Psychologie der Impf-Skepsis

TL,DR:

  • Der Begriff ‚rational‘, im Kontext von Motivationen von Menschen, bei emotional hoch aufgeladenen Themen, führt in der Regel zu mehr Missverständnis und schädigt dem Diskurs.
  • Gemäß des wissenschaftlicher Konsens, sind psychologisch gesunde Menschen in ihrer Inneren Logik rational, während ihre Meinungen und Verhalten aus der Außenperspektive klar ‚irrational‘ sind.
  • Ich gehe davon aus, dass viele psychisch gesunden Menschen darunter leiden, dass ihnen von den Mainstream Medien und von großen Teilen der Gesellschaft die Fähigkeit logischen Denkens abgesprochen wird.
  • Ich gehe davon aus, dass diese Menschen ausschließlich in den, von Profitgier und/oder Menschenfeindlichkeit motivierten Rechtspopulisten kultivierten Milieus, soziale Anerkennenung erhalten.
  • Deswegen glaube ich, dass (wissenschaftlich fundiert) psychisch gesunde Menschen in demokratiefeindliche Milieus getrieben werden, durch deren öffentliche Diffamierung.

…und

  • Wenn Dissens mit sozialen Ausschluss einhergeht (z.B. durch Begriffe wie ‚Schwurbler‘ oder ‚Schlafschaf‘), dann wird aus einem Diskurs ein aussichtsloser Glaubenskrieg.

Ich habe den Eindruck, dass eine enorme unsichtbare Verständniskluft (insbeosndere) zwischen dem „wer nicht impft ist irrational“ Lager und allen anderen Lagern besteht. Und zwar der Blindheit gegenüber der Komplexität der ganz normalen gesunden menschlichen Psyche.

Philip hat in seinem Interview Podcast (Episode: DIO096) mit Prof. Rainer Sachse geredet, woraufhin ich mir dessen Buch ‚Persönlichkeitsstile‘ zu Gemüte geführt habe. Darin wird ein Model aufgeschlüsselt, welches die Psyche als eine Art Infrastruktur darstellt, welche tief liegende Bedürfnisse durch eine Pipeline von Verarbeitungsprozessen schleift, bis am Ende ein Verhalten daraus resultiert.

Unterschiedliche Prägungungen führen zu unterschiedlichen Prioritäten ganz am Anfang dieser Pipeline. Im Verarbeitungsprozess snowballed das dann zu sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen. Das Buch kategorisiert darauf basierend neun gut differenzierbare Persönlichkeitsstile.

Alle Menschen können einem oder mehrere dieser Persönlichkeitsstile zugeordnet werden. Hier geht es um psychologische Dynamiken bei ausdrücklich gesunden Menschen. Weiter wird dargelegt, dass die innere Logik dieser gesunden Menschen absolut folgerichtig ist, obgleich sie von Außen irrational wirken mag.

2.3 Innen- und Außenperspektive

Wie wir noch sehen werden, stellt jeder Persönlichkeitsstil ein System von aufeinander bezogenen Motiven, Annahmen, Normen, Regeln und Handlungen dar. Betrachtet man diese aus der Innenperspektive der Person, dann erscheinen alle diese Aspekte in sich stimmig und in sich plausibel. Betrachtet man das System jedoch aus einer Außenperspektive, aus der Perspektive eines unbeteiligten Beobachters, dann erscheinen viele Annahmen im System als wenig überzeugend, schwer mit der Realität vereinbar oder sogar als unsinnig und absurd. Dieser Unterschied zwischen innerer und äußerer Perspektive ist zum Verständnis von Persönlichkeitsstilen äußerst wichtig.

Die Logik der Psyche

Eine Person hat bestimmte Annahmen (über sich selbst, über Beziehungen usw.) und glaubt diese Annahmen selbst, d. h., dass sie selbst davon überzeugt ist, dass diese Annahmen „wahr“ sind, mit der Realität übereinstimmen o. Ä. Aus diesen Annahmen zieht die Person dann bestimmte Schlüsse, aus denen sich bestimmte Ergebnisse ableiten lassen, die sich z. B. in Normen, Regeln usw. manifestieren. Dadurch ergibt sich ein System aufeinander bezogener und auseinander abgeleiteter Annahmen. Die Art der Schlüsse folgen (zumindest meist, leider nicht immer) durchaus den gängigen Regeln der Logik: An den Schlussfolgerungen selbst ist oft nur wenig auszusetzen.

Das Problem dabei sind die Prämissen: Die Annahmen (Schemata!), aus denen die Schlüsse gezogen werden, stimmen eben sehr oft nicht mit der Realität überein, sind nicht durch Fakten gestützt, sondern widersprechen verfügbaren Fakten (z. T. eklatant!). Damit sind die Annahmen eben nicht zutreffend und damit sind die den Schlussfolgerungen zugrunde liegenden Ergebnisse falsch! Dass sie falsch sind, lässt sich aber eben nur noch aus der Außenperspektive heraus feststellen, denn dazu muss man erkennen (können), dass die Annahmen unzutreffend sind. Aus der Innenperspektive heraus betrachtet, liegt der Fall aber anders: Da die Person die Annahmen selbst glaubt, also für zutreffend hält, hält sie auch die Schlüsse für zutreffend und zwingend: Aus der Innenperspektive ist das System daher fast immer stimmig, plausibel und schlüssig! Aus diesem Grunde möchte ich hier auch von Psycho-Logik sprechen: Psycho-Logik bedeutet, dass eine Person aus geglaubten Annahmen logische Schlüsse zieht, die sie selbst für wahr und plausibel hält, die ein Außenstehender, der erkennen kann, dass die Grundannahmen falsch sind, jedoch nicht nachvollziehen kann oder für absurd hält.

Daraus ergeben sich mehrere sehr wesentliche Konsequenzen:

  • Betrachtet man ein psychisches System einer Person aus der Innenperspektive, kommt man zu anderen Ergebnissen als bei einer Betrachtung aus der Außenperspektive.

  • Aus der Innenperspektive einer Person wirkt ihr System auf sie selbst fast immer als hochgradig plausibel, schlüssig, zwingend.

  • Aus der Außenperspektive ist das aber nicht der Fall: Annahmen und Schlüsse wirken unplausibel, unzutreffend, z. T. sogar absurd.

  • Eine Person kann aber meist (ohne Psychotherapie!) selbst nur die Innenperspektive einnehmen: Es ist für sie schwierig, das Ganze von einem äußeren Standpunkt aus zu sehen (was zu der Ich-Syntonie beiträgt!).

  • Ein Außenstehender sollte am besten in der Lage sein, beide Perspektiven einzunehmen:
    – Aus der Außenperspektive sollte er fähig sein, das System seines Gegenübers kritisch zu hinterfragen und unzutreffende Annahmen zu erkennen.
    – Er sollte sich aber auch in die Innenperspektive des anderen hineinversetzen können (= empathisch sein) und so fähig sein, nachzuvollziehen, wie das Ganze aus der Sicht der anderen Person aussieht: Nur dann kann er wirklich verstehen, warum dieser so denkt, wie er denkt, und so handelt, wie er handelt.

Weiter muss man bedenken, dass aus statistischer Zwangsläufigkeit sich bei einem Teil der Bevölkerung in diesem Fall die Psycho-Logik mit der Äußeren Logik deckt. Das macht adelt diese Gruppe aber nicht als ‚rationaler‘

Praktisches Beispiel:

1. Prägung

Eine Frau geboren vor –70 Jahren. Die Eltern zwingt sie in eine diskriminierend Rolle. Sie kann aufgrund ihres Geschlechts nicht die Ausbildung und Kariere machen, wie wenn sie zufällig einen Penis hätte. Die Gesellschaft erklärt ihr, dass keine Diskriminierung existiert und sie irrational und/oder hysterisch sei.

Sie heiratet und bekommt Kinder. Der Mann schlägt sie und die Kinder. Er fordert sexuelle Handlungen und hat gesellschaftlichen Konsens und Gesetzte hinter ihn. Wenn sie sich beschwert wird ihr erklärt, sie sei irrational und/oder hysterisch.

Irgendwann gelingt es ihr, sich von ihm scheiden zu lassen. Die Gesellschaft hält es für selbstverständlich, dass sie die Kinder nehmen muss. Ohne Ausbildung, als Alleinerziehende findet sie sich gezwungen, die schlechtesten härtesten Jobs anzunehmen um das Überleben ihrer Familie sicher zu stellen, was sie nur schafft, wenn sie ihre Kinder pädagogisch vernachlässigt. Ihr wird erklärt das sei normal, sie wolle doch nicht als irrational und/oder hysterisch abgestempelt werden.

Und selbst wenn es einen Mann gäbe, der eine Partnerin sucht, die einen Job, drei Kinder, kein Geld und null Freizeit hat, dann hätte sie nicht den Freiraum um diesen zu suchen.

Aufgrund der Transformation des Arbeitsmarktes durch die Agenda 2010 ist sie auf die Hilfe von Hartz IV angewiesen und wird mittels Sanktionen ihres Jobcenter Betreueres, aka Richter und Henker (ohne jeglicher juristischer Ausbildung) in Personalunion erpresst. Das gilt als normal, ihre Beschwerde als irrational und/oder hysterisch.

2. Situation in der Pandemie

Sie hat Angst und ist verunsichert. Die Medien erklären alle müssen sich impfen lassen. Wer das nicht macht ist irrational und/oder hysterisch.

3. persönliches Fazit

Obgleich die Wirtschaft des Landes ihr Leben lang floriert hat und sie sich ihr Leben lang ein Bein ausgerissen hat, nie in den Urlaub gehen konnte, als alleinerziehende nie in den süßen Genuss eines Feierabends gekommen ist, wird sie als alte Frau als faule unwichtige Hartz IV Empfängerin gegängelt. Sowohl institutionell als auch medial als auch gesellschaftlich.

Die äußere Logik war stets ihrer inneren Logik entgegen gestellt. Auf sie wurde durch die neoliberale Hegemonie das Bild einer gesellschaftlichen Absteigerin projiziert, die ihre Kinder vernachlässigt und dem Staat auf der Tasche liegt.

Einer Frau mit dieser Prägung damit zu kommen, dass ihre Ängste irrational sind ist ziemlicher BS. Hier argumentiert man gegen 70 Jahre Lebenserfahrung. Man stellt sich in eine lange Reihe von Menschen, die ihr eingeredet haben, dass Frauen nicht studieren sollen, häusliche und sexuelle Gewalt kein Grund zur Beschwerde, ihr Kampf für eine Scheidung undankbar und ein Verbrechen gegen die Kinder, sie zu dumm für eine Karriere, zu uninteressiert für eine Mutter und zu faul für sozialleistungen ist.

Die Pandemie betrifft alle und ihr Verlauf wird von allen beeinflusst. Ausnahmsweise gelten nicht nur die Motive der Konzerne und Reichern, sondern die Meinungen aller Menschen sind gleich viel wert. Deswegen ist die Pandemie kein isoliertes Event, es steht auf dem maroden Fundament vergangener gesellschaftlichen Traumata und der menschenverachtender Politk der letzten Dekaden.

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