Psychotherapie in Beruf und Gesellschaft - Beamte

Hallo liebes Team,

während des Podcasts ist ja schon angeklungen, dass Psychotherapie gesellschaftlich noch mehr Akzeptanz braucht und da habt ihr vollkommen recht. Mir ist sofort das Beispiel der Verbeamtung in den Sinn gekommen: Ich habe zahlreiche FreundInnen die Lehramt studiert und die unterschiedlichsten Lebensgeschichten haben - viele davon nicht einfach. Vom plötzlichen Tod eines Elternteils über emotionalen Missbrauch in der Familie bis zu Burnoutsymptomen - aber sie alle weigern sich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen oder zahlen diese privat (mit Unterstützung der Eltern), weil die Verbeamtung in Gefahr ist.

Ja, offiziell ist das kein Grund, eine Verbeamtung grundsätzlich auszuschließen, es kommt auf den Einzelfall an - aber ganz konkret bekommt man als LehramtsstudentIn während Praktika oder in Fachdidaktikseminaren immer wieder mit, dass eine Verbeamtung so gut wie unmöglich ist, sollte man nachweislich jemals psychische Hilfe aufgesucht haben. Das sind natürlich lokale und individuelle Erfahrungen, begrenzt auf meinen Freundeskreis. Dennoch sind die Botschaft und die möglichen Konsequenzen höchst bedenklich:

  1. Wird mit einer solchen Handlung mentale Gesundheit als weniger wichtig und ernstzunehmend gewichtet.
  2. Wollen wir wirklich Lehrer, die ihre Probleme selbst therapieren, sie verdrängen und mit diesem Ballast in den ohnehin schon anspruchsvollen und stressigen Lehrerberuf schicken?

Viele Grüße aus BaWü

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Zunächst: ich kenne auch persönlich jemanden, der exakt das Beschriebene getan hat, also auf eigene Kosten professionelle Hilfe in Anspruch genommen um mit einer psychischen Ausnahmesituation fertig zu werden, wobei der Beamtenstatus der entscheidende Faktor war. Ich sehe daher das Problem definitiv auch.

Mit deinen Folgerungen gehe ich trotzdem nicht ganz konform, insbesondere dieser:

Nein, das Gegenteil ist der Fall. Der Grund für die Gefahr bei der Verbeamtung ist ja, dass eine Verbeamtung enorme Rechte des Beamten gegenüber dem Staat auf Fürsorge nach sich zieht, die potenziell enorm teuer werden können. Denn ist man erst einmal verbeamtet, dann kann man, private Krankenversicherung für kleines Geld durch Beihilfe sei Dank, auf sehr gute und sehr teure psychologische Hilfsangebote zurückgreifen, kombiniert mit weitreichenden Möglichkeiten der Entlastung auf der Arbeitsstelle bei vollem Erhalt des finanziellen Auskommens und bei nahezu absoluter Sicherheit vor Kündigung. „Nahezu absolut“, weil dir bloß keiner nachweisen darf, dass du schon vor der Verbeamtung psychische Probleme hattest und die Verbeamtung somit unter falschen Annahmen geschah. Aber für jegliche Probleme, die der Beamte erst als Beamter erlangt und therapieren lassen will, steht der Staat weitreichend gerade.

Unter diesen Vorzeichen ist es eine Würdigung der Ernsthaftigkeit psychischer Krankheiten, wenn das Vorliegen derselben eine Verbeamtung verhindert. Würde man sie nicht ernst nehmen und nur für „Kinkerlitzchen“ halten, stünden sie einer Verbeamtung nicht im Weg - wegen eines Schnupfens, den man irgendwann mal hatte, wird ja auch keine Verbeamtung abgesagt.

Dass eine direkte Folge dieser Vorgehensweise die Verheimlichung psychischer Probleme ist, die wiederum oft dazu führt, dass die Probleme langfristig schwerer statt besser werden, ist leider ein unbeabsichtigter, aber natürlicher Effekt des „ernst-nehmens“ und hat nichts mit Verharmlosung zu tun. Würde man es verharmlosen, wäre die Situation ironischerweise zumindest aus Sicht der Betroffenen besser, denn sie müssten sich weniger Sorgen um ihre Verbeamtung machen.

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Das sehe ich anders. Der Staat nimmt hier nicht nicht die psychische Erkrankung als solche ernst, sondern primär deren hohe Kosten in der Zukunft.
Gleichzeitig ist der Beamtenstatus aber ja nicht das einzige Problem. Auch ein voll umfassende private Krankenversicherung zu bekommen, mit diagnostizierter psychischer Vorerkrankung kann ein Problem sein. Das gleiche bei Berufsunfähigkeitsversicherungen etc.
Es ist leider schon so, dass gerade für junge Erwachsene die Diagnose nach wie vor ein Stigma darstellen kann. Nicht primär gesellschaftlich, sondern ökonomisch.