Recht bekommen lohnt sich nicht - für die Länder

In dem sehr lesenswerten Tagesspiegel-Beitrag über CumCum haben Fabio De Masi, Heribert Hirte und Gerhard Schick ein Beispiel geliefert, wie der Länderfinanzausgleich einen negativen Anreiz für das Eintreiben von rechtlich eindeutigen Mitteln ist.
Recht haben ist bei der CumCum Geschichte kein Problem für das eintreibende Land: Aber lohnt sich das Recht bekommen?
Erst einmal klingt es logisch, dass zusätzliche Staatsbedienstete eingestellt werden sollen, um die Menge an vor der Verjährung rechtzeitig zurückzufordernden Steuern umzusetzen.
Diese Staatsdiener:innen werden vom Land bezahlt. Da der „Gewinn“ aus den zurückgeforderten Steuern aber gemäß Finanzausgleich verteilt wird, lohnt sich das Investment in die Einforderung des Rechts für das Land insbesondere in den Finanzstandortstarken Bundesländern nicht.
Hier ist nun ein interessantes Konfliktpotenzial entstanden:
Ist es Deutschland mehr Wert, Recht zu bekommen, wenn es Recht hat? Oder nur, wenn sich das Recht bekommen finanziell lohnt?
Und die philosophische Nebenfrage lautet: Ist nicht genau das Wissen um die laxe rechtliche Verfolgung von Finanzgerichtsbarkeiten ein Standortvorteil, den Deutschland behalten solle?
DeMasi un Co sagen nein - alles muss verfolgt und nach gültigem Recht umgesetzt werden. Aber braucht es dafür nicht einen Anreiz? Sollte nicht z.B. das Nichtfinanzstandortliche Deutschland einen Soli an die Finanzstandortstarken Länder überweisen, damit diese auch einen eigenen Anreiz haben, Geld nach Deutschland zurückzuholen?

Würde es nicht einfach reichen solche „Recht haben Gelder“ zum Teil selbst behalten zu dürfen?

Also quasi Kosten der Beamten+ „Gewinnmarge von x %“ und nur den Rest in den Finanzausgleich kippen.

… und Polizeibeamte sollten zukünftig auch 50% der Bußgelder für sich behalten …

Das halte ich nun wieder für keine so gute Idee, da dann eher dazu geneigt wird ein Bußgeld zu verhängen, statt einfach Mal nur mit dem Zeigefinger zu wackeln.

Ein Teil der Öffi-Kontrollettis arbeitet so, da ist es dann schwieriger einfach mal einen Fehler wegzuargumentieren, weil Nachsicht direkt deren Geldbeutel beeinflusst.

Ich denke, @LeoWom meinte das auch eher sarkastisch… hoffe ich zumindest ^^
Also Gewinnbeteiligung bei Bußgeld- und Strafrecht halte ich für sehr problematisch. Für die Bußgelder hast du schon ein Argument dagegen gebracht, bei Strafsachen wäre das Argument, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Pflicht, auch entlastende Beweise zu verfolgen, ohnehin schon oft nur mangelhaft nachgehen - wenn es auch noch eine Prämie gäbe, könnte man § 160 Abs. 2 StPO auch gleich direkt abschaffen. („Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln“). Das halte ich für eine ganz schlechte Idee, das führt direkt zu amerikanischen Verhältnissen, wo die Staatsanwaltschaft jeden Freispruch als Niederlage bewertet und wer sich keinen guten Strafverteidiger leisten kann, hat ein massives Problem. Das gilt übrigens auch für Erfolgsprämien für Institutionen und Länder. Hard Pass!

Zurück zum eigentlichen Thema:

Es sollte theoretisch genug Möglichkeiten geben, hier Anreize zu schaffen und Fehlanreize abzubauen. Im alten LFA gab es z.B. die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen (SoBEZ), im neuen System des Finanzausgleichs sollte es doch wohl ähnliche Optionen geben. Es ist nur eine Frage des politischen Willens. Und leider jetzt auch eine Frage der Zeit, weil solche Probleme natürlich erst jetzt erkannt werden, wo die Verjährung droht, sodass eine etwaige gesetzliche Anpassung der Finanzausgleichsmechaniken nicht mehr realistisch umsetzbar ist.

Das ist ein typisches Beispiel für politisches Versagen - solche Probleme hätte man mit einem kompetenten internen Kontrollsystem früher erkennen und die notwendigen Maßnahmen einleiten können… Stattdessen berechnen Länder, dass es sich nicht lohnt und bleiben untätig, bis dann 5 vor 12 ein paar kluge Köpfe in einem Zeitungsartikel auf das Problem aufmerksam machen…

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Zu wissen, dass die eigene Behörde auf das Eintreiben von Geldern angewiesen ist, halte ich auch für einen schwierigen Ansatz. Aber der aktuelle Status Quo, dass beispielsweise Hessen die Beamten bezahlt, aber die Bussgelder dann nach Länderfinanzausgleich nicht reichen um die Beamten zu bezahlen, birgt aktuell den riesigen Anreiz, lieber die Verfahren verjähren zu lassen. Und das ist wohl die schlechteste aller Lösungen, denn da verliert Deutschland als gesamtes. Zudem festigt sich dann der Eindruck, dass Deutschland ein Steuerparadies ist, und das nicht nur aufgrund von Fehlanreizen im Justiz- bzw. Finanzsektor.
Der Lösungsweg, dass Bussgelder bzw. zurückgeforderte Steuern erst einmal den Mehreinsatz an Beamten und Beamtinnen deckt und nur der Rest an andere Länder vergeben wird bietet jedoch auch Missbrauchsmöglichkeiten: Es könnte Personal diesem Projekt zugeordnet werden, die nur wenig oder nichts damit zu tuen hatten.
Insgesamt wäre dieser Weg aber dennoch zu bevorzugen, als die Füße still zu halten und von der Verjährung glücklicherweise überrascht zu werden.

Wieso geht es hier eigentlich „nur“ um das Geld? CumEx bzw. CumCum sind doch auch strafrechlich relevant und müssten allein deshalb schon verfolgt werden.Wenn ein normaler Bürgen jemandem Geld klaut, dann geht es doch auch nicht nur darum, dass er das Geld wieder zurückzahlt.

Mit Moralismus ist das nun auch nicht zu lösen. Soll jetzt z.B. Berlin oder gar beispielsweise Griechenland Hessen auf die rechtzeitige korrekte Steuerrückforderung verklagen?
Das ganze ist ein ökonomisches Anreizdesaster nur bestehend dank den Länderfinanzausgleichen.
Ein gemeinsamer Schuldenfond zur Zwischenfinanzierung der einzutreibenden Steuern wäre zwar eine Lösung, aber auch inflationär. Als Land Berlin würde ich Hessen mal eine gutes Angebot zur Aufteilung der Beute machen - sonst wird das nichts. Berlin könnte zum Beispiel Finanzbeamte zur Unterstützung abstellen. Damit verkommt die deutsche Justiz zwar zum Basar - was aber immer noch besser als Warburg 2.0 wäre.

Krass, Verbrechensbekämpfung ist nur nötig wenns ums Geld geht? Nicht wirklich oder?

So pauschal kann man das nicht sagen, aber eines muss klar sein:

Bei den Finanzämtern gilt durchaus auch das Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Als Bilanzbuchhalter, der auch einige Zeit in der Steuerberatung gearbeitet hat, kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen, dass das sehr häufig auch das Handeln beeinflusst. Das Finanzamt investiert keine 10 Stunden Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter darin, um eine Steuernachforderung von 200 Euro zu erreichen (und im Falle von Absicht sogar ein Steuerstrafverfahren oder Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten…). Das Prinzip, dass die Verfolgung sich „lohnen“ muss, gibt es somit auch hier. Das weiß natürlich auch der Steuerberater, sodass solche Dinge öfter passieren, als einem lieb ist. Andererseits gehen Finanzämter dann doch hin und wieder mal mit der Brechstange vor und ermitteln doch in einem Fall, der sich „nicht lohnt“, um die Abschreckung Aufrecht zu erhalten.

Das ist immer das Problem: Die Realität ist so viel komplexer als die Theorie. In der Realität muss eine Behörde mit ihren begrenzten Ressourcen eben haushalten, auch wenn das bedeutet, dass man deshalb nicht das Recht immer durchsetzen kann.

Bei der Polizei gilt das so direkt zwar nicht, aber auch hier wird mit begrenzten Ressourcen gearbeitet, daher: Auch hier wird ein Verfahren oft eingestellt, weil der Aufwand, das Verfahren erfolgreich zu Ende zu führen, in keinem guten Verhältnis zur zu erwarteten Strafe steht. Daher: Wenn die Polizei weiß, dass erfahrungsgemäß nur eine 5%tige Chance besteht, den Täter zu ermitteln - und selbst im Erfolgsfall nur eine Geldstrafe (oder gar Einstellung durch die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit) erreicht werden wird, wird man keine 20 Stunden Arbeitszeit in diesen Fall investieren, sondern direkt sagen: „Der Täter konnte nicht ermittelt werden“. Tatsächlich heiß das: „Der Täter konnte nicht mit verhältnismäßigem Mitteleinsatz ermittelt werden“ - aber das klingt gegenüber dem Bürger, der die Anzeige aufgegeben hat, halt nicht schön :wink:

Wäre aber ehrlicher und auch verständlicher.
Als ich damals meine Anzeige wegen Kellereinbruch aufgegeben habe, war der Beamte auch nicht begeistert und versuchte mich davon abzuhalten indem er meinte die Aussicht den Täter zu ermitteln seien sehr gering.
Ich hab ihm daraufhin erklärt, dass mir das bewusst wäre, aber da man mir Farbspraydosen geklaut hat, ich mir mit der Anzeige nur vor falschen Verdächtigungen schützen will, war er nicht mehr ganz so mürrisch ^^
Häufig braucht man die Anzeige auch nur für die Versicherung.

Ganz ehrlich bei solchen Kleindelikten glaube ich persönlich der einige ermittelnde Beamte ist Kommissar Zufall, alle anderen machen nur Papierarbeit :grin:

Eigentlich ging es um die CumEx Milliarden, nicht um Pfennige

Ist halt das gleiche Prinzip:

Wenn das Land x Millionen ausgeben muss, um x minus y Millionen einzutreiben (weil der Rest der Millionen an andere Länder verteilt wird) ist es eben für das Land nicht wirtschaftlich.

Dass es moralisch hoch-problematisch und auch gesamtwirtschaftlich eine Katastrophe ist (weil ja x Millionen wegfallen, die sonst an die anderen Bundesländer umverteilt würden), ändert halt nichts an der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung des Landes, von dem erwartet wird, dass es zwecks Eintreibung der Steuern einen Verlust macht.

Wir analysieren hier nur, warum das betreffende Land so handelt, wie es handelt. Und was man dagegen tun könnte. Gut finden wir das alle sicherlich nicht.

Dass Wirtschaftlichkeit aber immer ein Aspekt sein wird - auch bei der Strafverfolgung und bei Steuersachen - ist eine Realität, die man nicht ausblenden darf. Genau deshalb, weil man nur, wenn einem diese Konsequenz bewusst ist, auch Systeme schaffen kann, welche die richtigen Anreize setzen. Und das ist aktuell leider nicht der Fall.

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Gibt es einen Paragrafen der bei jedweder Straftat Untätigkeit verlangt oder auch nur erlaubt, wenn bei der Sanktion nicht genügend Cash überbleibt?

Wie gesagt, wir haben es hier mit einem Theorie-Praxis-Problem zu tun.

Man kann offensichtlich nichts unmögliches verlangen. Jede Straftat mit maximalem Ermittlungsdruck (und damit maximalem Personal- und Materialeinsatz) zu verfolgen wäre eine solche offensichtliche Unmöglichkeit. Die Staatsanwaltschaft muss daher in einem gewissen Rahmen darüber entscheiden dürfen, wie sie ihre begrenzten Ressourcen - zu denen auch die Polizei als Ermittlungsgehilfe zählt - einsetzen will.

Und da es kein Gesetz gibt, welches den Ländern vorschreibt, so viele Polizisten und Staatsanwälte einzustellen, jede Straftat mit maximalem Ermittlungsdruck zu verfolgen (gäbe es so ein Gesetz fände sich vermutlich die Hälfte der Bevölkerung im Polizeidienst wieder, ein Polizeistaat erster Güte also!), gibt es auch hier keine Angriffsmöglichkeit.

Dass die Steuerstraftaten nicht verfolgt werden, weil „nicht genügend Cash“ dabei rumkommt, ist natürlich etwas, dass keine Behörde so bestätigen würde. Das ist ein Verdacht, der sich ergeben kann, wenn man sich die Zahlen anschaut - und der das Verhalten der betroffenen Bundesländer erklärt. Aber natürlich wäre das kein zulässiges Argument, nicht zu ermitteln. Das Argument, nicht zu ermitteln, ist statt dessen eben eine volle Auslastung des zur Verfügung stehenden Personals.

Der Verein Finanzwende e.V. ist hier einen kreativen Weg gegangen und hat bei der EU eine Beschwerde eingelegt. Die Argumentation: Die Nicht-Rückforderung der CumCum-Gewinne sei eine rechtswidrige Subventionierung der Banken. Das ist recht clever und könnte dazu führen, dass auch von der EU mehr Druck kommt. Aber ich fürchte, der Zug ist einfach schon abgefahren - die CumCum-Geschäfte dürften in absehbarer Zeit strafrechtlich verjährt sein - und auch steuerrechtlich sind sie spätestens nach 10 Jahren endgültig unangreifbar und können auch nicht mehr zurückgefordert werden. Das heißt, all die CumEx und CumCum-Fälle von 2001 bis 2011 sind jetzt schon verloren und jedes Jahr der Untätigkeit kommen weitere Fälle dazu, die endgültig nicht mehr zurückzufordern sind.

Es wäre hier wünschenswert, wenn die EU Deutschland hier noch mal richtig in den Hintern tritt, dann bewegt sich in der Politik vielleicht mal etwas, um den Ermittlungsdruck zu erhöhen.

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Verbrecher werden zumindest mit mehr Verve verfolgt, wenn für die verfolgende Behörde und angeschlossene Strukturen etwas dabei herausspringt.
Es ist also eher zu vergleichen mit Polizist:Innenmorden, die eine deutlich höhere Aufklärungsquote haben.

Da es bei CumEx/CumCum in erster Linie um schnöden Mammon geht, wird also in erster Linie um diesen verhandelt.

Dass einige wirtschaftsschwache Länder ohne Großbanken nun von dem Aufwand der anderen ohne eigenes Zutuen profitieren sollen, entspricht aber ohnehin dem Gerechtigkeitsgefühl.

Für die eintreibenden Behörden geht es um neue Schulden. Verdienen an den zurückzufordernden Milliarden würden nur die Länder, die keinen Finger krumm machen müssen.

Worum geht es eigentlich überhaupt? Um Geld, das dem Staat unrechtmäßig vorenthalten wird. Wenn wir uns darum kümmern, dieses Geld einzutreiben, dann ist es ganz klar eine Frage des (finanziellen) Aufwandes und Nutzens. Steuersünder werden nicht bestraft, weil sie gegen moralische Grundregeln verstoßen haben, sondern, weil der Staat wegen ihres Regelbruches zu wenig Geld hat/bekommt.

Wäre die Bilanz negativ, müssten und würden wir uns neue Regeln ausdenken. Aber natürlich kann die Gesamtbilanz auch dann positiv ausfallen, wenn einzelne Fälle mehr kosten als sie unmittelbar einbringen, nämlich über einen Abschreckungseffekt. D.h. es ist durchaus möglich, dass die Behörde im Einzelfall draufzahlt, insgesamt aber gewinnt.

Ganz so einfach ist es nicht.
Die größten CumEx Betrüger waren die Landesbanken.
Also hat sich der Staat um Steuern betrogen. Diese Steuernachzahlungen müssen nun beglichen werden.
Gerade heute ist bestätigt worden, dass das Land NRW wegen der CumEx-Geschäfte der WestLB (hundertprozentige Tochter von NRW) eine Milliarde Steuern nachzahlen muss.

Es ist also mitnichten so, dass der Staat zwingend profitiert. Wenn der Staat von sich selbst Steuern eintreibt, ist das ganze nur ein gerichtliches teures Schauspiel auf Steuerzahler:Innenkosten.

Das erkläre ich der Politesse das nächste mal auch so. Damit hat sich dann jeder Strafzettel unter 100 Euro erledigt