Rente: Ungerechte Steigerung? oder ungerechte Diskussion?

Hallo zusammen,

zuerst vielen Dank für Eure Sendung.
Natürlich ist Eure Neutralität von bestimmten Werten geprägt, die ich teile.
Darunter gehört Solidarität, vor allem mit den Schwächeren. Und sie war in Eurem Beitrag nicht zu spüren.
Im Durchschnitt bekommt 2021 eine Rentnerin in Westdeutschland 1539 Euro/Monat brutto, also 1334 Euro/Monat netto (Ostdeutschland 1506€ bzw. 1310€) . Wie kann man/frau damit leben? Und es ist ein Durchschnitt!
Euer Beitrag dient eher Neidsdiskussion als Gerechtigkeit.
Eine Rentenerhöhung von 5 bis 6% gleicht ung. die Inflation und bekämpft in keinem Fall die Armut.
Nach Eurer Definition sollte auch die Harz-IV Sätze sinken???
Es stimmt, dass die Rentenzuschüsse einen hohen Posten im Bundeshaushalt sind. Aber es gehört dazu eine ausführliche Erklärung über die Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung und über die Pensionen (diese betrugen 76 Milliarden Euro im Jahre 2020).

Eher sollte darüber berichtet werden, wie und in welcher Höhe die kommenden Generationen ihre Rente erhalten werden. Die Privatisierung der Renten ist ein Irrweg (siehe Riester) und führt zu noch mehr Ungleichheit.
Danke trotzdem und liebe Grüße

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Ich halte ohnehin prozentuale Erhöhungen von Renten (und Gehältern) für eine ganz schlechte Praxis. Dadurch geht logischwerweise die Schere zwischen denen, die wenig bekommen, und denen die mehr als genug bekommen, immer weiter auseinander, Gebt den Leuten einfach 100€ mehr im Monat (oder wieviel auch immer die 5% Plus kostet geteilt durch Anzahl der Rentner).

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Einen schönen Artikel zu dem Thema gibt es hier

Lieber Fred,
ich kann deine Haltung zwar verstehen, aber leider nicht ganz teilen.
Die von dir geforderte Solidarität muss nämlich nicht nur mit den Schwächeren der Rentner*innen gelten, sondern auch mit den Schwächeren derer, die die Renten mit ihren Steuern und Beiträgen erwirtschaften müssen.

Die Renten mögen auf den ersten Blick niedrig erscheinen, ja. Sie sind und waren aber noch nie dazu gedacht, den Lebensunterhalt einer Person allein zu sichern. Zu Zeiten der Einführung der Grundlagen des heutigen Rentensystems war es meines Wissens absolut üblich, dass mehrere Generationen einer Familie unter einem Dach lebten. Jeder beteiligte sich dabei am Einkommen, eine strikte Trennung in „mein Einkomen, dein Einkommen“ gab es oftmals nicht (oder nur in kleinen Teilen). Die Renten waren eben der Anteil der Rentnerinnen am Gesamtfamilieneinkommen, mit dem gehaushaltet werden musste. Später wurde das teilweise dadurch abgelöst, dass immer mehr und mehr Menschen in Deutschland eigenen Wohnraum besaßen/besitzen, was die Lebenshaltungskosten doch deutlich senken kann. (Anmerkung am Rande: Nein, ich möchte hier weder die „guten alten Zeiten“ mit Großfamilien auf viel zu wenig Raum noch den „German Dream“ zurückwünschen. Ich möchte allerdings erläutern, warum aus meiner Sicht der Anspruch, die Rente solle allein den Lebensabend sichern, noch nie zutraf, und warum dieser Anspruch daher meiner Meinung nach nicht realistisch ist).

Ja, wir haben insofern also schon ein Problem, weil diese Strukturen teils nicht mehr greifen. Das ist aber nicht neu - und daran, dass sie nicht mehr greifen sind ja alle Teile unserer Gesellschaft beteiligt - auch die Rentnerinnen. Ein zunehmendes Problem, auf das wir meines Wissens immer noch sehenden Auges zulaufen, ist die weiter sinkende Zahl der Beitragszahlerinnen. Wie aber konnte es dazu kommen? Ehrlicherweise relativ einfach: Weil die Menschen aufgehört haben mindestens zwei Kinder zu bekommen. Meiner Meinung nach sollte Kinderplanung prinzipielle jeder und jedem von uns selbst überlassen bleiben - aber, und das muss man auch klar so sagen, die Konsequenzen die sich aus einer insgesamt geringeren Geburtenrate ergeben, müssen wir dann eben auch alle tragen - und zwar in Form von einerseits höheren Beiträgen und Steuerzuschüssen zur Rentenversicherung, andererseits eben aber auch geringeren Renten. Es kann nicht sein, dass die Generationen, die noch für genügend Beitragszahler*innen hätten sorgen können, am Ende eine geringere Belastung tragen als die Generationen, die danach kommen und sich das nicht ausgesucht haben. Wenn „althergebrachte“ gesellschaftliche Mechanismen zur Sicherung des Lebensabends nicht mehr greifen, dann benötigen wir neue Mechanismen und Strategien. Diese können meiner Meinung aber nicht heißen, einfach Beiträge und Steuerzuschüsse immer weiter in die Höhe zu schrauben - zu groß sind die Investitions- und Finanzierungslücken in vielen, vielen anderen Bereichen unseres Staates (so etwas wie die Klimakrise noch gar nicht mit berücksichtigt…).

Ich sehe ja auch, dass Altersarmut ein zunehmendes Problem ist (allein deswegen bin ich prinzipiell ein Fan von Ideen wie einem bedingungslosen Grundeinkommen). Eine deutliche Mehrbelastung der noch arbeitenden Generationen kann aber nicht allein die Lösung dafür sein. Wir müssen uns, so zumindest meine Ansicht, vermehrt mit der Frage beschäftigen, wie wir Umverteilung sozial gerecht gestalten können. Damit meine ich nicht einmal Beamt*innen (die die höheren Pensionen ja mit einer nicht gerade geringen Anzahl an Einschnitten in ihrer beruflichen und persönlichen Freiheit „erkaufen“ müssen wie das fehlende Streikrecht, etc.), sondern die, die überdurchschnittlich gut verdienen und sich dem Rentensystem entziehen. Zusätzlich gehört das Rentensystem grundlegend reformiert.

Ich hoffe meine Gedanken sind soweit nachvollziehbar!

Zuwanderung auf dem Niveau der „Gastarbeiter-Anwerbung“ wäre noch eine Option. Diese vergleichsweise schmerzfreie Lösung des demographischen Problems wird aber nahezu gar nicht diskutiert.

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Das Problem ist ja ein Anderes:
Das Rentensystem wird in absehbarer Zeit nicht mehr funktionieren, da zu wenig junge Menschen nachkommen, um die Boomer (die Generation, nicht als Beleidigung gemeint) zu finanzieren.

Keiner will den Rentnern etwas wegnehmen, wir müssen aber unbedingt besser gestern als morgen das Rentensystem anpassen, um es noch langfristig haltbar zu machen.

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Das unsere Rentensystem strukturell den demografischen Wandel nicht auffangen kann, ist wie lange bekannt? 20, 30 oder sogar schon 40 Jahre?
@Guenter hat in einem anderen Thread in einem anderen Kontext von einem ganz langsamen Unfall gesprochen, den wir zusehen wie er passiert. Das trifft es eigentlich ziemlich gut.
Alle Versuche mit private Zusatzrente mit staatlicher Bezuschussung, wie BAV oder Riester, waren konzeptionelle Rohrkrepierer.
Ich geh auch nicht davon aus, ich hab noch ~20 Jahre bis zur Rente (kein Beamter), dass es bis dahin einen Systemwechsel geben wird, an dem ich positiv partizipieren kann.

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Das Rentensystem scheitert nicht an der Demografie, sondern an der fehlenden Beteiligung der Arbeiter:innen an Zuwächsen der Produktion. Produktivität schlägt Demografie seit Bestehen der Rente regelmäßig und wird dies auch die nächsten 30 Jahre tun.

Was auf der einen Seite passieren muss ist die Einführung einer Bürgerversicherung, also eine Versicherung in die Alle einzahlen - ohne Bemessungsgrenze und auf der anderen Seite entsprechende Lohnsteigerung. Alternativ kann man auch direkt bei den Unternehmen durch Besteuerung der Gewinne für die entsprechende Umverteilung sorgen oder man geht direkt über Staatsverschuldung.

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Für Altersarmut gibt es sicherlich viele Gründe und die meisten rühren aus einer Ungerechtigkeit, wie Menschen durch ihre Arbeit am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt werden.
Dass das Rentensystem an sich, nicht an der Demographie scheitert, ist einfach Quatsch.
Die, die Rente beziehen, werden immer mehr und beziehen diese Rente durch steigendes Lebensalter immer länger.
Dagegen werden die, die die Beiträge für die aktuellen Rentner erwirtschaften immer weniger - zu 100% demographischer Wandel.

Die soziale Ungerechtigkeit bei Verteilung des Wohlstand in Korrelation zur geleisteten Arbeit ist ein gewichtiger Punkt, hat aber systemisch wenig bis nichts mit dem Umlagesystem unser Rentenversicherung zu tun.

Das wenn alle in dieses System einbezahlen, ohne Deckelung, dann würden auch alle Ansprüche im Verhältnis zur Einzahlung erwirtschaften.
Das ändert aus meiner Sicht wenig am Grundproblem.

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„Dass das Rentensystem an sich, nicht an der Demographie scheitert, ist einfach Quatsch.“
„Quatsch“ schlägt natürlich jedes Argument :wink:
Die Demografie im Rentensystem verschiebt sich seit Beginn der Rente zu Lasten der Einzahlenden. Es wurde mal mit 10:1 eingefangen, aber damals hat das Thema der Demografie niemand bespielt, weil Menschen über die Produktion an der Produktivität beteiligt wurden. Lohnentwicklung und Produktivität wurden erst im Laufe der 1970er Jahre entkoppelt. Das müsste wieder korrigiert werden. Und dafür braucht es gar kein großes Wachstum, sondern so 1-2% Produktivitätssteigerung pro Jahr. Eine Zahl, die angesichts der notwendigen Investitionen in Sachen Klimaschutz locker drin ist.

„Die soziale Ungerechtigkeit bei Verteilung des Wohlstand in Korrelation zur geleisteten Arbeit ist ein gewichtiger Punkt, hat aber systemisch wenig bis nichts mit dem Umlagesystem unser Rentenversicherung zu tun.“
Naja, die Modelle, in denen die Löhne an die Produktivität gekoppelt werden, zeigen etwas anderes. Hunderte Euros an Rentenlücke schließen Arbeiter:innen nicht, in dem mehr Menschen einzahlen, sondern mit höheren Löhnen.

" Das wenn alle in dieses System einbezahlen, ohne Deckelung, dann würden auch alle Ansprüche im Verhältnis zur Einzahlung erwirtschaften."
Progessives Einzahlen, degressives Auszahlen.

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Naja wenn man gewissen Fakten einfach gekonnt ignoriert, dann kommt halt Quatsch dabei raus :wink:

Es ist nun mal real, dass die Zahl derer die einzahlen kleiner wird und durch späteren Einstieg ins Berufsleben auch immer öfter kürzer einzahlen.
Und die Zahl der Empfänger wird stetig größer und auch die Bezugszeiten länger.
Da nützt es nichts, wenn eine zusätzliche Gruppe einbezahlt, weil diese ja draus ja auch wieder Anwartschaften generiert die von einer weiterhin kleiner werden Gruppe zukünftig bedient werden müssen.

Ähnlich verhält es sich mit einem höheren Lohn, dieser generiert ja auch höhere Ansprüche - ist im Umlagensystem auch keine Lösung, sondern verschiebt nur das Problem auf einen späteren Zeitpunkt.

Unser Umlagensystem scheitert faktisch am demographischen Wandeln, weil eine kleiner werdende Gruppe eine größer werden Gruppe länger finanzieren muss.
Wenn es keine wundersame Umkehr der Verhältnisse geben wird, wird es ohne eine Systemwechsel, weg vom Umlagensystem, zukünftig kaum möglich sein die lebenswerte Rentenansprüche zu finanzieren.
https://www.zeit.de/karriere/2016-07/rente-zukunft-soziale-gerechtigkeit-generationen-rentensystem/seite-2

Ich habe was zur Demografie gesagt, komme nur zu anderen Schlussfolgerungen. Bürgerversicherungen werden z.B. in Österreich bereits erfolgreich praktiziert und zum Problem der wachsenden Ansprüche schrieb ich bereits „degressive Auszahlung“. Alternativ, wie erwähnt, über Besteuerung von Vermögen oder Staatsverschuldung gehen.

Tatsächlich werden diejenigen, die die Beiträge erwirtschaften, gar nicht weniger. Ja, es werden mehr Rentner, und ja, über die letzten Generationen ist die Zahl der Geburten gesunken, aber der prozentuale Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung nicht. Was u.a. damit zusammenhängt, dass auch immer mehr Frauen erwerbstätig wurden.

Ein in etwa konstanter (bzw. sogar leicht gestiegener) Anteil muss also laufend die gerade nicht erwerbstätigen Teile der Bevölkerung mitversorgen. Das sind – abgesehen von Arbeitslosen oder freiwillig Nicht-Arbeitenden – im Wesentlichen Rentner und Kinder. Und hier hat eben eine Verschiebung gegenüber früher stattgefunden, von Kindern zu Rentnern. Das Problem: Kinder lassen wir im Großen und Ganzen privat von den Eltern finanzieren, Rentner finanzieren wir dagegen kollektiv. Aus der Kinderfinanzierung gibt es also ein Opt-Out, indem man einfach keine in die Welt setzt. Und wenn man gut verdient, vielleicht in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft sogar doppelt, spart man dann einen Teil dessen ein, was frühere Generationen in größerem Ausmaß in die kommenden Renten investiert haben, und fliegt dafür lieber öfter mal in den Urlaub, kauft sich mehr und größere Autos, etc.

Im Grunde genommen müssten wir dem demografischen Wandel also dadurch begegnen, dass wir diejenigen, die sich aus der einen Form der Zukunftsvorsorge herausziehen, viel stärker für die andere Form heranziehen. Also Steuern für Mittel- und Gutverdiener deutlich hoch, gleichzeitig Kinderfreibeträge/Kindergeld drastisch anheben, auskömmliches Grundeinkommen für Kinder o.ä.

Einfach nur die Form der Umlage ändern, bspw. durch Riester- oder „Aktienrenten“, ist dagegen Humbug, bewirkt in Hinblick auf den demografischen Wandel praktisch gar nichts, zumindest nicht nachhaltig (Mackenroth-Theorem), und führt bloß zu einer weiteren Umverteilung von Wohlstand von Leuten mit gesellschaftlich sinnvollen Berufen hin zu Finanzmarktakteuren.

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Statista gibt da andere Daten her. Die Produktivität hält noch nicht mal mit der Inflation über die letzten dreissig Jahre mit - zudem wird immer weniger gearbeitet.

Quelle: Statista, Veränderung der Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr von 1992 bis 2020

Man könnte also eher sagen dass Deutschland real immer unproduktiver wird.

Bei solchen volkswirtschaftlichen Größen wird üblicherweise das reale BIP eingesetzt, nicht das nominale. Sprich: die Inflation ist schon rausgerechnet.

Aber die Produktivität bzw. ihre Steigerung ist ja nicht gleichmäßig über alle Güter und Dienstleistungen verteilt. In den Bereichen, die besonders für eine alternde Gesellschaft relevant sind, also Dienstleistungen am Menschen, findet gar kein Produktivitätswachstum statt. Eher das Gegenteil, weil die Möglichkeiten (z. B. in der Medizin) und Ansprüche eher steigen als abnehmen.

Wenn wir in den nächsten 20 Jahren lernen, Autos noch effizienter zu bauen, z. B. durch die Elektrifizierung, hilft das dem Personalmangel im Pflege- und Gesundheitswesen nicht ab. Es dürfte auch illusorisch sein, Arbeitskräfte, die bei VW nicht mehr gebraucht werden, in nennenswerte Zahl zu Pflegern umzuschulen.

Daher bin ich sehr skeptisch, was das Argument, wir müssten die Produktivitätszuwächse nur besser verteilen, um die Versorgung der Alten zu stemmen, angeht.

Nun, es ging ja in diesem Thread erstmal nur um die Rente. Und falls tatsächlich mehr Werte geschaffen werden als früher, könnte es durch anderweitige Umverteilung ja durchaus möglich sein, die Alten weiter (mit Geld) zu versorgen.
Natürlich ist das Problem, dass du ansprichst da und riesengroß, aber hat mit der Rente ja nur mittelbar zu tun.

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Insgesamt finde ich das eine interessante Anmerkung, schon allein weil ich auch eine Produktivitätsfan bin. Ich habe aber noch zwei, drei Fragen bzw. Anmerkungen.

Erstens: Entkopplung Löhne und Produktivität

Hast Du da irgendwo Zahlen für die Zeit seit 1970 zur Hand? Ich habe nämlich nicht wirklich was gefunden für diesen Zeitraum, außer dieser Abbildung hier Löhne, Produktivität und Inflation. Da finde ich aber wird nicht ganz klar, ob und wie was deflationiert wurde oder nicht. Ansonsten tue ich mich da hart, aus dieser Abbildung eine generelle Entkopplung seit den 70ern zu sehen. Bis in die frühen Neunziger schaut es eher nach Gleichlauf aus, dann folgt eine Phase der bis 2007 oder so, die man als Entkopplung werten könnte, und dann kommt wieder ein Gleichlauf von Produktivität und Löhnen.
Ich habe mir dann noch auf Basis der Fachserie 18 Reihe 1.5 des Statistischen Bundesamtes die Bruttowertschöpfung/BIP je Erwerbstätigenstunde sowie die Arbeitnehmerentgelte je Stunde von 1970 bis 2020 angeschaut. Das zeigt auch keine wesentlich anderen Ergebnisse.

Auch wenn das für die Diskussion in diesem Thread gar nicht so wichtig ist (siehe zweiten und drittens), würde ich mich über belastbarere Zahlen freuen, weil ich das Thema spannend finde.

Zweitens: Absolut vs. Relativ

Ich finde auch, dass Produktivitätssteigerungen der Weg sind um viele Probleme zu lösen, da sie ja Knappheiten mindern helfen. Du hast auch Recht, dass die Produktivitätssteigerungen es wahrscheinlich erlauben würden, das absolute Rentenniveau und das dazugehörige Konsumniveau aufrecht zu erhalten.
Nur wird die Rentendiskussion nicht in absoluten, sondern relativen Größen geführt. Es geht nicht darum, dass das heutige Konsumnieveau fortgeschrieben werden soll, sondern X% in Relation zum Durchschnittlohn. Dadurch wir Deine Mechanik - wir nehmen die Produktivitätsanstiege eins zu eins in die Löhne, damit steigen die Beiträge und damit bezahlen wir die zusätzlichen Rentner, ausgehebelt. Denn steigen die Löhne, dann steigt eben auch die Rente. Oder anders formuliert, wir können die Zusatzeinahmen aus (produktivitätsbedingten) Lohnanstiegen nur einmal ausgeben, entweder für demographisch bedingt mehr Rentner oder für höhere Renten, so dass die Relation zum Durchschnittlohn konstant bleibt (und natürlich jede beliebige Kombi). Will man beides, gibt es drei Stellschrauben: höhere Beiträge, längere Lebensarbeitszeit oder Steuerzuschüsse.

Höhere Beiträge halte ich für schwierig, weil ich denke, dass die Zahlbereitschaft begrenzt ist. So gesehen ist die Hauptfunktion des Pseudoarbeitgeberbeitrag das Rentensystem zu stabilisieren, in dem die wahren Kosten vor den Arbeitnehmern verschleiert werden. Ich kenne genügend Leute - Normalverdiener, Industriearbeiter - die sich jämmerlich darüber beschweren wie viele Abzüge sie haben. Das führt bei einigen dazu, dass sie lieber auf zwei, drei hundert Euro im Monat verzichten, dafür aber mehr Freizeit haben. Ich bezweifle, ob ein sinkendes Arbeitsangebot wirklich hilfreich ist. Deutlich steigende Beiträge halt ich für nicht umsetzbar.

Längere Lebensarbeitszeit wäre mein Favorit. Hier liegt tatsächlich eine Entkopplung vor, nämlich zwischen Lebenszeit und Lebensarbeitszeit. Die Rentenbezugsdauer ist von 1970 bis 2020 deutlich gestiegen, nämlich von 10,3 auf 18,5 Jahre. Das allein entspricht - etwas vereinfacht - einer Rentenerhöhung um 80%, da sich die Gesamtrente aus Rentenhöhe*Bezugsdauer ergibt. Hingegen ist das Renteneintrittsalter bei Renten wegen Alters, im gleichen Zeitraum kaum gestiegen, je nach Maßzahl nur um 1,5 Jahre, vor allem wegen der Frauen, oder gar nicht (Quelle ). Hier erscheint mir die Entkopplung deutlich gravierender. Für jedes zusätzliche Lebensjahr der Lebenserwartung drei, vier oder fünf Monate länger arbeiten wäre o.k.

Steuerzuschüsse im notwendigen Umfang würden irgendwann das System sprengen. Die Status/Erwerbseinkommen bezogene Rente wäre dann irgendwann tot. Kann man wollen, sollte man sagen, hast Du ja auch (siehe viertens).

Drittens: Aussetzen des Nachholfaktors

Es ging in diesem Thread ja eigentlich um die Lastenverteilung durch Aussetzen des Nachhaltigkeitsfaktors bei gleichzeitigem Verbot sinkender Renten. Da hilft steigende Produktivität, gerade wenn sie mit den Löhnen gekoppelt ist, nichts. Der Rentenanstieg bemisst sich ja unteranderem an der Entwicklung der Beschäftigung und der Löhne. Sinken Durchschnittslöhne oder die Beschäftigung müsste auch die Renten sinken. Wenn man das aussetzt und nicht nachholt, dann werden die Rentner gegenüber den Erwerbstätigen besser gestellt.
Vereinfachtes Beispiel: Ausgangspunkt Lohnsumme gleich 100, Rentensumme gleich 50. Auf Grund von Pandemie, disruptiven Transformationsprozessen oder sonst was, sinkt die Lohnsumme um 10% (eingentlich -15% aber Produktivität, die mit den Löhnen gekoppelt ist +5%) auf 90. Die Rentensumme müsste um 10% auf 45 fallen. Tut sie aber nicht, ist ja verboten. Dann normalisiert sich alles Lohnsumme (Beschäftigung + Gekoppelte Löhne) steigt um 10% → Lohnsumme bei 99, Rentenanstieg auf 55. Das kann man so fortführen

Delta LS….LS…….RS
-10%…89,1….55
+10%…98,01….60,5
-10%…88,21….60,5
+10%…97,03….66,55
-10%…87,33…. 66,55

Das Beispiel überzeichnet natürlich deutlich, schon allein weil die Rentenanpassungsformel deutlich komplexer ist und die Schwankungen natürlich nicht so drastisch sind. Aber es verdeutlich ganz gut, zu für Ergebnissen die Kombination aus Streichung Nachholfaktor und Verbot sinkender Renten so macht. An steigenden Produktivität gekoppelt Löhne, können dies nur verhindern, wenn sie dafür sorgen, dass erst gar keine Rentensenkung nötig wäre. Das hat ja offensichtlich nicht geklappt.

Viertens: Grundsicherung
Wenn ich Dich richtig verstehe schlägst Du eine von allen finanzierte Grundrente vor. Finde ich prinzipiell gut aber warum das dann noch Beitragszahler sein sollen erschließt sich mir nicht. Ich finde eine einheitliche Grundrente gut, aber noch besser wäre sie steuerfinanziert. Am besten wäre sogar eine steuerfinanzierte Grundsicherung, die alle Einkommensersatzleistungen und sonstigen Einkommenssicherungsinstrumente ersetzt. Ob das dann Bürgergeld, Solidargeld, Hartz XY, Lolilu - Thaler oder negative Einkommensteuer heißt ist am Ende egal.

Derzeit wäre ein Betrag von 1000 Euro im Monat vielleicht ganz gut. Der Würde einen gerade so an die Armutsrisikoschwelle bringen. Jedes, aber auch jedes weitere Einkommen wird ab dem ersten Cent angerechnet, vielleicht mit 50% (müsste halt durchgerechnet werden werden). Die 50% gefallen mir, weil sie wohl noch zulässig sind und bezogen auf die Grenzbelastung kaum jemanden schlechter stellen. Großverdiener haben eine Grenzsteuersatz der in die Nähe der 50% kommt. Bei den Mittelverdiener bringt die Summe aus Grenzsteuersatz und Sozialbeiträgen auf 50% oder mehr und im unteren Einkommensbereich haben wir durch die hohen Anrechnung bei der Grundsicherung, Wohngeld usw. Grenztranferentzugsraten von bis zu über 100%.
Damit entfallen dann Höchst oder Mindestrentenalter. Der Anrzeiz zusätztliches Einkommen zu erzielen steigt dadurch sogar in einigen Einkommensbereichen. Das Bedarfsgemeinschaftskonzept, sollte beibehalten werden. Keine Ausnahmen, Sonderregelungen und sonstigen Scheiß um spezifische Wählergruppen zu befriedigen.

Schau mal hier: https://blog.zeit.de/herdentrieb/files/2017/04/Lohnquote_ausgew_Laender.gif

Die Lohnquote gibt vereinfacht gesagt an, was vom gesamtwirtschaftlich zu verteilenden Einnahmekuchen bei den Arbeitnehmern hängen bleibt. Da sehen wir in der historischen Betrachtung einen Höchststand Anfang der 70er Jahre.
Um daraus etwas für die Finanzierung der Rente abzuleiten, müsste man jetzt noch die verschiedenen Einkommenskohorten betrachten. Steigende Löhne für Einkommen jenseits der Beitragsbemessungsgrenze tragen zwar zur Lohnquote bei, aber nicht zm Füllen der Rentenkasse. Ähnlich bei den Mini- und Midijobs.

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Hallo Guenter,

vielen Dank.

Leider ist das auch nicht ganz, das was ich suche. Es geht mir um die von Diadow angeführte Entkopplung. Dafür müsste man vergleichbare Daten über die Arbeitsproduktivität und die Lohnentewicklung.

Zwar steckt das auch in der (bereinigten) Lohnquote, wie sie von Dir angeführt wurde, aber direkt rückschließen kann man das nicht. Unter anderem weil auch bei gekoppelten Löhnen sich die Lohnquote veränder kann, je nachdem ob die Kapitalproduktivität bzw. die Produktivität der unternehmerischen Tätigkeit schneller oder langsamer steigt als die der Arbeit. Außerdem müsste man den Bereinigungsprozess aufdröseln schauen wie belastbar die zu Grunde liegende Annahmen sind (soweit ich mich erinnere geht es bei der Bereinigung vorallem um das rausrechnen der Veränderungen beim Anteil der Selbständigen) und ob sie z.B. auch die Veränderungen bei der Arbeitszeit bzw. Teilzeitquoten berücksichtigt.