Psychotherapiekontingente

Das Gesundheitsministerium, Jens Spahn, möchte die „Raster-Psychotherapie“ einführen. Demnach soll das Stundenkontingent, das ein Patient von seiner Krankenkasse für seine Behandlung bewilligt bekommt, abhängig von der gestellten Diagnose nach ICD sein. Dieses Verfahren ist ungeeignet für Psychotherapie, es erinnert an die Fallpauschalen der Krankenhäuser. In der Psychotherapie kann es öfter geschehen, dass eine Diagnose sich im Verlauf der Behandlung ändert. Eine Zwangssymptomatik etwa kann zunächst als Neurose imponieren, damit weniger gravierend scheinen, doch im Verlauf zeigt sich dann, dass sich dahinter ein Trauma verbirgt oder eine psychotische Entwicklung. Das ist am Beginn einer Therapie nicht immer absehbar. Vermutlich ist die Idee dem Bestreben entsprungen, mehr Therapieplätze zur Verfügung stellen zu können. Doch hier greift der Gedanke zu kurz: Was, wenn das Kontingent ausgeschöpft ist, die Symptomatik aber noch persistiert? Gut, dass kann auch am Therapeuten oder am Patienten oder an der Beziehung liegen, doch das ist ein Spezialfall. Ich kenne keinen Therapeuten, der oder die eine Behandlung unnötig in die Länge zieht. Täglich rufen Patienten in der Praxis an und wollen dringend eine Platz, da ist es nicht nötig, aus eigenem Interesse Therapien zu verlängern.
Siehe dazu auch: #Rasterpsychotherapie bei Twitter
Bundespsychotherapeutenkammer
Es gibt eine Petition gegen dieses Ansinnen, die schon einige Tausend unterzeichnet haben. Allerdings geht das Gerücht, dass die Petition erst in 3 Monaten angenommen wird, dann ist das Gesetz möglicherweise bereits verabschiedet. Zumal der Entwurf erst nachträglich noch verändert wurde. Die Geschichte mit dem Umgang mit Petitionen wäre nochmal ein extra Thema.
Ich würde mich freuen, wenn das Thema in der Lage aufgegriffen würde. Danke!
Atelles

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Hallo Atelles, werden die Raster/Fallpauschalen nicht basierend auf statistischen Daten festgelegt - quasi ein Durchschnitt. Dann sollte sich das doch über die Gesamtzahl der Patienten wieder ausgleichen, oder?

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Schau mal @RPausD in diesem Post aus einem anderen Thread zum gleichen Thema wurde gut herausgearbeitet, warum das Gesetzesvorhaben so problematisch ist:

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Was ich nicht verstehe, auch in Richtung @Wagner : im Gesetz steht ja erstmal nur der Auftrag an den GBA, zu prüfen,“unter Berücksichtigung der Versorgung nach Absatz 6b, wie die Versorgung von psychisch kranken Versicherten bedarfsgerecht und schweregradorientiert sichergestellt werden kann“ (zitiert nach der change.org-Petition, die diesen Satz streichen lassen will Petition · Keine #Rasterpsychotherapie, Herr Spahn! · Change.org )

Der GBA, arbeitet aber wissenschaftlich, ist m.W. nicht inhaltlich weisungsgebunden und außerdem auch mit Vertretern der Leistungserbringerinnen und Patientinnen besetzt (wenn auch letztere nach meiner Erinnerung nur beratend).
Wieso wissen dann die Psychotherapeutenverbände vorher schon, was rauskommen wird und dass es etwas sein wird, was jeder guten Praxis widerspricht?

Oder ist das jetzt einfach nur typische Verbandsarbeit, wo Leute sich nicht ins Handwerk pfuschen lassen wollen, und daher erstmal einen riesigen Popanz aufbauen?

Und zu der Petition: der Satz mag nachträglich ins Gesetz gekommen sein, aber eine wissenschaftliche Expertise verhindern zu wollen, weil einem das Ergebnis ggf. nicht gefällt, finde ich jetzt auch nicht so eindeutig unterstützenswert…

Ingesamt schwieriges Thema… Realität ist, dass es solche Kontingente auch bezogen auf „klassische Medizin“ gibt. Will sagen, der Allgemeinmediziner*in kriegt am Ende des Quartals Senge von den Krankenkassen, wenn er bspw. zu viele Behandlungen einer gewissen Kategorie verschreibt weil er/sie in einem sozialen Brennpunkt lebt. Am Ende des Quartals arbeitet er dann entweder pro Bono oder schickt Patienten weg. Die dahinter stehende (kaputte) Logik liegt tiefer und gehört insgesamt hinterfragt. Das kann man aber von einem Konservativen (also beharren auf dem existierenden) Politiker nicht erwarten.

Hallo, ich habe mir den Link durchgelesen, aber der zeigt ja nur die eine Seite - die Meinung von Psychotherapeuten - wir brauchen mehr Geld weil jeder Patient individuell ist oder Corona alles noch schlimmer gemacht hat. Problem ist nur, dass Corona für weniger Geld sorgt und fast jeder Berufsstand mehr Geld haben möchte. Unsere Schulden sind gigantisch und die Wunschliste wird immer länger … mehr Migration, mehr Klimawandel, mehr Bildung, … . Bevor uns der Laden um die Ohren fliegt - was bald passieren sollte - macht es schon Sinn zu priorisieren. Mehr Geld für die Psychotherapie würde vielleicht einen Nutzen bringen, nur andere Dinge bringen vielleicht einen noch größeren Nutzen, daher würde mich die Begründung der Kasse interessieren. Leider habe ich nichts gefunden - kennst Du denn eine Studie der Krankenkassen warum eure Forderungen nicht erfüllt werden? Gibts es denn Benchmarks wie Nutzen/Ausgaben sich in anderen Ländern verhalten?

Es geht auch nicht um die Zahl der Patienten. Es geht darum, dass es möglich bleibt, eine für jeden einzelnen Patienten geeignete Therapie zu ermöglichen, auch im Stundenumfang. Sonst besteht die Gefahr, dass das Kontingent ausgeschöpft ist, ehe eine nachhaltige Besserung eintreten konnte. Eine Durchschnittbildung würde dem immer noch nicht gerecht, die Individualität bliebe auf der Strecke. Im Übrigen absolvieren bereits heute 2/3 aller Patienten lediglich eine Kurzzeittherapie (ca 24 Stunden), d.h. noch mehr Zeit lässt sich hier mit einer Kürzung von Kontingenten kaum für neue Patienten einsparen. Siehe hier, Seite 66:
https://www.deutschepsychotherapeutenvereinigung.de/gesundheitspolitik/aktuelle-meldungen/news-bund/news/corona-wird-die-psyche-noch-laenger-beschaeftigen/

Wenn man etwas für die Versorgung tun will, dann sollten Psychotherapeuten von Verwaltungsaufgaben entlastet werden, z.B. von der unsinnigen verpflichtenden persönlichen telefonischen Erreichbarkeit, wo niemand anruft, alle nutzen den AB oder mail. Diese freie Stunde z.B. könnte ein neuer Patient gern haben.
Danke für die guten Darlegungen von @Wagner und @Fab14n !
@Easy

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Frage, da du vom Fach zu sein scheinst:
Was hältst du von Online-Angeboten?

Speziell in den USA starten (vermutlich gesteigert durch die Pandemie) grade richtige Plattformen für Online-Therapie (so eine Art Vermittlung auf Basis der Bedürfnisse der Patienten und der Verfügbaren Therapeuten).

Das steigert nicht die Anzahl der Therapeuten, würde aber eine bessere Auslastung ermöglichen, weil:

  • kein Leerlauf mehr wenn ein Therapeut*in in Hintertupfingen grade Stunden frei hat
  • Termine direkt aneinander gereiht
  • Termine stärker bedarfsgerecht orientiert (Dauer des Termins wird flexibler)

Am Hamburger UKE läuft eine Studie zu Onlinetherapie (eRecover) sowie zur besseren Versorgung Betroffener (Recover), die sich gerade in der Auswertung befindet. Ich bin darauf aufmerksam geworden, weil ein Freund als ITler in das Projekt eingebunden ist.

Modellprojekt Recover

Onlinetherapie eRecover

Die ersten Ergebnisse scheinen vielversprechend. Leider habe ich gerade nicht die Zeit, deshalb nur die Links.

Das halte ich für schwierig. Klar wäre das besser als gar keinen Termin zu bekommen.
Für mich der ich schon länger bei meiner Therapeutin bin und ein Vertrauensverhältnis aufbauen konnte sind (Corona bedingte) OnlineTherapiestunden kein Problem. Wenn ich aber an meine Anfangszeit denke, dann wäre das äußerst schwierig (hinderlich) gewesen.
Ich möchte auch betonen, dass es wirklich wichtig ist alle Leichen im Keller zu bearbeiten und mit dem nötigen Rüstzeug ausgerüstet zu sein um Rückfälle zu vermeiden.

Was das jetzige Abrechnungssystem mit der Medizinversorgung gemacht hat sehen wir. Wenn wir dieses System zukünftig auf die Psychotherapie anwenden werden wir auch hier die gleichen oder noch stärkere Probleme bekommen.

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Ich habe vermutlich ein Verständnisproblem zu dem geschilderten Problem und würde mich daher über Aufklärung freuen:

Wo ist das Problem einer Stunden/Diagnosekopplung bei der Bewilligung der Therapie?

Also Diagnose A berechtigt zu 10 Stunden bewilligter Therapie und Diagnose B zu 20 Stunden

Nun gibt es einen Patienten mit Diagnose A und während der Therapie wird festgestellt, dass dann doch eher B zutrifft also wird die bewilligte Stundenanzahl geändert fertig.

Und wenn der Therapeut gestellt, dass die 10 Stunden für genau diesen Patienten nicht ausreichend sind dann wird eben erneut diagnostiziert (Problem immer noch da) und dann müssen eben nochmal 10 Stunden bewilligte werden.

Ich sehe da einfach kein wirkliches Problem.

Ist wie bei meinem Bluthochdruck, der wird doch auch (Hinweis: nicht Deutschland) alle zwei Jahre neu diagnostiziert und meine Medikamente neu verschrieben.

Und anhand von irgendwas muss man doch bei aller Individualität einer Psychotherapie auch erstmal planen können.

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Scheint so als wäre das hier die nächste Spahn‘sche Pleite:

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/reform-der-psychotherapie-union-und-spd-gegen-jens-spahns-vorschlag-a-e3b197bf-abbe-4f65-95a6-4acfb0530507?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph

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Ja.
https://www.xing.com/m/F1pvQXAOeUO4V6u4bA2UBP

Was aber schon auffällt, ist dass in der Berichterstattung mit einem negativ konnotierten kampfbegriff („Raster“) gearbeitet wird, mit dem Klischee der bösen „Ökonomisierung“ (als ob die Leistungserbringer keine ökonomischen Interessen hätten, die sie mit diesem Begriff schützen wollen! Der typische Porsche-fahrende Arzt ist kein reiner Altruist oder Sozialist!) und dass nur mutmasslich verzerrte Darstellungen der Interessenvertreter über das, was geplant ist, recycled werden. Das BMG hingegen wird gar nicht gefragt, was sie eigentlich planen und warum. Das ist schon sehr eigentümlich.

Sorry für die späte Antwort, ich habe den Report zur Psychotherapie in Teilen gelesen. Ich betrachte es sehr aus der ökonomischen Sicht, was mir dazu ein bisschen gefehlt hat, wäre auch eine kritischere Auseinandersetzung mit dem Nutzen der Psychotherapie insbesondere im Vergleich mit alternativen Maßnahmen. Andererseits ist es natürlich nicht die Aufgabe der Psychotherapeuten das Big Picture zu sehen.

Als Betroffener kann ich sagen, die Therapie hat mir geholfen wieder ein aktives selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ich persönlich kenne keine „alternativen Maßnahmen“ lerne aber gerne dazu.
Ohne ihnen zu nahe treten zu wollen finde ich es zynisch Gesundheit ökonomisch zu betrachten, denn es ist keine Willensentscheidung sondern hat eher etwas mit Schicksal zu tun.

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Ich verstehe das Leid Betroffener und den Bedarf an therapeutischer Hilfe, aber Wasser und Essen sind lebensnotwendig. Trotzdem kann und muss man deren Verteilung ökonomisch betrachten. Warum? Weil es sich um knappe Güter handelt, weil sie nicht ohne Aufwand vom Himmel fallen und ihre Erzeugung Aufwand generiert, der für andere Dinge nicht mehr zur Verfügung steht. Die Ökonomie ist die Wissenschaft der Knappheit. Etwas, was nicht unbegrenzt verfügbar ist, nicht ökonomisch zu betrachten, ist daher nicht nur fahrlässig, sondern letztlich sogar unethisch, weil es immer auch gegen andere wichtige Güter abgewogen werden muss.

Ist es wirklich schon so weit?
Ist Essen und Wasser so knapp dass es eine Güterabwägung geben muss?
Was sie da schreiben ist Zynismus im Quadrat.

Das habe ich nicht gesagt. Ich sage einfach, dass quasi alle Güter knapp sind, auch lebensnotwendige. Das lässt sich kaum bestreiten und hat nichts mit Zynismus zu tun.
Weil sie knapp sind, haben sie einen Preis und es macht Sinn, sich wirtschaftlich mit ihrer Herstellung und Verteilung zu befassen.
Man kann natürlich auch „Zynismus“ rufen, aber davon geht die grundsätzliche Knappheit nicht weg.

Hier geht es nicht um irgendwelche Waren.
Hier geht es um Menschen die Hilfe brauchen und die diese Hilfe verweigert bekommen.
Es IST Zynismus wenn diese Menschen mit irgend einer Sache gleichgestellt werden!!!

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Hallo Olaf, zwar ist dein Beitrag schon etwas her, da der Thread ja gerade etwas „wiederbelebt“ wird, will ich trotzdem versuchen, dir das Problem dabei zu erläutern - weil ich bisher nicht gesehen habe, dass das schon jemand getan hätte.

Letztlich lässt sich das auf ein einziges Wort reduzieren: Bürokratie. Wenn nach Ablauf von X Stunden noch weiterer Therapiebedarf besteht, müsste dafür ja ein Antrag gestellt werden, möglicherweise unter Angabe einer neuen Diagnose. Dieser wird dann erst einmal von der gesetzlichen Krankenkasse geprüft. Möglich, dass er abgelehnt wird mit der Begründung man habe ja gerade erst eine Therapie gehabt (bzw. eigentlich sogar gar nicht so unwahrscheinlich…). Dann müsste man also erst einmal mindestens einen Widerspruch schreiben. Insbesondere (aber nicht ausschließlich!) psychisch Erkrankte kann so etwas aber dann oft abschrecken - weil das Sich in Therapie begeben sowieso (da gesellschaftlich nicht in gleichem Maße wie somatische Krankheiten anerkannt) schon schwer genug ist. Resultat ist eine De-facto noch größere Unterversorgung als jetzt - nur dass die auf dem Papier besser dasteht, weil dann ja pro Zeiteinheit (z.B. ein Jahr oder auch ein Quartal) mehr Therapien (also behandelte Patienten) zu buche schlagen können (weil für den einzelnen Patienten die Therapiestundenanzahl bei einer Kontingentierung eher verringert würden als erhöht - sonst müsste man sie ja gar nicht durchführen).

Budgetierung im Gesundheitswesen hat im Gesundheitswesen bisher seltenst bis nie dazu beigetragen, Versorgungsqualität zu erhöhen - lediglich Kosten mögen etwas gedeckelt worden sein. Es ist also nicht im Sinne der Patient:innen, weitere Budgetierung einzuführen - und widerspricht auch dem Prinzip der Therapiefreiheit, das sicherstellen soll, dass der Staat nicht bestimmte Behandlungen vorgibt (aus leidvollen Erfahrungen der NS-Zeit heraus geboren…).

Ich hoffe das macht das Problem ein wenig klar.
Viele Grüße
Felix

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