Russland, die NATO und der Ukraine-Konflikt

Bitte stellt wieder die politischen Aspekte des Themas in den Mittelpunkt. Sonst haben wir hier schnell einen Überbietungswettbewerb in militärstrategischen Sandkastenspielen.

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Da bin ich komplett anderer Meinung. Genau das ist die Frage und davon sollten sich unserer Chefverhandler leiten lassen, wenn sie zu Gesprächen nach Kiev und Washington reisen.

Leider fehlt der Analyse in dem Beitrag die Handlungsempfehlung.

Nur weil ein Konflikt bereits im Gange ist, ist das doch kein Grund, der Diplomatie eine Absage zu erteilen. Ich kann nur wiederholen, dass das oberste Ziel immer noch sein sollte eine weitere Eskalation und damit einen Krieg zu verhindern. Dazu muß man verhandeln, eigene Positionen formulieren und auf die Positionen des Gegner eingehen. Mit einer Totalabsage gegenüber russischen Forderungen wird man keine diplomatische Lösung erreichen können.

Das ständige wiederholen macht diesen falschen Vergleich nicht richtiger. Im Kosovo wurde eine jahrelang unterdrückten Bevölkerungsgruppe vor Vertreibung und gezielten Tötungen einer Diktatur (Serbien) gerettet. Auf der Krim hat eine Diktatur (Russland) die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Ukraine genutzt, um ein strategisch wichtiges Gebiet zu annektieren, wo Russen dank der sowjetischen „Bevölkerungspolitik“, also Deportation nicht- russischer Gruppen und Ansiedlung von russischsprachigen Menschen, zwar die Mehrheit stellten, diese aber nicht ansatzweise von Verfolgung bedroht war.

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Nun ja, auch in der Ukraine gab es damals Gewalt gegen Russen mit zig Todesopfern. Die ging vielleicht nicht vom Staat aus, der hat sie aber zumindest geduldet. Der krasseste Fall war der Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa mit 48 Toten - die anwesende Polizei ist nicht eingeschritten, die Feuerwehr hat für 500m 40min gebraucht, die Notrufzentrale hat Anrufe abgewimmelt etc. In der Geschichte hat schon weniger gereicht, um einen Krieg zu rechtfertigen.

Ein Vergleich von zwei nicht-identischen Gegenständen wird naturgemäß Unterschiede und Gemeinsamkeiten ergeben. Ich nehme an, das ist die Gelegenheit weitere frappierende Gemeinsamkeiten anzusprechen.

(Kleiner Einschub vorweg, hier wieder der gleiche Irrtum bezüglich der Herkunft russisch-stämmiger Minderheiten. Sie befinden sich nicht wegen der Sowjetunion in diesem Gebiet sondern - neben der normalen Bevölkerungsdiffusion - vorallem als Teil der Besiedlung von Neurussland durch das Kaiserreich unter Katharina II. Dass Neurussland Teil der Ukraine wurde, ist freilich den Sowjets zu verdanken, genauso wie die Zugehörigkeit der Krim.)

Also noch einige weitere Gemeinsamkeiten:

  1. Die albanische (vgl: russische) Bevölkerungsmehrheit im Kosovo geht auf die Bevölkerungspolitik und die hierarchische Gliederung einer Hegemonialmacht zurück, das Osmanische Reich (am Rand auch das Wirken der Donaumonarchie) (vgl: Herrschaft von Russland über die Nordschwarzmeerküste), die Herrschaft über eine multiethnische Bevölkerung ausgeübt hat.
  2. Dass Kosovo unmittelbar vor seiner Unabhängigkeit Teil eines erweiterten serbischen Kernlandes war (vgl: Krim als Teil der Ukraine), geht letztlich auf den Machtverlust dieses Hegemons zurück (vgl: sowjetische Auflösung verstanden als russischer Einflussverlust). Wobei im Unterschied hier natürlich zwischenzeitlich noch Jugoslawien als übergeordneter Vielvölkerstaat steht.
  3. Die Autonomie von Kosovo und der territoriale Sonderstatus mit Bezug auf Serbien (vgl.: Krim innerhalb der Ukraine), geht hauptsächlich auf das Wirken einer Person an Spitze der Macht zurück, Tito (vgl.: Chruschtschow). Dieser Status wurde später von Serbien beschnitten. (Vgl.: Drohungen und Versuche der Ukraine die beanspruchte Souveränität der Krim sowie ihren autonomen Status einzuschränken.)
  4. Kosovo wurde von albanischen Nationalisten als Teil von Großalbanien (vgl.: russischer Anspruch auf die Krim) beansprucht. Im Unterschied ist es hier zwar nicht der selbe Hegemon, aber immerhin verstanden sich die Albaner innerhalb des Osmanischen Reiches lange nicht als eigenes Volk sondern als Moslems und damit als Teil der dominanten Gruppe. Die Kosovoalbaner (vgl.: russische Krimbevölkerungsmehrheit) ihrerseits fühlten sich mit dem Staat, dem sie angehörten weniger verbunden (vgl.: starke Russlandorientierung der Krimbewohner).
  5. Die lokalen Kräfte, die den Konflikt, der in der Unabhängigkeit des Kosovo endete, begonnen haben, waren die UÇK (vgl.: auf der Krim aktive Partei Russische Einheit, paramilitärische Kräfte). Die Kämpfer der Organisation wurden durch Albanien, also der äußeren Macht mit Anspruch auf das Gebiet, bewaffnet und ausgebildet (vgl.: russische Unterstützung der Dissidenten).

Die Parallelen sind also tatsächlich groß. Ein Hauptunterschied liegt darin, dass Russland die Mittel hatte die Krim aus der Ukraine herauszulösen und sie dementsprechend auch angliedern konnte. Albanien, allerhöchstens ein schwaches Echo der ehemaligen islamischen Dominanz des Balkans, hatte diese Möglichkeiten nicht und daher war die Intervention der NATO notwendig und Kosovo ist weiter eine unabhängige Entität.

Aha die Unterwerfung und Vertreibung der Krimtataren nennen sie also „Bevölkerungsdiffusion“.

Beides völliger Quatsch. Eine albanische Identität gab es schon lange vor den Osmanen. Genau wie Albaner auf dem Gebiet des heutigen Kosovo. Googeln Sie mal Skanderbeg, den albanischen Nationalheld, der schon im 15. Jahrhundert gegen(!) die Osmanen gekämpft hat.

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Das ist wieder mal eine Unterstellung. Nicht jeder der von München nach Bautzen zieht macht sich der Vertreibung der Sorben aus der Lausitz schuldig. Bevölkerungsdiffusion gab es in der Sowjetunion auch ohne die Verbrechen der Stalinzeit.

Dass serbische Dokumente ab etwa 1200 das Volk der Albaner erwähnen bedeutet nicht, dass diese sich damals selbst als ein Volk verstanden haben. Ähnlich wie römische Berichte über das Volk der Germanen nicht so zu interpretieren sind, dass es vor 2000 Jahren schon eine deutsche Nation gegeben hätte. Linguistisch lassen sich die Anfänge der albanischen Sprache auf die Zeit um 1100 datieren (das ist reine Rekonstruktion, auf Albanisch geschriebenen Texte aus der Zeit gibt es nicht).
Nebenbei: Das Osmanische Reich entstand um 1300, ab 1354 expandierte es in den Balkan. Ob die bis dahin vergangenen 150 Jahre seit der Ersterwähnung der Albaner „lange vor den Osmanen“ sind, mag jeder selbst beurteilen.

Schauen wir uns Skanderbeg doch mal an:
Sein Vater war Gjon Kastrioti, ein Adliger aus dem albanischen Stamm der Miriditen. Angehörige dieser Familie herrschten damals über Gebiete in Nordalbanien, Westmazedonien, Monte Negro, Bosnien und Italien (und betrieben dort auch Heiratspolitik).
Seine Mutter Voisava war ein Mitglied der serbischen Branković-Dynastie, die damals über große Teile Serbiens herrschte und unter anderem mit den oströmischen/byzantinischen Kaiserdynastien der Komnenen und Palaiologen verwandt war, sowie mit diversen anderen Fürstenhäusern benachbarter Länder.
Skanderbeg mag der Nationalheld Albaniens sein, aber seine Herkunft und sicher auch seine Erziehung und Bildung war der typische multikulturelle Mix eines damaligen Adligen vom Balken.
Die von ihm gegründete Liga von Lezha war nicht auf Albaner beschränkt, sondern schloss auch serbische, griechische und italienische Herrschaften mit ein. Man kann diese 35 Jahre lang bestehende Liga als einen Vorläufer des modernen Albanien betrachten. Aber in ihrer Zeit war sie ein reines Verteidigungsbündnis lokaler Fürsten, unabhängig von deren nationaler oder kulturellen Identität.

Mir ging es eigentlich auch nicht um die Sowjetzeit, sondern um die Jahrhunderte über die Personen mit russischer ethnischer Identität sich im Süden der Ukraine - um diesen Raum ging es mir konkret - durch normale Migration verbreitet haben. Genauso wie viele Ukrainer in das russische Kernland oder zum Beispiel auch Deutsche in dieses Gebiet eingewandert sind.

Darauf hatte mich auch gar nicht bezogen, ich schrieb bewusst „Albaner innerhalb des Osmanischen Reiches“. Vorallem nachdem der Großteil diese Volksgruppe zum Islam konvertiert war, denn das war der Ausgangspunkt vor der späten Entwicklung der albanischen Nationalbewegung.

Hier aus einem Kapitel aus " The Routledge Handbook of Balkan and Southeast European History"

Islamization gained momentum in the seventeenth century when the majority of Albanians converted to the imperial religion.

Schon davor:

By the fifteenth century, Albanians had started to join the Ottoman army and administration. Together with Bosnian Muslims, they formed a powerful interest group in Constantinople by the sixteenth and seventeenth centuries.

[…]

Muslim Albanians played a significant role in Ottoman campaigns in Hungary in the seventeenth century. […] The prominent position held by of Sunni Albanians helps to explain why Orthodox Serbs have equated Albanians with the resented Ottoman regime, an early modern legacy that remains an obstacle to regional reconciliation.

Hier wird auch darauf verwiesen, dass Ethnizität natürlich durchaus eine Rolle gespielt hat:

Although modern concepts of ethnic identity should not be mechanically projected back into the early modern period, it would also be misleading to ignore identity patterns that were related to language and culture. Albanians obviously felt their linguistic distinctiveness in comparison with surrounding communities. Muslim Albanian identity in Kosovo and Macedonia evolved around language, customary law, faith, and Ottoman Muslim privileges, such as the right to bear arms, a dominant social position in daily life, legal privileges in lawsuits against Christians, and virtual immunity in cases of violence against Christians.

Aber:

Ethnic difference existed in early modern Balkans, but it did not gain political importance as national identity until the late nineteenth century. Religious communities constituted the main frame of reference, and they sometimes bridged differences in language.

Die Migrationsentwicklung im Kosovo ist komplex und auch nicht gerade gut dokumentiert, aber ich denke, dass dabei der eingeschränkte Status, den die Serben als überwiegend orthodoxe Christen, gegenüber dem herausgehobenen Status, den Albaner als Muslime hatten, (wie oben beschrieben) eine Rolle gespielt hat, ist anzunehmen.

Um es mal alles zurück auf das Thema zu führen. Natürlich trägt auch die russische Erzählung von der Krim als verlorenem russischen Gebiet in vieler Hinsicht der komplexen Historie gerade dieser Halbinsel nicht Rechnung, aber das hier zeigt, dass auch die NATO sich einer sehr vereinfachten Sicht auf Kosovo bedient hat.

Können wir uns vielleicht darauf einigen, dass Du Dich in diesem Thread nicht von mir angesprochen fühlen musst? Ich habe auf AndyM reagiert, nicht auf Dich :grin: Mit Deinen Ausführungen habe ich keine Probleme.

Bitte nicht falsch verstehen. Ich bin nur nochmal darauf eingegangen, weil es offenbar noch Interesse gab, aber ich wegen des erneuten Siezens nicht auf die Antwort von AndyM reagiert hatte.

hier ein halbstündiger vortrag an der Yale von Vladimir Pozner. Der Clip ist für diejenign sicherlich wertvoll, die die russischen Motive besser verstehen wollen. Dezidiert geht Pozner auch auf die Zusagen bzgl Nato Osterweiterung ein. Der Vortrag geht bis min39

@moderat : Löschung des Posner Clips wg. Dopplung mit dem nachfolgenden Beitrag von @Martin42

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Hi,

ich habe immer wieder das Gefühl, als ob unsere Einstellung zu, bzw. unser Bild von Russland extrem einseitig ist. Grund sind sicher u.a. fehlende Informationen.

Ich habe dieses Video gesehen:

Ab Minute 6:00, ca. 50 Minuten lang. Viele der Gedanken, die dort geäußert wurden, sind neu für mich. Viele Dinge habe ich wohl vergessen, von vielen haben ich zu der Zeit, zu der sie aktuell waren, nichts mit bekommen.

Mich würde sehr interessieren, was dahinter steckt, ob man die erwähnten Vereinbarungen, Angebote seitens Putin etc. mal mit Fakten hinterlegen kann, also ev. auch mit Quellen, wo man das nachlesen kann. Und mich würde natürlich Eure Meinung dazu interessieren.

Danke, macht weiter so, und viele Grüße
Martin

Die Idee kommt nicht vom Westen, sondern von Putin. Es gibt, soweit ich weiß, nicht einmal Vorgespräche mit diesen Ländern.
Aber soll man vertraglich zusichern, diesen Ländern nie militärisch (durch Bündnisse oder auch Waffenlieferungen) zu helfen, auch wenn sie bis dahin mustergültig antikorrupt sind und ein Nachbar sie massiv bedroht?
Und auch was die ganze Osterweiterung der Nato angeht: die Aufnahme der nächsten Nachbarn wie Polen mag vielleicht noch aus einem rein subjektiven Bedrohungsempfinden dieser Länder entsprungen sein.
Bei den baltischen Staaten gab es schon massive Provokationen seitens Russland (hier ohne Beleg, aber soweit ich mich an die Nachrichtenlage von damals erinnern kann), so dass diesen kleinen Ländern nichts anderes übrig blieb, als sich „einen großen Freund“ zu suchen.
Und wenn die Drohungen Russlands gegenüber der Ukraine weiter gehen, bleibt uns, korrupt oder nicht, wohl kaum etwas anderes übrig, als Ihnen Schutz vor militärischer Aggression zuzusichern.
Denn dass Russland sich vor der Ukraine fürchtet, ist wohl kaum ernsthaft anzunehmen.

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NATO welcomes Ukraine’s and Georgia’s Euro-Atlantic aspirations for membership in NATO. We agreed today that these countries will become members of NATO.

Quelle:NATO - Official text: Bucharest Summit Declaration - Issued by the Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council in Bucharest on 3 April 2008, 03-Apr.-2008

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Wo genau kommt diese Zwangsläufigkeit her, was soll „Schutz“ in dem Kontext bedeuten und wer ist hier mit „wir“ gemeint?

Ob und in welcher Form da jemand (Nato, USA, Deutschland, …) eingreift, bleibt den jeweiligen Akteuren überlassen. Es steht jedem Akteur zunächst einmal frei, russische Aggression in der Ukraine unbeantwortet zu lassen. Ob das klug ist steht auf einem anderen Blatt.

Auch ist mir nicht klar, wie Du Dir Schutz vorstellst. Man kann die Ukraine militärisch unterstützen, zum Beispiel mit dem Ziel die territoriale Integrität der Ukraine zu erhalten, aber das schützt nicht wie ein Damm vor Hochwasser, bewaffnete Auseinandersetzungen mit entsprechenden Folgen für Zivilbevölkerung, Soldaten, Infrastruktur und nicht zuletzt der Möglichkeit einer darüber hinausgehenden Eskalation gäbe es trotzdem.

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Ferner sei auf den zeitlichen Kontext der Bukarester Erklärung hingewiesen: Die NATO-Staaten haben im Februar 2008 den Kosovo als unabhängiges Land anerkannt. Es lag nahe mit exakt der gleichen Argumentslinie auch die Unabhängigkeit Abchasiens anzuerkennen (siehe beispielsweise tagesschau: Zwei Kosovo im Kaukasus?). Eine Rückeroberung der Gebiete wurde anscheinend als sinnvolle Antwort darauf erachtet. Zumindest hat die Bukarester Erklärung sicherlich die Bereitschaft Georgiens Südossetien verstärkt schließlich im August 2008 Südossetien anzugreifen.

Danke, da habe wohl etwas missverstanden - oder bin einer Ente aufgesessen.
Das muss ich nochmal prüfen.

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1.) Mit „wir“ meine ich die Bundesrepublik Deutschland und die Organisationen, denen wir angehören.
2.) Die Zwangsläufigkeit leite ich zuerst einmal daher ab, dass, wenn „wir“ zulassen, dass ein Land in fremde Länder einmarschiert, wie es ihm passt, kein Ende abzusehen ist. So wie ich nach meinen Möglichkeiten etwas unternehme, wenn auf jemandem schutzlosen auf der Straße eingeschlagen wird, unabhängig von Sympathie oder Antipathie. Ich hätte auch erwartet, dass UNO-Truppen den IRAK gegen einen Einmarsch schützen, wenn das Land vorher gezwungen wurde, einen großen Teil seines militärischen Potentials abzubauen (d.h. nicht, dass es nicht auch einen durch eine UN-Resolution ausgelöste Ablösung des Unrechtsregimes hätte geben dürfen. Ich weiß nur nicht, nach welchen Kriterien dann welches Terrorregime gestürzt werden müsste, wenn die UN einmal anfangen).
Ganz formal leite ich aus Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen(Charta der Vereinten Nationen – Wikipedia) ab, dass wenn sich alle Statten verpflichten, die territoriale Integrität einzuhalten, die Einhaltung auch - soweit möglich - durchgesetzt werden muss. Ebenso aus der NATO-Russland-Grundakte vom 27.09.1997.
Wie ich mir den Schutz vorstelle, weiß ich selber nicht. Momentan versuchen es einige Länder mit Sanktionen. Waffenlieferungen sind allgemein kein gutes Mittel, können aber im Einzelfall gerechtfertigt sein. Eine Sicherheitsgarantie, die notfalls auch einzelne gezielte Militäraktionen beinhaltet, könnte zwar eskalieren, andererseits muss dann auch ein möglicher Aggressor überlegen, ob er das Risiko einer Eskalation eingehen will.
Frag mich nicht, was richtig oder falsch ist. Aber um obigen Bild zurückzukommen: Wenn eine Polizeigruppe bei einer schweren Körperverletzung zuschaut, um hinterher einen Bußgeldbescheid wegen „Verkehrsgefährdung“ auszustellen, läuft etwas falsch.

Im Jahre 2008 wurde auf dem NATO-Gipfel in Bukarest die grundsätzliche Bereitschaft beschlossen, mit der Ukraine und Georgien Gespräche über einen Beitritt zu führen. Auch wenn es bis heute keine konkreten Beitrittsverhandlungen gibt, dann war das ein klares politisches Signal an Russland, was dort natürlich als Provokation empfunden wurde. Natürlich haben alle souveränen Staaten das Recht, sich die Bündnisse auszusuchen, denen sie beitreten wollen. Aber es gibt keinen politischen Rechtsanspruch darauf, dass eine internationale Bündnisorganisation jedes Land aufnehmen muss, das einen solchen Wunsch äußert. Politisch wäre es äußerst unklug, wenn die NATO die beiden genannten Staaten aufnehmen würde. Diese beiden Länder brächten mehr Probleme mit in das Bündnis, als sie durch ihren Beitritt lösen würden. Es gibt daher aus meiner Sicht keine Alternative als die Neuauflage der Entspannungspolitik, die während des Kalten Krieges erfolgreich eine atomare Auseinandersetzung zwischen Ost und West verhindert hat. Grundlage dieser Politik war die Erkenntnis, dass in Zeiten atomarer Bewaffnung nicht nur die eigene Sicherheit, sondern auch die der anderen Seite bedacht werden muss. Dieses Konzept nannte sich „gemeinsame Sicherheit“. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Das unterstellt, dass Russland Interesse an größerer territorialer Expansion hat. Das sehe ich nicht, das hat Putin nie angestrebt und dafür hat Russland auch nicht die Streitkräfte. Um zu beurteilen, was Russland wirklich vor hat, finde ich es (wie mehrfach angesprochen) so wichtig, die Motivation der anderen Seite zu verstehen.

Russland scheint es hier primär um eigene Sicherheitsinteressen zu gehen. Und damit ist nicht gemeint, dass die Ukraine demnächst in Rostow am Don einmarschiert, sondern dass die Nato großflächig an Russlands Grenze steht und im schwarzen Meer operiert. Was wir davon und den dazu gewählten Mitteln halten sei mal dahingestellt, aber es hat sich nichts daran geändert, dass Sicherheit in Europa nur mit Russland möglich ist.

Nach allem was ich bisher gehört habe, scheint es mir darauf hinauszulaufen, dass Russland eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine (und Georgiens) auf keinen Fall akzeptieren wird. Wenn uns die Sicherheit in Europa lieb ist, müssen wir uns damit also mutmaßlich arrangieren.

Wiederum können wir verurteilen, dass Russland hier versucht, die Autonomie eines Nachbarstaats einzuschränken, aber realpolitisch ändern auch noch so viele UN-Statuten und was weiß ich für Übereinkünfte nichts, wenn Russland sich daran nicht gebunden fühlt, weil es essentielle Sicherheitsinteressen bedroht sieht.

Den Vergleich finde ich grundfalsch. In dem Szenario „Person A schlägt auf Person B ein“ ist die Polizei erstens unparteiisch und besitzt zweitens im Vergleich zu A und B de facto unendliche Macht. Was die Ukraine angeht ist aber niemand unparteiisch und wir sind auch nicht in der Position Russland zu irgendwas zwingen zu können.

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