Privatisierung per Verfassung verbieten - Ein Modell für Deutschland?

Moin,

in Slowenien ist seit 2016 das Privatisieren von Trinkwasser per Verfassung verboten:

Sollte man, angesichts der teils verheerenden Auswirkungen von Privatisierung solche Maßnahmen nicht auch in Deutschland auf die Tagesordnung setzen?

Negativ-Beispiel: Britische Eisenbahn-Privatisierung (Video von Arte, 3:37 min)

Das Video ist von 2010, inzwischen wird wird die Privatisierung sogar noch verheerender gesehen, als es damals der Fall war:

Regierung will Bahnprivatisierung teilweise rückgängig machen - Hohe Preise, zu kleine Züge, Chaos bei Fahrplanwechseln: Die britische Regierung will die Bahnprivatisierung zurücknehmen und Kontrolle über das Schienennetz übernehmen. - zeit.de

Gäbe es bei einem solchen Verbot von Privatisierungen in Deutschland grundsätzliche verfassungsrechtliche Probleme? Führt so etwas gar zu einem klein-klein in der Verfassung?

Oder können die Auswirkungen eines ungebremsten Kapitalismus nicht auch so groß sein, dass man die Bevölkerung davor genau so schützen muss, wie vor einem über-griffigen Staat?

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Der Schutz ist zwingend notwendig, vor allem für folgende Generationen.
Es gibt ja genug Beispiel, wo Unternehmen in der Kritik stehen (weltweit), wie sie mit der lebensnotwendigen Ressource Wasser umgehen.
Zwei prominente Beispiel sind hier Coca Cola & Nestle

Ich würde mir sogar wünschen, dass die EU hier den Status von Wasser als besonders schützenswert einstuft bzw. das Recht auch Grundversorgung gewährleistet. Das klingt jetzt nur wie eine Phrase, aber ich denk du weißt was ich meine. Die EU hat ja sonst auch in vielen Dingen das Recht, Vorgaben zu erstellen die die Länder dann umsetzten müssen.

Am bestens wäre natürlich eine weltweite Regelung, dass sich Unternehmen wie oben genannt, nicht einfach arme Länder aussuchen können, die von ihnen ausgebeutet werden.

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Grundsätzlich bin ich da voll dabei. Trinkwasser als Menschenrecht ist auch aus meiner Sicht keine linksgrüne Hippie-Forderung, sondern durchaus brisant. Insbesondere deshalb, weil immer mehr Grundwasservorräte erschöpft oder belastet sind.

Politik plant Vorsorge - Warum das Wasser in Deutschland knapp wird | deutschlandfunk.de.

Leider sah die letzte Bundesregierung etwas anders. Das Thema wurde Im Februar 2013 im Bundestag debattiert und leider abgelehnt.

Für mich gibt es kaum etwas unerträglicheres als das Wissen, dass das ernsthaft debattiert werden muss.

Ich halte es tatsächlich für sehr wichtig, dass kritische Infrastrukturen einerseits staatlich kontrolliert sind (nur schon um allfälligen Vertuschungen gegenzusteuern) und andererseits nicht zum Spekulationsobjekt werden.

Um das mal etwas konkreter zu machen: Mit Alters- und Gesundheitspflege sollte man keine Aktionäre befriedigen, sondern die Einwohner/Patienten. Die Zustände in Altersheimen und Krankenhäusern sind teilweise seit Jahren mehr als problematisch. Diese Entwicklung kann man meines Erachtens nicht über Marktmechanismen regeln.

Kosten eines Pflegeplatzes.

Auch bei der Bahn sprechen wir von einem ähnlichen Thema.

Auf was ich herauswill ist, dass wir meines Erachtens dringend kritische Bereiche definieren müssen, in denen wir einen klaren Leistungsauftrag als Gesellschaft definieren müssen und nicht Kostenfaktoren eines kaputtgesparten Konzerns in den Vordergrund stellen sollten.

Gleich verhält es sich natürlich mit dem Trinkwasser. Wenn es so weitergeht haben wir bald in verschiedenen Regionen Deutschlands ein ziemliches Problem.

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Naja so lange warten, bis alle Staaten der Welt sich einigen würde ich da nicht. Und Hoheit über eigene Flüsse/Quellen haben ja auch sehr viele Länder. Deswegen sollten solche Länder, so wie Slowenien, da auch vorangehen und zeigen, dass diese Art der Privatisierung nicht stattfinden soll.

Das sind auf jeden Fall sehr gute Beispiele. Das wir in bestimmten Beichen Privatisierung drigend verhindern müssen, ist für viele wohl auch relativ klar.

Mir geht es aber auch um die Frage, wo man eigentlich genau Privatisierung verbieten soll und nach welchen Maßstäben. Das erste was mit da so als Kriterium einfällt ist, dass es z.B. bei der Versorgung mit Leitungswasser und beim Schienenverkehr keinen Wettbewerb gibt:
Jedes Haus ist nur an eine Wasserversorgung angeschlossen und jede Bahnverbindung wird nur von einer Eisenbahn-Linie bedient.

Sehe ich auch so. Hier sieht man eigentlich auch, dass Privatisierung staatlicher Aufgaben im Grunde immer nur ein „Taschenspieler-Trick“ ist, um sich vor den wirklichen Kosten zu drücken.

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Das war auch eher der Wunsch Vater des Gedanken um einfach den Unternehmen die Möglichkeit zu nehmen, mit neuen Standorten sich das Land auszusuchen, dass sie am besten ausbeuten können.
Das das so nicht kommen wird, dessen bin ich mir ziemlich sicher.
Allerdings sehe ich erstmal keinen Grund, dass die EU hier nicht ansetzten könnte und mit Instrumenten ähnliche dem Lieferkettengesetzt könnte man es den Unternehmen den Verkaufe von solchen Produkten erschweren/verhindern.

Dem müsste wohl die Definition vorausgehend, welche Dinge jedem Menschen uneingeschränkt zur Verfügung stehen müssen, die für eine Grundversorgung unerlässlich sind.
Wenn dazu Wasser zählt, sollte eigentlich auch Strom bzw. die Energie fürs Heizen dazu zählen, genauso wie eine menschenwürdige Unterkunft (und natürlich medizinische Versorgung wie auch der Umgang mit alten Menschen)

Ja leider ist das nicht selten der Fall, allerdings ist eine Verstaatlichung nicht das Allerheilmittel.
Ich bin hier idiologisch hin und her gerissen, da ich beruflich sowohl viel mit Behörden wie auch Unternehmen zu tun habe und beide haben irhre Vor- & Nachteile.
Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass grundsätzlich Unternehmen nicht böse sein können, es sind immer die Menschen die die Unternehmensziele definieren, und bei all den Unternehmen die nachweislich schlechte Dinge tun, gibt es auch nicht wenige Unternehmen, die gute Produkte haben, die gute mit ihrem Mitarbeitern umgehen, sich an gesetzte halten, einfach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden.
Auf der anderen Seite gibt es auch in Behörden engagierte Menschen, die in Lösungen denken, die aber vom System vollkommen ausgebremst werden.

Naja, uneingeschränkt sage ich ja gar nicht. Natürlich muss auch z.B. in einer staatlichen Wasser-Wirtschaft ein Preis für das Wasser gezahlt werden. Aber der soll eben frei von Gewinnstreben und spekulativen Einflüssen sein und nur die wirklichen Kosten abbilden.

Da gehe ich auch mit.
Aber zum Zwecke der Gewinnmaximierung nutzen Unternehmen nun einmal gerne Monopole aus. Und Wasserversorgung, zumindest mal bei Leitungswasser, ist ja gewöhnlich an einen Anbieter gebunden und damit ein Monopol.

War eine ungünstige Wortwahl, mit uneingeschränkt meinte ich nicht kostenlos.
Gerade in Zeiten wo Ressourcen knapp werden, müssen die Dinge auch eine Preis haben, der nicht zum Verschwendung verleitet, aber der Preis sollte sich in einem Rahmen bewegen der in unteren Einkommensschichten bezahlbar bleibt.

Das sind meines Wissens immer noch die Gemeinden?
Das Problem ist ja (noch*) nicht, das wir das Trinkwasser von Unternehmen beziehen, sondern das Unternehmen Trinkwasserquellen für ihre Produkte ausbeuten und das für wahrliche Peanuts.
Und daraus ist eine mögliche Verknappung die Folge.
Vielleicht hab ich das Problem auch falsch umrissen oder wir haben aneinander vorbei getextet :smirk:

*das ist ja die Aufgabe, dass das eben nicht privatisiert werden darf

Vielleicht muss man einmal anfangen sich mit den Gründen für die damalige Privatisierung zu beschäftigen.

  1. Staatliche Behörden waren extrem ineffizient und die Bürokratie war aus dem Ruder gelaufen
  2. Staatliche Behörden haben Massen von Beamten hervorgebracht, die alle hohe Pensionen und andere Zuschüsse bekommen haben.
  3. Die Produktivität der Beamten war extrem niedrig im Vergleich zur freien Wirtschaft.
  4. Es konnte Geld zum Ausgleich der Staatsverschuldung eingenommen werden.
  5. Die Politik hat immer reinregiert und fröhlich Posten verteilt.

Daraufhin ist es ins andere Extrem umgeschlagen und durch die quasi Monopolstellung der Energieversorger, der Wasserwerke, der Bahn und der Post konnten, mit Ausnahme der Bahn, hohe Gewinne schnell erzielt werden, was jedoch schnell zu Substanzverlusten führte.

Beim Alternativlos Podcast wurde dieses Problem sehr gut diskutiert. Der Vorschlag waren Unternehmen des öffentlichen Rechts, ähnlich ARD und ZDF. Also im Prinzip unabhängig von der Politik und organisiert wie ein Unternehmen, aber immer noch in Staatshand.

Wollte ich dir auch nicht unterstellen. Dachte nur, dass ich speziell bei Wasser vielleicht missverständlich geschrieben hatte.

Generell sehe ich in Deutschland auch kein aktutes Problem bei der Trinkwasser-Versorgung. Ich habe Slowenien nur als Beispiel dafür genommen, dass man eben Privatisierungen, egal in welchem Bereich, per Verfassung untersagen kann und was dagegen spräche, das auch in Deutschland zu tun.

Das ist aber kein Problem, das nur Staaten haben, bei der aktuellen Umstellung auf Elektromobilität lese ich z.B. Meldungen, die auch vom VEB Sachsenring (Hersteller des Trabis in der DDR) kommen könnten:
Ford bei Elektroautos „für ein paar Jahre ausverkauft“ - ecomento.de

Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage:
Beratungsfirmen und Wirtschaftsprüfer sind quasi die Beamten der Privatwirtschaft. Und was die z.B. bei Wirecard geliefert haben, war jetzt auch nicht berauschend:
Die Fehlleistungen des Wirtschaftsprüfers EY - tagesschau.de

Dieses Geld muss häufig nach einer gescheiterten Privatisierung doppelt und dreifach zur Beseitigung der Schäden der Privatisierung ausgegeben werden.

Das kann die Privatwirtschaft in Form von nach-gelagerter Korruption auch ganz gut:
Wie Roland Koch den Bilfinger-Konzern an den Rand des Ruins brachte - spiegel.de

Niemand hat Bilfinger gezwungen Roland Koch als Chef zu nehmen, das war eine rein privat-wirtschaftliche, massive Fehlentscheidung.

Zusammengefasst:
Ja, die Verwaltung leidet auch unter den genannten Problemen aber solche Probleme treten eben auch in der Privatwirtschaft auf, besonders bei sehr großen Unternehmen mit vielen Management-Ebenen. Und genau solche Unternehmen sind es ja gerade, die dann eben im Zuge von Privatisierungen staatliche Aufgaben übernehmen sollen.

Das kann durchaus ein gangbarer Weg sein.
Wichtig an der Stelle sind ja mMn, das keine Markt-beherrschende Stellung ausgenutzt wird und nicht irgendwelche Infrastruktur zwecks Gewinnmaximierung auf Verschleiß gefahren wird.

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Ja, natürlich kommt es in der Privatwirtschaft ebenfalls zu solchen Erscheinungen, aber doch eher selten. Und die Berater sind im Vergleich zur Anzahl der Beamten doch sehr gering.

Das ist ja der Clou bei Unternehmen des öffentlichen Rechts, sie sind defacto nicht Gewinnorientiert, sondern müssen nur eine ausgeglichene Bilanz ausweisen.

Der Clou ist, dass die öffentliche Hand an Ausschreibungen und Offenlegungspflichten gebunden ist.
Öffentliche Unternehmen sind perfekt für Korruption.
Und der Verbeamtung kann besser begegnet werden, wenn man nicht mehr verbeamtet.
Nur müssen dann alle zusammenhalten.
Wenn aber z.B. Berlin beschließt, Lehrer nur noch im Angestelltenverhältnis zu beschäftigen und Brandenburg weiterhin Beamte hat, ist klar, was passiert.

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Du siehst also keine Notwendigkeit bestimmte öffentliche Aufgaben per Verfassung vor einen Privatisierung zu schützen?

Aber spricht das dagegen, typische staatliche Aufgaben von der Privatisierung grundsätzlich auszuschließen?

Definiere einmal „öffentliche Aufgabe“. Ist ein Unternehmen des öffentlichen Rechts ausreichend oder muss es gleich eine Behörde sein?

Generell bin ich der Meinung, dass viele Teile der Grundversorgung nicht privatisiert werden sollten:

  • Wasser und Abwasser (die Frage ist, ab wo und für wen?)
  • Infrastruktur für Schiene, Luftfahrt und Straße.
  • Infrastruktur für Telekommunikation (auch Mobilfunk)
  • Infrastruktur für das Stromnetz inkl. Umspannwerke
  • Infrastruktur für Energieversorgung (Gasleitungen, Speicherwerke usw.)
  • Der ÖPNV
  • Öffentlich rechtliche Medien und deren Infrastruktur

Bei Wasser ist die Frage halt, ob Unternehmen eine Gebühr zahlen müssen um es abzufüllen oder zu verwerten oder wird es verboten?

Nun ist Wasser ein Grundnahrungsmittel. Wenn dieses Verfassungsrang bekommt, dann müsste das auch für die Landwirtschaft gelten, was ich für völlig übertrieben ansehe.

Was ich von öffentlichen Unternehmen halte, hatte ich eigentlich schon oben versucht auszudrücken:

Ja das stimmt. Bei Lebensmitteln ist die Lage etwas schwieriger als bei Wasser, da Produkt und Markt noch komplexer sind.
Aber die Lebensmittelversorgung genießt z.B. durch die strategische Nahrungsreserve ja auch schon einen besonderen „rechtlichen Schutz“ auch wenn das mWn keinen Verfassungsrang hat.