Jein. Es gäge durchaus Möglichkeiten, das Wahlverfahren (bzw Sitzverteilungsverfahren) deutlich einfacher und damit trotzdem „gerechter“ zu machen (im Sinne von „den Wählerwillen detailliert abbilden“).
Das große Problem, das zu dieser Komplexität führt, ist doch das eigentlich nicht mehr rational begründbare Beharren auf unserem Erst-/Zweitstimmensystem, weil „wir das schon immer so gemacht haben“.
Zu Zeiten, als Ferngespräche und Zugfahrten in die Hauptstadt (Bonn) noch unfassbar teuer waren bzw. endlos lange gedauert haben, war das vielleicht sinnvoll, zumal die meisten Direktkandidaten damals ihre Wahlkreise ja auch noch mit Ergebnissen um die 50% gewonnen haben.
Das hat sich aber alles heutzutage komplett verändert. Mittlerweile kann ich praktisch jeden Abgeordneten jeder Partei zu jedem Thema jederzeit (zumindest zu Bürozeiten) quasi zum Nulltarif über Telefon, Email oder soziale Medien kontaktieren, und die veränderte Parteienlandschaft, die zu Wahlkreisergebnissen unter 30% führt, ist es, die das Problem mit den Überhangmandaten überhaupt erst entstehen lässt.
Letztendlich sind Wahlkreisabgeordnete im 21. Jahrhundert meiner Meinung nach komplett überflüssig, außer als Ansprechpartner korrupter Lobbyisten für irgendwelche Maskendeals, und für die großen Parteien, um in ihren Hochburgen verdiente Parteisoldaten mit „sicheren“ Mandaten zu versorgen, dem Wähler also praktisch keine Wahl zu lassen.
Deswegen sollte man dringend mal diesen alten Zopf abschneiden, und den Begriff „personalisierte Verhältniswahl“ vielleicht mal neu auf die Füße stellen, indem man die Erststimme abschafft, und dafür auf der Liste direkt Personen ankreuzen lässt. Mein Vorschlag wäre, da dann weiterhin 2 Stimmen zu erlauben, von mir aus auch 3, aber das sogenannte Kumulieren auf eine einzige Person nicht zu gestatten. So kann dann jeder weiterhin den Spitzenkandidaten und den Kandidaten des örtlichen Kreisverbandes auf Listenplatz X wählen, wenn er das möchte, oder eben zwei beliebige andere Personen, auch parteiübergreifend.
Und klar wäre das etwas komplizierter als derzeit, insbesondere wegen langen Listen, aber „mach 2 (bzw. 3) Kreuze“ versteht jetzt auch der simpelst gestrickte Wähler, im Gegensatz zu irgendwelchen Ersatzstimmen, die vielleicht zum Zuge kommen oder auch nicht, und die sich sowieso bloß auf den Teil der Wahl beziehen, der für das eigentliche Wahlergebnis nahezu komplett irrelevant ist.
Das einzige Pro-Argument für diese Ersatzstimmenregelung wäre vielleicht, wenn das ein Testballon werden soll, an einer völlig unwichtigen Stelle, ob die Leute damit zurechtkommen, damit man das später auf die Zweitstimme bzgl. der 5%-Hürde ausweiten kann. Eher unwahrscheinlich. Die verantwortlichen Parteien haben ja gerade erst das Bundesverfassungsgericht düpiert mit der eigentlich grundgesetzwidrigen Sperrklausel für Europawahlen über die EU-Gesetzgebung.