Situation der Arbeitssituation an Unis - Ergänzungen und Weiterführung

Hallo Philip und Ulf,

ich habe studiert, promoviert und war anschließend noch 2-3 Jahr Postdoc, bis ich abgebrochen habe. Meine Einblicke von damals möchte ich im Folgenden schildern.

Vorweg erst mal noch eine Anmerkung: Die tatsächlichen Verhältnisse sind an jeder Uni anders, in jedem Fach/Institut und dann nochmal bei jedem Prof anders. Ein einheitliches Gesamtbild gibt es daher nicht und es ist auch extrem schwierig zu erarbeiten, da man nur Einzelfälle hat, die alle anders sind. Meine Aussagen basieren daher einmal auf meiner begrenzten Sichtweise (ich kenne ich alle Unis) und ich schildere zur Vereinfachung die Dinge auch verkürzt und absolut.

Zunächst möchte ich folgende Punkte zum Podcast ergänzen, die noch ganz wesentlich zur Gesamtsituation von Doktoranden beitragen:

  1. Die Bezahlung hängt vom Fach ab. Ingenieurwissenschaften tendenziell volle Stellen, Naturwissenschaften oft nur 2/3, 1/2 oder gar nur 1/3. Die Arbeitszeit ist davon nur in der Theorie beeinflusst!.

  2. 3 Monate vor Ende eines Arbeitsvertrages muss man zum Arbeitsamt…

  3. Es gibt auch für die Arbeitszeiten Ausnahmeregelungen im Gesetz

  4. Eine Beschäftigung ist auch über 6 Jahre hinaus möglich, dann jedoch nur über Drittmittel oder eine an die Uni angebundene Firma (i. d. R. die des Profs.)

  5. Während in der Verwaltung Stellen aufgebaut wurden, wurden in den Instituten Stellen abgeschafft. Dazu gehören z. B. Stellen im Geschäftszimmer, im Labor, Werkstatt oder Hausmeister sowie ganz wichtig - akademische Räte. Die Arbeiten wurden/werden, soweit möglich, auf Doktoranden umgelegt. Heißt Doktoranden müssen nebenbei organisatorische Tätigkeiten übernehmen (z. B. Exkursionen, Tagungen, Lehrkram,…), müssen in der Werkstatt selber basteln, usw.

  6. Es gibt eine extrem große Abhängigkeit von Doktoranden vom Prof - bis ins Privatleben! „Sind sie sicher, dass sie zu krank für die Aufnahme am Donnerstag sind, Herr Banse? Die Aufnahme wäre schon wichtig für eine erfolgreiche Promotion. - Ach geht doch? Das passt dann gut, denn ich hab am Donnerstag noch einen wichtigen Termin, dann können Sie mich da auch gleich in der Vorlesung vertreten…“

Jetzt zum strukturellen Problem. Auch das ist kompliziert und es gibt viele verschiedene Aspekte. Ein wichtiger ist die hierarchischen, autoritären Struktur. Diese beginnt in der Schule mit „Frontalunterricht und dem Lehrer als Autoritätsperson“. Im Studium gibt es Erstsemester, Zweitsemester, usw. Die eifrigsten Studenten werden zu Hilfswissenschaftlern „erhoben“ und unterrichten bis bewerten niedrigere Semester. Das ist auch die Eintrittskarte zur Promotion. Der Doktortitel ist ein „Aushängeschild“ das einem Respekt verschafft und der Prof. nochmal mehr.

Je weiter man in diesem System nach oben kommt, desto mehr wird man von ihm geprägt. Und umgekehrt kommen in dem System natürlich auch die am besten voran, die sich am besten einfügen.

Für den zweiten Punkt betrachten wir mal die Aufgaben die ein Prof. hat:

  • Forschung
    • Akquirierung von Projekten/Geldern
    • Netzwerken (Vorträge halten, reviewn, Gutachter, Gremien, Normen, Industriepartner suchen, usw.)
    • Forschen (Ideen haben, Projekte planen, Simulationen/Experimente designen)
    • Publizieren
  • Lehre:12 (?) Semesterwochenstunden Lehrverpflichtung = Jede Woche 6 Vorlesungen mit 1,5 h. Dazu kommen Prüfungen, Sprechstunden für Studenten, Vorbereitung, Studiengänge pflegen, verändern, beantragen, usw.
  • Hochschulpolitik: Mittel, Stellen, Räumlichkeiten usw. beantragen und durchsetzen. Die Ausrichtung des Instituts mitbestimmen, sich gegenüber anderen Profs/Instituten durchsetzen, Studenten einwerben, Dekanat, Prüfungsamt, usw.
  • Jeder Prof ist Geschäftsführer mit den einhergehenden Aufgaben und Pflichten. Personalkram, Verantwortung für Sicherheit, usw.

Wenn man sich diese Aufgabenvielfalt ansieht, dann wird schnell klar, dass das so viel ist, dass das viel zu viel für eine Person ist. Das sind Aufgaben für 2-3 Personen. Ich habe Prof. kennengelernt, die richtig gute Forscher waren und auch welche die richtig gute Lehre gemacht haben. Ich habe aber keinen Prof erlebt, der alles ausgefüllt hat.

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Ich bin Professor in den USA (Informatik), habe aber häufig Kontakt zu deutschen Unis.

Ich stimme Florian zu, dass es zu viel für einen einzelnen Menschen ist (aber Reviewing für Journals und die Organisation von Konferenzen fehlen noch). Deutschland ist in dieser Hinsicht tatsächlich besser, da es normalerweise mehr administrative Unterstützung als in den USA gibt, um den Papierkram zu erledigen (obwohl es in Deutschland mehr davon gibt). Während es in Deutschland oft eine/n Admin pro Professor gibt, teilen sich diese in den USA oft ein Dutzend Profs.

Die USA haben unbegrenztes Forschungspersonal (Programmierung oder unterstützende Technologie), aber dort ist das Geld das Problem. NSF/NIH würden viel lieber für Studenten bezahlen, also sind die Jobs und Leute da, aber das Geld nicht.

Das deutsche System ist für uns in Nordamerika ziemlich gut, viele gut ausgebildete und produktive Postdocs „time out“ in Deutschland und kommen schließlich hierher.

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Dazu gab es vor ein paar Jahren (edit: 8 Jahren, ich werde alt…) einen guten Artikel in der FAZ, der genau das beschrieben hat Wir flexibilisieren uns zu Tode - Sagenhafte Verwaltungsquoten:

Lässt sich dieses Argument aber nicht genauso auf die Verwaltungsstrukturen anwenden? Benötigen die Universitäten nicht auch eine schlanke, effiziente Verwaltung, die dynamisch auf wechselnde Aufgaben reagiert? Fordern die wachsende Vielfalt der Fördermittel, die wuchernden Verwaltungsvorschriften und die schwankenden Studentenzahlen nicht eine flexible modernisierte Verwaltung mit wenigen Zeitangestellten?

Die Zahlen von 2012 sprechen eine ganz andere Sprache. Jeder vollzeitbeschäftigte Wissenschaftler einer deutschen Universität wird im Schnitt von 1,28 Personen verwaltet. Von diesen 182 255 Verwaltungsangestellten müssen lediglich 25 Prozent um ihre Fortbeschäftigung bangen, gegenüber mehr als fünfzig Prozent in Forschung und Lehre. In der Universitätspolitik wird offenbar mit zweierlei Maß gemessen. Aber haben Exzellenz-Initiative und Hochschulpakt nicht zumindest zu einer Verschlankung und Flexibilisierung der Verwaltung geführt, gerade so wie in Forschung und Lehre? Auch diese Erwartung wird enttäuscht. Beim Verwaltungspersonal wurde die Quote der unbefristet Beschäftigten sogar noch deutlich erhöht, von gut siebzig Prozent im Jahr 2015 auf sagenhafte 75 Prozent im Jahr 2012. Nur einer von vier Arbeitnehmern in der Verwaltung ist flexibel angestellt, in der Wissenschaft sind es fast zwei von dreien.

Von 2005 bis 2012 wurden für jede unbefristete Stelle in Forschung und Lehre durchschnittlich 3,7 unbefristete Verwaltungsstellen geschaffen. Entsprechend hat sich das Betreuungsverhältnis um sieben Studenten pro unbefristeter Wissenschaftlerstelle verschlechtert, aber lediglich um 2,7 Studenten pro Verwaltungsangestelltem. Da liegen Gewinner und Verlierer klar auf der Hand. Die deutlichsten Verlierer sind die Studenten, die weniger Betreuer haben als vorher. Dicht gefolgt von den Wissenschaftlern, die bei gesunkenen Aussichten auf einen festen Vertrag auch noch mehr Arbeiten korrigieren müssen. Eindeutige Gewinner sind die Verwaltungsangestellten.

Ohne es belegen zu können sagt mir die fegühlte Wahrtheit, dass dieser Prozess weiterläuft, sodass in einigen Bereichen die Univerwaltung als Selbstzweck angesehen wird und nicht als Dienstleister für einen guten Uni-Betrieb.

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Wer wird am ehesten Prof? Es sind nicht mehr die Menschen, die am besten sind, sondern die am meisten vorzeigen können. Es sind Menschen, die plausibel machen können, dass sie verkürzt gesagt Lehre machen können und besser Forschen können als die Konkurrenz, gemessen an den eingeworbenen Mitteln und Publikationen. Ein Postdoc mit 26 der innerhalb von ein paar Jahren über 50 Veröffentlichungen kann ein Genie sein. Tendenziell ist es aber jemand, der andere Eigenschaften hat. Diese variieren von Kandidat zu Kandidat, es sind z. B. Menschen, die sich in das autoritäre System gut einfügen können und die es zu ihren Gunsten nutzen können, z. B. durch Ausnutzen/Ausbeuten. Von jemandem gepusht werden hilft auch, führt ggf. zu Abhängigkeiten. Gibt diverse Variationen, aber im Allgemeinen sind soziale Eigenschaften durch die oben geschilderte Selektion eher unterrepräsentiert.

Die Schilderung ist absoluter, als es in der Realität ist. Es gibt auch immer wieder Lichtblicke, aber trotzdem ist dies meiner Erfahrung nach der Schleier, der über der Wissenschaft liegt.

Zum Schluss noch an alle Doktoranden, der Hinweis, dass die Abhängigkeit nicht so groß ist, wie sie zu sein scheint. Auch als Doktorand muss man nicht alles mitmachen.

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