Russland, die NATO und der Ukraine-Konflikt

Kommt auf die Waffen an. Stinger-Flugabwehrraketen etwa eigneten sich gar nicht zum Zurückerobern des Donbas (die „Separatisten“ haben ja keine Flugzeuge), und Panzerabwehrraketen eignen sich auch in erster Linie gegen Panzer, auch wenn man sie selbstverständlich gegen Punktziele verwenden kann. Aber grundsätzlich ist die Entscheidung zwischen offensiven und defensiven Waffen eher Unsinn, wie @mssfoa schon geschrieben hat. (Genauso wie die Idee, dass es eine Offensiv-Defensiv-Balance gibt, auf deren Basis die Wahrscheinlichkeit für einen Krieg steigt oder sinkt: https://web.stanford.edu/class/polisci211z/2.3/Lieber%20IS%202000.pdf)

Was in jeglichen Diskussionen über Waffenexporte generell untergeht: Wenn Deutschland nicht liefert, liefern andere. Die Türkei stattet die Ukraine ja zum Beispiel mit Drohnen aus, USA/UK mit Panzerabwehrlenkwaffen. Egal ob Deutschland nun Waffen liefert oder nicht, die militärischen Fähigkeiten der Ukraine werden durch Militärhilfe anderer Staaten ohnehin zunehmen.

Ist es es für die Bundesrepublik nun von Vorteil, da nicht mitzumachen? Oder ist der Schaden größer, wenn Deutschland keine Waffen liefert? Ich meine, letzteres. Bei den NATO-Verbündeten kommt der deutsche Sonderweg jedenfalls nicht gut an.

Erwähnt werden sollte auch noch, dass es nicht um Waffenexporte (Ukraine bestellt Waffen bei einem deutschen Unternehmen), sondern um Militärhilfe (Deutschland stellt Ukraine Waffen aus Beständen der Bundeswehr zur Verfügung bzw. kauft diese für die Ukraine) geht. Meines Wissens haben die ukrainischen Streitkräfte keine Waffen bei deutschen Unternehmen bestellt. Da lasse ich mich aber gerne korrigieren.

Noch ein Lesetipps zum Thema „Sinnhaftigkeit von Rüstungsembargos“: The Case Against Arms Embargos, Even for Saudi Arabia

Und noch einer zur Frage, was Waffenlieferungen an die Ukraine aus militärischer Sicht bringen (Spoiler: Wenig. Aber es gibt ggf. andere Gründe, trotzdem zu liefern, z. B. moralische): U.S. Military Aid to Ukraine: A Silver Bullet? | RAND?

Dieser Schritt muss aber von Finnland und Schweden kommen. Nicht auszuschließen, dass sich die beiden Staaten dazu entscheiden könnten, sofern Russland in der Ukraine einmarschiert. In Schweden gibt es glaube ich eine gesellschaftliche Mehrheit, aber die schwedischen Sozialdemokraten sind dagegen. Generell könnte die Invasion natürlich politische Effekte in Europa haben, die wir uns jetzt nur schwer vorstellen können – zum Beispiel massive Investitionen in die Streitkräfte und/oder stark verstärkte militärische Kooperation der EU-Staaten.

Aber wie James G. Stavridis, der ehemalige SACEUR (NATO-Oberbefehlshaber in Europa) immer zu Schweden und Finnland sagte: “If you ever want to join NATO, let us know on a Wednesday and we’ll have you in by Friday.”

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Ja, bei dem Segment zur Ukraine in der Folge kann ich überhaupt nicht mitgehen.

Angefangen mit der schon mehrfach getroffenen Feststellung, dass wir es hier mit einer dominanten medialen Interpretation einer akuten Lage zu tun haben, anstatt von Klarheit über eine Lage. Russland droht der Ukraine eben nicht offen mit einem Einmarsch. Es sieht sicherlich so aus, als würden sie sich dazu in die Lage versetzen, es fühlt sich dementsprechend bedrohlich aus ukrainischer Sicht an, aber technisch gesehen sind die einzigen, die der Ukraine offen mit einem russischen Einmarsch drohen, die Medien und darunter vermutlich am lautesten die im Westen. Russland kann offenbar gut mit der Interpretation leben, denn sie geben keine andere. (Das sollte einem zu denken geben.) Wenn sich jetzt auch noch russische Truppen in Weißrussland für eine militärische Übung aufhalten, ist das dagegen geradezu eine Transparenzoffensive - Wortspiel unbeabsichtigt.

Mittlerweile äußern sogar Menschen in der Ukraine, der Präsident des Landes gehört dazu, eine Abneigung dagegen das Zentrum eines Medienhypes zu sein, während die aus ihrer Sicht seit Jahren bestehende Gefahr nicht diese Aufmerksamkeit erfahren hat.

Das mediale Narrativ besteht aus zwei Teilen: 1) Der Festlegung, dass Russland in jedem Fall einmarschieren wird - bis hin zu die Ukraine erobern will, und 2) der Aussicht, dass es noch durch Handeln des Westens abgewendet werden kann.

Zu 1: Ich finde weiter wenig verständlich, warum wir an diesem Punkt sind und muss darauf hinweisen, dass wenn der erste Teil nicht stimmt, wir gerade sehr viel Wind machen. Und es ist nicht so, dass der gezeigte Aktionismus im Zweifel ausschließlich positive Folgen haben wird, es kann durchaus sein, dass er die russische Kalkulation gegen „unser“ geäußertes Interesse verschiebt.

Zu 2: Eine negative Nebenwirkung für die Gegner von Russland, sie geben gerade sehr viele Informationen preis: Denn der zweite Teil des medialen Narrativs scheint davon auszugehen, dass Russland die Karten des Westens nicht im Groben kennt und Gegenmaßnahmen nicht bei der Erwägung eines Angriffs einbezogen hat. Aber falls sie beispielsweise SWIFT noch nicht auf dem Schirm hatten, konnten sie im Zuge der Drohung mit dem Ausschluss gleichzeitig erfahren, dass es im gegnerischen Block durchaus Vorbehalte gibt, weil die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft zu groß sind. Weiß nicht, ob sie das jetzt im Ergebnis für eine realistische Drohung halten oder nicht. Sollte es in der russischen Regierung dagegen noch Zweifel gegeben haben, ob der Westen doch zu einer militärischen Antwort bereit wäre, ist das sehr klar vom Tisch geräumt worden. Schließlich einige der Drohungen haben sich womöglich schon längst verbraucht. Nord Stream 2 ist ja nicht jetzt erst entdeckt worden. Es kann gut sein, dass Russland die Pipeline längst abgeschrieben hat. Mit der Überlegung, dass die Eignerin zwar die Anforderungen der Bundesnetzagentur erfüllen kann, aber man von Seiten der EU-Kommission von einem Veto ausgeht, über das sich Deutschland wohl hinwegsetzen könnte aber nicht wird.

Mit anderen Worten, wenn der erste Teil des Narrativs tatsächlich zutrifft, bin ich nicht sicher, dass Russland hier viel hört, was es nicht im Prinzip schon wusste und deshalb seine Kalkulation so drastisch ändern könnte, dass der als sicher gesetzte Einmarsch doch unterbleibt.

Zu Waffenlieferungen: Der Ansatz, um das Symbol von deutschen Waffenlieferungen gegen Moskau herum zu kommen, ist kreativ. Denke nicht, dass das so funktioniert. Aber insbesondere, wenn man von einem Angriff durch Russland fest ausgeht, dann stellt man mit Waffenlieferungen an die ukrainische Seite hauptsächlich sicher, dass neben Ukrainern auch mehr Russen sterben. Wird einer historischen Schuld beide Landesteile der Sowjetunion überfallen zu haben nicht so ganz gerecht. Geht man dagegen zusätzlich davon aus, die Ukraine stünde kurz davor eine ausreichende militärische Abschreckung gegen einen Angriff zu haben, die man mit einigen adhoc-Lieferungen von Rüstungsgütern komplettieren kann, hat man ein sehr schiefes Bild der Lage.

In den deutschen Medien scheint es eine Art Scham vieler Kommentatoren zu geben, dass unsere Regierung nicht enthusiatisch mit Drohungen und Maßnahmen gegen die in jedem Fall unerklärte russische Drohung dabei ist. Also für mich ist der einzige Trost für unsere fortgesetzte NATO-Mitgliedschaft, dass wir nur unenthuisiatisch da mitmachen.

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Kleine Ergänzung: Mit dem Ansatz, die Opferländer im Zweifel auch in gegenseitigen Konflikten zu unterstützen, müsste man unter den sowjetischen für Weißrussland eigentlich das meiste tun und bei dem Stichwort - wenn man es mal vergleicht, war der Grenzkonflikt zwischen Polen und Weißrussland deutlich brenzliger als er in den Medien reflektiert wurde. Wäre es zu einem Angriff auf Weißrussland gekommen, hätte die russische Regierung das entsprechend ihrer Militärdoktrin als einen Angriff auf den Unionstaat, der Vergeltungsmaßnahmen erfordert, werten müssen. Auch demgegenüber finde ich die derzeitige Berichterstattung sehr unwuchtig.

Ich kapiere nicht, weshalb sich in Deutschland derart viele Menschen ihr Weltbild so lange zurecht schnipseln, bis man wirklich und aus voller Seele daran glaubt, dass man Putin durch gutes Zureden und ohne echte Druckmittel auf den Frieden verpflichten kann.

Dieser Mann hat in den vergangenen 15 Jahren ein halbes Dutzend Kriegseinsätze geführt, im Schnitt kommt also alle zweieinhalb Jahre ein weiterer dazu. Fast jeder hatte einen expansiven Charakter: Dreimal sogar mit Grenzverletzungen und dauerhaften territorialen Besatzungen. Und der deutschen Linken und der deutschen Rechten fällt bei dieser Bilanz nichts weiter ein, als dass Putin angeblich Angst vor der NATO habe und dass er nach „Respekt“ suche?

Gibt ja viele Leute, die sinngemäß sagen: „Was geht uns die Ukraine an? Weder NATO- noch EU-Staat“. Vom menschlichen Leid mal abgesehen, ganz pragmatisch: In der Ukraine leben über 40 Millionen Menschen - wo sollen die denn hin, wenn von Osten her der Krieg kommt? Die Flüchtlinge hauen ab in den Westen, und ob die in Polen oder Ungarn bleiben werden - da bin ich aber ziemlich skeptisch. Man kann vielleicht ein paar Tausend Flüchtlinge mit Zäunen abwehren, aber keine Million oder mehr.

Ganz abgesehen davon, dass sich Putin ermutigt fühlen könnte, sich weitere Nicht-NATO Staaten einzuverleiben, z.B. Finnland. Ist zwar ein EU-Staat, aber wie man aktuell sieht zeigt die EU nicht gerade Balls of Steel…

Waffenlieferungen an die Ukraine würden den Einmarsch für die Russen ziemlich schmerzhaft machen. Dann würde der Rückhalt in der russischen Bevölkerung für den Krieg ganz schnell zusammenbrechen. Daher verringern die Waffenlieferungen die Kriegsgefahr.

Die außenpolitischen Positionen der Linken kann man ja eh nur mit Humor nehmen, sonst wird man depressiv. Lustig an diesem Tweet finde ich dieses wunderschön misslungene Bild: Säbelrasseln mit Kevlar-Helmen. Darauf muss man erst einmal kommen.

Auch die Rolle der SPD ist mehr als besorgniserregend.

Als Paradebeispiel dafür muss die „Stiftung Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern“ gelten: Mit Gazprom-Millionen hat Schwesigs Landesregierung die Stiftung auf den Weg gebracht, die klingt, als sei sie dazu gedacht, die „wunderbare, in weiten Bereichen unter Schutz stehende Natur“ des Landes zu bewahren. Ihren Hauptzweck – so urteilen jedenfalls zahlreiche Kritiker und das legen auch Stellungnahmen der Stiftung nahe – scheint sie allerdings im Nebenzweck ihrer Satzung zu haben: in der Hilfe zur Errichtung der Pipeline Nord Stream 2. Schließlich sei Gas die „klimaschonendste Übergangstechnologie zur Sicherung der notwendigen Energieversorgung“.

Schwesigs Klimaprojekt ist im Wesentlichen eine Brandmauer, um Nord-Stream-2-Zulieferer vor dem langen Arm Washingtons zu schützen. Denn die USA haben mittlerweile Sanktionen gegen Firmen verhängt, die sich am Bau der Pipeline beteiligen. Mit Hilfe des eilig geschaffenen Konstrukts sollen sie laut Angaben der Klimastiftung unterlaufen werden, denn die Strafmaßnahmen nehmen staatliche Einrichtungen explizit aus.

Und um diese Aufgabe erfüllen zu können, wirkt die Stiftung wie ein schwarzes Loch, aus dem wenig Licht nach außen dringt.

Wenn der Staat Stiftungen errichtet, die schalten und walten können wie sie wollen ohne parlamentarische Kontrolle, Transparenz und Beachtung des Vergaberechts, dann muss man sich über Politikverdrossenheit echt nicht mehr wundern.

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Ok, offensichtlich bin ich nicht gut genug informiert, um welche Einsätze geht es (mal abgesehen von der Krim und der Unterstützung des sysrischen Regimes).

Und dann interessiert mich auch noch, wann das letzte Mal ein russischer oder sowjetischer Leader auf Druck von außen positiv reagiert hat und wie oft Diplomatie weiter geholfen hat.

Da scheint langsam aber sicher immerhin die Erkenntnis durchzusickern, dass es zumindest ein Bedrohungsgefühl in Russland durch Osterweiterung und Aufrüstung gibt…

… und die Antwort darauf soll tatsächlich mehr Waffen, und mehr NATO-Erweiterung sein? Sieht so die diplomatische Lösung aus, die ja alle Beteiligten angeblich immer erreichen wollen?

Verstehe ich das richtig, ein moralischer Appell für Waffenlieferungen? Ich kann ganz aufrichtig sagen, das habe ich noch nie gehört.

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Ich weiß nicht, ob das hinkommt, aber man kann die russische Beteiligung an Konflikten natürlich vorbringen, nur wenn an der Spitze des eigenen Blocks die Vereinigten Staaten von Amerika stehen, wird das viele nicht überzeugen. Russland führt seine Kriege eher nicht, weil sie so profitabel sind.

Das ist sehr unrealistisch. Schon eine komplette Übernahme der Ukraine ist eher unrealistisch. Putin ist auch nicht für militärische Abenteuer bekannt, sondern sucht sich Konflikte aus, die die russischen Streitkräfte mit überschaubaren Opfern und Einsatz für sich entscheiden können.

Was ich so an Szenarien gesehen habe, was für territoriale Eroberungen für Russland erwogen werden:

  • Der Norden und Nordosten der Ukraine um Kiew als Pufferzone. Dort wo die Distanz des ukrainischen Territoriums zu Moskau am geringsten ist.
  • Natürlich die Übernahme der abtrünnigen selbsternannten Republiken im Osten.
  • Darüberhinaus ein größeres Gebiet um das Donezbecken bevor der Dnepr überschritten wird.
  • So ein Gebiet könnte mit der Krim verbunden werden, um die Ukraine vom Asowschen Meer abzuschneiden.
  • Es könnte weiter über Odessa bis zur ukrainischen Grenze mit Rumänien und Moldau verbunden werden, um sie auch noch vom Schwarzen Meer abzuschneiden.

(Die Verlängerung war ein Szenario, das schon 2014 von einigen im Westen erwartet worden war und damals sicherlich mit nochmal geringeren Kosten hätte durchgeführt werden können.)

Eine Invasion der Westukraine, wo auch der eigentliche Kernbereich der ukrainischen Nationalbewegung liegt, gilt dagegen als militärisch viel zu teuer.

Die Vorstellung, dass Russland die Mittel hätte, um sich mal ein paar Länder an seinen Grenzen zu greifen, ist nicht realistisch und passt auch nicht zu der Vorstellung, dass man sie mit einigen Waffenlieferungen davon abhalten kann:

Kann man die Ukraine aufrüsten damit sie über ein ausreichendes Abschreckungspotential besitzt, um einen russischen Angriff auszuschließen? Denkbar ist es natürlich, aber dafür benötigt man Zeit. Erstens kann man nicht einfach Waffensysteme irgendwo hinstellen, man braucht auch Soldaten, die damit vertraut sind und in Übungen Erfahrungen damit gesammelt haben, idealerweise in einem Kriegseinsatz. Zweitens die Materialmenge, die man braucht, um das Defizit gegenüber den russischen Kräften zu verringern, kann auch nicht mal eben so zur Verfügung gestellt werden.

Wenn man glaubt die Zeit zu haben, die Ukraine hochzurüsten, dann kann man nicht von einem unmittelbar bevorstehenden russischen Angriff ausgehen. Und wenn man nicht davon ausgeht und die Russen sagen, sie haben nicht vor anzugreifen. Warum sprechen wir dann überhaupt über diese Art von Eskalation?

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Russland hat rote Linien gezogen im Wissen, dass der Westen, allen voran die USA, diese roten Linien unmöglich akzeptieren kann.
Jetzt braucht es rote Linien, die Russland nicht akzeptieren kann, damit man Verhandlungsmasse hat um über Russlands rote Linien zu verhandeln.
Da gehört Säbelrasseln natürlich dazu.
Aber von Biden wissen wir ja, dass ein kleiner Einmarsch Russlands keine großen Gegenmaßnahmen nach sich ziehen wird.
Und aus dem deutschen Militär war ja auch schon zu hören, dass die besetzten Gebiete als verloren gesehen werden.
Die Ukraine ist ganz klar der Verlierer der ganzen Geschichte.

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RT deutsch scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Bevor wir darüber reden, wer sich wie „fühlt“ oder „Respekt“ verdient, schauen wir doch nochmal auf die Fakten:

  • Wer ist ein nicht demokratisch legitimierter Herrscher, der brutal gegen Andersdenkende im in- und Ausland vorgeht? Putin-Russland

  • Wer hat einfach so einen Teil eines souveränen, demokratischen Staates mit Waffengewalt an sich gerissen? Putin-Russland

  • Wer unterstützt seitdem als offenes Geheimnis irreguläre Truppen, die weitere Teile dieses souveränen Staates in ein Kriegsgebiet verwandeln? Putin-Russland

  • Wer hat nun mehr als 100.000 Truppen um die Grenzen eben jenen Staates in Position gebracht und nutzt diese aktiv als Drohgebärde, um nicht erfüllbare Forderungen zu stellen? Putin-Russland

  • Wer ist also der Aggressor in diesem Szenario? Wer jetzt „NATO“ sagt, dem ist doch nicht mehr zu helfen.

Und der Verweis auf die deutsche Geschichte ist dermaßen zynisch, ich kann es kaum Glauben, dass das als „Argument“ anerkannt wird. Denken wir, dass die Ukraine einen Weltkrieg anfängt, mit den Waffen die wir Liefern würden? Verlangt die Ukraine nach Equipment für die systematische Ausrottung von Millionen von Menschen? Ich glaube nicht.

Gleichzeitig muss man doch die Frage stellen, ob die deutsche Geschichte uns nicht verpflichtet, auf Seiten der Ukraine einzugreifen. Hätten England, Frankreich und die USA schon früher beherzt eingegriffen, wäre das Leid das unser Land verursachte nicht einmal ansatzweise möglich gewesen. Es ist das Wegschauen und Nichtstun, das Gewährenlassen und das Hoffen auf ein Einsehen auf der Gegenseite, das das alles erst möglich gemacht hat.

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Ich bin der Meinung, dass es keinen Unterschied zwischen sogenannten defensiven und offensiven Waffen gibt. Alle Waffen sollen töten und ob sie defensiv oder offensiv eingesetzt werden, hängt von der Art und Weise ihres Einsatzes ab. Darüber entscheidet die politische oder die militärische Führung einer Armee.
So haben die Briten im Falklandkrieg 1982 ihre Panzerabwehrraketen genutzt, um bei ihrem Vormarsch argentinische MG-Stellungen auszuschalten.
Vor wenigen Tagen sind moderne Panzerabwehrraketen von Großbritannien an die Ukraine als Defensivwaffen geliefert worden. Die amerikanischen Raketenabwehrsysteme in Rumänien und demnächst in Polen können natürlich zur Verteidigung von Teilen Europas gegen russische Raketenangriffe eingesetzt werden. Sie können aber auch einen offensiven Aufmarsch von NATO-Truppen decken, die Russland und seine Verbündeten angreifen wollen. Beides ist möglich. Alles eine Frage der Absicht.
Sogar die in diesen Tagen viel belächelten Schutzhelme, die aus Deutschland an die Ukraine geliefert werden sollen, können von Soldatinnen und Soldaten getragen werden, wenn sie eine Stellung verteidigen, aber auch, wenn sie als Stoßtrupp feindliche Stellungen angreifen.
Deshalb muss man eine politische Grundsatzentscheidung über Waffenlieferungen an die Ukraine treffen, ohne zwischen sogenannten Defensiv- und Offensivwaffen zu unterscheiden.
Wenn es an einem in dieser Region nicht mangelt, dann sind das Waffen. Die Ukraine selbst ist ein nicht unwichtiger Waffenproduzent. Daher wäre die Lieferung deutscher Waffen an die Ukraine ein Akt von großer politischer Symbolkraft, der allerdings die reale Verteidigungsfähigkeit der Ukraine in keiner nennenswerten Weise beeinflussen würde. Ein solches Symbol würde die Spannungen weiter verschärfen.

Aus meiner Sicht geht es vielmehr darum, die Lage nicht weiter zu eskalieren. Die vielleicht aus westlicher Sicht übertriebenen Sicherheitsinteressen Russlands sollten in gemeinsamen Gesprächen im sogenannten „Normandie-Format“ oder in anderen Verhandlungsrunden Berücksichtigung finden.
Eine NATO- oder EU-Mitgliedschaft der Ukraine oder gar Georgiens sollte auf absehbare Zeit politisch ausgeschlossen werden. Diese Staaten brächten weitere Probleme in das Bündnis und in die EU, die wir nicht beherrschen könnten.
Die Ukraine könnte vielmehr eine Brücke zwischen EU-Europa und Russland bilden und eine neutrale Position zwischen den neu entstandenen Machtblöcken einnehmen. Dadurch würden weder westliche noch deutsche Belange nachteilig berührt.
Darüber sollte der Westen mit Russland reden anstatt die Lage durch Waffenlieferungen weiter zu verschärfen.

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Ist es wirklich hilfreich in eine Diskussion mit dem festen Vorsatz zu beginnen nicht differenzieren zu wollen?

Natürlich ist es Zweck einer Waffe, den Gegner unschädlich zu machen, die Art und Weise wie das geschieht ist dennoch sehr unterschiedlich und die Nützlichkeit verschiedener Waffengattungen in Angriffs- und Verteidigungssituationen ist ebenfalls unterschiedlich (Edit: in einem Spektrum versteht sich, Waffen als rein defensiv oder offensiv zu klassifizieren wird in den wenigsten Fällen gelingen).

Wenn man nicht mal solch basale Fakten anerkennen will, setzt man sich ohne Not selbst außer Stande, die Situation und mögliche Lösungsansätze einzuschätzen.

Dieser immer wieder wiederholte Behauptung wurde, wenn ich mich recht erinnere, sogar von Gorbatschow selbst widersprochen. Genscher hat so was in Aussicht gestellt. Der konnte aber gar nicht im Namen der NATO sprechen. Und für die Bundesrepublik halten wir das ja ein: Auf dem Boden der ehemaligen DDR standen und stehen keine NATO Truppen.

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Wie naiv muss man sein, in an der Grenze zur Ukraine zusammengezogene 120.000 Soldaten nicht als Bedrohung zu verstehen …

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hier ein intressanter clip dazu

(um den clip zu sehen, muss der twitter post angeklickt werden)

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Es ist relativ klar, dass Gorbatschow Anfang der Neunziger Jahre Zusagen bekommen hat, dass keine Erweiterung der NATO in Richtung Sowjetunion erfolgen wird, dass sie nicht in Erwägung gezogen wird oder ähnlich. Gleichzeitig ist klar, dass er keine verbindlichen Zusagen diesbezüglich erhalten hat. Insofern ist die Frage eher nebensächlich. Gorbatschow hat seine eigene Darstellung dazu ein paar mal geändert, weil ihm in Russland dieses Versäumnis zum Vorwurf gemacht wird, er aber auch Beziehungen in den Westen zu pflegen hat.

Es gibt einen Unterschied zwischen einer Bedrohung und einer Drohung.

Eine Bedrohung liegt vorallem erstmal im Auge des Betrachters. Insofern: Interessanterweise gab es in den letzten Tagen einen deutlichen Wechsels des Tons der ukrainischen Regierung, wo inklusive Präsident mehrere Leute aus der Führung des Sicherheitsapparats jetzt sagen, die Bedrohung wäre eigentlich nicht deutlich anders als in den vergangenen Jahren, sie hielten die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Einmarsches entsprechend für nicht erhöht oder jedenfalls nicht für eindeutig und einige meinen sogar, man würde im Westen überreagieren.

Beispiel:

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Das ist kein „interessanter Clip“, sondern eine (bewusst) verkürzte Darstellung der damaligen Situation.
Es steht doch direkt zwei Beiträge über deinem:

Es gab zu keinem Zeitpunkt eine verbindliche Vereinbarung zwischen NATO und Russland, die die Osterweiterung ausschloss.

Das musst du uns auch nicht einfach so glauben, das sagt Gorbatschow selbst:

Die Behauptung, es habe ein festes Versprechen gegeben, die Nato nicht über die Bundesrepublik hinaus zu erweitern, ist falsch. Tatsächlich kam es nie zu einer formellen Zusage. […] Gorbatschow selbst sagte 2014, dass er kein Versprechen einer Nato-Nichterweiterung erhalten habe. Es sei ein „Mythos“, dass er betrogen worden sei. „Der Warschauer Pakt existierte doch noch.“

Außerdem taugt die Osterweiterung der Nato auch zeitlich nur sehr begrenzt als Begründung des heutigen Konflikts, liegt doch die letzte Erweiterung bereits 18 Jahre in der Vergangenheit.

Putin selbst hat übrigens im Erweiterungsjahr 2004 gesagt, dass jedes Land das Bündnis wählen solle, das ihm für seine Sicherheit am geeignetsten erscheine.

Die Zitate sind von hier:
https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-01/ukraine-konflikt-nato-osterweiterung-russland

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Eine der entscheidenden Fragen des russisch-ukrainischen Konflikts ist, ob die Ukraine Teil der NATO werden kann. Ihr Beitritt wäre neben dem von Weißrussland der vermutlich kritischste Schritt der Osterweiterung vis-à-vis Russland. Insofern sehr merkwürdige Perspektive.

Die Aufnahme von Nordmazedonien ist wohl nur eine Südosterweiterung?

Artikel 51 der UN-Charta räumt Staaten das Recht zur Selbstverteidigung ein. Wenn ein Staat nun also

a) ungerechtfertigt angegriffen wird oder dieser Angriff kurz bevorsteht und
b) dieser Staat um Hilfe bittet, sich zu verteidigen,

dann wird man ihm diese Hilfe aus moralischen Gesichtspunkten schwer verwehren können. Denn durch einen ungerechtfertigten Angriff macht sich der Angreifer haftbar für einen defensiven Gegenangriff. (Das gleiche moralische Prinzip kennen wir übrigens aus dem Strafrecht, siehe Notwehr und Nothilfe.)

Es besteht für Deutschland natürlich keine moralische Pflicht, die Ukraine durch Waffenlieferungen zu unterstützen. Dies kann auch auf anderen Wegen geschehen, etwa durch diplomatische Unterstützung, Sanktionen im Falle eines Angriffs, etc. (Nicht einmal die NATO-Beistandspflicht in Artikel 5 fordert ja militärische Unterstützung, da genügt ein Beileidstelegramm. Anders die EU-Beistandspflicht, aber das ist ein anderes Thema.) Wenn man jedoch der Ansicht ist, dass die Anwendung (militärischer) Gewalt in einigen Ausnahmefällen gerechtfertigt ist und die Verteidigung gegen einen ungerechtfertigten Angriff dazugehört, dann spricht das durchaus für Militärhilfe – zumindest aus moralischen Gesichtspunkten.

Wer natürlich der Ansicht ist, dass militärische Gewalt nie eine Lösung sein kann, wird dies anders sehen. Ich wünschte auch, es wäre so. Aber nicht alle Akteure auf der Welt teilen diese Ansicht (Baschar al Assad sicherlich nicht, auch die USA sicherlich nicht), und die Geschichte zeigt, dass Gewalt eine Lösung sein kann – nämlich dann, wenn eine Seite gewinnt. Ob mir das gefällt oder nicht – diese Tatsache muss ich anerkennen.

Nur, damit kein Missverständnis aufkommt: Dieses moralische Argument für Waffenlieferungen betrifft den konkreten Fall der Ukraine. Es bezieht sich nicht auf Waffenlieferungen generell.

Die Bundesregierung hat in ihren politischen Grundsätzen auf Seite 7 explizit darauf hingewiesen, dass Rüstungsexporte in „Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht“ oder „in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden“ nicht genehmigt werden. Es sei denn, es handelt sich um einen Fall, in dem Art. 51 der UN-Charta einschlägig ist. In diesem Fall wären Waffenexporte zulässig.

(An dieser Stelle noch einmal der Hinweis, dass es um Militärhilfe geht, nicht um Waffenexporte. Also so wie damals die Lieferungen der Milan-Raketen an die kurdischen Milizen im Irak, die gegen den Islamischen Staat kämpften.)

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Und zum Thema Osterweiterung und Versprechungen noch ein Lesetipp: https://www.sscnet.ucla.edu/polisci/faculty/trachtenberg/cv/1990.pdf

Leider auf Englisch, deshalb der wichtigste Satz hier als Übersetzung (Seite 40):

Der springende Punkt ist jedoch, dass es sich hierbei [um die Frage, ob es Versprechungen gab] streng genommen nicht um eine historische Frage handelt. Die Antworten, die man gibt, hängen von den moralischen und politischen Werten ab, die man vertritt. Und obwohl diese oft die historische Analyse prägen, werden sie nur in begrenztem Maße von ihr geprägt.

Was hierzu noch gar nicht angesprochen wurde: dass es innerhalb der ukrainischen Armee rechte Kampfeinheiten gibt, die auch in Deutschland, in rechtsextremen Kreisen Kämpfer angeworben haben und für diese Gruppen Schulung an Waffen anbieten.
Auf den thüringer Rechtsrock-Festivals gab es Infostände des „Asow“-Regiments.

https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/rechtsextremismus-neonazis-sachsen-urlaub-veteranen-ukraine