Hier im Forum gab es die Diskussion durchaus an einigen Stellen, aber politisch ist die Idee wohl nicht mehrheitsfähig. Zum einen würde die nächste CDU-Regierung diese Wahlrechtsreform ganz sicher wieder zurückdrehen, zum anderen gibt es auch in den anderen Parteien Befürworter des Mehrheitswahlrechts, gerade auch bei der SPD, die neben der CDU am meisten davon profitiert.
Persönlich gebe ich dir Recht - Mehrheitswahlrecht ist - wenn überhaupt - aus meiner Sicht nur dann demokratisch, wenn es zwingend eine Stichwahl gibt, denn andernfalls läuft es zwangsläufig auf ein Zwei-Parteien-System hinaus und das halte ich nur für sehr begrenzt besser als Ein-Parteien-Systeme…
Bei der Wahlrechtsreform dürfte es der Ampel jetzt aber darum gehen, eine Reform so auszugestalten, dass man der nächsten CDU-Regierung keine Vorwände bietet, mit denen sie eine weitere Reform gegenüber dem Wähler rechtfertigen könnte. Denn die „Gefahr“ der massiven Aufblähung des Bundestags gibt der Ampel eine argumentative Grundlage, das Wahlrecht zu reformieren, eine ähnlich starke Begründung für eine Reform will man der CDU definitiv nicht liefern. Eine drastische Änderung des Wahlrechts zum reinen Verhältniswahlrecht könnte hingegen so ein Vorwand sein.
Bisher galt der Kompromiss, dass sich die Parteien, auch wenn das Wahlrecht durch einfaches Gesetz und damit einfache Mehrheit geändert werden kann, auf ein neues Wahlrecht einigen, daher eine Regierung nicht ihr bevorzugtes Wahlrecht mit einfacher Parlamentsmehrheit durchdrückt. Diesen Kompromiss kündigt die Ampel nun vermutlich auf, dementsprechend groß ist die Befürchtung, die Union könnte, wenn sie das nächste Mal regiert, zurückschlagen.
Die grundsätzliche Problematik ist, dass das Grundgesetz keine Vorschriften über die konkrete Ausgestaltung der Wahl macht, ein reines Mehrheitswahlrecht daher ebenso zulässig wäre wie ein reines Verhältniswahlrecht. Würden sich also CDU und SPD verbünden und ein reines Mehrheitswahlrecht beschließen, wäre es sehr spannend, zu sehen, ob das BVerfG den Mut und die Argumente findet, dies zu untersagen. Ich würde es hoffen, aber nicht darauf wetten. Denn faktisch würde ein Mehrheitswahlrecht die Chancengleichheit der Parteien nahezu völlig aushebeln, weil faktisch ein Mehrheitswahlrecht immer zu einem Zwei-Parteien-System führt.
Kurzum:
Die Ampel wird eher vorsichtig agieren und eine Änderung des Wahlrechts, die der Union zu sehr auf die Füße tritt, eher vermeiden. Die Abschaffung von Überhangmandaten (und damit dem unfairen Vorteil) ist schon eine dicke Kröte für die Union, die Abschaffung des gesamten Mehrheitswahlrechts (und damit die Abschaffung aller Vorteile) hingegen wäre für die Union absolut inakzeptabel.