen um eine demokratische Mehrheit zu stellen und die Themen durchzusetzen. Dann stellt sich die Frage „Warum?“ ja noch viel mehr.

Ohne es wissenschaftlich erhoben zu haben, würde ich annehmen, das These b) näher an der Realität ist und die Frage ist, wie geht das zusammen?
Ich nehme mal an, es gibt mehrere Gründe:

  1. Es gibt Leute, die glauben immer noch, dass einfach die Wirtschaft laufen muss. Dann kommt das schon bei ihnen an. Das ist aber nicht Ziel der Wirtschaft, wie wir sie betreiben. Isabella Weber hat ja in der Lage herausgearbeitet, dass das allein auch nicht ausreichend ist.
  2. Die Leute lassen sich einreden, dass sie mit einem kleinen Häuschen und zwei Autos schon zu den Gebern gehören würden.
  3. Die Leute glauben, die Wirtschaft bricht zusammen, wenn wir uns vom Neoliberalismus abwenden.
  4. Es wird als „Sozialismus“ oder „Kommunismus“ geframed, was auch jede Diskussion beendet.

Und dann sind da noch die beinharten Rechtsextremen, die eh nicht in so Kategorien denken.

Ich habe aber immernoch keine Idee, wie man das ändert.

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Gegen Punkt 2 könnte man schon vorgehen, wenn man jedes Mal konsequent widerspricht, dass man nicht ab Einkommen X bereits zu den Reichen gehört und darauf aufmerksam macht, dass Einkommen ≠ Vermögen
Das ist in den Köpfen einfach nicht drin und deckt sich halt mit der kapitalistischen Einstellung, dass Vermögen erarbeitet ist. Auch da müsste man klar machen, dass es das eben meistens nicht ist.
Punkt 1, 3 und 4 sind da aufwendiger, da muss man jahrzehntelang akzeptierte Regeln aus den Köpfen kriegen.

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Ich kann den in diesem Thread geäußerten Frust über die geringe Realisierungswahrscheinlichkeit sozialer Reformen sehr gut nachvollziehen – ging mir ähnlich wie @ flzflz beim Hören dieser Folge. Aber ich will mal einen Schluck Wein in den Wasserschlauch gießen:

Vor ein paar Wochen ist mir ein Papier von zwei CDU-BT-Abgeordneten zur Reform der sozialen Sicherungssysteme begegnet, das mich sehr überrascht hat.

Siehe: https://zukunft-sozialversicherung.de/wp-content/uploads/2024/03/Das-Konzept_Sozialversicherungen.pdf

Grundidee: Zur Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme werden nicht nur die Löhne der abhängig Beschäftigten herangezogen, sondern alle Einkünfte, also auch Kapitaleinkünfte. Auch die Beitragsbemessungsgrenze soll abgeschafft werden. Dadurch könnten die Sozialabgaben auf Löhne und Gehälter deutlich sinken, was vor allem weniger verdienende Arbeitnehmer entlasten würde. Und überhaupt würde dadurch der Faktor Arbeit entlastet, und arbeitsintensive Betriebe würden besonders profitieren. Das einzige Punkt in diesem Konzept, wo ich nicht nicht mitgehen kann, und der auch nicht schlüssig begründet ist, ist der weitgehende Wegfall der Erbschaftssteuer.

Aber abgesehen davon, finde ich das Konzept sehr interessant und auch für Rot-Grün anschlussfähig. Ich weiß aber nicht, in wie weit das innerhalb der CDU mehrheitsfähig ist. Aber vielleicht wäre das mal ein Interview mit den beiden CDU-MdBs in der Lage wert.

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Die konstruktiven Vorschläge, welche oft auch noch VWL mäßig durch Gäste gestützt werden, zeigen schon einen Weg auf.
Ob diese dermaßen Unrealitisch sind, weiß ich gar nicht.
Alleine die Zahlen werden irgendwann keinen anderen Weg mehr zulassen.
Nehmen wir Möglichkeit konstruktiv etwas zu verändern. Der Sozialhaushalt ist dermaßen groß, dass es kaum noch Möglichkeiten gibt strukturelle Änderungen zu finanzieren (außer die Schuldenbremse wird reformiert).
Beim Mietrecht war ich lange zwiegespalten, aber alle bis heute angewandten Instrumente haben versagt!
Und irgendwann wird auch die Union einsehen, dass die Ausgaben der Mieter gemessen an ihrem Einkommen zu hoch sind, was wiederum negative Effekte auf den Konsum hat, was wiederum der Wirtschaft nicht hilft. Dies als Beispiel.

Persönlich denke ich, sobald die Schuldenbremse reformiert wird (Investitionen werden ausgenommen) werden all diese Konzepte realitisch. Der ARD Presseclub von heute hat oft ähnliche Argumente besprochen.
Dazu besteht ja zwischen den Parteien, sogar der FDP die einheitliche Meinung, dass
die Infrastruktur dringend Investitionen in Milliardenhöhe braucht (ob 200 oder 400 Milliarden ist dabei egal)
die Bundeswehr mehr Mittel (mindestens 2% BIP) benötigt
die Transformation in die CO2 Neutralität erfolgen muss (der CO2 Handel kann funktionieren, aber der Preis für die Bevölkerung wäre zu hoch, ab 2030)
die Schulen dringend modernisiert werden müssen
Das wird aus dem laufenden Haushalt niemals zu finanzieren sein, auch wenn sich das viele in der Union und FDP wünschen.
Aus diesen Gründen halte ich die Vorschläge nicht für komplett unrealitisch (Ausnahme: Vermögens- und Erbschaftssteuer, die halte ich allerdings für komplett unrealitisch, dafür ist auf absehbare Zeit keine Mehrheit zu finden)