Rein von der Sachlage her kann ich in Sachen Impfung der Lage nur zustimmen. Es gibt für mich aus individueller Sicht keinen Grund, sich nicht impfen zu lassen (Kontraindikationen mal ausgenommen) und bei einer Impfpflicht wäre für mich das einzige Gegenargument, dass ich nicht weiß, ob wir uns den gesellschaftlichen Konflikt und die juristischen Streitigkeiten antun wollen bzw. ob das nicht eh alles viel zu spät kommt, bzw. ob wir nicht zuerst noch zu milderen Mitteln greifen können.
Wie bzw. in welchem Tonfall man so eine Meinung allerdings vertritt, ist eine ganz andere Diskussion. Meines Erachtens muss man nicht in der Sache schwammig werden; man kann durchaus klare Worte finden („eine Impfpflicht wäre moralisch vertretbar bzw. eventuell sogar geboten“, „es gibt keine validen Gründe, sich nicht impfen zu lassen“ etc.). Schwieriger wird es, wenn man anderen Menschen Fanatismus unterstellt o.ä.
Ich finde, solchen Äußerungen liegen Vorstellungen zugrunde, Menschen wären rationale Wesen und wenn man sie lange und intensiv genug belehrt, dann würden sie schon ihre Meinung zu der richtigen ändern. Das hat aber nicht wirklich viel damit zu tun, wie Menschen funktionieren. Ausnahmslos alle Menschen haben Biases, Scheuklappen und Momente, in denen sie irrational sind, und davon sollte man sich selbst überhaupt nicht ausnehmen.
Ich bin froh, dass in einer der letzten Lagen noch einmal bewusst differenziert wurde zwischen der Meinung einer Person, die kritisiert wird, und der Person selber. Meines Erachtens reicht es allerdings nicht, auf diese Unterscheidung hinzuweisen, wenn man das dann nicht zum Anlass nimmt, auch den Ton, in dem man sich äußert, zu überdenken. Mir fällt das übrigens alles andere als leicht, ich weiß auch nicht, wie ich Argumenten, die ich für uninformiert oder absolut irrational halte, begegnen soll. Aber dass man mit aggressiver Rhetorik Leute überzeugt, das glaube ich eher weniger.
Das setzt zumindest voraus, dass man Leute überhaupt noch überzeugen will. Sofern das alles ohnehin nur noch „preaching to the choir“ ist, ist es vielleicht egal. Dennoch gebe ich zu bedenken, dass es vllt. Personen gibt, die die Lage hören, und die sich denken „ok, ich bin ja auch fürs Impfen, aber meine Mutter/Schwester/beste Freundin, die ist dagegen, und ich finde es irgendwie auch nicht toll, wenn man so über die redet, vielleicht verstehe ich ja jetzt, wieso sie sich ausgegrenzt fühlt“ etc., was halt auch kontraproduktiv sein kann.
Das hat übrigens überhaupt nichts damit zu tun, dass man sich Entscheidungen verweigert oder keine klare Kante zeigt. Man könnte als Gesellschaft auch eine Impfpflicht beschließen und dennoch akzeptieren, dass Leute eine andere Meinung dazu haben, dass das völlig ok ist und sie es halt aber machen müssen, weil das nun einmal ein demokratischer Mehrheitsentscheid ist wie so vieles andere auch.
Es gab im Übrigen vor nicht ganz so langer Zeit einen ZEIT-Podcast, in dem sich eine Impfbefürworterin und eine -skeptikerin gegenübertraten. Das kann man sich durchaus einmal anhören. Ich will hier mich nicht auch nur annähernd auf die Seite der Impfskeptikerin stellen. Ihre Argumente sind sachlich falsch und von falschen Ängsten getrieben. Dennoch kann man aufgrund ihrer Biographie sehr gut nachvollziehen, wieso sie zu dieser Meinung kommt. Und da wir nun einmal alles Menschen sind, die wenig Zeit und viel zu tun haben, die aufgrund ihrer Biographie bestimmte (oft irrationale) Ängste haben und viele von uns in bestimmten Bereichen keine einschlägige Bildung besitzen, müssen wir es denke ich verkraften, dass einige von uns in Sachfragen falsch liegen (und wir das vermutlich alle von Zeit zu Zeit tun).