Hallo zusammen!
Ich störe mich an dem Begriff „Schulöffnungen“, der seit dem Ende der Februarferien überall in den Medien die Runde macht und aus meiner Sicht ein völlig falsches Bild der Lage zeichnet.
Ich arbeite selbst im Schuldienst und bin an meiner Schule auch u.a. für die Stundenplanung zuständig - in einem Bundesland mit insgesamt niedrigen Inzidenzwerten - in einer Stadt, die bislang dauerhaft unter jedem in den letzten Monaten gültigen Grenzwert lag. Bei uns war die Schule „zu“ nur an ein paar Tagen vor Weihnachten. Ab Januar bis zu den Februarferien waren die Abschlussklassen da und das sind sie auch jetzt - sonst niemand.
Ab der zweiten Märzwoche wird es dann sogenannten „Wechselunterricht“ (niemand hat bisher irgendwo verbindlich festgehalten, was das eigentlich sein soll) für alle anderen Klassenstufen geben. Bei den Vorgaben, die wir bzgl. der Abstände in den Räumen haben, heißt das aufgrund der Raumgrößen, dass in vielen Räumen nur ca. 7-9 Schüler:innen gleichzeitig in Präsenz in einem Raum sein dürfen. Das würde wiederum bei einer Klassenstärke von 28 Schüler:innen (bei uns keine Seltenheit) bedeuten, dass die Schüler:innen u.U. alle 4 (!) Wochen in Präsenz in einem Fach am Unterricht teilnehmen dürfen. Egal, wie man das organisiert (die ganze Woche oder jede Gruppe an einem Tag, der dann von Woche zu Woche durchwechselt). Es gibt an vielen Schulen keinerlei Raumreserven, weil Schule in Deutschland nunmal häufig „Massenhaltung“ ist, bei der jede Abstellkammer noch umfunktioniert wird, wenn das aufgrund der Schüler:innenzahlen nötig ist.
Von einer „offenen“ Schule, in die die Schüler:innen regelmäßig gehen, um dort etwas zu lernen, sind wir also in jedem Fall meilenweit entfernt.
Abgesehen davon ist auch überhaupt nicht geklärt, wie die Betreuung der dann zum Teil 75% einer Klasse, die nicht in Präsenz in der Schule sind, eigentlich ablaufen soll. Bisher kann man das als Lehrkraft über den Distanzunterricht gewährleisten - wenn man dann aber wieder in Präsenz die Schüler:innen in der Schule betreut, kann man sich ja nicht zerteilen. Ein „Streaming“ der Präsenzstunde zu den Schüler:innen im Distanzunterricht ist technisch unmöglich (bei uns laufen dauerhaft den ganzen Tag 40 Unterrichtsstunden gleichzeitig in der Schule - keine Leitung der Welt hält das aus, unser Schulnetz schon gar nicht) und pädagogisch auch nicht sinnvoll. Aufgabenformate für den Distanzunterricht müssen sich von denen im Präsenzunterricht unterscheiden - das bedeutet im „Wechselunterricht“ dann schon doppelte Vorbereitung für jede Unterrichtsstunde (Präsenz- und Distanzversion) + die schon angesprochene noch nicht geklärte Frage, wenn die Distanzschüler:innen betreut werden sollen. Der Tag einer Lehrkraft, die wieder „normal“ im Unterricht steht, ist entgegen aller Klischees jetzt nicht so leer, dass man da dann noch alle Unterrichte des Tages digital nachbetreuen kann.
Wir sind also aus meiner Sicht noch lange nicht bei etwas, das auch nur annähernd nach einem „Normalzustand“ aussieht, wie es in der öffentlichen Debatte häufig suggeriert wird, wenn von „Schulöffnungen“ gesprochen wird.
Dazu fehlt mir aktuell auch jede Fantasie, wenn ich ehrlich bin. Ich lese immer nur von Lehrpersonal, das nun vielleicht bevorzugt geimpft werden soll. Das mag gerechtfertigt sein (möchte ich gar nicht bewerten), ändert aber an der Lage in den Schulen überhaupt nichts, weil davon ja nicht mehr Schüler:innen in die Schule dürfen. Ich kenne bisher kein Szenario, in dem mal über Impfungen bei Schüler:innen gesprochen wird, weil dies ja mit den bestehenden Impfstoffen offenbar nicht zulässig ist. Das wird die Situation also nicht verbessern.
Unterm Strich bleibt aus meiner Sicht ausschließlich die Möglichkeit, an jedem Morgen vor der Schule einen Schnelltest zu machen, damit man für die nächsten 8-10 Stunden eine Ansteckungsgefahr minimieren kann. Wenn man das übrigens vorschlägt, bekommt man von Seiten der Kommunalpolitik gesagt, dass das nicht möglich sei, weil es das Recht auf körperliche Unversehrtheit gebe (Bei einem Spucktest?)… Mag ja sein, bin kein Jurist. Für mich trotzdem kein Argument. Dann sollen die, die sich nicht testen lassen wollen, weiter die Möglichkeit erhalten, über Distanzunterricht zu lernen. Ich behaupte, dass das nicht mehr als 10% der Schüler:innen betreffen würde - und damit wäre das die deutlich bessere Alternative im Vergleich zu den nach der „Schulöffnung“ immer noch bis zu 75% der Schüler:innen, die nach derzeitiger Lage im Distanzunterricht verbleiben müssen. Und es wäre eine Perspektive, die mir ansonsten völlig fehlt, weil sich an dieser Gemengelage ja auch in 6 Monaten nichts geändert haben wird (wenn wir mal davon ausgehen, dass die Inzidenzzahlen nicht gen Null gehen).
Habe ich ein falsches Bild der öffentlichen Debatte oder nehmt ihr auch wahr, dass „Schulöffnung“ vielfach mit „die meisten Schüler:innen kommen wieder in Präsenz zur Schule“ gleichgesetzt wird?