Rechtsstaatlichkeit im EU-Haushalt

Danke, dass Ihr auf das Thema Rechtsstaatlichkeit in der letzten Folge eingegangen seid. Das Zitat von Katarina Barley, das Ihr erwähnt, konnte ich nicht wiederfinden, aber es spiegelt nur einen Teil der Wirklichkeit ab.

In der Tat hatte die deutsche Ratspräsidentschaft Ende September einen Kompromiss vorgeschlagen, der Rechtsstaatsbrüche nur im Zusammenhang mit Ausgaben aus EU-Mitteln ahnden würde. Laut Politico: "breaches of the principles of the rule of law in a Member State affect in a sufficiently direct way the sound financial management of the EU budget or the protection of the financial interests of the Union.”

Das ist offenkundig auf Widerstand aus dem Parlament gestoßen. Am Ende haben sie sich darauf geeinigt, dass die Formulierung zur Verbindung mit den EU-Mitteln bleibt aber auch explizit die Unabhängigkeit der Justiz genannt wird:

Das scheint auch schlüssig: Wo die Unabhängigkeit der Justiz nicht gewährleistet ist, kann auch nicht sichergestellt werden, dass Gelder rechtsmäßig ausgegeben wird.

Abschwächung gab es aber auch an anderen Stellen. Ursprünglich hatte die Kommission beispielsweise vorgeschlagen, dass Sanktionen durch umgekehrte qualifizierte Mehrheit angenommen werden. Mit anderen Worten: Sanktionen sind angenommen, wenn nicht eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten (14 Mitgliedstaaten, die 65% der Bevölkerung in sich versammeln) dagegen ist. Am Ende ist rausgekommen, dass eine qualifizierte Mehrheit die Sanktionen annehmen muss. Aber das ist immer noch besser als die aktuelle Einstimmigkeit bei dem Artikel-7 Verfahren.

Ich bezweifle allerdings, dass der aktuelle Kompromiss alleine reicht, um auch sicherzustellen, dass Grundrechte wie das Recht auf Asyl oder die Nicht-Diskriminierung von (sexuellen) Minderheiten gewährleistet ist. In der erster Linie geht es darum, ein funktionierendes demokratisches Institutionengefüge sicherzustellen. Die Kommission wird aber nicht in der Lage sein, eine nicht-Einhaltung des Asylrechts zu sanktionieren. Höchstens den Mangel an rechtlichen Mitteln, um dagegen vorzugehen. Daher war ich ein bisschen über Eure Definition verwundert, dass die Rechtsstaatlichkeit automatisch die Einhaltung der Grundrechte impliziert. Auf jeden Fall wäre es ein wichtiger erster Schritt, wenn dieser Sanktionsmechanismus eingeführt wird, um den Druck auf Polen und Ungarn zu erhöhen.

Zur Frage, wieso die Rechtsstaatlichkeit an das Budget geknüpft wird, wird im DLF-Podcast ([Deutschlandfunk - Der Tag - Deutschlandfunk] Wieso der EU-Haushalt blockiert ist; am Anfang, ca. ab 1:26 min.) darauf verwiesen, dass ein Bezug zum Haushalt (bzw. dessen Gefährdung) dargestellt werden muss, weil das Rechtsstaatlichkeit-Prinzip ja mit dem Haushalt verabschiedet werden soll. Ohne den direkten Bezug würde es wohl vom EUGH in Luxemburg gekippt werden.

Lieber Ulf, Lieber Philip, danke für den Beitrag zum Thema Rechtsstaatlichkeit im Zusammenhang mit den Problemen zum EU Haushalt und der Blockade durch Polen und Ungarn. Ich hätte einen kleinen Tipp, der das Thema ausführlich erklärt, und der ebenso erfrischend und erhellend anzuhören ist wie Euer Podcast: Letzten Freitag (20.11.) hat der Bayerische Rundfunk BR2 im Tagesgespräch Katarina Barley als Gesprächspartnerin für Hörer zu Gast gehabt. Frau Barley hat sehr schön die Problematik zu diesem Thema in allen Einzelheiten erklärt. Die Sendung gibt es als Podcast auf der Webseite des BR: https://www.br.de/mediathek/podcast/tagesgespraech/polen-und-ungarn-blockieren-den-haushalt-wie-soll-die-eu-damit-umgehen/1810553.
Liebe Grüße nach Berlin
Nicole

Liebes Lage-Team,

danke für Euren Beitrag zur EU-Rechtsstaatlichkeit. Ich bin auf diesen kurzen Artikel gestoßen, dessen Implikationen in Eurem Beitrag kaum erwähnt wurden. Ich bin kein Jurist, aber auf der politischen BEtrachtungsebene erschließen sich mir die Argumente von Annika Holz, die auf legitimatorische und strukturelle Veränderungen durch die Hintertür weist und zudem legitimatorische Probleme sieht. Zudem stellt Sie die Funktionalität in Frage (das kann ich aber nicht richtig beurteilen).

Ich stimme sehr mit der prinzipiellen Meinung vieler Kommentare und Eurer Haltung überein, dass die Rechtsstaatlichkeit mindestens(!) in Polen, Ungarn, aber sicher auch auf Malta, in Bulgarien kaum den Namen verdient. Könnte es aber sein, dass der Kern eigentlich nicht das Thema Rechtsstaatlichkeit sondern fehlender Pluralismus (Maximilian s.o. nennt es hier Institutionengefüge) und Bereitschaft zum Autoritarismus sind. Diese wären ja durch keinen Mechanismus wieder herzustellen?!

Was ich zudem noch nicht verstanden habe: Warum ist der Weg über den EUGh denn eigentlich keine ernsthafte Maßnahme mehr?

Viele Grüße,
danke für Eure tolle Arbeit!
Moritz