Mein Mann und ich waren bis Ende September Impfgegner.
Ich erzähle hier mal kurz, warum und warum jetzt nicht mehr - vielleicht findet ihr es ja interessant.
Unsere Beweggründe damals:
1. Hoher Wert auf langfristiges Glück: Wir gucken immer in die weite Zukunft, wenn wir Entscheidungen treffen. Machen ungern Schnellschüsse; kaufen teuer, aber hochwertig ein; haben monatelang überlegt, in welchen ETF wir investieren, etc. Bei der Impfung hat uns also der Gedanke von Langzeitfolgen stark beunruhigt.
2. Hoher Wert auf Natürlichkeit: Wir ernähren uns vegetarisch, gesund, selbst gekocht; nutzen nur Naturkosmetik, tragen Baumwolle, etc. Denken viel über Schadstoffe nach. Dass die mRNA-Technologie so neu war, hat uns deshalb sehr beunruhigt. (Die Aussagen „Es gibt bei Impfungen keine Langzeitfolgen“ und „mRNA-Impfungen hat es so noch nie gegeben“ schienen uns auch sehr widersprüchlich)
3. Mangelndes Vertrauen in das Gesundheitssystem: Ärzte haben uns schon oft enttäuscht. Meinem Mann wurde mal für eine Kleinigkeit ein krasses Antibiotikum verschrieben - die Apothekerin hat sogar beim Rausgeben gesagt „Oh, das ist ja ein hartes Mittel“. Haben dann im Internet gleich einen Rote-Hand-Brief gefunden, der Ärzten empfiehlt, bei diesen Antibiotika sehr zurückhaltend zu sein. Zweitmeinung geholt, der andere Arzt war schockiert drüber. Das ist nur ein Beispiel von vielen.
4. Mangelndes Vertrauen in die Wissenschaft: Bei meiner Masterarbeit kam nix raus, also hat mein Prof vorgeschlagen, wir „drehen mal an den Zahlen rum, bis was rauskommt“, damit wir veröffentlichen können. Klassisches p-Hacking und nur eines der Probleme, die die Wissenschaft plagen. Studien über die Impfung haben wir also nur bedingt vertraut.
5. Mangelndes Vertrauen in die Politik: Maskengate hat uns überhaupt nicht überrascht. Politiker*innen sind halt gerne mal korrupt. Ich als Allergikerin hatte also z. B. Sorge, dass das Risiko von allergischen Reaktionen auf die Impfung absichtlich unterdrückt wird.
6. Schwurbler-Bekanntenkreis: Ein paar Bekannte von mir gehen gerne zur Hellseherin (sie hat vorhergesagt, was für ein Kleid die Bekannte zur Hochzeit tragen wird! Wahnsinn!), sind eher esoterisch drauf, und halten Corona für maßlos übertrieben. Ist ja alles nicht so schlimm. Ich hab ihre Ansichten schon immer übertrieben gefunden, und trotzdem färbt so was irgendwie ab. Das ist nicht rational. Aber Menschen sind halt auch meistens nicht rational.
Mein Mann und ich standen also da und hatten Angst vor der Impfung. Wir wollten so 1-2 Jahre abwarten und uns impfen lassen, sobald absehbar ist, dass es wirklich ok ist.
Warum wir uns doch haben impfen lassen:
1. Steigende Angst vor Corona: Der ÖPNV wird voller, Abstand und Masken kümmern jetzt kaum jemanden, und es heißt ja, dass sich alle früher oder später infizieren werden. Das hat unsere Angst vor Corona gesteigert.
2. Freunde und Familie, die geimpft waren: Wir haben sehen können, dass es bei den anderen auch nicht schlimm war.
3. Datenlage ist besser: Wir haben dann letztlich viel in der Forschung nachgelesen, auch in den Berichten des PEI, und haben dann doch Vertrauen gefunden, dass die Impfungen sicher sind - weil die Daten ja jetzt auf unzähligen Fällen basieren.
4. Quarantäne wird nicht entlohnt: Dass wir evtl. unverschuldet in die Quarantäne müssen und dann kein Gehalt bekommen, hat uns Druck gemacht.
5. Reflexion: Uns ist aufgefallen, dass in allen Fällen, wo Ärzte versagt haben, ja immer im Internet oder bei anderen Ärzten dann doch die richtige Info geliefert wurde. Sprich, es gibt einzelne Idioten, aber die Gesamtheit ist zuverlässig. Und so hoffentlich auch bei der Impfung.
Was uns geholfen hätte, uns schon im Sommer impfen zu lassen:
- ein Ernstnehmen der Sorgen mit konkreten, ruhigen Erklärungen, dass die Sorge (z. B. vor Langzeitfolgen) zwar verständlich ist, aber aus den Gründen XY nicht stimmt
- kein Herunterspielen der Impfung in den Medien: Es ist halt eine andere und krassere Impfung. Mein Mann hatte nach der 1. Impfung richtig starkes Herzklopfen und Brustschmerzen, so was ist nicht schön. Ich war gute 5 Tage abgeschlagen und musste mich krankmelden. Ist mir bei anderen Impfungen noch nie passiert. Die Botschaft müsste lauten: „Ja, das ist nicht nur ein Pieks; die Impfreaktion kann stark ausfallen und es kann sehr unschöne Nebenwirkungen geben. Das ist unschön. Aber es ist vorübergehend, und Corona ist noch viel schlimmer.“ Stattdessen heißt es irgendwie oft „Die Impfung ist ne Kleinigkeit und komplett sicher, weil Wissenschaft, und wer sich nicht impfen lässt ist dumm“.
Ok, das war’s. Thank you for listening to my TED Talk.