Reform der StVO

Hallo,
ich war davon begeistert, dass ihr in der letzten Lage (208) auf die Defizite der StVO zu sprechen gekommen seid.

Ich beschäftige mich am Rande meiner Dissertation auch mit kommunalen Kompetenzen zur Verkehrsgestaltung und bin dabei auch auf das Problem gestoßen, dass sich das Verkehrsrecht viel zu stark an der Sicherheit und „Flüssigkeit“ (wird hineingelesen, obgleich das StVG lediglich die „Ordnung“ benennt) konzentriert und damit grds. den flächenintensiven Verkehrsarten indirekt Vorrang gewährt.

Bei meinen Recherchen bin ich u.a. auf die Konzeption eines Gemeindeverkehrsplanungsgesetzes gestoßen. Der Vorschlag ist nicht neu, sondern geht soweit ich es richtig gesehen habe auf einen Vorschlag des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) aus dem Jahr 2005 zurück, der sich das Konzept im damaligen Sondergutachten „Umwelt- und Straßenverkehr“ zu Eigen gemacht hat (s. davor schon Boos, Der kommunale Stadtverkehrsplan, 2001).

Die Grundkonzeption - weg von einer Konzentration auf den den automobilen Straßenverkehr und einem Straßenverkehrsrecht, dass letzteren übermäßig privilegiert, hin zu einer besseren und ausgeglicheneren Steuerung der verschiedenen Verkehrsträger - lässt ich bei Dr. Moritz Reese in der Zeitschrift für Umwelt und Recht (ZUR) 2020, 401 nachlesen. Kommunen sollen durch eine entsprechend bessere Koordinierung verschiedener Planungen (Lärmschutz, Luftreinhaltung, Verkehr, etc.) in die Lage versetzt werden, den urbanen Raum wesentlich besser gestalten zu können, als es jetzt der Fall ist.
Berlin ist insofern mit einem eigenen Mobilitätsgesetz derzeit Vorreiter.

Vielleicht ließe sich Herr Reese (Department für Umwelt- und Planungsrecht, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschungf) ja für ein Interview gewinnen. Ich kenne Ihn nicht persönlich, bin aber von seinen Aufsätzen zu dem Thema sehr begeistert.

Viele Grüße
MGK

P.S.: Sofern nicht in das richtige Forum gepostet, bitte verschieben.

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Guten Tag,
beim hören der letzten Folge (208) hattet Ihr mich inspiriert, über Änderu gen in der StVO nachzudenken. Dazu folgende Überlegungen:

  1. Der Paragraph 1 sollte von ALLEN Teilnehmern im Straßenverkehr beachtet werden: Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
  2. Es herrscht häufig Unkenntnis über bestehende Regelungen (z.B. welche Radwege sind benutzungspflichtig, welche nicht; Abbiegeregeln; Nutzung der unterscheidlichen Räume), daher ist ein regelmäßiger Nachweis der aktuellen Kenntnisse fur Kraft- und Fahrradfahrer verpflichtend. Dazu könnte auch die regelmäßige Schulung über online Formate erfolgen.
  3. Das Wort „Automobil“ kommt von mobilis, „beweglich“. Und gegen einen sicher fließenden Verkehr auch in Innenstädten ist nichts einzuwenden. Dennoch stehen Autos 23 von 24 Stunden und nutzen dabei reichlich öffentlichen Raum. Daher ein Vorschlag: Es herrscht generelles Halteverbot und Außnahmen werden geregelt.
    Viele Grüße…und bitte weiter so!
    strosing

Großartiges und wichtiges Thema. Bin Jurist, aber kein Verkehrsrechtler. Würde mich deshalb nicht als Experten bezeichnen, habe aber trotzdem eine Meinung dazu.

Der StVO-Grundzustand ist eine leere Straße, die von allen Verkehrsmitteln gleichermaßen und weitgehend unbeschränkt benutzt werden kann. Fast alle Änderungen an diesen Grundzustand müssen sorgfältig begründet werden und werden damit erst mal erschwert. So ist grds. für die Aufstellung eines jeden Verkehrszeichens eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall erforderlich. Ein Grund, warum beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen gar nicht so leicht durchzusetzen sind. Pauschale Regelungen - wie Tempo 30 gesamtinnerstädtisch - sind gar nicht möglich.

Im Ergebnis führt das natürlich dazu, dass Straßen vor allem von Autos sicher befahren werden können. Die Grundkonzeption der StVO und die scheinbar gleiche Behandlung aller Verkehrsteilnehmer führt am Ende zum Recht des Stärkeren auf der Straße.

Auch die Einführung von Fahrradstraßen ist höchst rechtfertigungsbedürftig. Es muss nachgewiesen werden, dass der Radverkehr die dominierende oder zumindest zeitnah dominierende Verkehrsart sein wird.

Besonders problematisch ist hierbei, dass bei allen Ermessensentscheidungen nur die Zwecke der Ermächtigungsgrundlage Berücksichtigung finden dürfen. Also Sicherheit und Flüssigkeit des Straßenverkehrs (insbesondere des Autos, weil dieses ja besonders auf freie, breite Straßen angewiesen sind), ggf. konkrete Gesundheitsgefahren an bestimmten räumlichen Stellen. Aspekte wie Umweltschutz und Immissionsschutz spielen im Rahmen der StVO (und damit auch bei den kommunalen Entscheidungen) deshalb überhaupt keine Rolle.

Eine neue StVO müsste anerkennen, dass in Zeiten der Klimakrise dem nicht-motorisierten Individualverkehr erheblich mehr Gewicht eingeräumt werden müsste. Z.B. wäre der planerische Grundsatz wichtig, dass jedenfalls auf städtischen Hauptverkehrsachsen allen Verkehrsteilnehmer*innen ausreichend eigener Straßenraum eingeräumt werden muss, wobei die Planung von außen nach innen erfolgen muss und im Zweifel fahrender und ruhender motorisierter Individualverkehr weichen muss. Außerdem sollte es möglich sein, im Rahmen von Ermessensentscheidungen umweltliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

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Passend zu diesem Thema hat der VCD e.V. am 18.09.2020 eine Kampagne für ein Bundesmobilitätsgesetz gestartet.
Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr dazu vielleicht mal jemanden aus diesem Verein interviewen würdet, um dem Thema eine größere Aufmerksamkeit zu bescheren.

Hallo - eine Anmerkung von mir zum StVO. Ich bin bei Changing Cities, dem Verein hinter dem Volksentscheid Fahrrad Berlin.
Ist die StVO tatsächlich Kfz-lastig bzw. woran sieht man das, habt ihr gefragt:
Die KFZ-Lastigkeit der StVO ergibt sich

  1. aus dem alten Namen „KFZ-Gesetz“ von 1909;
  2. aus der Bemerkung des damaligen Verkehrsrechtlers Hermann Gülde, der Langsamere habe auf den Schnelleren Rücksicht zu nehmen, ca. 1934;
  3. aus der Systematik der StVO, die in den §§ 2 bis 23 ausschließlich Fahrzeuge behandelt, in § 24 kommen Rollstühle und in § 25 erstmalig Fußgänger, Radverkehr ist vereinzelt in den §§ davor in den letzten Absätzen geregelt.

Das sind die Standard-Argumente gegen die StVO, die alleine werden aber der heutigen Problematik nicht gerecht.
Die StVO ist nämlich nur ein Regelwerk von ganz vielen, die die Realität auf den Straßen formen; das ist ein verstricktes Regelungsgefüge:
– Für die Infrastruktur gibt es die VwV-StVO und die FGSV-Richtlinien.
– Eine gewisse „Trägheit“ in den Behörden, die nichts falsch machen wollen - ein Verwaltungsmensch macht lieber etwas, das bereits gemacht wurde und so ein gewisse Legitimität erreicht hat
– Die Finanzierung im Bundes- und Landeshaushalt.
– Für das individuelle Verhalten im Verkehr zählt – ganz wichtig – die polizeiliche Durchsetzung
– die Rechtsprechung in Zivilsachen
– staatliche Steuern und Subventionen
Es dreht sich zwar alles um die StVO, und sie ist ziemlich überfrachtet und erneuerungsbedürftig. Aber die StVO ist nicht das Problem, sondern die KFZ-Lastigkeit liegt in den Randbereichen des Regelungsgefüges – hier lohnt sich der genaue Blick. Zumindest greift es viel zu kurz, nur die StVO ändern zu wollen.

Hallo zusammen,

ich habe einen Menschen „gefunden“, der sich damit gut auszukennen scheint:

Ich habe gerade die Episode 8 des sehr guten Radfunks gehört (Radfunk - Der Fahrradpodcast - Episode 8 - Radwende von unten | deutschlandfunk.de). Hier redet Sebastian Bührmann zwar kurz von einigen Einschränkungen durch die StVO, mein Eindruck ist, dass er noch viel mehr erzählen könnte und auch einen breiteren Kontext (Bauvorschriften, Zustände in der Verwaltung, …) geben könnte. Scheinbar ist er aber nicht mehr beim Deutschen Institut für Urbansistik beschäftigt und ich konnte keine aktuellen Kontaktdaten ergooglen.

Wenn man ihn ausfindig machen kann, könnte er ein interessanter Gesprächspartner zu dem Thema sein.

Neben dem ADFC setzt sich auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD e.V.) für die Verkehrswende ein und fordert ein Bundesmobilitätsgesetz, nähere Informationen gibt es auf Bundesmobilitätsgesetz oder bei eurer nächst gelegenen VCD-Ortsverband. Schaut einfach mal beim nächsten Ortsgruppentreffen vorbei.

mit lieben Grüßen und besten Dank für euer großartiges Podcastformat.