Ich wollte zu der Besprechung der Themen Mietrechtsreform, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und „spürbarer“ Politik im Allgemeinen mal ein Hörer-Feedback geben: Ich stimme euren Forderungen weitgehend zu, kann mir das alles aber leider nicht mehr anhören und wollte mal aufschreiben warum. Es ist eine sehr individuelle Wahrnehmung, mit der es einigen aber vielleicht ähnlich geht.
Sowohl zur Finanzierung dringend notwendiger Investitionen als auch aus einer puren Gerechtigkeitsperspektive sind es evident berechtigte Forderungen, die für viele Leute wirklich relevant wären. Ich zähle mich dazu, meine Situation entspricht meiner subjektiven Wahrnehmung nach auch der vieler meiner Bekannten: Meine Partnerin und ich haben im Studium am Existenzminimum gelebt, nun lange Ausbildungen hinter uns und starten mit Anfang/Mitte 30 in den Beruf. Wir leben in einer Großstadt, zahlen Indexmiete an eine Erbengemeinschaft und sind inflationsbereinigt in den letzten Jahren deutlich ärmer geworden. Miete ist - insbesondere nach der Inflation der letzten Jahre - mit Abstand der größte Posten in unserem Haushaltsbudget. Ich arbeite deutlich mehr als 40 Stunden, verdiene aber auch oberhalb des Durchschnittseinkommens und zahle davon nach meinen Lebenshaltungskosten in einen ETF-Sparplan und meinen Studienkredit ab. Von dem Rest gehe ich einmal im Monat essen, fahre einmal im Jahr in den Urlaub, sehe aber sonst keinen größeren Meilenstein, auf den ich mich freue. Da die Mieten hier schneller steigen als der Verbraucherpreisindex, wäre ein Umzug sogar die schlechtere Option. Völliger finanzieller Wahnsinn wäre es, Kinder zu bekommen und so Einkommen zu verringern, während gleichzeitig das Wohnraumbedürfnis steigt. Wir haben bis auf drei Nettogehälter-Notgroschen kein Vermögen, werden nichts erben und haben die Idee, durch Eigentumserwerb aus der Mieterrolle auszusteigen, begraben. Was passiert, wenn eines unserer Elternteile pflegebedürftig wird, weiß ich nicht. Damit nagen wir nicht am Hungertuch und sind insgesamt wohl sogar privilegiert. Ich und viele meiner Bekannten haben die vielleicht naive Vorstellung, irgendwie zur „Mitte“ zu zählen. Wie die alleinerziehende, Teilzeit arbeitende Person an der Supermarkt-Kasse hier überlebt, ist mir schleierhaft. Meine Nachbarin hingegen ist sehr nett, arbeitet an zwei Nachmittagen in der Woche als Schwimmlehrerin und hat 60 Eigentumswohnungen geerbt. Sie geht viel mit dem Hund raus und fängt jetzt eine Ausbildung zur Yogalehrerin an. Ich gönne ihr alles Glück der Welt, aber wenn ich die Worte Leistungsgesellschaft (FDP, CDU) oder soziale Mobilität (SPD) höre, wird mir schlecht. Wählen gehe ich nur noch, um gegen die AfD zu stimmen.
Im Studium fand ich politische Themen lange spannend und war ein bisschen stolz darauf, Bescheid zu wissen und auf dem Laufenden zu bleiben. Vermutlich während der Corona-Pandemie hat mein Interesse spürbar abgenommen. Wenn in Ökonomen-Interviews der Lage die Sprache auf die Deckelung von Mieten oder auf eine Reform der Vermögens- oder Erbschaftsbesteuerung kommt, schalte ich sofort zum nächsten Podcast. Dem Interview mit Isabella Weber habe ich eine Chance gegeben, aber bei der Forderung nach einem Mieteranspruch auf einen Wärmepumpen-Einbau wollte ich mir die Haare raufen.
In welcher Welt sollen das realistische Vorhaben sein? Wer soll diese Vorhaben umsetzen? Mit dem nächsten Kanzler Merz sind Reformen speziell in diesen Bereichen oder eine „spürbare“ Politik im Allgemeinen mindestens für die nächsten 10 Jahre abgeräumt, egal wer pro forma Koalitionspartner wird. Selbst als Wahlkampfthema „linker“ Parteien sind diese Forderungen maximal ungeeignet: Die Teilmenge der Wähler, die nicht durch die Migrationsdebatte emotionalisiert ist, hat keine Erfahrung gemacht, auf deren Grundlage sie solche Projekte für glaubhaft halten könnte: SPD und Grüne konnten sich bei Migrationsfragen blitzschnell zu allerlei Scheußlichkeiten durchringen, auch das Rentenpaket ist für Leute meiner Generation ein weiteres Folterinstrument, war politisch für beide aber überhaupt kein Problem. Einen Anlauf dazu, Vermögen und Erbschaften ebenfalls an den notwendigen Einnahmen zu beteiligen, hat man in der Ampel allerdings nicht einmal gefordert, geschweige denn versucht. Wenn Ex-Regierungsparteien nun mit Wahlkampfthemen „spürbarer“ Politik punkten wollen, empfinde ich das fast als beleidigend. Die Ampel ist besser als ihr Ruf, hat am Maßstab „spürbarer“ Politik aber derart versagt, dass wir froh sein können, wenn Merz eine Regierungsmehrheit ohne AfD und BSW hinbekommt.
In eurer Position als Polit-Podcast finde ich gut, dass auch Forderungen formuliert werden. Oftmals fühle ich mich dabei aber an philosophische Elfenbeinturm-Diskussion aus dem Studium erinnert: Interessant, teils spannende Konzepte, in die man sich gedanklich eingraben kann, aber fernab jeder Realität. Jedenfalls mir würde es die Beimischung von ein bisschen Realismus erträglicher machen, sich diese Ideen anzuhören.