Meine Frau ist eine Erzieherin. Mit Leib und Seele. Darüber hinaus ist sie - wie ich selbst auch - ein extrem kreativer Mensch mit einer Schaltzentrale im Kopf, die sich irgendwo im Neurodivergenten Spektrum aufhält. Oder anders gesagt: Wir fangen laufend neue Projekte an und jedes Mal mit maximaler Begeisterung.
Seit einigen Jahren aber schon gibt es ein paar Konstanten. Meine Frau liebt es, Dekorationsgegenstände selbst herzustellen. Aus keramik-ähnlicher Gießmasse zum Beispiel. Sie plottet darüber hinaus Schriftzüge, stellt Kerzentattoos her, bastelt Geschenkerfüller aus Holzklötzchen und Reagenzgläsern… ich bin sicher, ihr habt ein Bild vor Augen. Seit ung. November 2023 steht vor unserem Haus ein sog. Selbstbedienungshäuschen. Darin stellt sie ihre Produkte aus und verkauft sie auch.
In der Realität schaut es so aus, dass sie mit dem Gewerbe im Grunde genommen kein Geld verdient - insbesondere, da sie noch keinen Onlineshop führt, sondern nur lokal verkauft. Nichts desto trotz darf sie sich natürlich an geltendes Gesetz halten:
- Gewerbeanmeldung
- Steuererklärung
- Verpackungslizenz
- Produktsicherheitsgesetz
- Datenschutz
- Impressum
- etc. pp.
Das Thema kann Bände füllen.
Auf Facebook gibt es eine Gruppe, die sich praktisch ausschließlich mit dem Thema „Selbstbedienungshäuschen“ auseinandersetzt und da sind deutlich über 10.000 Menschen Mitglied. Darin zeigt sich vor allem eines: Es gibt immer mehr gesetzliche Anforderungen, die auch von den Betreibern dieser Häuschen erfüllt werden müssen.
Das Problem dabei:
Diese Anforderungen scheinen diese besondere Form von Nebenverdienst überhaupt nicht im Sinn gehabt zu haben. Bspw. gibt es Betreiberinnen, die zum Aufstellen ihres Häuschens einen Architekten für die Änderung des Bebauungsplans beschäftigen mussten (es geht um eins dieser Gerätehäuschens, die vllt. 80cm breit und 50cm tief sind und somit weniger als 1m² Grundfläche besitzen). Auch wird davon berichtet, dass mitunter eine Ummeldung der privaten Räume erforderlich war aufgrund der gewerblichen Nutzung und zugleich Parkplätze für Kunden bereitgehalten werden sollten. Inzwischen ist es zudem so, dass nicht nur jedes bisschen Juteband, das zur Zierde oder für ein Preisschildchen aus Pappe verwendet wird, über ein entsprechendes Kontingent an Verpackungsmaterial lizenziert sein muss, sondern zudem noch jedes Produkt einzeln mit Warnhinweisen ausgestattet werden soll und Risikoanalysen angefertigt werden müssen.
Ein Blick in die Facebook-Gruppe zeigt: Es sind fast ausschließlich Frauen, die ihr Hobby zum Gewerbe machen und der überwiegende Teil refinanziert es damit. Viele scheitern aber an den behördlichen Vorgaben, die zudem noch nicht nur von Bundesland zu Bundesland verschieden sind, sondern auch noch von Kreis zu Kreis, von Ort zu Ort, von Mitarbeiter zu Mitarbeiter. Oft ist das Thema unter vielen Mitarbeitenden noch so unbekannt, dass sie sich dazu nicht selten etwas ausdenken, oder im worst-case: Den Fall behandeln, wie als würde Edeka in einem reinen Wohngebiet einen neuen Standort eröffnen wollen.
Einige wenige stellen sich der Herausforderung und versuchen ihr Bestes, um alles vollständig gesetzeskonform hinzubekommen. Nicht zuletzt heißt es in den FB Gruppen dazu aber auch oft: „Lass es bleiben…“, wenn jemand Neues nach Erfahrungen fragt, weil die Überlegung im Raum steht, selbst ein Selbstbedienungshäuschen zu eröffnen.
Das empfinde ich als schade!
Eigentlich sollten solche Gesetze doch nicht verhindern, sondern anleiten und unterstützen. Und ganz selten schaffen es einige sogar, aus ihrem kleinen Häuschen mehr zu machen. Dann kommt im Folgejahr ein größeres Häuschen dazu, dann wird an Weihnachtsmärkten teilgenommen, dann entsteht ein Onlineshop und auf einmal gelingt es, das ehemalige Hobby zu einer selbstständigen Haupteinnahmequelle zu entwickeln.
Und wie gesagt: Das scheint primär ein Thema unter Frauen zu sein.
Mir tut es in der Seele weh, dabei zuzusehen, wie viele Träume hier an der Bürokratie scheitern. Und ja, ich weiß, dass unter anderen Kleingewerbetreibenden dieses Thema ebenfalls - aber spätestens seit GPSR - entbrannt ist… nur ist das Thema „Selbstbedienungshäuschen“ sogar noch kleiner… nichts desto trotz aber nicht irrelevant.
Es hört nur noch niemand zu.
Und treffen tut es leider mal wieder diejenigen, die aufgrund der allgemeinen sozialen Ungerechtigkeit, des Gender Paygaps, der noch immer mangelhaften Kinderbetreuungssituation, der aufwändigen Care-Arbeit, etc. pp. bereits so schon am meisten finanziell leiden + im Alter abhängig von ihren Männern sind.
Ich würde mich freuen, wenn daraus mal ein Thema entstünde, dessen sich die Lage annimmt und die Auswirkungen der Gesetze rund um den Datenschutz, die Gewerbeverordnung, die Bauordnung, das GPSR u.m. auf solche Kleinstgewerbe beleuchtet.