Sonderstellung der CSU (Anlass Wahlrechtsreform)

Wenn die CSU jetzt zum CDU Ladesverband werden würde, dann hätte sie immer noch genau so viele Abgeordnete im Parlament und genau so viele Direktmandate, die ausgeglichen werden müssten. Die Abgeordneten wurden ja nicht von Gottes Gnaden für den Bundestag erkoren, sondern ordentlich gewählt. Und dass ein Landesverband, der über 50 Jahre eine absolute Mehrheit im Landtag hatte, keinen großen Einfluss auf die Politik der Bundespartei hat, ist dann doch relativ unwahrscheinlich.

Das stimmt (und das ist auch der Punkt, den ich weiter oben angesprochen habe), aber hier wurde ja als Kritik eingebracht, dass die Union oft im „Doppelpack“ auftritt, und damit wäre es dann vorbei.

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Der ganze Grund für die Wahlrechtsreform ist dass die CSU so viel Überhangmandate gewinnt aber ihre Macht sprich, der Stimmenanteil in Bayern gesunken ist.

Die ganze Diskussion über einen zu großen Bundestag wäre erledigt, wenn endlich in Bayern auch andere Parteien direktmandate gewinnen würden. Allerdings dürfte das schwierig werden, weil um dieses Problem der überhangmandate nicht entstehen zu lassen, müsste die CSU ungefähr ein Drittel der wahlkreise nicht mehr gewinnen.

Und die Antwort auf die Frage, warum die CSU so uneinholbar stark in Bayern ist, liegt eben darin begründet, dass die CSU für Bayern in der nationalen Politik ständig Extrawürste heraus holt.

Wie gesagt, gäbe es mehrere solche Konstruktionen, das ganze System würde daran krepieren. Man stelle sich vor, jedes Bundesland hätte eine Partei alá CSU, die als Teil von CDU oder SPD ständig versuchen würde, Vorteile für ihr Bundesland rauszuschlagen. Dass es diese Konstruktion nur in Bayern gibt, führt dazu, dass Bayern konsequent Vorteile gegenüber anderen Bundesländern hat und einen massiven Aufstieg vom rückständigen Agrarland zum Industriestandort geschafft hat.

Natürlich wählen die Leute in Bayern deshalb weiter die CSU. Selbst manche nicht-konservative Bayern wählen die CSU, einfach nur, weil eine starke CSU bedeutet, dass bayrische Interessen in der Bundespolitik stärker vertreten werden. Und das ist inhärent unfair gegenüber den anderen Parteien, es ist ein massiver Vorteil, den die CSU hier hat. Ein Vorteil, der meines Erachtens mit der Chancengleichheit der Parteien nicht zu vereinbaren ist.

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Doch, da gibt es eine Originalquelle, aus Münchner Merkur vom 15.9.21
„In seiner langen Rede beim CSU-Parteitag, die die Delegierten mit Applaus feierten, erwähnte Söder immer wieder Parteikollegen und Minister. Als es um den Klimaschutz geht, sagte der bayerische Ministerpräsident: „Wir wollen neue Antriebe, Andi Scheuer: Elektro, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe.“ Und dann: „Du hast uns viel Geld nach Bayern gebracht.“ Das wollte der Parteivorsitzende dann auch noch einmal ganz deutlich machen: „Bei allem, was der ein oder andere kritisiert an dem Andi Scheuer: Ich kenne wenige Minister, die so viel Geld nach Bayern holen, wie der Andi Scheuer. Auch das muss man einfach mal in der Bilanz ehrlicherweise bitte nach draußen sagen.“ Applaus in der Halle.“

Es ist einfach grotesk, was die Kerle sich erlauben. Diesen Auszug müsste man jeden CSUler fünf mal um die Ohren hauen - und fragen, ob er jetzt eine Vorstellung von Demokratie und Fairness hätte.

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Ich bin gerade eben (da hatte ich den Themenvorschlag hier noch gar nicht gesehen :see_no_evil:) zum Thema Wahlrechtsreform (LdN319 Gesetzentwurf für Wahlrechtsreform) auch bei der CSU als Hauptproblem gelandet und mit einer ähnlichen Frage verblieben:

Wie CDU und CSU sich intern organisieren bzw. wie sie miteinander umgehen ist meiner Meinung nach deren Sache, da kann und sollte denen keiner reinreden.
Aber dass eine Partei sich lediglich in einem Bundesland verantworten muss, halte ich für kritisch.
Eine Partei, die auf Bundesebene antritt, sollte auch bundesweit zur Wahl stehen müssen.
Das würde dann auch dieses „Wir halten uns als CDU aus Bayern raus“-Agreement unterbinden.
Da würde mich wirklich mal eine (vor allem juristische) Einschätzung interessieren.
Ein „ist historisch so gewachsen, da kann man nix machen“ ist für mich nicht wirklich zufriedenstellen, wenn man die drastische Verzerrung der politischen Landschaft bedenkt, die sich daraus ergibt.

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Hust
SPD Abgeordnete setzt sich für Bundesgelder für den eigenen Wahlkreis ein

Röchel
Grünen Abgeordnete setzt sich für Bundesgelder für den eigenen Wahlkreis ein

Hust
Habeck lässt Gas-Terminal in seinem Bundesland zu 50% durch den Staat fördern

Ich sehe das Problem nicht bei der CSU, sondern bei den anderen Partien im Bundestag - ursächlich bei der CDU, aber eigentlich insbesondere bei der SPD und den Grünen. Die CSU ist eine Regionalpartei wie auch der SSW. SPD und Grüne sollten dementsprechend die CSU schlichtweg konsequent als eigenständige Partei behandeln.

Bei zukünftigen Koalitionsverhandlungen sollten SPD oder Grüne ausschließlich mit der CDU reden (vorausgesetzt eine solche Zweierkoalition hätte eine Mehrheit). Wenn die CDU sich weigert eine Zweierkoalition einzugehen, dann darf sie im Zweifel gerne ihren Wählern erklären, warum sie lieber eine Staatskrise heraufbeschwört als ohne die CSU zu regieren (ggf. ja sogar mit CDU-Kanzler).

Man denke an die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2013: Die SPD wurde „genötigt“ eine unpopuläre „gigantische“ GroKo einzugehen. Warum hat die SPD nicht gefordert, dass dann wenigstens die unnötige CSU nicht an der Regierung beteiligt sein darf? Die Presse hätte es schwer gehabt, irgendetwas Unplausibles an dieser Forderung zu finden.

Wenn die CSU als ernsthafter Kandidat für eine Regierungskoalition ausscheidet (außer ausnahmsweise als die passendste dritte Partei, die zur Mehrheit verhilft), dann würde die CDU sich endlich ernsthaft damit beschäftigen müssen, ob sie auch in Bayern antritt um auch dort (Zweit-)Stimmen zu generieren.

Edit: siehe Kommentar von @Eule, warum das Argument nicht valide für die Bundestagswahl 2017 ist.

Weil CDU und SPD alleine keine Mehrheit im Parlament hatten (353 von 709 Sitzen). :wink:

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@Eule: Mea culpa! Da habe ich wohl meine Argumentationen für 2013 und 2017 vermischt. Die SPD hätte das aber 2013 fordern können (oder mit RRG einfach selbst den Kanzler stellen…).

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Dass sich Abgeordnete für ihren Wahlkreis einsetzen, ist vom System gewollt. Es ist ja gerade die Argumentation, dass jeder Wahlkreis einen Abgeordneten haben soll, der sich für regionale Interessen einsetzt. Halte ich auch für problematisch, war aber bisher so. Und trotz allem sind sowas eher Ausnahmen, daher ist es auch nicht schlimm, wenn im neuen Wahlsystem einzelne Wahlkreise keinen Direktabgeordneten mehr haben.

Wenn jedoch nur ein Bundesland eine eigene Partei hat, welche mächtige Ministerämter wie das des Verkehrsministers besetzt und dieses Ministeramt dann nutzt, um dem eigenen Bundesland massive Vorteile zu bescheren, sollte doch einleuchten, dass das eine etwas andere Situation ist…

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Das stimmt so nicht.
Denn die CSU erringt durch ihre Sonderstellung Wei mehr Direktmandate als ihr nach Zweitstimmen zustehen, denn die Zweitstimmen werden Bundesweit berechnet.
Ja sie kommt über die 5% Hürde aber nach Direktmandate bräuchte sie halt wesentlich mehr.
Wäre sie ein CDU Landesverband würden die Direktmandate nicht mehr so durchschlagen weil sie dann im Zweitstimmen Verhältnis besser aufgehen.

Es gäbe also weniger Überhangmandate.

Ist aber nur ein Teil des Problems. Schaut man sich die Ergebnisse der letzten Whlen an, ist es so, dass die beiden großen CDU und SPD inzwischen deutlich mehr Wahlkreise direkt gewinnen als sie nach Zweitstimmen Plätze bekommen.
Es ist also nicht mehr nur ein reines CSU Problem, sondern der Tatsache geschuldet, dass die kleinen Parteien bei der Erststimme eine untergeordnete Rolle spielen.

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Was soll das heissen? Entschuldbar, weil andere auch „irgendwas einmal“ heimgeholt haben? Könnte ja sein, dass deine Beispiele auch gerechtfertigte Gelder waren. (Die Sanierung eines Schwimmbades ist schon eher ein Gemeinwohl-Projekt als der Ausbau von Autobahnen in der Zeit da Verkehrswende endlich beginnen soll.)

Die CSU schadet der demokratischen Kultur, indem sie zeigt, dass man mit dem Bruch der Regeln durchkommt, sobald man einen Hebel hat (die Sonderstellung) und man sich nicht schämt, die Menschen im selben Boot zu hintergehen. Das verändert das politische Klima, indem erstens die anderen Parteien sich eher gedrängt fühlen, ähnliche Methoden zu nutzen, und zweitens „lernen“ die Bürger, dass Abgezocktheit u.U. mehr zählt als Fairness.

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Inwiefern die Direktmandate im Zweitstimmenverhältnis besser aufgehen sollen, erschließt sich mir nicht ganz. Wenn die CSU als CDU Landesverband immer noch praktisch alle Direktmandate gewinnt und nur bei ca einem Drittel der Zweitstimmen liegt, würde sich doch nichts ändern, da dann immer noch der „Landesverband“ mit den entsprechenden Sitzen vertreten ist und nach Landeslisten gewählt und ausgeglichen wird. Bitte korrigieren Sie mich, falls ich hier falsch liege.
Nach Ihrer Verständnis müsste die Macht der „Landesverbands“-CSU zusätzlich steigen, da sie bei gleichbleibender Anzahl von Sitzen in einem kleineren Bundestag einen höheren prozentualen Anteil insgesamt und innerhalb der CDU haben.

Natürlich, geht es zwischen der Zuschacherung von Geld zwischen einfachen Abgeordneten an Ihren Wahlkreis und Ministern an ihr Land um unterschiedliche Summen. Anscheinend gehört das aber durch die Bank zum guten Ton, möglichst viel herauszuholen, auch unabhängig davon, ob es sich um Bundes-, Landes- oder Bezirksparlamentarier:innen handelt, solange der Koalitionspartner nicht dagegen ist. Aus der Story um Scheuer 2019 ist ja auch anscheinend nicht viel geworden, bzw. hat sich niemand getraut, dagegen vorzugehen. Laut Zeitungsartikeln, die ich auf die Schnelle gefunden habe, hat sich an der Kritik auch niemand beteiligt, außer die Grünen. (Da würde ich auch gern abwarten wollen, was die neu erworbene Macht über Bundesgeld bewirkt. Das Beispiel Äffner von den Grünen zeigt ja auch die ersten Ansätze und sie hat kein Direktmandat inne.)
Hier also explizit der CSU einen Strick drehen zu wollen, obwohl es sich um ein systemweites, wenn nicht sogar ein biologisches Phänomen handelt, halte ich für zu kurz gegriffen.

Was mich wundert ist, dass es keine Diskussion gibt komplett auf das Direktmandat zu verzichten und nur noch eine Listenwahl abzuhalten. Ein „verwässertes“ Direktmandat ist meiner Meinung nach auch nicht besser als gar keins.

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Da geh ich mit. Ich finde auch die Direktmandate gehören abgeschafft. Das Prinzip Winner Takes it All ist extrem undemokratisch und unnötig. Das die Union daran klebt wundert natürlich nicht.

Hier im Forum gab es die Diskussion durchaus an einigen Stellen, aber politisch ist die Idee wohl nicht mehrheitsfähig. Zum einen würde die nächste CDU-Regierung diese Wahlrechtsreform ganz sicher wieder zurückdrehen, zum anderen gibt es auch in den anderen Parteien Befürworter des Mehrheitswahlrechts, gerade auch bei der SPD, die neben der CDU am meisten davon profitiert.

Persönlich gebe ich dir Recht - Mehrheitswahlrecht ist - wenn überhaupt - aus meiner Sicht nur dann demokratisch, wenn es zwingend eine Stichwahl gibt, denn andernfalls läuft es zwangsläufig auf ein Zwei-Parteien-System hinaus und das halte ich nur für sehr begrenzt besser als Ein-Parteien-Systeme…

Bei der Wahlrechtsreform dürfte es der Ampel jetzt aber darum gehen, eine Reform so auszugestalten, dass man der nächsten CDU-Regierung keine Vorwände bietet, mit denen sie eine weitere Reform gegenüber dem Wähler rechtfertigen könnte. Denn die „Gefahr“ der massiven Aufblähung des Bundestags gibt der Ampel eine argumentative Grundlage, das Wahlrecht zu reformieren, eine ähnlich starke Begründung für eine Reform will man der CDU definitiv nicht liefern. Eine drastische Änderung des Wahlrechts zum reinen Verhältniswahlrecht könnte hingegen so ein Vorwand sein.

Bisher galt der Kompromiss, dass sich die Parteien, auch wenn das Wahlrecht durch einfaches Gesetz und damit einfache Mehrheit geändert werden kann, auf ein neues Wahlrecht einigen, daher eine Regierung nicht ihr bevorzugtes Wahlrecht mit einfacher Parlamentsmehrheit durchdrückt. Diesen Kompromiss kündigt die Ampel nun vermutlich auf, dementsprechend groß ist die Befürchtung, die Union könnte, wenn sie das nächste Mal regiert, zurückschlagen.

Die grundsätzliche Problematik ist, dass das Grundgesetz keine Vorschriften über die konkrete Ausgestaltung der Wahl macht, ein reines Mehrheitswahlrecht daher ebenso zulässig wäre wie ein reines Verhältniswahlrecht. Würden sich also CDU und SPD verbünden und ein reines Mehrheitswahlrecht beschließen, wäre es sehr spannend, zu sehen, ob das BVerfG den Mut und die Argumente findet, dies zu untersagen. Ich würde es hoffen, aber nicht darauf wetten. Denn faktisch würde ein Mehrheitswahlrecht die Chancengleichheit der Parteien nahezu völlig aushebeln, weil faktisch ein Mehrheitswahlrecht immer zu einem Zwei-Parteien-System führt.

Kurzum:
Die Ampel wird eher vorsichtig agieren und eine Änderung des Wahlrechts, die der Union zu sehr auf die Füße tritt, eher vermeiden. Die Abschaffung von Überhangmandaten (und damit dem unfairen Vorteil) ist schon eine dicke Kröte für die Union, die Abschaffung des gesamten Mehrheitswahlrechts (und damit die Abschaffung aller Vorteile) hingegen wäre für die Union absolut inakzeptabel.

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Das hatten die beiden Parteien in der ersten Großen Koalition unter Kiesinger tatsächlich schon einmal vor; es scheiterte schließlich daran, dass Berechnungen ergaben, dass die SPD in diesem System keine realistischen Siegchancen haben würde.

Es ist aber schon interessant, dass das Mehrheitswahlrecht heute so schlecht wegkommt, denn in der Gründungsphase der Bundesrepublik wurde es als Garant für eine stabile Demokratie in Deutschland gesehen, nachdem die Weimarer Republik mit ihrem reinen Verhältniswahlrecht an der dadurch beförderten Zersplitterung zerbrochen war. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 wurden die Sitze sogar im Verhältnis 60:40 mit dem Vorteil für die Mehrheitswahl vergeben.

Ich denke, es herrscht Einigkeit, dass ein Mehrheitswahlrecht in der Tat für „stabilere“ Zustände sorgt, aber eben auf Kosten der Vielfalt und vor allem der Flexibilität.

Dass man sich nach dem Krieg daher eher an der relativ stabilen Amerikanischen und Britischen Demokratie orientiert hat, als an der durch zahlreiche Brüche gezeichneten französischen oder gar der Weimarer Demokratie macht daher Sinn.

Gerade diese Stabilität des Mehrheitswahlrechts ist es aber eben auch, die jede schnelle Veränderung unmöglich macht. Wie gut oder schlecht man das findet ist letztlich eine Frage danach, wie zufrieden man mit dem Statue Quo ist.

Letztlich müssen wir aber zwei Betrachtungen unterscheiden:
Die o.g. eher pragmatische Betrachtung von Stabilität vs. Veränderungspotential auf der einen Seite und die eher idealistische Betrachtung, was letztlich „demokratischer“ ist und am ehesten dem Wählerwillen entspricht auf der anderen Seite. Aus pragmatischer Sicht spricht vieles für das Mehrheitswahlrecht, aus demokratietheoretisch-idealistischer Sicht spricht hingegen alles für das reine Verhältniswahlrecht.

Die Zersplitterung des Parlaments aufgrund des Verhältniswahlrechts wird ja recht gut durch die 5% Hürde verhindert, daher finde ich diese Kombi sowohl pragmatisch als auch demokratiefreundlich. Die Wahlkreiskandidaten werden oftmals auch nur aus wahltaktischen Überlegungen ausgewählt. So ist in meinem Wahlkreis von der SPD bei der letzten Bundestagswahl eine Kandidatin aufgestellt worden, die bis dahin überhaupt keinen Bezug zum Wahlkreis gehabt hat.

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