Slogan „Take Back Control“: Lässt sich Migration überhaupt steuern?

Vielleicht eher ein Theater? :wink:

Ich finde die Worte „Arbeitsmigrant“ und „Wirtschaftsflüchtling“ in der Debatte sehr wenig hilfreich, weil sie versuchen sehr komplexe Bewegründe für Flucht in Begriffe zu zwängen, die suggerieren sollen, dass diese Menschen keinen legitimen Fluchtgrund haben. Tatsache ist, dass 2023 gut 30% der Entscheidungen über Asylanträge negativ ausgefallen sind (Ablehnung oder reine Duldung). Weitere knapp 25% wurden aus administrativen Gründen eingestellt (z.B. Antragsteller nicht zum Verfahren erschienen).

Ich persönlich betrachte die Armut und Perspektivlosigkeit, in der ein nicht unerheblicher Teil der Menschheit leider immer noch lebt, genauso als Menschenrechtsverletzung wie politische oder religiöse Verfolgung. Für meine Begriffe ist es also völlig legitim, wenn sich ein junger Mensch aus Nigeria auf den Weg nach Europa macht, weil er/sie sich hier ein besseres Leben aufbauen will und ich empfinde es als absurd, dass unser Rechtssystem versucht zwischen „richtigen“ und „falschen“ Flüchtlingen zu unterscheiden.

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Naja, das fängt damit an, dass in dem von dir zitierten Grundsatzprogramm nur von „qualifizierten Arbeits- und Fachkräften“ die Rede ist. Tatsächlich braucht Deutschland auch jede Menge weniger qualifizierte Migranten bzw. solche, die wir hier erst qualifizieren. Die Konservativen wollen sich gerne die Rosinen aus dem Studentenfutter der Migration rauspicken. Für meine Begriffe ist das weder eine moralische Herangehensweise (weil auch weniger qualifizierte Menschen ein Recht auf Freizügigkeit genießen sollten), noch zielführend (weil die meisten gut qualifizierten lieber in andere Länder als Deutschland migrieren).

Auch die fast zwanghaft verwendete Floskel „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ ist rhetorisch wirklich hässlich und offenbarend. Die CDU versteht Migranten in erster Linie eben als faule Schmarotzer, die den braven deutschen Michel nur ausnutzen wollen. Es gibt keinerlei Anerkennung, dass praktisch alle Migranten nichts lieber tun würden, als in die Sozialsysteme einzuzahlen. Mal davon abgesehen, dass unsere Sozialsysteme ohne Migranten schon lange nicht mehr funktionieren würden. Als ich vor ein paar Wochen mit meinem Sohn in der hiesigen Uniklinik war, hatten dort von der Putzfrau bis zum Stationsarzt ca. ein Drittel der Menschen einen offensichtlichen Migrationshintergrund.

In dem Ebenfalls im Grundsatzprogramm vorhandenen Abschnitt über Asyl geht es im Übrigen praktisch ausschließlich um die Beschneidung von Rechten von Asylbewerbern durch eine Verlagerung der Verfahren in „Sichere Drittstaaten“.

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Ich denke es geht hier vor allem um das Gefühl von Kontrolle bzw. dessen Verlust. Seine Grenzen und Bürger zu schützen ist eine der Kernaufgaben eines Staates. Wenn aus Sicht einiger Wählerinnen und Wähler hier ein Totalversagen eintritt, ergibt das den gleichen Vertrauensverlust, wie wenn die Bahn nicht kommt und der Unterricht wegen Lehrkräftemangel ausfällt.

Deutsche Politik ist dem Geschehen und der Richtung europäischer Politik mitnichten hilflos ausgeliefert. Wir sind hier nicht Passagiere, sondern sitzen mit am Steuer. Also können deutsche PoltikerInnen auch Lösungen erdenken und anstoßen. Zunächst damit anzufangen die Integrationshindernisse – wie Arbeitsverbote und Anerkennung von Berufsabschlüssen- zu beseitigen, wäre aber sicher auch ein guter Anfang.

Die Lage für geflüchtete Menschen in der Türkei ist in vielen Punkten unbefriedigend. Einer der Gründe ist, dass das Abkommen nicht weiter entwickelt wurde und vieles was abgemacht war auch nicht umgesetzt wird - von beiden Seiten. Wenn die EU die Türkei aber bei der Versorgung mehr unterstützen und auch durch entsprechende Kontingente für mehr Entlastung sorgen würde, würde auch in der Türkei weniger Stimmung mit diesem Thema gemacht werden können. Und gleichzeitig müsste die reguläre Arbeitsmigration von der Türkei in die EU erleichtert werden. Sowohl für Türkinnen und Türken, als auch für Menschen die in die Türkei emigriert sind und in die EU weiter wollen.

Ich weiß, dass sind viele „wenn“, aber ein kleiner Schritt in Richtung einer tragfähigen Lösung wäre auch schon was wert. Ich finde den Gedanken ein solches Abkommen mit dem UK zu schließen auch so gut, weil hier gezeigt werden könnte, dass ein solches Modelle gut funktionieren kann. Mit der Türkei und Tunesien klappt es bisher nur mäßig. Vor allem die Menschenrechtsverletzung in Tunesien sind gravierend. Hier müsste dringend nachgebessert werden.

Ich habe aber keinen echten Überblick mit welchen Ländern jetzt welche Abkommen geschlossen wurden und ob die etwas bringen. Daher ja der Wunsch, das Thema nochmal mit einer Perspektive zu beleuchten, wie ein echter Fortschritt erzielt werden kann. Die Saison im Mittelmeer beginnt gerade erst und wir werden diesen Sommer wieder die gleichen erdrückenden Bilder sehen wie in den letzten Jahren. Ganz abgesehen davon, dass wir mit dem fortschreitenden Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten mit Fluchtbewegungen in der Größenordnung einer Völkerwanderung rechnen können und es gut wäre, da langsam zu Lösungen zu kommen. Sonst haben wir am Ende einen Reichskanzler Höcke, der an der Grenze auf Menschen schießen lässt.

Gefühl ist das Stichwort. Dass die Rechte von Fliehenden mit dem Schutz von Grenzen und Bürgern im Widerspruch stehen ist allerdings auch ein sehr konstruiertes Bild.
Und der Anspruch die „Sicht der Wählerinnen“ zu vertreten klingt genauso wie die Emotionalisierung nach dem Populismus-Baukasten.

Leider wollen meines Wissens die meisten Politiker, die mit Grenzschutzgefühlen operieren, eine schlechtere Integration, weil durch Abschreckung die selbst geschürten Gefühle offenbar besser bedient werden.

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Passend zum Thema: das EU Parlament hat die die Gesetze zur Verschärfung der Asylregeln beschlossen.

Und

Das Thema legale Migrationswege ist in dem Gesetzespaket scheinbar nicht drin. Liegt das nun daran, dass das nicht gewünscht war, oder sind für dieses Thema die Mitgliedsstaaten selbst und nicht die EU zuständig?

Die EU ist da streng genommen nicht zuständig, natürlich hätte das aber trotzdem Teil eines „Pakets“ sein können, etwa indem Zielquoten für legale Einwanderung angesetzt werden. Aber es geht bei der gesamten rechts-konservativen Wende in der Migrationspolitik doch gar nicht um „intelligente“ oder „sichere“ Migration, es geht um eine grundsätzliche Verhinderung von Migration durch Menschen, die als „anders“ definiert werden (also vor allem dunkelhäutige und muslimische Menschen). Insofern macht es Sinn, dass legale (Arbeits-)Migration aus diesen Ländern keinerlei Erwähnung findet.