Schwindendes Vertrauen in die Politik als Gefahr

Ich glaube, sich bei der Wahl der Mittel zur Pandemiebekämpfung rein auf Fallzahlen zu beschränken, ist ein gefährlicher Tunnelblick. Es wurde von der Regierung von Anfang an deutlich kommuniziert, dass das Impfen freiwillig bleibt. Viele Menschen glauben, angestachelt von demokratiezersetzenden Schwurblern, dass die Regierung sie dabei anlog. Die ganzen Querdenkerdemos waren Manifestationen dieses Glaubens.

Wenn jetzt Menschen mittels finanziellen und/oder sozialen Druck zur Impfung gedrängt werden, dann legitimiert die Regierung aktiv die Glaubwürdigkeit dieser ganzen gefährlichen Schwurbler und deligitmiert die eigene Glaubwürdigkeit. Dieses Geschwurbel ist technisch dann tatsächlich im Kern bestätigt.

Ich meine, zu behaupten, wir hätten den Menschen die freie Wahl gelassen, aber weil das nicht funktioniert hat, sei es gerechtfertigt mit Druckmittel zu arbeiten, ist Gaslighting par excellence. Wenn viele Menschen am Ende mit Druckmittel zu etwas gezwungen [sic] werden, dann legt das nur offen, dass sie von Anfang an nie eine Wahl hatten.

Die Übergriffigkeit ist hier nicht das Problem. Hätte man am Anfang eine Impfpflicht eingeführt, dann wäre der Aufschrei groß gewesen und vielleicht wären einige Politikier:innenköpfe gerollt, aber die Sicherheit der Bevölkerung und der Demokratie wäre gewährleistet.

Das Problem ist, dass die Schäden in das Vertrauen der Politik imho sehr viel gravierender ausfallen wird, als die Pandemie auf gesundheitlicher Ebene noch anrichten kann. Und langfristig betrachtet, ist der Vertrauensvelust in die Demokratie sicherlich auch auf gesundheitlicher Ebene schädlicher. Wir steuern auf eine generationslange Klimakatastrophe zu, vertrauen den Staat ist der Flaschenhals, um da kollektiv durchzukommen.

Imho wirft das die Frage auf, wie viel Menschenleben ist uns unser Vertrauen in die Demokratie wert?

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Das Versprechen kam von der Union (in Person von Angela Merkel und Jens Spahn), die ist laut aktuellem Fahrplan an Nikolaus abgelöst.
Anna-Lena Baerbock dagegen hat sich in einem TV-Duell schon für eine Impfpflicht für Pflegepersonal ausgesprochen, wenn es die Situation erfordert.

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Ich sehe das nicht ganz so dramatisch und bin da eher bei @der_Matti.
Wir bekommen (ist ja immer noch vermutlich) eine neue Regierungskoalition, die eine andere Politik anstrebt wie unter Union/SPD und das ist ja die Chance für Veränderungen.
Man hätte also schon die Chance auch bei diesem Thema sich neu zu orientieren, ohne das Gesicht völlig zu verlieren.

Der Vertrauensverlust würde aus meiner Sicht entstehen, wenn sich durch andere Regierungsparteien und Minister, nichts grundsätzlich an der politischen Ausrichtung verändern wird.

Es befeuert daneben auch sonstige Verschwörungsmythen. Hat man erst mal „gelernt“, dass man der Politik scheinbar zu recht misstraut, kommt anschließend die Offenheit für vieles andere à la „was verheimlichen sie uns wohl noch?“.

Das stimmt, aber mMn nur auf dem Papier. Der Vertrauensverlust beschränkt sich ja nicht auf die amtierende Regierung, sondern allgemein auf unseren Rechtsstaat und eine homogene Masse „der Politiker“. Und wer will es den Enttäuschten denn verdenken, schließlich ist ja ganz buchstäblich mit der SPD ein großer Teil wieder mit an Bord.

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Stimmt schon, aber gerade deswegen besteht ja die „historische“ Chance nach der langen Zeit auch mal alte Zöpfe abzuschneiden - vielleicht bin ich da ja auch zu optimistisch.
Das ein gewisser Bevölkerungsanteil für vertrauensbildenden Maßnahmen verloren zu sein scheint, ich glaub damit müssen wir uns auch arrangieren.
Wenn jedes Argument so lange verdreht wird, dass es als Beleg für die selbst gestrickte Verschwörung herhalten kann, fehlt einfach der gemeinsam Nenner.

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Dieser „gewisse Teil der Bevölkerung“ umfasst hier fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Das ist in einer Demokratie nicht hinnehmbar. Davon Abgesehen, es ist keine „vertrauensbildende Maßnahme“, der Bevölkerung nicht dreißt ins Gesicht zu lügen. Insebsondere bei einem dermaßen empfindlichen Thema, wie die eigenen körperliche Unversehrtheit.

Hier werden eben keine Argumente mehr verdreht, sondern reale Taten umgesetzt. Und worauf mein ursprünglicher Kommentar abzielt ist ja auch die emotionale Ebene der Menschen. Es geht um den binären Unterschied, sich Zeit zu nehmen, aufwendig zu einem Impfzentrum zu gelangen, sich in lange Schlangen von ängstlichen und wütenden Menschen zu stellen, Formulare unterschreiben zu müssen, sich von einer maskierten Person stechen und etwas in den Körper spritzen zu lassen, und danach vermutlich körperliche Krankheitssymptome zu erleben - oder eben nicht.

Gegenüber diesem super realen Erlebnis, sind die abstrekten rhetorischen Vehikel von Politiker:innen halt tatsächlich nur Geschwurbel. Warum sollte man sich überhaupt am öffentlichen Diskurs beteiligen, wenn es nutzlos ist. Die Anti Impfpflicht Demos wurden medial ja als absurd dargestellt, trotzdem fanden sie statt und haben sich Menschen daran aktiv beteiligt, weil sie von einer Lüge ausgingen. Wenn es jetzt eine Impflicht geben sollte, würde sich herausstellen, dass die Medien auch hier im Endeffekt genau in dem Maße die Realität verfälscht hätten, wie von den Rädelsführer der Querdenker behauptet. Wenn nicht aus Arglist, so zumindest aus Inkompetenz.

Und in dem Fall müsste und würde ich den besorgten Bürgern recht geben, um mir meine intellectual honesty zu bewahren.

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Und was ist die Erkenntnis aus deinem Beitrag?
Wenn wir keinerlei Durck auf die Schwurbler/Leugner ausüben, hilft uns das zwar nicht bei der Pandemie aber wenigstens ist bei deren emotionaler Ebene alles tutti und sie fühlen sich von einem möglichen politischen Kurswechsel nicht in ihrer Abneigung der Medien (die aus meiner Sicht eh manifestiert ist) bestätigt?
Ist ja nicht so dass es noch nie eine politischen Kurswechsel zu allerlei Themen gegeben hatte, hat und wird.
Ich werde aus deinem Argumentation nicht schlau, klingt für mich vor allem mit dem letzten Satz für eine rhetorische Finte, um den Irrweg der Corona-Leugner zu legitimieren, sorry ich meinte natürlich besorgte Bürger.

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Da empfinde ich einen Samstagvormittag bei Aldi oder Lidl als belastender.
Für mein Impfzentrum kann ich sagen, dass alles super organisiert war, außer einem Jucken der Einstichstelle und einem Vormittag Schwindelgefühl keine Nebenwirkungen, aber das mag bei manchem anders sein.
Die Bundesrepublik gibt es jetzt 70 Jahre, davon war die Union 50 Jahre an der Regierung.
Dass da einiges an Mist passiert ist, streitet keiner ab.
Das wird auch nicht alles innerhalb von vier Jahren anders werden, geht ja gar nicht.
Die neue Regierung aber schlecht zu reden bevor sie ihre Arbeit aufgenommen hat, zeugt von schlechter Kinderstube.

Vielleicht noch als Ergänzung: In unserem Hackerspace gab es eine Diskussion über 3G. Dann wurde abgestimmt und es war beschlossene Sache. Darauf hin meldete sich einer über den Verteiler und meinte ungefähr:

„Ist dann so, aber sie können uns nicht verbieten, dass wir uns bei mir treffen. Wer Lust hat, egal ob geimpft/getestet oder nicht, nächsten Mittwoch treffen wir uns bei mir und beraten wie wir mit der aktuellen Situation umgehen

Da ist es mir wirklich kalt den Rücken runtergelaufen, weil genau so radikalisieren sich Leute. Zu so einem Treffen kommen natürlich nur Impfverweigerer. Und dann bestärken sich alle in ihrer Meinung und fahren sich nur noch viel tiefer in dieser Meinung fest. How deep is the rabbit hole?

Das sehe ich auch als Beispiel dafür, dass man Impfverweigerer nicht zur Einsicht zwingen kann. Ein mit unserem Rechtssystem vereinbarer Zwang kann nur zu mehr Eskalation führen. Wir müssen Anfangen uns zu überlegen, ob eine Demokratie nicht auch ohne RT, AfD und Telegram-Gruppen funktioniert. Offensichtlich falsche Fakten zu propagieren ist nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Und da vieler dieser genannten Gruppen keine Querulanten sind, sondern sich unter diesem Deckmantel nur versuchen zu bereichern, sollte man dem Einhalt gebieten können und müssen, finde ich.

Die Erkenntnis sollte sein, dass die Politik keine unhaltbaren Versprechungen machen sollte, wenn sie nicht will, dass Leute sie für verlogen halten. Nicht ganz neu, weiß man seit dem Soli (Jaja, ich weiß, der erste wurde abgeschafft und durch einen anderen ersetzt, von dem nie behauptet wurde, dass er irgendwie zeitlich begrenzt wäre… Schuld der dummen Bürger, dass sie das nicht verstanden haben.)

Man hätte es auch bei „niemand brauch ffp2 Masken“ erkennen können. Oder bei der Behauptungen, man würde keinen Lockdown mehr machen.

Bei der Bundeswehr gab es den Spruch: Können heißt müssen, wenn man nicht will. Jetzt eine generelle Impfpflicht zu verhängen wäre ganau nach der Devise.

Aber ja, Daumenschrauben sind ok und notwendig. 2G. Oder kein Krankengeld, wenn man grundlos ungeimpft ist. Maskenpflicht beibehalten (generell).

Das ist eine Grunderwartung die wir eigentlich alle haben sollten und nicht nur für die Politik, sondern auch für alle anderen Lebensbereich., die Realität ist eine anderen.
Ich führe hier auch mal ein Beispiel an, die Trielle vor der Bundestagswahl.
Aus meiner Perspektive hat Baerbock am ehrlichsten kommuniziert, was Sie will und was aus Ihrer Sicht und der der Grünen notwendig ist und was zu tun ist. Dagegen hielten sich Scholz & Laschet oftmals vage.
Ich denke, dass hat viele verschreckt die grundsätzlich mit den Ansichten der Grünen zum Klima übereinstimmen. Es war zu offensiv und mit politischen Realitäten fängt man keine Wähler.
Das Laschet vermeintlich die ganzen anderen Skandale in der Union, nebst seinem eigene Auftreten, die Wahl gekostet haben, zeigt das auch für Unions-Wähler es eine Schmerzgrenze gibt.

Zurück zum Thema Covid, ich halte es nicht für gelogen, wenn jetzt eine neue Regierungskoalition den Kurs wechseln sollte, die Realität macht es einfach notwendig.
Wir haben aktuell eine Impfquote von ~70%, Wissenschaftler gehen von ~85% notwendiger Impfquote aus, um die Pandemie einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Gut zu reden, Impfanreize, mobile Impfteams, Impfen ohne Termin etc. hat ja alles nicht gebracht, die Quote maßgeblich zu erhöhen.

Es bleiben ja nur 2 Möglichkeiten.

  • so weite machen wie bisher und darauf hoffen das es besser wird

Albert Einstein: Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten

  • oder wie du selbst schreibst, harte Beschränkungen für Impfunwillige (nicht für die, die sich nicht impfen sollen/können)

Wenn wir also defacto Impfunwillige zu Teilen ausgrenzen, wird das Folgen haben für die die Gesellschaft.
Ändert das was an der Glaubwürdigkeit der Politik in Kreisen dieser Impfunwilligen? Ich glaube nein, die ist in weiten Teilen eh nicht mehr vorhanden, die werden anderweitig mit ihrer Realität versorgt.

Natürlich versteh ich das Dilemma an der Situation, aber ich habe keine Verständnis dafür, dass aus Rücksichtnahme auf Schwurbler & Co., alle anderen - die ja auch Teil der Gesellschaft sind - weiterhin einer unnötigen Gefahr ausgesetzt werden, die wir mit einer höheren Durchimpfungs-Quote deutlich reduzieren könnten.
Da bin ich an dem Punkt, wer andere unnötig einer Gefahr aussetzt, grenzt sich selbst aus.

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Ja, es ist bedauerlich, dass man eine Impfpflicht ausgeschlossen hat. Und zwar sowohl Scholz als auch die FDP.
Jetzt kann man natürlich sagen: Wir dachten, wir schaffen es ohne die Pflicht. Aber wir haben uns geirrt, daher gibt es jetzt eine Impfpflicht.

Aber ohne eine gravierende Lageänderung sehe ich dafür keinen Spielraum. Es geht mir dabei nicht darum, dass Schwurbler das Vertrauen in die Politik zurückgewinnen sollen, sondern darum, dass die es nicht verlieren, die vertrauen wollen.