Progressive Narrative richtig aufbauen

Konservative einmal weghören :wink:
Habe folgenden Podcast gehört und finde die Analysen sehr gut. Es geht darum, wie progressive ihre Argumentationen aufbauen und dass es an Narrativen mangelt, die die Leute überzeugen.
Zum einen, weil progressive oft mit Fakten argumentieren, die aber die andere Seite nicht überzeugen, weil sie sowieso nicht ins Weltbild passen. Überspitzt. „Der BG Empfänger ist faul, also ist es gerecht, wenn er kein Geld bekommt“.
Sie empfehlen viel mehr emotionale und moralische Argumente aufzubauen und das eigene Weltbild/Gesellschaftsbild klar zu beschreiben. Die Lage zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass sie eher faktenorientiert analysiert. Das soll sie jetzt auch nicht ändern. Ist eher ein Hinweis an die Community, sich über moralische Argumente Gedanken zu machen, die sich aus den Fakten ergeben.

Vlt wären die Hosts auch gute Interviewpartner

Ich bin etwas skeptisch. Meiner Wahrnehmung nach wird den Progressiven von der Gegenseite doch bereits oft vorgeworfen, zu oft moralisch zu argumentieren.

Daher kommt ja auch der dem folgenden Gegeneinwand der Progressiven, dass die Union das C in ihrem Namen nicht mehr wert ist.

Beispiele für oft kritisierte Moralpositionen:

  • feministische Außenpolitik vs. nationale Interessen
  • untergehende Inseln und unbewohnbar werdende Gegenden vs. wirtschaftliche Interessen der Wirtschaftsmächte, die sich abschotten können
  • Verteilung der Klimaanpassungskosten: historische Emissionen vs akute Emissionen
  • Sozialpolitik: das Leben am Existenzminimum ist so hart, das könne man niemanden zumuten, während andere mit goldenem Löffel geboren werden - das sei unfair
  • Ukrainekrieg: Gebietsverluste wären unfair. Die UkrainerInnen im Stich zu lassen wäre amoralisch

Für alle diese Themen könnte man super faktenorientierte Argumente finden. Aber progressive Nutzen hier bereits eher moralische Argumente, womit die Diskussion nur explosiver wird. Denn mit höchst subjektiven Dingen wie Gefühlen und oder Moralvorstellungen kann man schlecht argumentieren.

Ich halte das daher für eine ganz schlechte Idee. Den deutschen Debatten fehlt schon jetzt Sachlichkeit. Da sollten wir nicht noch mehr emotionalisieren.

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Du versuchst hier, zwischen „faktenorientiert“ und „moralisch“ zu unterscheiden, aber ich denke, du solltest stattdessen zwischen „moralisch“ und „emotional“ unterscheiden, denn das ist der tatsächlich relevante Unterschied.

Über Moral und Moralvorstellungen kann man prima diskutieren, das macht einen großen Teil der gesamten Philosophie aus - und kann vor allem auf rational-logischer Basis geschehen, also völlig ohne Emotionen und absolut faktenbasiert. Das ist kein Widerspruch.

Der Vorwurf von Rechts, dass die linke Seite zu „moralisierend“ sei, ist schlicht falsch, beide Seiten in dem Konflikt nutzen klare normative Argumente, keine Seite nutzt sie mehr als andere. Und es ist gerade die rechte Seite, die stark emotionalisierende Argumente nutzt, z.B. die ganze Identitätspolitik, das Ausbauen von Zukunftsangst (Überfremdung, wirtschaftlicher Abstieg usw.) und vieles andere, oft ohne jede Faktenbasis.

Also nein, wir sollten uns diesen von Rechts verordneten Schuh nicht anziehen.

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Und nur mal so um das klar zu stellen. Da haben die Konservativen auch einfach mal recht nach jetzigem Stand. Die Ukraine fallen lassen ist keine progressive Meinung sondern egoistisch.

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Und nicht einmal im eigenen politischen und wirtschaftlichen Interesse - zumindest wenn man Demokratie schätzt und eine internationale Ordnung bevorzugt.

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Das war nicht was ich meinte. Mein Punkt war die harten zahlenmäßigen Fakten in den Mittelpunkt zu stellen. Denn über Zahlen lässt sich weit weniger streiten als über flexible moralische Standpunkte oder Emotionen.

Das ist es schon eher. Lasst uns den wirtschaftlichen Schaden beziffern oder die Mehrausgaben wenn Russland direkt an der Grenze steht. Damit wird man auch egoistische Menschen catchen.

Da es aber eine Vielzahl moralischer Denkschulen gibt, die gleichberechtigt nebeneinander bestehen, wirst du am Ende kaum Konsens erzielen.

Ganz klassisches, simplifiziertes Beispiel. Winter 1938, Hitler läuft Schlittschuh und bricht ein. Jemand mit Wissen über die Zukunft läuft vorbei. Soll er ihn retten?

Der Utilitarismus sagt, Hell no!. Lasst ihn ertrinken, denn dieser eine Tod rettet Millionen das Leben. Der kategorische Imperativ würde den Utilitaristen dagegen Ohrfeigen und sagen, Wenn du einen Menschen ertrinken lässt, heißt das, dass du alle ertrinken lassen würdest..

Und dann gibt es noch so ungefähr 123 (gewollte Übertreibung) andere Denkschulen, die zu weiteren Ergebnissen führen. Wie willst du die vereinen?

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Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Rechtspopulisten gewinnen nicht mit Fakten, sondern mit Emotionen. Offensichtlich hat die faktenfokussierte Kommunikation wie zB von Habeck nicht den gewünschten Erfolg.

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Warum muss man die vereinen?

Es ist doch bei allen rationalen Argumenten so, dass es selten ein absolutes „Richtig“ und „Falsch“ gibt. Vor allem, wenn unsichere Informationen vorliegen (was bei zukünftigem Handeln bzw. Handeln im Bezug auf zukünftige Ereignisse immer der Fall ist), wird es auch bei rein rationalen Diskussionen immer - wie auch bei den moralischen Betrachtungen - gänzlich unterschiedliche Auffassungen geben, welcher Weg „der Richtige“ ist. Das ist doch ganz normal und nicht „schädlich“.

Schädlich ist wie gesagt, wenn emotionale Totschlagargumente genutzt werden („Wenn deine Tochter vergewaltigt würde, würdest du auch die Todesstrafe für den Täter fordern“) oder bewusst Emotionen angesprochen werden.

Dein Beispiel mit den moralischen Denkschulen zeigt übrigens recht gut, dass wir alle immer moralisch diskutieren, egal ob links oder rechts, und dieser Vorwurf, die Progressiven würden alles moralisieren, eher falsch ist. Oder siehst du solche moralischen Diskussionen zwischen Utilitaristen, Pflichtenethikern oder Tugenethikern tatsächlich im öffentlichen Diskurs? Ist es nicht viel mehr so, dass „Rechte“ oft fake-utilitaristisch („fake“ weil sie den „Nutzen“ nur auf das „eigene Volk“ und nicht auf „alle Menschen“ beziehen), aber auch sehr oft Pflichtenethisch (gerade beim Thema Strafrecht) argumentieren, während Progressive eher klassisch utilitaristisch (dh. Nutzen für alle, unabhängig von Nationalität), Pflichtenethisch mit stärkerem Fokus auf den kategorischen Imperativ als auf bloße „Gerechtigkeit“ oder vor allem Tugendethisch argumentieren? Alle Seiten argumentieren jedenfalls moralisch, ich würde so weit gehen ,zu sagen, dass man unmöglich rational politisch diskutieren kann, ohne dabei Moraltheorie, bewusst oder unbewusst, zu nutzen.

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Klar kann man emotional anschlussfähige Narrative entwickeln, nur sind das dann eben keine Argumente mehr - jedenfalls nicht in meinem Verständnis, da m. E. nur das als Argument gelten kann, was auch logischen und rationalen Standards genügt und sich an die Fakten hält.

An der Stelle hast du mich abgehängt, weil ich nicht weiß, was du damit meinst und wie das eine mit dem anderen zusammenhängen soll.

Gleichwohl danke für den Tipp!

Das Grundproblem, dass es bei vielen um bestimmte Gefühle und Gewohnheiten geht, ist ja richtig erkannt.

Und jeder psychologisch clever umgesetzte Trick, solche Barrieren zu überwinden, sollte eine Überlegung wert sein.

Und falls jetzt der Einwand kommen sollte, dass das doch manipulativ sei. Es gilt der Grundsatz: Man kann nicht nicht manipulieren. Denn jeder kommunikative Akt beeinflusst das Gegenüber, ganz gleich, ob gewollt oder ungewollt.

Vielleicht noch die Anschlussüberlegung, dass man im Allgemeinen den Diskurs im Sinne vom Habermasschen Ringen um die besten Argumente stark überschätzt. Es geht - platt gesagt - viel mehr um Narrative, Storys, Gefühle und Bilder.

Habe gerade noch ein - vielleicht kurios anmutendes - Beispiel entdeckt, wie man auch Randaspekte eines Themas im Sinne des Messagings nutzen kann:

Wenn sowas dabei hilft, dass Konservative die Klimakrise ernster nehmen, soll’s mir recht sein.

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Was bedeutet konservativ? Möglichst keine Gesetze ändern? Und/oder Grundgesetz und Gesetze traditionell auslegen? Oder die Lebensbedingungen möglichst konstant halten? (Wäre eine neoliberale Verteilung von unten nach oben dann nicht-konservativ?)

Und was bedeutet progressiv? Schlicht nicht-konservativ? Oder geht es um Technikoptimismus im Sinne des Progressivismus? Oder geht es um einen „fortschreitenden“ Abbau von Ungleichbehandlung von Menschen? Oder…?

In der öffentlichen Debatte nehme ich diese Begriffe weniger als sachliche Beschreibungen wahr, sondern eher als (nicht zwingend sachlich begründete) „Banner“, unter denen sich verschiedene Interessengruppen bzw. „Stämme“ zusammentun.

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Die entscheidenden Unterschiede liegen in der Hirnstruktur:

Konservativ ist in erster Linie bewahren des bisherigen: eine Verteilung von unten nach oben ist also etwas, das wir schon zu Zeiten der Könige und Fürsten erfolgreich umgesetzt haben, das zu bewahren, fällt auf jeden Fall darunter. Auch den Umweltschutz groß zu halten und gleichzeitig Wälder zu roden, ist klar konservative Linie, sich als Ministerpräsident wie ein bayerischer König aufzuführen, wird von konservativer Seite auf jeden Fall erwartet, war schließlich schon immer so - und Bayern ging es stets gut damit.

Mit Vereinen meinte ich die Lösungsfindung bzw. Kompromissfindung. Alle mir bekannten Moraltheorien machen derart starke Aussagen, einige stehen sogar in schwer auflösbarem Widerspruch zueinander, dass ich keinen Vorteil gegenüber der Situation as-is sehe.

Wenn jmd mit Argumenten der Pflichtenethik (eher konservativ) diskutiert, wird er beim Menschen mit Fokus auf Tugendethik (eher progressiv) kaum Punkte machen können und andersherum.

Wir müssen tatsächlich eine gemeinsame Basis der Diskussion finden, nicht die Begrifflichkeiten austauschen. Wenn der Progressive den Konservativen überzeugen will muss er den Fokus auf Dinge legen, die dem Konservativen wichtig sind und andersherum. Sonst gibt es kaum eine Basis für Verständigung. Das ist weit erforscht und auch der gängige Ratschlag in der Verhandlungsführung.

Mir scheint nur, dass es beiden konträren Lagern am Willen fehlt von ihrer ideologischen Haltung im öffentlichen Diskurs abzurücken. In den meisten Diskussion scheint mir die Position zu sein

Es ist doch so offensichtlich, dass ich im Recht bin. Warum versteht der andere mich denn einfach nicht.

Dabei sprechen beide Seiten verschiedene Sprachen, statt sich auf eine zu einigen. …

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Muss Kompromiss immer heißen, dass eine Seite die Meinung der anderen übernimmt oder sich beide Seiten auf einem Mittelweg treffen? In der Moralphilosophie ist es nicht anders als in der Politik oder der Religion: Wir müssen dahin kommen, zu sagen, dass es in bestimmten Dinge kein klares „Richtig“ und „Falsch“ gibt, dass aber alle Sichtweisen, die logisch stringent zu einem Ergebnis kommen, ihre Berechtigung haben. Die finalen Bewertungen hängen eben oft von unseren eigenen Erfahrungen ab und Lebenswirklichkeiten ab.

Im Beispiel der moralischen Denkschulen haben sowohl Utilitarismus, Tugendethik und Pflichtenethik jeweils gute Punkte. Problematisch wird es, wenn ein Anhänger einer dieser Strömungen jetzt für sich in Anspruch nimmt, dass seine Strömung die einzige ist, die zu einem „richtigen“ Ergebnis kommt und die jeweils anderen Strömungen „es einfach nicht verstanden haben“. Dann ist kein Diskurs möglich. Andernfalls können die Vertreter der verschiedenen Strömungen natürlich miteinander diskutieren, welche Schwachpunkte die eigene und die anderen Strömungen haben. Die gemeinsame Basis der Diskussion ist in diesem Fall die Logik der Argumentation. Das Ziel ist es letztlich, z.B. ein Rechtssystem zu schaffen, dem zwar weder der Utilitarist, noch der Tugendethiker oder der Pflichtenethiker zu 100% zustimmen würde, auf das sich jedoch alle Beteiligten als Kompromiss einigen können.

In ihren Extremformen (die gerne als erste gelehrt werden, weil sie eben prototypisch sind…) durchaus, aber in der Realität gibt es diese Extremtypen überraschend selten. Di wenigsten Philosophen würden sich zu 100% einer der Strömungen zuordnen und keine Kritik zulassen, vielmehr sind das Erste, was man über jede dieser Strömungen lernt, die vielen Probleme und logischen Widersprüche, die sie alle zwangsläufig haben (und wegen denen es eben kein objektives „richtig“ oder „falsch“ gibt).

Ich selbst sehe mich z.B. überwiegend im Lager der Utilitaristen (vielleicht 50%), aber auch stark im Lager der Tugendethiker (vielleicht 35%) und relativ weit entfernt von den Pflichtenethikern (vielleicht 15%). Bedeutet: Für mich ist das Ergebnis eines moralischen Abwägungsprozesses wichtig und in Konfliktfällen sollte die Entscheidung getroffen werden, die das wenigste Leid bzw. die meiste Freude hervorruft (Utilitarismus), dennoch bin ich klar dafür, auch gute Absichten anzuerkennen, auch wenn sie zu schlechten Ergebnissen geführt haben (z.B. du rettest eine dir fremde, schwer verletzte Person, die überlebt, dann aber drei andere tötet; das Retten der Person muss man dennoch loben, denn es ist gewünscht, die Folge war nicht vorhersehbar; klassische Tugendethik), während ich aus der Pflichtenethik eigentlich nur den kategorischen Imperativ sinnvoll finde, einen großen Teil der Pflichtenethik halte ich für Prinzipienreiterei, mit der auch schlimme Missetaten gerechtfertigt werden können.

Zuerst mal muss der Progressive verstehen, wie der Konservative zu seinem Urteil kommt (und umgekehrt genau so), dann muss man jeweils gegenseitig anerkennen, dass der andere „es nicht böse meint“ (falls dem so ist!) und sich überlegen, inwieweit man der jeweils anderen Seite entgegen kommen kann.

Beispiel:
Dem Konservativen ist das Thema „Sicherheit“ besonders wichtig. Ob das an hirnorganischen Veränderungen (siehe den von @Broesel verlinkten Artikel), schlimmen eigenen Erfahrungen oder schlicht Sozialisation liegt ist dabei erstmal nebensächlich. Wenn der Konservative nun rassistische Positionen aus seinem Bedürfnis nach Sicherheit heraus fordert, weil das „Fremde“ leider eben immer das Gefühl der „Unsicherheit“ erzeugt (das ist evolutionsbiologisch gut erforscht und auch logisch - je weniger man etwas kennt, desto unberechenbarer ist es…), ist es aber für den Progressiven schwer zu sagen: „Okay, dann halt Ausländer Raus!“. Er wird stattdessen versuchen, den Konservativen zu überzeugen, dass es deutlich sicherer ist, als der Konservative meint. Das gelingt aber leider nur selten. Ein Kompromiss in diesem Fall wäre, dass der Progressive andere, nicht-rassistische Wege findet, dem Konservativen ein besseres Sicherheitsgefühl zu vermitteln, z.B. mehr Polizeipräsenz, öffentliche Überwachung, stärkere Straßenbeleuchtung. Das sind auch alles Dinge, die der Progressive aus diversen Gründen ablehnt, aber eben das „geringere Übel“, um den Konflikt zu lösen.

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Das Problem: All das wird den Fremdenfeind nicht zufrieden stellen. Denn es gibt ja kein globales, irgendwie umherwaberndes Sicherheitsgefühl, wo man, wenn’s an der einen Stelle hapert, an anderer Stelle etwas dazugeben könnte und dann stimmte die Bilanz. Ängste, auch die Xenophobie, haben erst einmal spezifische Trigger. Wenn die Flugangst überwunden worden ist, ist die Angst vorm Zahnarzt deshalb noch lange nicht überwunden. Usw.

Im Übrigen verändern alle Lernprozesse die Hirnstruktur, schlagen sich also hirnorganisch nieder. Sozialisation bzw. Traumatisierung wirken sozusagen an der Formung und Entwicklung unserer Gehirne mit - ganz materiell.

Aber das alles nur nebenbei, da hier ja längst wieder vom Thema des Ausgangsbeitrags abgedriftet wurde.

Doch, weil’s so schön ist, werfe ich jetzt auch noch einen Stein ins Wasser:

Das Grundsatzproblem ist, dass unsere Verfassung namens Grundgesetz wie auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und diverse UN-Konventionen ein zutiefst linksliberales Wertefundament haben. Das könnte man jetzt durchdeklinieren, ich beschränke mich mal auf den Gleichheitsgrundsatz aller Menschen und die nicht-abstufbare Menschenwürde.

Charakteristisch für Konservative ist das hierarchisierende Abstufen.

Und das geht halt grundsätzlich nicht mit unserem kodifizierten Wertekanon zusammen.

Daniel, ich gebe dir ja auf einer rationalen Ebene in all diesen Punkten recht. Nur leider zeigt sich doch in der Realität, dass es so nicht läuft und ich zweifle sehr daran, dass wir dort hin kommen werden.

Allein hier im Lage-Forum gibt es etliche Aussagen der Form

Konservativer Unionspolitiker X sei eine Gefahr für die Demokratie.

oder

Ministerin Y sei eine Lobbyistin, der Industrie weil sie A fordert.

Minister Z sei ein Sozialdarwinist weil er das Bürgergeld kürzen wolle.

und viele pauschale, sehr negative und wenig differenzierte Urteile. Und du hörst noch viel härtere Wertungen in den sozialen Medien oder im Info-Cafe. Und natürlich ist die andere Seite in keinem Deut besser.

Welche Chance siehst du nach solchen Aussagen für Diskussion und Verständigung? Welche Bemühungen gibt es die andere Seite zu verstehen?

Ich sehe dieses Bemühen regelmäßig in deinen Beiträgen und schätze dich daher sehr. Ich denke aber dieses Bemühen ist nur begrenzt mehrheitsfähig. Und im öffentlichen Diskurs der Parteien nehme ich es noch viel weniger wahr. Da wird extrem verkürzt und auch mal ein Kampfbegriff verwendet, um Aufmerksamkeit zu generieren und eine möglichst große Distanz zwischen sich und dem Gegner darzustellen. Diskurse dominieren die Extrempositionen, nicht die abwiegenden Stimmen.

Daran werden auf Moralebene geführte Diskussionen nichts ändern. Zumal allein der Begriff Moral schon zu einer Aufladung der Diskussion führen wird. Denn die meisten verbinden mit Moral eben nicht verschiedene Denkschulen, sondern eher die Forderung nach größtmöglicher Opferbereitschaft gegenüber Schwächeren und damit bereits einen argumentativen Hammer pro progressivem Lager.

Der wichtige Punkt ist allerdings aus meiner Sicht sowieso ein anderer, nämlich.

Hier liegt auf jeden Fall viel Potenzial. Aber wie überzeugt man die politischen Lager wohlwollender miteinander umzugehen? Selbst hier in unserer kleinen Blase aus überwiegend linken bis linksliberalen und vereinzelt neo-liberalen bis sozial-konservativen (weiter nach rechts geht das Forum meines Erachtens nicht) klappt das nur sehr begrenzt.

Was spricht aus deiner Sicht dafür, dass man diese Krise der Diskussionskultur produktiv überwinden können wird? Ich glaube nicht daran.

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Grundsätzlich ist der Ansatz nicht dumm. Die progressive Seite neigt zur Schwarzmalerei, verständlich, die Zukunft sieht düster aus, Politik kümmert sich eher nicht um ihre Belange, sie hat ständig mit Widerständen und destruktiver aber trotzdem verfangender Kritik zu kämpfen.
Ziel sollte es sein, das positive herauszustreichen.
Der Kommunismus hat nicht die Leute begeistert, weil er das Kapital verflucht hat, sondern weil er eine Utopie gezeichnet hat, in der jeder genug zum Leben und gleiche Rechte und Mitsprache hat.
Wer nicht darauf hinweist, dass Autos aus den Städten müssen, sondern ausrechnet, wie viele neue Grünflächen und Wohnungen geschaffen werden können, kommt gleich viel positiver rüber.
Warum das nicht funktioniert, sehe ich aber dann wieder auf der viel besser vernetzten konservativen Seite: deren Kritik wird nicht lange auf sich warten lassen und den Diskussionsraum einnehmen. Und dann wird eben doch nicht über Grünflächen und Wohnungen sondern über Autos diskutiert.

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Das Problem ist in meinen Augen, dass „Es bleibt alles so wie es ist“ ein recht leicht zu findender kleinster gemeinsamer Nenner ist. Und weil man basierend auf diesem kleinsten gemeinsamen Nenner Veränderung bekämpft statt darüber zu diskutieren ob das verhindern eines Radwegs ausreichend ist oder ob man nicht gleich die Fußgängerzone abschaffen sollte ist man den Progressiven voraus wo sich zum Beispiel Befürworter des Radwegs vorwerfen lassen müssten nicht gleich für ein Verbot von Autos in dieser Straße zu sein.

Während Leute die gendern ablehnen recht geschlossen gegen alles was gegendert ist argumentieren müssen Leute die gendern sich nicht nur gegen diese Leute wehren sondern bekommen oftmals schon bei kleinen Fehlern auch von der anderen Seite vorgehalten, dass sie das gendern doch gleich bleiben lassen können wenn sie es nicht perfekt machen.

Ich selbst z.B. merke in vielen Diskussionen um Mobilität wie ich von den Konservativen als Autofeind wahrgenommen werde, weil ich vieles in Frage stelle, von den progressiven dagegen als Befürworter des Status Quo weil ich das Auto nicht gleich ganz verbieten oder zumindest dessen Nutzung extrem erschweren will.

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Ich stimme zu, dass viel zu viele undifferenzierte Bewertungen verkündet werden. Gleichzeitig muss man aber darauf hinweisen, dass Bewertungen wie die obige (inzwischen leider) auch Ergebnis einer differenzierten Analyse sein können. Beispielsweise verkündet Innenminister Dobrindt, dass er sich nicht mehr an alle Gerichtsurteile halten wird. Das ist ein eindeutiger Bruch mit dem Rechtsstaat und damit auch mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Zustimmung zum Tenor Ihres ganzen Posts. Nichtsdestotrotz möchte ich diesen Satz hinterfragen. Die Welt ändert sich extrem: der Klimawandel bedroht unsere Lebensgrundlage, die Sinnhaftigkeit des Rechtsstaats wird zunehmend in Frage gestellt, die politische Kultur wird zunehmend durch dreisten Lügen zersetzt etc.

Ich hätte nichts dagegen, wenn unsere Gesellschaft wenigstens weiterhin den kleinsten gemeinsamen Nenner behalten könnte, unsere Umwelt als erhaltenswert, den Rechtsstaat als unabdingbar und Lügen als verachtenswürdig einzustufen.

(Wäre das ein positives Narrativ im Sinne von @der_Matti? :slight_smile: Die Grünen und die Linke könnten sich in diesem Sinne als die führenden konservativen Parteien in Deutschland positionieren und Wählerstimmen scheffeln. :wink: )

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Aber das stimmt doch nicht. Es ist doch nicht so, dass neu Konservativen alles so bleibt wie es ist. Da wird trotzdem ein Spielplatz für ein neues Parkhaus geopfert, oder das letzte Erholungsgebiet für ein neues Gewerbegebiet. Wenn man am Sozialstaat etwas abbauen kann, haben Konservative oft wenig Interesse daran, dass alles so bleibt wie es ist. Letztendlich verstecken sie sich hinter der Maxime, um sich von den Progressiven abzugrenzen, aber natürlich stehen auch Konservative für Veränderungen - nur andere Veränderungen.

Ja, das ist der Punkt. Und da setzt der TO eben an. Sehr schön finde ich den Begriff des „konsequent unkonsequenten Genderns“. Ansonsten behaupte ich, dass 95% das Thema einfach egal ist. Bei mir hat noch nie jemand sich über mein Genderns beschwert, dass das bei Leuten, die in der Öffentlichkeit stehen, anders ist, glaube ich sofort. Die bekommen aber vermutlich mehr Briefe zu dem Thema zu ihrer Position im Gaza-Krieg oder warum sie sich nicht zum Gaza-Krieg positionieren. Grundsätzlich sollte die progressive Seite das Vokabular auf jeden Fall positiver besetzen. Aber ganz ehrlich: das fällt mir selbst jetzt schwer zu schreiben:
Die progressive Seite kann mit dem Nutzen von positiven statt negativen Worten die Welt zum Positiven verändern. Der Weg zur autofreien Stadt beginnt mit kleinen Schritten, die man zum 100 Meter entfernten Bäcker zu Fuß läuft. Wer das schafft, wird vielleicht irgendwann auch den Kilometer zum Metzger zu Fuß gehen.
Oder zu schreiben:
Es reicht halt nicht, dass man die 100 Meter zum Bäcker zu Fuß geht, wenn man für den Kilometer zum Metzger wieder ins Auto steigt.
Aber ja: auch beim Auto ist „konsequent inkonsequentes zu Fuß gehen“ ein erster positiver Schritt - im wahrsten Sinne des Wortes.

Wäre schön. Aber die Union steht ja gerade dafür nicht. Die Skandale in ihrer Geschichte sagen dass Gegenteil. Und das sind nur die, die die Presse gerichtsfest nachweisen konnte. Wann hat sich die Union jemals für Klimaschutz interessiert in Fällen, in der sie nicht als Mäntelchen zum Geld verdienen herhalten musste (Merkeljahre teilweise ausgenommen). Konservativen geht es nur um Machterhalt. Der geht sogar so weit, dass 16 Jahre Merkel gegen die eigene Überzeugung in Kauf genommen wurden, weil sie die eigene Macht sicherten.

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