Reform des Wahlrechts und Modernisierung der Parlamentsarbeit zur Verkleinerung des Bundestages

Ich würde gerne das Thema wieder eröffnen, nachdem es einen Vorschlag der Ampel zu einer Wahlrechtsreform geben hat und sehr dem Vorschlag von @vieuxrenard ähnelt.

Meine Einschätzung:
Der Bundestag wird kleiner, aber die Wahl deutlich komplizierter. Wie im Thread schon oft erwähnt, wissen vermutlich die wenigsten, was Erst- & Zweitstimme bewirken und jetzt kommt u.U. noch eine „Zweitpräferenz für das Direktmandat“ dazu? Wie soll man das jemand politikfernen Menschen erklären? :sweat_smile:
Die Zweitpräferenz löst aber vermutlich das Problem des der Wahlrechtsgleichheit und der Erfolgswertgleichheit aus Art. 38 GG, jedoch in meinen Augen nicht praxistauglich.

Am 7. Juli soll die Wahlkommission des Bundestages ein Zwischenergebnis ihrer Arbeit zur Wahlrechtsreform des Bundestages vorlegen. Ein spannender aktueller Anknüpfungspunkt für ein im Forum ausführlich diskutiertes Thema.

Also ich finde den Reformvorschlag relativ gut.

Das Problem ist halt hier ähnlich wie beim Steuerrecht: „Einfach“ und „Gerecht“ schließen sich aus. Desto einfacher man das System gestaltet, desto ungerechter ist das Ergebnis.

Überhangmandate ohne Ausgleichsmandate sind absolut keine Lösung - zum Glück hat das ja auch das BVerfG festgestellt. Unser Wahlrecht ist und bleibt primär ein Verhältnis- und kein Mehrheitswahlrecht („personalisiertes Verhältniswahlrecht“).

Überhangmandate mit vollen Ausgleichsmandaten bedeutet aber eben, dass mit zunehmender Zersplitterung der politischen Landschaft der Bundestag immer größer werden würde. Habe ich persönlich jetzt auch kein Problem mit (die Kosten sind eigentlich Peanuts), aber andere schon.

Alle Möglichkeiten, die keine Überhangmandate vorsehen, müssen zwangsläufig dazu führen, dass manche direkt gewählte Kandidaten nicht in den Bundestag kommen. Und das führt halt zu dem Problem, dass man einen Weg finden muss, zu bestimmen, welcher Kandidat der Wahlkreise, in denen der Sieger nicht in den Bundestag einziehen kann (weil sein Platz nicht von den Zweitstimmen gedeckt ist), nun in den Bundestag einzieht. Denn letztlich will man ja daran festhalten, dass alle Wahlkreise im Bundestag repräsentiert werden. Und da wird es dann halt kompliziert.

In diesem Sinne fällt mir keine bessere Möglichkeit ein, als die vorgeschlagene Reform.

Ehrlich gesagt, politikferne Menschen wählen entweder gar nicht oder machen ihr Kreuz halt bei „ihrer Partei“. Wenn wir den Anspruch setzen, dass jeder Wähler das Wahlsystem ohne große Lernarbeit verstehen können muss, können wir die Demokratie gleich abschaffen, denn das System, das dabei rauskommen würde, wäre einer Demokratie unwürdig.

Der bildungs- oder politikferne Mensch, der dennoch wählen will, muss halt nur wissen, dass er bei der Erst- und Zweitstimme „seine“ liebste Partei angeben muss, während er bei der Zweitpräferenz „seine“ zweitliebste Partei angeben muss. Den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme zu kennen ist für diese Leute schon kaum relevant - wer sich nicht informieren will, kann halt nicht „taktisch“ wählen. Also ich sehe hier persönlich kein Problem, so lange auf den Wahlzetteln klar wird, dass die Zweitpräferenz nicht die gleiche Partei sein darf wie die der Erststimme. Und natürlich sollten die Erststimmen nicht ungültig werden, weil jemand doch Zweitpräferenz = Erstpräferenz gewählt hat, in diesen Fällen wird halt einfach die Stimme für die Zweitpräferenz ignoriert.

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Dem stimme ich zu. Man kann (leider) nicht beides haben.

Gut zusammengefasst. Ich finde es dennoch komisch, dass man eine Zweitpräferenz angeben muss. Es löst das Problem, dass meine Erststimme obsolet sein kann, aber seine zweitliebste Partei zu wählen finde ich persönlich merkwürdig (das ist aber nur mein Empfinden) :smile:

Was mich noch umtreibt ist folgendes:
Ist die Wahl dann für alle Direktkandidaten gleich? Beispiel: Ein Direktkandidat mit vielen guten anderen Gegenkandidaten hat es deutlich schwerer als jemand, der kaum Gegenkandidaten hat. Bedeutet wenn ich meine Wahl als dieser Direktkandidat knapp gewinne, muss ich trotzdem zittern, eben weil ich gute Gegenkandidaten hatte und die Wahl knapp war. Dasselbe hat schon jemand im vorherigen Thread festgestellt:

Die „besten“ Wahlkreisgewinner:innen hängen gleichwohl auch sehr stark von ihrer unmittelbaren Konkurrenz und der Wahlbeteiligung/demographischen Situation vor Ort ab. Manche haben es leichter, hohe Prozentzahlen einzufahren als andere. Verschiedene Wahlkreise miteinander zu vergleichen und eine Rangliste zu erstellen ist daher kaum möglich, da es keine hinreichend ähnlichen Erfolgschancen gibt.

Dieses Problem besteht meiner Einschätzung nach, trotz Zweitstimmen-Präferenz, immer noch und könnte eine Verfassungsklage eventuell erfolgreich sein lassen…

Am liebsten hätte ich ehrlich gesagt auch eine Erst- und Zweitpräferenz bei der Zweitstimme. Damit könnten kleinere Partei eine Chance bekommen der „ich möchte meine Stimme nicht verschenken“-Hürde zu entgehen.
Also erste Präferenz an die Partei, die mir inhatlich am nächsten steht und zweite Präferenz dann an eine andere Partei, falls die Erste an der 5 %-Hürde scheitert.
Mir ist bewusst, dass wir nicht noch mehr Stimmen haben wollen etc, aber weiß jemand ob es dazu überhaupt eine Debatte gibt?

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Jein. Es gäge durchaus Möglichkeiten, das Wahlverfahren (bzw Sitzverteilungsverfahren) deutlich einfacher und damit trotzdem „gerechter“ zu machen (im Sinne von „den Wählerwillen detailliert abbilden“).

Das große Problem, das zu dieser Komplexität führt, ist doch das eigentlich nicht mehr rational begründbare Beharren auf unserem Erst-/Zweitstimmensystem, weil „wir das schon immer so gemacht haben“.

Zu Zeiten, als Ferngespräche und Zugfahrten in die Hauptstadt (Bonn) noch unfassbar teuer waren bzw. endlos lange gedauert haben, war das vielleicht sinnvoll, zumal die meisten Direktkandidaten damals ihre Wahlkreise ja auch noch mit Ergebnissen um die 50% gewonnen haben.

Das hat sich aber alles heutzutage komplett verändert. Mittlerweile kann ich praktisch jeden Abgeordneten jeder Partei zu jedem Thema jederzeit (zumindest zu Bürozeiten) quasi zum Nulltarif über Telefon, Email oder soziale Medien kontaktieren, und die veränderte Parteienlandschaft, die zu Wahlkreisergebnissen unter 30% führt, ist es, die das Problem mit den Überhangmandaten überhaupt erst entstehen lässt.

Letztendlich sind Wahlkreisabgeordnete im 21. Jahrhundert meiner Meinung nach komplett überflüssig, außer als Ansprechpartner korrupter Lobbyisten für irgendwelche Maskendeals, und für die großen Parteien, um in ihren Hochburgen verdiente Parteisoldaten mit „sicheren“ Mandaten zu versorgen, dem Wähler also praktisch keine Wahl zu lassen.

Deswegen sollte man dringend mal diesen alten Zopf abschneiden, und den Begriff „personalisierte Verhältniswahl“ vielleicht mal neu auf die Füße stellen, indem man die Erststimme abschafft, und dafür auf der Liste direkt Personen ankreuzen lässt. Mein Vorschlag wäre, da dann weiterhin 2 Stimmen zu erlauben, von mir aus auch 3, aber das sogenannte Kumulieren auf eine einzige Person nicht zu gestatten. So kann dann jeder weiterhin den Spitzenkandidaten und den Kandidaten des örtlichen Kreisverbandes auf Listenplatz X wählen, wenn er das möchte, oder eben zwei beliebige andere Personen, auch parteiübergreifend.

Und klar wäre das etwas komplizierter als derzeit, insbesondere wegen langen Listen, aber „mach 2 (bzw. 3) Kreuze“ versteht jetzt auch der simpelst gestrickte Wähler, im Gegensatz zu irgendwelchen Ersatzstimmen, die vielleicht zum Zuge kommen oder auch nicht, und die sich sowieso bloß auf den Teil der Wahl beziehen, der für das eigentliche Wahlergebnis nahezu komplett irrelevant ist.

Das einzige Pro-Argument für diese Ersatzstimmenregelung wäre vielleicht, wenn das ein Testballon werden soll, an einer völlig unwichtigen Stelle, ob die Leute damit zurechtkommen, damit man das später auf die Zweitstimme bzgl. der 5%-Hürde ausweiten kann. Eher unwahrscheinlich. Die verantwortlichen Parteien haben ja gerade erst das Bundesverfassungsgericht düpiert mit der eigentlich grundgesetzwidrigen Sperrklausel für Europawahlen über die EU-Gesetzgebung.

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Ich habe den Glauben verloren, dass die Menschen, die davon profitieren, dass es mehr Sitze im Parlament gibt, neue Regeln erlassen diese Sitze zu reduzieren. Sowas wurde „versprochen“ seit es den gesamtdeutschen Bundestag gibt, das Gegenteil ist eingetreten.

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So pauschal würde ich das nicht sagen. Eigentlich wäre doch jede Partei sofort einverstanden, die Sitze der anderen Parteien zu reduzieren.

Die Gesamtzahl der Stimmen, die eine Liste erhält, würde dann deren Sitzanteil im Parlament bestimmen? Dann werden Parteien bestrebt sein, bekannte Personen wie Günther Jauch, Helene Firscher, etc. auf ihrer Liste zu platzieren. Die kriegen dann jeweils ein paar Mio Stimmen, was den Anteil der jeweiligen Liste an allen vergebenen Stimmen hochtreibt. So läuft das z. B. in Thüringen bei der Kommunalwahl, wo der Bürgermeister für das Stadtparlament kandidiert, obwohl er da qua Amt gar nicht rein darf. Egal. Er nimmt das Mandat dann nicht an, die so vereinnahmten Stimmen kommen aber seiner Parteiliste zugute.

Würden stattdessen einfach die 598 Personen mit den meisten Stimmen gewählt sein (unabhängig von ihrer Liste), so müssten Parteien bestrebt sein, möglichst keine zu bekannten und beliebten Personen auf der Liste zu haben. Denn die würden zuviele der Wählerstimmen auf sich vereinnahmen, die dann ihren Parteifreunden fehlen.

Scheint mir nicht ganz zuende gedacht.

Quatsch. Die könnten auch jetzt schon auf Platz 1 irgendwelcher Landeslisten stehen. Tun sie aber nicht. Das ist nun wirklich ein hanebüchenes Argument.

Würden stattdessen einfach die 598 Personen mit den meisten Stimmen gewählt sein (unabhängig von ihrer Liste)…

Nein, natürlich werden die 598 Sitze erstmal nach Gesamtstimmen auf die Parteien aufgeteilt, dann auf die jeweiligen Landeslisten unterverteilt, und dann muss es eine Regelung geben, wie dort die Mandate verteilt werden. Das einfachste wäre natürlich, einfach diejenigen mit den meisten Stimmen zu nehmen. Denkbar wäre aber auch, dass einzelne Kandidaten mit mehr Stimmen als auf einen Sitz entfallen die überzähligen Stimmen zu einem bestimmten Prozentsatz von oben auf der Liste an die nachfolgenden „Bedürftigen“ weiterverteilen, oder dass ein Mindeststimmenanteil zur Erlangung eines Mandats benötigt wird, und weitere freie Plätze werden auf der Liste von oben vergeben. So würde den Parteien ermöglicht zumindest ein paar Topplätze relativ „sicher“ zu vergeben, und allzu merkwürdige Auswirkungen extremer Verteilungen würden abgefangen.

Auch kann es angebracht sein, große Bundesländer wie NRW oder Bayern bspw. anhand der Regierungsbezirke aufzuteilen, damit die Listen von der Länge her besser handelbar sind.

Vielleicht möchte man auch noch einen Ersatz für die fehlende Grundmandatsklausel, bspw. könnten Parteien mit mindestens 20% in einem Bundesland die 5%-Hürde umgehen.

Das sind aber Detailfragen, um die man sich kümmern kann, wenn man sich erstmal einig ist über die grobe Richtung. (Was nicht passieren wird. Insbesondere Union und SPD lieben das aktuelle System und würden es lieber alle 4 Jahre noch eine Million mal verkomplizieren als durch irgendetwas besseres ersetzen.)

Scheint mir nicht ganz zuende gedacht.

Ich fand bloß, der Text wäre schon lang genug.^^

In Schweden gibt es sowas wie eine personalisierte Listenwahl.

Hier hat man für jede Partei einen eigenen Stimmzettel (ungefähr A6)

Der Zettel im Wahlumschlag ist eine Stimme für die Partei und dann kann ich noch einen beliebigen Namen auf der Liste ankreuzen um so diese Person auf der Liste nach oben zu bringen.

Die Auszählung bringt dann das Verhältnis der Parteien und die Personenstimme legt fest welche Person nun für die Partei einzieht.

Für Deutschland würde das auch funktionieren: alle Direktkandidaten auf der Landesliste und dann wird die Reihenfolge anhand der persönlichen Stimmen festlegen.

Damit entfällt dann auch das Taktieren um die Landesliste und die ersten Listenplätze die ja allgemein als sicher gelten.
Nachteil: es kann passieren, dass manche Wahlkreise mehrere Abgeordnete haben und andere gar keine, sollte aber in Zeiten der digitalen Kommunikation nicht mehr so schlimm sein.

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Muss ehrlich zugeben das ich schon einige Jahre nicht mehr wählen war, da ich komplett gegen das aktuelle Parteiensystem bin. Sobald Parteien existieren, gesellt sich zu dem eigentlichen Zweck von Politik – das Streben nach Gerechtigkeit und dem Guten – noch ein zweiter Zweck hinzu oder setzt sich sogar ganz an dessen Stelle: das Wachstum der Partei. Entsprechend betreiben Parteien Propaganda (heute sagt man „Öffentlichkeitsarbeit“), um Mitglieder und Wählerstimmen zu gewinnen, wobei das Entfachen „kollektiver Leidenschaften“ ein probates Mittel ist. Außerdem üben sie Druck auf das Denken ihrer Anhängerinnen und Anhänger aus, sodass diese nicht mehr frei sind, ganz auf ihre innere Stimme zu hören (die ihnen nach Ansicht von Weil den Weg zu dem, was wahr und gerecht ist, weisen könnte).
Meiner Meinung nach gehören Personen direkt in Ressorts gewählt.
Das aktuelle System ist für mich keine Demokratie. Da haben nach der Wahl plötzlich Menschen was zu sagen, die keiner gewählt hat.

Dem entspricht so einigermaßen auch meiner Wahrnehmung.

Wir haben keine direkte, sondern eine repräsentative Demokratie. Es werden Parteien gewählt, welche dann die Entscheidungen für uns treffen und plötzlich haben Menschen was zu sagen, die keiner gewählt hat.
Einen einfachen Vergleich kann sich jeder mit dem Projekt „democracy“ ansehen. Hier werden die Bundestagsabstimmungen visualisiert und eine eigene „Wahlmöglichkeit“ der User angeboten. Die Ergebnisse sind zwar nicht repräsentativ, sprechen aber doch für sich. Die Ergebnisse zwischen Bundestag und Community gehen meist deutlich auseinander.

Des Weiteren zeigten die Ergebnisse, dass einzelne Abgeordnete nicht mehr nach Ihrer Meinung abstimmen, sondern sich der Partei unterordnen (Mutmaßung meinerseits).

Die meisten Abstimmungen sind Parteieinheitlich.

Wenn dem so wäre, und die Fakten sprechen sehr dafür, wofür benötigen wir dann noch diesen riesigen Apparat.

Wie sehen denn die Abstimmungen aus, wenn nicht wirklich ein großes öffentliche Interesse besteht (Impfpflicht).

Vorschläge der Regierung werden von der Opposition meistens direkt abgelehnt.

Andersrum genauso.

Die Linken werden, wie die AFD von allen ignoriert, wobei die AFD das meiste auch selbst blockt.

Viele Debatten sehen gleich aus. Einer redet (mehr oder weniger emotionsvoll)

Die eigene Partei hört gespannt zu und applaudiert ggf. Der Rest sitzt gelangweilt da und spielt am Handy.

Was spricht hier dafür, das Ganze auf die 299 Sitze der Erststimme zu verkleinern und anhand der Zweitstimme einen Faktor für das Stimmrecht.

Somit wären wirklich nur die Personen im Bundestag, welche auch gewählt wurden und bei gleicher Abstimmung, kämen auch gleiche Ergebnisse zustande.

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Bei einer Führung im Düsseldorfer Landtag wurde uns offen erklärt, dass die Debatten gar nicht dafür gedacht sind die Abgeortneten zu informieren (und damit ggf. deren Abstimmungsverhalten) sondern um die Bevölkerung über die verschiedenen Sichtweisen der Parteien zu informieren. Die eigentliche Meinungsbildung der Abgeordneten finden in den Ausschüssen und Franktionssitzungen statt.

Und passiert mit den Parteien, die zwar über der 5%-Hürde liegen, aber keinen einzigen Wahlkreis gewonnen haben? Und was macht man, wenn die Grünen zwar 25% der Zweitstimmen gewinnen aber nur genau einen Wahlkreis? Hat der eine Grünen-Abgeordnete dann 25% des Stimmgewichts im Bundestag?

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Wenn man schon darauf besteht, das grundsätzlich nicht triviale System der Erst- und Zweitstimme beizubehalten, ist eine Zweitpräferenz keine allzu große Verkomplizierung.
Als Erklärung reicht ja „Die Zweitpräferenz ist dein zweitliebster Direktkandidat“, optional mit der Erklärung „Die Zweitstimme bestimmt, wieviele Plätze im Bundestag eine Partei hat. Die ‚zweite Wahl‘ deiner Erststimme wird nur dann genommen, wenn deine Erstpräferenz es wegen der Zweitstimme nicht geschafft hat“

Passend dazu, eine Visualisierung verschiedener Wahlsysteme mit ihren Vor- und Nachteilen:

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Hallo zusammen,
ich bin gerade wo anders auf die Wahlrechtskommission gestoßen. Ich find das Thema interessant, will aber ehrlich gesagt nicht so viel Zeit investieren, um mir auf der Bundestagsseite (Deutscher Bundestag - Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit) die letzten Tagesordnungen durchzulesen oder die öffentlichen Sitzungen anzuschauen. Hier im Forum ist die letzte Diskussion zur Wahlrechtkommission auch schon wieder einiges an Zeit her.

Daher will ich mein Interesse für einen Bericht in der Lage anmelden. Laut Deutschlandfunk wollte die SPD die Reform noch letztes Jahr durchs Parlament bringen (Wahlrechtsreform - Wie der Bundestag verkleinert werden soll | deutschlandfunk.de). Zeichnen sich also bald konkrete Änderungen in den verschiedenen Themengebieten der Kommission (Wahlrecht, Wahlalter, Dauer der Legislaturperiode, Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers, …) ab?

Viele Grüße,
Andreas

Hallo Forum, das ist mein erster Beitrag hier, ich habe mich extra für meine Idee hier angemeldet, ich bin langjähriger stiller Hörer der Lage.
Wie wäre ein Wahlsystem, dass alle Direktmandate berücksichtigt, die Stimmkraft des Mandats entsprechend der Mehrheitsverhältnisse anpasst. Wenn Partei XYZ 32 direkte Mandate gewinnt, aber nach Zweitstimme nur 30 bekommen dürfte, dann würde die Stimmkraft dieser 30 Mandate auf 30/32 reduziert. Ich habe keine Ahnung, ob das verfassungsgemäß ist und welche Detailprobleme das mitsichbringt, finde die Idee aber elegant. Jeder Wahlkreis hat seinen direkt gewählten Vertreter und das Stimmverhältnis im Bundestag wird auch berücksichtigt.

Gruß
Gunnar

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Ich würde mal vermuten an Art. 42 (2) Grundgesetz musst Du mindestens ran:
Zu einem Beschlusse des Bundestages ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt.

Ich glaube aber auch, dass das für viele Parlametnarier_innen nicht gewünscht wäre, wenn Ihre Stimme „weniger wert wäre“ als die von Kolleg_innen. Das ist zwar nicht so ein richtig starkes Argument, ich würde aber fast wetten, dass das die Abgeordneten anders sehen :wink:

Ich sehe jetzt selbst den Schwachpunkt meiner Idee. Bei der letzten Bundestagswahl hatte die FDP z. B. gar kein Direktmandat, da geht es schon gar nicht mit meiner Idee. Und bei den Grünen hätte das eine Direktmandat die komplette Stimmgewalt der Partei. Nichts für ungut.
:slight_smile:

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Hallo,

ja, das ist tatsächlich ein spannendes Thema, das in den kommenden Wochen aktuell wird, da der erste Gesetzesentwurf zur Reform jetzt auf den Weg gebracht wurde.

Die gefundene Lösung ist dabei sehr elegant, weil einfach: statt mehreren komplizierten Berechnungsschritten mit Überhangsmandaten, einem eingeschränkten Ausgleich über Landeslisten (Was natürlich nicht funktioniert, wenn eine Partei nur in einem Bundesland antritt, bei einer Fusion von CDU und CSU hätte der aktuelle Bundestag die Regelgröße von 598) und einem Ausgleich mit Ausgleichsmandaten und unausgeglichenen Überhangsmandaten, mehreren Ober- und Unterverteilungen, etc., soll sich die Sitzverteilung in Zukunft einfach daraus ergeben, dass die Stimmenanteile auf 598 Sitze abgebildet werden. Fertig. Feierabend. So einfach war Wahlrecht in der BRD noch nie.

Wie wird das möglich? Das ist leider der Wehrmutstropfen: Wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt als ihr proportional von den 598 zusteht, dann dürfen eben nicht alle „Wahlkreissieger*innen“ in den Bundestag einziehen. Damit trotzdem jeder Wahlkreis im Bundestag vertreten ist und der/die Abgeordnete von einer relativen Mehrheit im Wahlkreis unterstützt wird, wurde eine Ersatzstimme geschaffen. Die kommt dann zum tragen, wenn die Person, die du mit der Personenstimme gewählt hast, im Wahlkreis auf Platz 1 landet, aber aufgrund der neuen Regel nicht in den Bundestag einziehen darf. Diese Ersatzstimmen für den eigentlichen 1. Platz werden zu den anderen Personenstimmen addiert und so ein neuer 1. Platz aus einer anderen Partei (oder ggf, Parteilos) ermittelt. So bleibt jeder Wahlkreis gut im Bundestag vertreten. So wird dieser Wehrmutstropfen mMn gut abgefangen.

CDU/CSU fassen das Ganze jetzt so zusammen, dass Wahlkreissieger:innen der Einzug in den Bundestag verwehrt wird (Faktisch nicht falsch, aber wie oben geschrieben, eine sehr starke Verkürzung) und dies die Legitimität der Wahl angreife. Doch viel wichtiger ist dabei die Frage: Wieviel demokratische Legitimität besitzen eigentlich Direktabgeordnete?

  1. Um einen Wahlkreis zu gewinnen genügten 2021 18,6% der abgegebenen Erstimmen, ein Vorsprung von 35 Stimmen. Bundestagswahlkreis Dresden II – Bautzen II – Wikipedia Ja, mathematisch ist es das „Gewinnen“ eines Wahlkreises, aber wie viel Legitimität daraus gewonnen werden soll konnte mir zumindest noch niemand beantworten.

  2. Nur 30% der Wahler*innen trifft bei der Erststimme überhaupt eine informierte Wahlentscheidung (ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.), die anderen 70% kennen maximal eine:n Kandidat:in. Die primäre Wahlentscheidung fällt auf die Parteien und daher ist der Fokus auf die bisher „Zweitstimme“ und in Zukunft „Hauptstimme“ genannte Stimme richtig und wichtig. Daher muss eben der personalisierte Aspekt über die Direktmandate hinter der proportionalen Verteilung der Sitz gemäß Zweitstimme zurücktreten.

  3. Auch wenn (ironischerweise gerade aus der CSU) immer wieder behauptet wird, dass der Reformvorschlag verfassungswiedrig sei, die Idee, dass der 1. Platz im Wahlkreis doch kein Mandat im Parlament erhält ist keinesfalls neu: Es ist in einem Landtagswahlgesetz seit langer Zeit vorgesehen: Und zwar, genau, Bayern. Artikel 43 sieht vor, dass Wahlkreissieger:innen, deren Partei an der 5%-Hürde scheitern, nicht in den Landtag einziehen dürfen. LWG: Art. 43 Wahl der Vertreter der Stimmkreise - Bürgerservice Dass so der CSU-Generalsekretär mal eben Bayern als Schurkenstaat bezeichnet, ist dabei nur die populistische Kirsche auf der Sahnehaube. https://twitter.com/MartinHuberCSU/status/1614946523321606146

Viele Grüße

Edit: * → : wegen Formatierung

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