Rückmeldung zur Rolle der Grünen beim Bau der A 49

Lieber Ulf, Lieber Philip,

ich möchte euch hier eine Rückmeldung geben zu eurer Diskussion um die Ambilenz im Handeln der Grünen bezüglich der A 49. Aus meiner Sicht habt ihr da nämlich Narrative übernommen, die von SPD, CDU und FDP verbreitet werden, die bei genauerer Betrachtung nicht stimmen. Ich bin Gregor Kreuzer, Kreisvorstandssprecher von den Göttinger Grünen und habe mit zwei verbreiteten Threads auf Twitter einen kleinen Beitrag dazu geleistet. Sinngemäß argumentiere ich so:

Es wird gerade von vielen Verbündeten der Grünen - beispielsweise Friday For Future - gegen die hessischen Grünen geschossen. Während die Wut über die A 49 gerechtfertigt ist, so ungerechtfertigt sind die Grünen als Adressatin der Kritik. Hier ist der Versuch, etwas Frieden zu stiften.

Der Kritik am Weiterbau der Autobahn schließe ich mich komplett an. Wer 2020 noch neue Autobahnen bauen will, macht eine komplett verfehlte Verkehrspolitik. Straßenneubauten werden dem Biodiversitätsverlust, der Klimakrise und den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht.

Generell unterliegt Autobahnbau der Bundesauftragsverwaltung. Das bedeutet, dass Landesbehörden der Weisung des Bundes unterliegen. Landesregierungen haben da rechtlich keine Einflussmöglichkeit, sie sind an diese Gesetze gebunden und müssen den „Auftrag“ des Bundes umsetzen. Wie lief das ab? 1992/93 wurde die A 49 von der Schwarz-Gelben Bundesregierung unter Kohl im Fernstraßenausbaugesetz in Auftrag gegeben (Drucksache 12/3480). Sogar als „vordringlicher Bedarf“. 2012 wurde vom hessischen FDP-Minister Posch die Planfeststellung unterschrieben. Damit war das Genehmigungsverfahren beendet. Versuche, das Verfahren gerichtlich rückgängig zu machen, wurden in höchster Instanz abgeschmettert. An diese von CDU und FDP innerhalb von 20 Jahren geschaffenen Fakten ist die hessische Landesregierung rechtsstaatlich gebunden.

Die Grünen haben den Bau der A 49 auf jeder Ebene zu jedem Zeitpunkt kritisiert. Auch innerhalb der hessischen Regierung, auch wenn dieser Antrag von CDU/Grüne, verbreitet von Janine Wissler (LINKE), was anderes andeutet. Aber: Der Antrag ist ein Versuch, den Bau zu stoppen.

Die entscheidende Formulierung ist unter 4.: Dass „es für einen Weiterbau der A 49 erforderlich“ ist, „dass (…) die Finanzierung vollständig gesichert ist“. Der Antrag wurde von SPD und FDP damals als „Aus für die A49“ kritisiert. Den Grünen war damals klar, dass es keinen rechtlichen Weg gibt, den Bau zu stoppen. Außer, man fordert eine komplette Finanzierung im Vorhinein, und der Bund finanziert nicht. Es war die letzte Möglichkeit, den Weiterbau als Landesregierung zu stoppen.

Die Grünen haben sich dabei leider verkalkuliert, denn Andi Scheuer hat es 2016 tatsächlich geschafft, die vollständige Finanzierung über ein ÖPP-Projekt zu sichern und sich danach ordentlich stolz selbst auf die Schultern geklopft.

Man muss die traurige Realität leider so aussprechen: Im Fall der A49 ist es, außer es geschieht ein Wunder, nicht mehr möglich, das Projekt zu verhindern. Außer: Andreas Scheuer als Verkehrsminister stoppt es. Und wir wissen alle, dass er das nicht machen wird.

Doch wenn die hessischen Grünen schon immer gegen den Weiterbau der A 49 waren, warum steht er dann im Koalitionsvertrag? Da gibt es nicht wirklich etwas zu beschönigen - aber zu erklären. Der Rechtsweg war 2014 - bis auf das Verfahren zur Wasserrichtlinie (s.u.) - vollständig ausgeschöpft. Koalitionsverhandlungen sind von Tit-for-Tat geprägt. Für jede Position, die man selbst durchbringt, muss man der anderen Seite etwas zugestehen. Die CDU wollte sich im Vertrag unbedingt zur A49 bekennen. Das Land konnte rechtlich am Bau im Grundsatz nichts mehr ändern. Die Grünen hätten, um die Passage zu streichen, eigene Positionen aufgeben müssen. Auswirkungen auf die Rodungen hätte die Streichung nicht gehabt. Das lässt die Grünen nun in einem schlechten Licht dastehen. Schade. Doch das Problem ist nicht der Koalitionsvertrag.

Das grundsätzliche Problem ist: Nirgendwo gibt es Mehrheiten GEGEN die Autobahn. In den Kreistägen, im Landtag, im Bundestag: überall befürworten CDU, SPD und FDP den Ausbau der A49. Ihr könnt euch sicher sein: Die Speerspitze einer Mehrheit gegen die Straße wären die Grünen. Man beachte: Im Jahr 2008, als das Verfahren zur Planfeststellung gerade angelaufen war, war es die SPD, die in den Koalitionsvertrag mit den Grünen diesen Abschnitt hineinverhandelte (Rot-Grüner Koalitionsvertrag 2008, S. 75). Damals hatten die Grünen 10% und wären Juniorpartnerin einer Minderheitenregierung gewesen. Die Verhandlungsergebnisse waren mau, aber besser als eine Fortsetzung der rechten Regierung von Roland Koch. Die LINKE stimmte damals für die Duldung des Vertrages - und damit für eine Fortführung der noch offenen Verfahren Ausbau A49. Die Koalition scheiterte an der SPD. Um eine erste Bilanz zu ziehen: In der Geschichte der Auseinandersetzung um die A49 haben sich keine der beteiligten Parteien wirklich mit Ruhm bekleckert. Auch hier wieder das Problem: Es gibt keine Mehrheiten gegen die Autobahn. Was mich persönlich fassungslos macht!

Dass aber ausgerechnet die SPD und die LINKEN auf den Empörungszug aufspringen, ist eine Verdrehung der Wirklichkeit und ist ein Trauerspiel im demokratischen Umgang miteinander.

Eine weitere Frage - wie verhält es sich mit dem BVerwG-Urteil zur Wasserrichtlinie? Ist das nicht noch ein Angriffspunkt? Die kurze Antwort: Nein. Das Gericht hat zwar Unzulänglichkeiten in der Planung festgestellt, jedoch ließen diese sich diese durch Anpassungen beheben. Die Wasserrichtlinie eignet sich also nicht, um das Projekt zu stoppen. Das war die letzte Auseinandersetzung, die juristisch zu einem Baustopp hätte führen können. Ein weiteres Gutachten wäre laut Gericht nicht notwendig gewesen, es wurde trotzdem (hoffend) bei DEGES in Auftrag gegeben.

Innerhalb der Debatte gab es den Vorschlag, dass die Grünen nochmal den Rechtsstreit suchen und gegebenenfalls die Koalition verlassen. Auch hier muss man leider sagen: Die Möglichkeiten für Rechtsstreits sind ausgeschöpft. Es gibt zwei Konsequenzen, sollte Tarek Al-Wazir seine gesetzliche Verpflichtung zur Wahrnehmung des Bundesauftrags verweigern. Erstens: Wenn die Grünen nicht mehr kooperieren, werden die in der Fläche CDU-dominierten Landkreise ihrerseits Kooperationen verweigern. Ihre Kooperation ist aber essentiell, ohne sie ist ein Windenergieausbau und die Energiewende nicht möglich. Das wäre ein Rückschlag. Zweitens: Stellt sich das Verkehrsministerium quer, käme es wohl zum Koalitionsbruch. Das würde aber an den Mehrheiten für die Autobahn nichts ändern. Damit wären viele wichtige grüne Projekte vorbei, es gäbe eine GroKo-Mehrheit auf Landesebene. Die A49 würde dennoch gebaut.

Es ist schwer erträglich, dass der regierende parlamentarische Arm der Umweltbewegung keine Handhabe haben soll. Die Wahrheit ist: Egal, was die Grünen gerade tun, es wird nicht zum Erhalt des Dannenröder Forstes führen. Es ist ein gemeines Dilemma, in dem die Hessen-Grünen stecken.

Eine Konsequenz, die die Grünen gezogen haben, ist, dass Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, eine kleine Anfrage stellt, welche Straßen sich noch im Genehmigungsverfahren befinden. Die Antwort könnte als so etwas wie eine To-Do-Liste verstanden werden, welche Straßen noch „ohne Weiteres“ verhindert werden können.

Ansprechpartnerin bei den hessischen Grünen ist übrigens die Katy Walther, verkehrspolitische Sprecherin der hessischen Landtagsfraktion. Der Protest der Aktivist:innen ist extrem wichtig und dass sie die Grünen als Gegner*innen begreifen, schmerzt uns sehr.

Für mich als linksgrün orientierten Niedersachsen gibt es oft Momente, in denen ich fassungslos auf die Realo-orientierten Landesverbände schaue. In der A 49 ist die Kommunikation der Fraktion und der grünen Ministerien schwach. Ihr Verhalten bewegt sich aber vor dem Hintergrund eines rechtsstaatlichen Anspruches.

Ich hoffe, mit diesem Beitrag nochmal ein bisschen Aufklärung in die Sache zu bringen und freue mich selbstverständlich über eine Rückmeldung von eurer Seite!

Beste Grüße
Gregor Kreuzer

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Danke Gregor für diese Klarstellung. Dass nun die Befürworter und Verantwortlichen für 60 Jahre Autobahnbau inkl. A49, nämlich CDU, SPD und FDP, ausgerechnet den Grünen eine vermeintliche Doppelmoral ankreiden ist doch wirklich absurd.

Erinnert mich daran, wie Greta Thunberg im ICE auf dem Weg zum Klimagipfel
von ihren Hatern aufgrund ihres in Plastik eingepackten Toastbrotes als Heuchlerin gegeißelt wurde. Von Leuten, die mit „FridaysForHubraum“-Aufklebern auf dem Auto dasselbe Toastbrot vom Penny um die Ecke holen.

Ich wünsche mir auch, dass der Wald bleiben kann und finde es gut, dass Menschen aktiv gegen die Rodung werden. Es ist allerdings schade, wenn der Danni (unwissentlich) instrumentalisiert wird um (gescheiterte) Versuche progressiver Politik zu bashen.

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Vielen Dank für diese Aufklärung.
Für mich ergibt sich daraus der Schluss, dass die Grünen sehr stark an ihrer Kommunikation arbeiten müssen, gerade im Bezug auf die Aktivisten welche plötzlich die Grünen als ihre Gegner ansehen.

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Es gibt großartige Neuigkeiten zum Dannenröder Forst und der A49: Die Grüne Bundestagsfraktion hat vielleicht einen Weg gefunden, den Weiterbau zu stoppen. Der Winkel: Ein mögliches Fehlverhalten Scheuers: Scheuer soll Autobahn-Verträge offenlegen: Grüne wollen Minister zum Ausbau-Stopp zwingen - Politik - Tagesspiegel

Spannend! Danke für den Hinweis.

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