Sonderstellung der CSU (Anlass Wahlrechtsreform)

Nach Hören von LDN319 zum Thema Wahlrechtsreform und dem sich anbahnenden Protest der CSU dagegen („Verfassungsbeschwerde“) habe ich mich wieder einmal gefragt, warum diese Partei, die man überhaupt nur in Bayern wählen kann, so viel Macht auf Bundesebene hat. Mich würde es deshalb sehr interessieren, mal einen Themenblock zum Thema CSU zu haben, der erklärt, wie die Situation CDU/CSU überhaupt zu Stande gekommen ist, warum sich daran nichts ändert, warum es in Bayern keine CDU gibt und man als CDU-Wähler deshalb gezwungen ist, die CSU mitzuwählen, warum sich die CDU die Querschüsse der CSU immer wieder gefallen lässt und man dadurch dem Land Bayern so viel Mitspracherecht gewährt, etc.

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Dieses Thema würde mich auch sehr interessieren, denn ich habe nie so richtig verstanden, warum eine Regionalpartei einen solchen Einfluss auf Bundesebene hat.

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Dieser Focus-Artikel fasst das ganz gut zusammen.. Kurzfassung: Die CSU ist älter als die CDU und wollte ihre Unabhängigkeit bei Gründung der CDU nicht aufgeben.

Das kann man leicht beantworten. § 10 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundestages (BTGO) sagt:

Würde die CDU in Bayern einen Landesverband eröffnen dürfte sie nicht mehr bei der Bundestagswahl gemeinsam mit der CSU antreten, weil sie dadurch „in Wettbewerb stehen“ würden. Es haben immer mal wieder CDUler angedroht, einen bayrischen Landesverband zu eröffnen, aber das ist eher eine Drohgebärde gegenüber der CSU, um deren Querschüsse etwas einzugrenzen. Auch haben immer mal wieder CSUler den Ausstieg aus der Union und eine deutschlandweite Expansion angedroht („Geist von Kreuth“, Seehofers Konflikt mit Merkel…). Letztlich haben aber weder die CDU, noch die CSU, ein Interesse an einem Bruch der Union, weil es strategisch für die Union als Ganzes einfach massiv negativ wäre, auf dieses historische Privileg zu verzichten.

Wie gesagt, die Union der beiden Parteien schafft massive Vorteile (z.B. doppelte Vertretung in allen Politik-Talkshows im Wahlkampf, die Möglichkeit, unterschiedliche Schwerpunkte im Wahlkampf zu setzen, zwei parteinahe Stiftungen zu unterhalten und vieles, vieles mehr). Der Nachteil ist, dass man irgendwie miteinander auskommen muss, gerade wenn man eine unterschiedliche Wählerschaft vertritt…

Ich persönlich finde, dass eine Konstruktion wie die von CDU und CSU nicht erlaubt sein sollte. Ich wäre daher für ein ersatzloses Streichen dieser Option aus § 10 Abs. 1 BTGO. Der Grund ist, dass sich an Hand der Nachkriegsgeschichte Deutschlands sehr gut zeigt, wie Bayern als Land massiv davon profitiert hat, eine ständige, kraftvolle Vertretung im Bundestag zu haben - als einziges Bundesland. Bayern hat dadurch permanent Vorteile und Sonderrechte erhalten. Man stelle sich vor, andere Parteien hätten auch solche Regionalkonstrukte und würden auch ständig Vorteile für ihre Bundesländer erpressen. Dieses ganze System der Fraktionsgemeinschaft funktioniert nur, weil es dieses Konstrukt nur 1x in Deutschland gibt, gäbe es dieses Konstrukt häufiger, wäre der Bundestag arbeitsunfähig.

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Das liegt an dem Getrennten der Union in CSU und CDU: Obwohl die CSU eine Regionalpartei ist - durch die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag bekommt sie diese Macht. Wurde nach meiner Erinnerung bereits in der Lage behandelt.

Danke für die ausführliche Antwort!

Darauf wollte ich wohl letztlich hinaus - warum ist dieses Konstrukt überhaupt erlaubt. Ich finde auch, dass das nicht hinnehmbar ist, wobei mir natürlich klar ist, dass die Union das Konstrukt aus machtpolitischen Gründen nicht aufgeben will.

Dann wäre mein Wunsch wohl eher eine Diskussion darüber, ob man dieses Sonderrecht irgendwie abschaffen könnte bzw. ob es bereits Bestrebungen gab oder gibt, dies zu ererichen.

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Ich weiß nicht, ob die Präsenz in Talkshows wirklich ein massiver Vorteil ist, aber das liegt vielleicht an mir, weil ich Talkshows praktisch grundsätzlich nichts abgewinnen kann.

Für echte Probleme halte ich die Tatsache, dass CSU-Bundesminister, insbesondere die Verkehrsminister, immer wieder ihre Position ausgenutzt haben, um in Bayern Wahlgeschenke, z.B. in Form von Fernstraßenausbau zu machen und infolgedessen die Macht der Partei im Freistaat zementieren konnten. (Ehrlicherweise aber muss ich sagen, dass es sich hier um gefühlte Wahrheit handelt. Eine Quelle habe ich dafür nicht).

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Nein, die dürften schon beide gleichzeitig in Bayern zur Wahl antreten, die gewählten Abgeordneten dürften dann aber hinterher im Parlament keine gemeinsame Fraktion mehr bilden, um Wählertäuschung auszuschließen. (Wobei das „nur“ eine Regel der Geschäftsordnung ist, die der Bundestag jederzeit ändern kann.) „Fraktion“ ist die Bezeichnung für einen Zusammenschluss mehrerer Abgeordneter als Bestandteil (Fragment) des Parlaments. Das erfolgt üblicherweise nach Parteizugehörigkeit, könnte aber theoretisch aus allen möglichen Gründen gemacht werden, etwa nach Herkunft, Geschlecht oder Schuhgröße. Es erleichtert die Arbeit.

Die CSU ist so stark, weil sie gewählt wird. Sie sitzt nicht nur wegen der Direktmandate im Bundestäg, sondern kommt auch regelmäßig auf die Bundesebene umgerechnet über 5% der Stimmen (dafür muss sie in Bayern je nach Wahlbeteiligung rund 35-40% erreichen). Die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU gibt ihr an manchen Stellen rechnerische Vorteile, etwa bei der Vergabe von Ausschusssitzen. Ohne diese säße sie aber dann halt als eigene Fraktion im Bundestag, und entsprechend genauso in Talkshows, wie die FDP oder die Linke.

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Das meinte ich letztlich mit „gemeinsam mit der CSU“ antreten, aber ja, das war nicht optimal formuliert.

Das ist das genannte Problem mit den Vorteilen.

Ja, aber wenn sie gegen die CDU antreten müsste, würden die beiden Parteien sich auch stärker gegenseitig die Stimmen abnehmen wollen. Aktuell ist es einfach so, dass „die Union“ zwei Stimmen hat, während die anderen Parteien nur eine haben.

Gerade die Runde der Spitzenkandidaten der Parteien hat schon - zumindest den Umfragen nach - erhebliche Auswirkungen auf Wahlentscheidungen. Gerade die Wechselwähler - und seien wir ehrlich: um die geht es im Wahlkampf, die Stammwähler kann man eh nicht überzeugen - werden hier schon sehr stark beeinflusst. Für viele, die sich sonst nicht unheimlich viel für Politik interessieren, sind diese Runden der Spitzenkandidaten vor der Wahl die Entscheidungsgrundlage.

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Die CSU würde ja nicht verschwinden. Sie würde immer noch einen Spitzenkandidaten stellen, immer noch im Parlament sitzen, immer noch in Talkshows eingeladen werden. An ihrer Präsenz würde sich ohne die Fraktionsgemeinschaft nichts ändern. Das könnte man nur verhindern, indem man sie zwangsweise mit der CDU zu einer einzigen Partei vereinigt, daber davon spricht keiner, oder?

Das ist allerdings ein eher ungeeignetes Beispiel, weil zumindest bei den letzten paar Bundestagswahlen da immer die Kanzlerkandidaten gegeneinander angetreten sind, nicht die Parteivorsitzenden.

Wenn die CSU jetzt zum CDU Ladesverband werden würde, dann hätte sie immer noch genau so viele Abgeordnete im Parlament und genau so viele Direktmandate, die ausgeglichen werden müssten. Die Abgeordneten wurden ja nicht von Gottes Gnaden für den Bundestag erkoren, sondern ordentlich gewählt. Und dass ein Landesverband, der über 50 Jahre eine absolute Mehrheit im Landtag hatte, keinen großen Einfluss auf die Politik der Bundespartei hat, ist dann doch relativ unwahrscheinlich.

Das stimmt (und das ist auch der Punkt, den ich weiter oben angesprochen habe), aber hier wurde ja als Kritik eingebracht, dass die Union oft im „Doppelpack“ auftritt, und damit wäre es dann vorbei.

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Der ganze Grund für die Wahlrechtsreform ist dass die CSU so viel Überhangmandate gewinnt aber ihre Macht sprich, der Stimmenanteil in Bayern gesunken ist.

Die ganze Diskussion über einen zu großen Bundestag wäre erledigt, wenn endlich in Bayern auch andere Parteien direktmandate gewinnen würden. Allerdings dürfte das schwierig werden, weil um dieses Problem der überhangmandate nicht entstehen zu lassen, müsste die CSU ungefähr ein Drittel der wahlkreise nicht mehr gewinnen.

Und die Antwort auf die Frage, warum die CSU so uneinholbar stark in Bayern ist, liegt eben darin begründet, dass die CSU für Bayern in der nationalen Politik ständig Extrawürste heraus holt.

Wie gesagt, gäbe es mehrere solche Konstruktionen, das ganze System würde daran krepieren. Man stelle sich vor, jedes Bundesland hätte eine Partei alá CSU, die als Teil von CDU oder SPD ständig versuchen würde, Vorteile für ihr Bundesland rauszuschlagen. Dass es diese Konstruktion nur in Bayern gibt, führt dazu, dass Bayern konsequent Vorteile gegenüber anderen Bundesländern hat und einen massiven Aufstieg vom rückständigen Agrarland zum Industriestandort geschafft hat.

Natürlich wählen die Leute in Bayern deshalb weiter die CSU. Selbst manche nicht-konservative Bayern wählen die CSU, einfach nur, weil eine starke CSU bedeutet, dass bayrische Interessen in der Bundespolitik stärker vertreten werden. Und das ist inhärent unfair gegenüber den anderen Parteien, es ist ein massiver Vorteil, den die CSU hier hat. Ein Vorteil, der meines Erachtens mit der Chancengleichheit der Parteien nicht zu vereinbaren ist.

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Doch, da gibt es eine Originalquelle, aus Münchner Merkur vom 15.9.21
„In seiner langen Rede beim CSU-Parteitag, die die Delegierten mit Applaus feierten, erwähnte Söder immer wieder Parteikollegen und Minister. Als es um den Klimaschutz geht, sagte der bayerische Ministerpräsident: „Wir wollen neue Antriebe, Andi Scheuer: Elektro, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe.“ Und dann: „Du hast uns viel Geld nach Bayern gebracht.“ Das wollte der Parteivorsitzende dann auch noch einmal ganz deutlich machen: „Bei allem, was der ein oder andere kritisiert an dem Andi Scheuer: Ich kenne wenige Minister, die so viel Geld nach Bayern holen, wie der Andi Scheuer. Auch das muss man einfach mal in der Bilanz ehrlicherweise bitte nach draußen sagen.“ Applaus in der Halle.“

Es ist einfach grotesk, was die Kerle sich erlauben. Diesen Auszug müsste man jeden CSUler fünf mal um die Ohren hauen - und fragen, ob er jetzt eine Vorstellung von Demokratie und Fairness hätte.

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Ich bin gerade eben (da hatte ich den Themenvorschlag hier noch gar nicht gesehen :see_no_evil:) zum Thema Wahlrechtsreform (LdN319 Gesetzentwurf für Wahlrechtsreform) auch bei der CSU als Hauptproblem gelandet und mit einer ähnlichen Frage verblieben:

Wie CDU und CSU sich intern organisieren bzw. wie sie miteinander umgehen ist meiner Meinung nach deren Sache, da kann und sollte denen keiner reinreden.
Aber dass eine Partei sich lediglich in einem Bundesland verantworten muss, halte ich für kritisch.
Eine Partei, die auf Bundesebene antritt, sollte auch bundesweit zur Wahl stehen müssen.
Das würde dann auch dieses „Wir halten uns als CDU aus Bayern raus“-Agreement unterbinden.
Da würde mich wirklich mal eine (vor allem juristische) Einschätzung interessieren.
Ein „ist historisch so gewachsen, da kann man nix machen“ ist für mich nicht wirklich zufriedenstellen, wenn man die drastische Verzerrung der politischen Landschaft bedenkt, die sich daraus ergibt.

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Hust
SPD Abgeordnete setzt sich für Bundesgelder für den eigenen Wahlkreis ein

Röchel
Grünen Abgeordnete setzt sich für Bundesgelder für den eigenen Wahlkreis ein

Hust
Habeck lässt Gas-Terminal in seinem Bundesland zu 50% durch den Staat fördern

Ich sehe das Problem nicht bei der CSU, sondern bei den anderen Partien im Bundestag - ursächlich bei der CDU, aber eigentlich insbesondere bei der SPD und den Grünen. Die CSU ist eine Regionalpartei wie auch der SSW. SPD und Grüne sollten dementsprechend die CSU schlichtweg konsequent als eigenständige Partei behandeln.

Bei zukünftigen Koalitionsverhandlungen sollten SPD oder Grüne ausschließlich mit der CDU reden (vorausgesetzt eine solche Zweierkoalition hätte eine Mehrheit). Wenn die CDU sich weigert eine Zweierkoalition einzugehen, dann darf sie im Zweifel gerne ihren Wählern erklären, warum sie lieber eine Staatskrise heraufbeschwört als ohne die CSU zu regieren (ggf. ja sogar mit CDU-Kanzler).

Man denke an die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2013: Die SPD wurde „genötigt“ eine unpopuläre „gigantische“ GroKo einzugehen. Warum hat die SPD nicht gefordert, dass dann wenigstens die unnötige CSU nicht an der Regierung beteiligt sein darf? Die Presse hätte es schwer gehabt, irgendetwas Unplausibles an dieser Forderung zu finden.

Wenn die CSU als ernsthafter Kandidat für eine Regierungskoalition ausscheidet (außer ausnahmsweise als die passendste dritte Partei, die zur Mehrheit verhilft), dann würde die CDU sich endlich ernsthaft damit beschäftigen müssen, ob sie auch in Bayern antritt um auch dort (Zweit-)Stimmen zu generieren.

Edit: siehe Kommentar von @Eule, warum das Argument nicht valide für die Bundestagswahl 2017 ist.

Weil CDU und SPD alleine keine Mehrheit im Parlament hatten (353 von 709 Sitzen). :wink:

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@Eule: Mea culpa! Da habe ich wohl meine Argumentationen für 2013 und 2017 vermischt. Die SPD hätte das aber 2013 fordern können (oder mit RRG einfach selbst den Kanzler stellen…).

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