Diese Woche kam im SPIEGEL die Meldung, dass ein Bahnhofsumbau namens „S21“ weitere 600 Millionen teurer werde als geplant.
Vermutlich erinnern Sie sich zumindest dunkel, dass der brave angepasste Schwabe vor 13 Jahren bundesweit Schlagzeilen machte, weil er plötzlich Woche für Woche mit bis zu 100.000 Menschen auf die Straße gegangen ist, um gegen diesen Umbau zu demonstrieren. Was bundesweit damals leider nicht wirklich im Bewusstsein angekommen ist, waren die Gründe für diesen Protest. Ich erlaube mir, nur einige Stichwörter zu nennen.
-
zuallererst die Kosten - die momentan im Raum stehenden 9,7 Milliarden wurden damals von S21-Gegnern sehr präzise vorhergesagt, aber von sämtlichen S21-Befürwortern strikt geleugnet. Maximal 4,5 Milliarden würde es kosten, hieß es immer
-
Zweckentfremdung von Steuergeldern: Der einzige Grund, warum der Stuttgarter Bahnhof tiefergelegt werden muss, ist ein gigantisches Immobilienprojekt. Durch die Tieferlegung der Schienen werden mitten in Stuttgarts Zentrum gewaltige Flächen frei, durch die Lage natürlich hochprofitabel. Es stellt sich die Frage, warum die Steuerzahlenden ein Bauprojekt finanzieren müssen, von dem letztlich einige wenige Immobilienfirmen profitieren werden
-
diesem Ziel „freiwerdende Bauflächen“ wurde alles andere untergeordnet: Artenschutz, ökologische Vernunft, Brandschutz (S21 steuert auf ein ähnliches Debakel zu wie BER seinerzeit), Sicherheitsvorkehrungen, selbst ein funktionierender Bahnverkehr (!) an sich. Zur Erklärung: Aus 16 Gleisen im Kopfbahnhof werden acht Gleise im Durchgangstiefbahnhof. Laut unabhängigen Bahnexperten ist anzunehmen, dass der Tiefbahnhof maximal dieselbe Leistung bringen wird wie der früher bestehende Kopfbahnhof, höchstwahrscheinlich aber weniger. Und das nur dann, wenn der Fahrplan exakt eingehalten wird. Ja, wir Stuttgarter:innen haben an der Stelle auch gelacht.
Das sind die wesentlichen Punkte fürs Erste - sollte Ihr Interesse geweckt sein und Sie anfangen, sich einzulesen, werden Sie noch massig Ungereimtheiten, Vertuschungen, Betrugsfälle und politische Armutszeugnisse entdecken. Empfohlen sei die Arbeit des Journalisten Josef-Otto Freudenreich, der unter anderem in dem Buch „Wir können alles: Filz, Korruption und Kumpanei im Musterländle“ eine 40seitige Bestandsaufnahme des Projekts „S21“ zum damaligen Zeitpunkt geschrieben hat.
Warum ich dieses Thema anrege - zum einen besteht eine reelle Chance, dass die ganze politische Geschichte um S21 irgendwann als einer der größten Politik-Wirtschafts-Skandale der Nachkriegszeit gelten könnte. Zum anderen waren wir Stuttgarter:innen, die damals auf die Straße gegangen sind, immer der Überzeugung, dass S21 kein Einzelfall ist. Sondern ein Symptom. Somit könnte es meiner Ansicht nach durchaus interessant für Sie sein.
In Berlin haben Sie übrigens einige perfekte Ansprechpartner für den Anfang sitzen - Anton Hofreiter hat mehrmals bei uns auf Demos gesprochen, Cem Özdemir meiner Erinnerung nach auch.