„Progressives“ Bündnis

Hallo ihr beiden,

ich bin regelmäßiger Hörer der Lage. Ich finde es echt unpassend, dass ihr den Begriff „progressives“ Bündnis uneingeordnet einfach so von Frau Esgen übernehmt (ich meine, sie hat ihn geprägt).

Der Begriff beinhaltet für mich ein klares Framing, dass dem Anspruch der Lage meines Erachtens nicht gerecht wird. Meines Wissens nach ist das ein Begriff der amerikanischen Linken bzw. vielmehr der Demokraten und soweit ich weiß vor allem in der Zeit der Bürgerrechtsbewegung entstanden. Diese war ohne Zweifel progressiv im Sinne eines Aufbegehrens gegen gesellschaftlich unbestritten rückständige Zustände. Diese, wie auch die soziale Benachteiligung großer Bevölkerungsgruppen, ist mitnichten mit der aktuellen Lage in Deutschland vergleichbar. Die Aneignung des Begriffs für ein RRG-Bündnis finde ich absolut unmöglich.

Darüber hinaus beinhaltet der Begriff eine stark wertende Komponente. Sorry, ich möchte gerne selbst entscheiden können (oder mindestens die Mehrheit der Gesellschaft entscheiden lassen), ob ich ein solches Bündnis für progressiv erachte und mir das nicht von Frau Esgen oder NoWoBo erklären lassen. Im Sinne einer objektiven Betrachtung finde ich die Übernahme eines solchen Framings von euch nicht angemessen.

Herzliche Grüße
Benedikt

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Guter Kommentar.

Ich möchte noch ergänzend darauf hinweisen, dass die Partei ‚die Linke‘ mit ihrer Selbstbezeichnung ganz enormen Schaden für den öffentlichen Diskurs verursacht hat, imho. Der politische Begriff ‚Links‘ beschreibt eine Ideologie, die international ist, und eine Geschichte hat, die in eine Zeit zurück reicht, in der Royalisten die in den Parlamenten saßen.

Die Partei ‚die Linke‘ ist eine Partei mit spezifischen Parteiprogramm, inklusive internen Kämpfen, wie dieses regelmäßig verändert werden soll. Selbst wenn es das Selbstverständnis der Partei sein sollte (was es vermutlich nicht ist), dann wäre es überhaupt gar nicht möglich ein Parteiprogramm zu schreiben, welches Deckungsgleich zu dem politischen Begriff ‚Links‘ ist.

Was diese Partei mit ihrer Selbstbenennung allerdings erreicht hat ist, dass im öffentlichen Diskurs der Begriff „Links“ gleichgesetzt wird mit der Partei - und umgekehrt. Damit haben sie aus dem öffentlichen Diskurs den Begriff entfernt, der das Beschreiben sollte, was als ‚Links‘ zu bezeichnen war.

Sie haben es geschafft, das Problem in ein Mehrparteiensystem zu übertragen, welches die USA mit ihrem Zweiparteiensystem hat. Sie haben den politisch ‚Links‘ mit einer Partei verankert, die gar nicht links sein braucht, um als solches betrachtet zu werden. Sie haben die Diskursfähigkeit beschädigt, um Wählerstimmen zu farmen. Im Verständnis der Deutschen ended das politische Spektrum, am Parteiprogramm dieser Partei.

Eine ähnlich problematische Unsinnigkeit hat die CDU mit ihrem ‚Partie der Mitte‘ Narrativ etabliert.

Bitte achtet darauf, den Begriff ‚Progressiv‘ nicht seiner Bedeutung zu berauben, nur weil eine PR Agentur auf die glorreiche Idee kam, ihn als Markenname zu missbrauchen.

Die Irritation ob des Begriffs „progressiv“ für rot-rot-grün wundert mich, denn die Union würde sich denke ich nicht gegen den Begriff „konservativ“ verwahren. Insofern ist das doch eindeutig die nicht konservative Seite des Spektrums - eben die progressive.

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Ich sehe nicht inwiefern der claim der CDU ‚konservativ‘ zu sein, dazu führen sollte, dass alle anderen Parteien ‚progressiv‘ sein sollten.

Definieren wir mal hier konservativ als ‚Erhaltung des Status Quo‘, und progressiv als ‚Veränderung des Status Quo‘.

  1. Ist es konservativ, wenn die Arm Reich Schere immer weiter auseinander getrieben, und daraus folgend, die Demokratie untergraben wird?

  2. Wie sehr deckt sich die Selbstbezeichnung der CDU damit, konservativ zu sein?

Wenn ich mich nicht irre, dann hat die CDU z.B. hinsichtlich der Vermögenssteuer sowie den Spitzensteuersatz den Status Quo in den letzten Dekaden erheblich geändert.

  1. Kann man einen Progressivitätsmittelwert einer Partei bestimmen, und wie viel Nutzen hätte ein solcher Wert?

Sagen wir die Grünen wären progressiv hinsichtlich der Verringerung der CO2 Werte, gleichzeitig jedoch konservativ hinsichtlich der Ökonomie, wären sie dann progressiv oder konservativ? Und würde ein solches Attribut wichtige Informationen kommunizieren, oder wichtige Informationen unter den Teppich?

  1. Würde es den Diskurs qualitativ verschlechtern, wenn man eine Partei, oder eine Koalition, nicht auf ein einziges binäres Attribut (also konservativ oder progressiv) reduzieren werden kann?

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Es tuen sich hier meines Erachtens sehr viele wichtige Unsicherheiten auf. Ich persönlich versuche aus dem Grund sehr bewusst mit den zwei Begriffen umzugehen, in dem Sinne, dass ich sie nicht verwende, wenn ich mir nicht jeweils sicher bin, dass sie unter allen Gesichtspunkten wahr sind. Aus dem Grund nutze ich sie eher nur für einzelne spezifische politische Positionen. Oder ich benutze sie nicht als Attribut, sondern als eigenständige abstrakte Entität - und in dem Fall zählen dann praktisch alle konservativen Positionen zu der Entität, unabhängig davon, welche Partei diese nun besetzt.

Mein eigener Zugang ist nicht repräsentativ dafür, wie diese Begriffe im öffentlichen Diskurs verwendet werden. Ich fühle mich aber motiviert meinen Zugang öffentlich darzustellen und zu Diskutieren, da dies der einzig realistische Weg ist, um ein Fundament für ein konstruktiven öffentlichen Diskurs zu kultivieren. Ich betrachte es als Gegengewicht zu populistische Kräften, die bewusst bestehende Begriffe in ihrer Bedeutung entstellen.

Ich bin davon überzeugt, dass die unachtsame Anwendung von Begriffen den öffentlichen Diskurs untergräbt. Wenn Menschen mit unterschiedlichen politischen Positionen mangels klar definierter Begriffe die Möglichkeit genommen wird, einen konstruktiven Dialog zu führen, dann können diese nur noch mit Menschen mit der selben politischen Position kommunizieren und sich so gegenseitig bestärken. Eine sprachliche Echokammer entsteht.

Ich glaube für mich als Individuum ist die effizienteste Möglichkeit dieser Tendenz entgegen zu Wirken, indem ich meine Sprache reflektiere, achtsam nutze, offen für Kritik bin, und öffentlich darüber (ergebnisoffen) diskutiere. Dadurch versuche ich andere Menschen dazu zu verlocken, selbst über Begriffe zu reflektieren, und damit, sie dafür zu sensibilisieren.

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Wenn ihr R2G oder ähnlichen Konstellationen den Begriff „progressiv“ zuschreibt, so ist das Ausdruck einer politischen Meinung. So würde ich das jedenfalls empfinden.

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Wenn ich richtig informiert bin, ist das Gegenteil von progressiv das Wort regressiv. Daran wird m.E. die wertende Komponente offensichtlich und ich bin mir sicher, die Union würde sich gegen den Begriff wehren.

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Regressiv habe ich in einem politischen Kontext noch nie gehört, aber meinetwegen: Nur weil rückschrittlich das Gegenteil von fortschrittlich ist, bedeutet das ja nicht, dass nicht auch konservativ ein Gegenteil sein kann.

Außerdem ist der Unterschied eh einer des Bezugspunkts: Wenn sich die Welt verändert, eine Partei das aber nicht wahrhaben will, dann wird der Übergang zwischen regressiv und konservativ irgendwann fließend.

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Jetzt sind wir wieder am Ausgangspunkt, nämlich einer Meinung und einer wertenden Nutzung der Begriffe. Genau deshalb störe ich mich an der Neueinführung des Begriffs „progressiv“ in die deutsche politische Debatte.

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Dann haben wir einfach unterschiedliche Auffassungen davon, was ein Podcast leisten soll. Ich finde es wesentlich, dass wir einordnen und erklären. Und mir scheint außerdem ziemlich offenkundig, dass die drei Parteien, die wir in einem möglichen progressiven Bündnis gesehen haben, jedenfalls fortschrittlicher sind als die drei anderen, die sich derzeit im Bundestag tummeln.

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m.E. ist dieser kluge und differenzierte Standpunkt nachvollziehbar, aber nicht wirklich praxistauglich. Ich habe gerade die Lage gehört und „progressiv“ hat ohne Widerstand meine Sprachprüfstelle passiert. Ich weiss halt augenblicklich, was gemeint ist und bin eigentlich froh, dass es so schnell möglich ist. Sprache ist immer unpräzise und eben sehr kontextabhängig. Andernfalls würden sich Menschen hoffnungslos in Definitionsstreitereien verzetteln und Verständigung würde so lange dauern, dass keiner mehr Lust hat zu diskutieren. Was „links“ und „progressiv“ ist, ordnet man erst dann ein, wenn das jeweilige Thema klar vor Augen ist. Manchmal bezeichne ich mich selbst als „links“, in anderen Zusammenhängen wieder nicht. Wir benutzen in der Sprache so viele Abkürzungen ohne Verständnisprobleme, so auch hier. Letzenendes kommt es auf die Standpunkte zu den jeweiligen politischen Themen an. Die Oberbegriffe sind aber hilfreich für die schnelle vorläufige Einordnung. Trotzdem finde ich deinen Beitrag beeindruckend in der Klarheit der Gedanken.

Wenn ich z.B. die Äußerungen von Herr Hunko zu Belarus lese, wage ich das doch für mindestens Teile der Linken stark in Frage zu stellen. Euren Äußerungen im Podcast zufolge würdest du zu dem Thema wahrscheinlich nicht widersprechen. Aber kann ja jeder seine Meinung haben, was progressiv ist und was nicht und wie man die Mehrheit der genannten Parteien einstuft.

Vielen Dank für das Feedback! Ich empfinde es für sehr wertvoll.

Eben erst gesehen, diesen zweiten Thread zum Thema. Ich muss sagen, dass ich bei diversen Themen diese Parteien (insbesondere die Linke und die SPD) wenig fortschrittlich finde (s. der andere Thread), aber in der Gegenüberstellung kann ich das nachvollziehen …

Ich kann die Aufregung um das Wort progressiv ebenfalls nicht nachvollziehen.
Esken ist keineswegs Urheberin des Begriffs.

In politischen Kreisen wird R2G und ähnliche Projekte seit über 6 Jahren als progressiv bezeichnet. Progressiv wird vor allem als alternative zum Begriff „Links“ gesetzt, da u.a. „Links“ im klassischen Sinn vor allem eine ökonomische Verortung war und die Gesellschaftspoltischen Elemente außen vor lässt. Früher lief das vielleicht unter „links liberal“ , aber das wurde zunehmend zu einem ungeeigneten Begriff weil „Liberal“ im Diskurs inzwischen für eine Politik die auf den freien Markt setzt, steht - zumindest bei denen , die sich jetzt als Progressive bezeichnen.
a
Die merikanische Progressive Linke hat sich erst mit Sanders und AOC usw. richtig neu formiert seit dem „Red Scare“ . Wenn überhaupt ist der Begriff aus Europa übernommen worden und nicht umgekehrt. Tatsächlich ist die progressive Linke , ähnlich wie "Fridays for Future2 , aber global vernetzt. Ich kann die These der Aneignung daher nicht teilen.

Für vermeintlich neutrale Meldungen brauche ich die Lage nicht. Für mich ist die Stärke der Lage, dass beide Moderatoren eine Position haben, diese transparent machen und ich daher ihre Einordnungen meinerseits einordnen kann. Das schätze ich an der Lage. Ich finde es meinerseits zum Beispiel unsäglich wenn die Zeit immer wieder versucht zwei Seiten auf zu machen. Dabei offenbar für sich eine Neutralität in Anspruch nimmt. Mir ist da noch die „oder soll mans lieber lassen“ Debatte um Seenotrettung in Erinnerung und jetzt die „Debatte“ um die Wirksamkeit von Homöopathie.

Mir würde es helfen wenn jemand mal auf „den anderen Thread“ verlinken würde.

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Also ich kenne den Begriff „progressiv“ aus meiner Zeit in den USA im Zusammenhang mit
der Bürgerrechtsbewegung und sozialen Reformen (z.B. Medicare) aus den 60ern. Eine Rückübernahme des Begriffs von Sanders und anderen aus Europa würde mich überraschen, aber meinetwegen.
Vermeintlich neutrale Meinung brauche ich definitiv auch nicht, aber in dem Fall schien mir die persönliche Begeisterung doch etwas Überhand zu nehmen, was sich in der m.E. uneingeordneten Übernahme eines Polit-Marketingbegriffs (so habe ich ihn wahrgenommen) dargestellt hat. Da fehlt mir an der Stelle einfach die klare Kennzeichnung als eigene Meinung. In diesem Sinne: So sehe ich das (nach wie vor) - steht jedem frei, es anders zu sehen.

Ich würde mir auch keine Pseudoneutralität wünschen. Ich finde es gut, wenn Leute ihre Meinung sagen (insbesondere, wenn sie gut begründet ist). Ich kritisiere die aus meiner Sicht undifferenziert positive Bewertung der Politik dieser drei Parteien.
Die SPD steht bei mir z.B. beim Thema Bürgerrechte kaum besser da als die CDU und beim Klimaschutz auch nicht (weitere Beispiele spare ich mir jetzt hier, da ich sie schon alle in den anderen Thread getippt habe…)

Undifferenziert positive Bewertung der SPD? Hörst du gelegentlich auch die Lage? :wink:

Ernsthaft, gerade die Negativbeispiele, die du genannt hast, haben wir in der Lage geradezu zu Tode geritten. Von den zahlreichen Megafails des Olaf Scholz ganz zu schweigen, beispielsweise haben wir jedes Detail des Cum-Ex-Skandals ausführlich dokumentiert, so beharrlich wie kaum ein anderes Medium.

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Ich weiß, ich höre Euch ja jedes Mal. Umso mehr wundert mich dieses Wort :wink:

So! Und jetzt habe ich zu dem Thema genug geschrieben. Ich finde Euch nämlich eigentlich super und das war für mich mehr so eine Randnotiz…

Hallo Herr Hufschmid,

Ich fange mal mit dem Bashen an: die Linke hat sich das selber hart erarbeitet. Nicht der „virulente Antikommunismus“ hat Gulag, Mangelwirtschaft und Mauertote zu verantworten, sondern die selbsternannten Befreier des Proletariats selbst. Wirklich kein Grund, sich hier wortreich auf das hohe Ross zu setzen…

So, jetzt wirklich zu anderen Themen…

C

Hallo Herr Hufschmied,
Irgendwie kriegen wir das auch nicht beendet… aber sei‘s drum…
Du hast ja von virulentem Antikommunismus geschrieben und unterstellt, er sei der Grund für das „Bashing“ von Linken.
Ich habe ein paar Beispiele gebracht, um zu illustrieren, dass es durchaus Gründe gibt, linken Ideologien gegenüber skeptisch zu sein.

Damit habe ich natürlich nicht behauptet, es habe nie Ungerechtigkeiten und Hysterie gegenüber Linken gegeben. Natürlich gab es diese, ob jetzt in der Kaiserzeit, unter McCarthy oder meinetwegen auch in Deutschland bis mindestens in die 60er.

Ich behaupte auch nicht, dass SPD oder Linke von Stalinisten (oder Maoisten oder so) durchsetzt seien. Mein Punkt ist, dass ich im Linken Spektrum erschreckend oft auf Positionen stoße, die ich nur noch als unehrlich, moralisch anmaßend und z.T. totalitär bezeichnen kann.
Zum Beispiel die Schwierigkeiten der Linken, Chávez, Maduro und Castro klar zu verurteilen oder die DDR. Oder die Brandstiftungen an diversen Autos in Berlin. Oder die menschenverachtenden ACAB-Parolen. Oder die „Sexisten in die Eier“- und „Nazis leben gefährlich”-Aufkleber der Antifa, die in der Umkleidekabine einer Friedrichshainer Sportstätte schon viele Monate hängen dürfen. Oder die Enteignungsfantasien selbst in der SPD (die ja auch immer noch vom „demokratischen Sozialismus“ träumt, obwohl es den über 100 Jahre und diverse Versuche noch nirgendwo so wirklich gegeben hat).

Du magst Dich vielleicht fragen, warum ich mich so an der Linken abarbeite und nicht an der Rechten. Das tue ich natürlich deshalb, weil rechts für mich eh alles klar ist und nichts zu erwarten. Mit der Linken teile ich hingegen die Hoffnung auf Emanzipation, Gerechtigkeit und Fortschritt. Aber ich wünsche mir da halt mehr Realismus und Ehrlichkeit und weniger Selbstgerechtigkeit.

Ich hoffe, damit wären dann die Fronten geklärt.