Polizeiwillkür und -gewalt

Zuerst möchte ich Ihnen für die Sendung und die Art und Weise wie Themen aufgearbeitet, beleuchtet und wiedergeben werden danken.

In unserer schnelllebigen Zeit in der es oft nur um Überschriften geht mit denen man Kicks generieren will ist ihr Podcast eine echte Wohltat.

Ich möchte mich mit einer Bitte an Sie wenden.

Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie nicht einfach ist aus der Vielzahl der Nachrichten die zu wählen, die dann präsentiert werden.

Nichts desto trotz würde ich Sie bitten ein Thema aufzugreifen was mich nicht direkt betrifft ich aber denke, dass es aus vielen Gründen von gesellschaftlichen Relevanz ist.

Ich weiß nicht wie es sein kann, dass Polizeiwillkür- und Gewalt gegen Menschen die Fußballspiele besuchen immer wieder vorkommt, es aber so gut wie nie in den Medien diskutiert wird.

Menschen die eine Veranstaltung besuchen wollen werden immer wieder ihrer Grundrechte beraubt und das macht mir Angst, denn wenn es dort möglich ist woher wissen wir, dass es nicht auch an anderer Stelle passiert.

In den letzten Monaten gab es immer wieder Fälle die mich fassungslos machen und die in meinen Augen weit über den Fußball hinausgehen.

Seien es Einreise- oder Betretungsverbote im europäischen Ausland. Das Festsetzen von Menschen die ein Spiel besuchen wollen (Kölner in Stuttgart, Gladbacher in Frankfurt, Bremer in Wolfsburg) usw.

Oder das was jetzt am Wochenende in Berlin geschah. Dazu fehlen mir die Worte und ich finde es Bedenklich, dass man in der Öffentlichkeit der Meinung zu seinen scheint, es handelt sich um Fußballfans das wird schon richtig sein.

Berlin:
https://www.bgwh-jena.org/blog-bgwh/brutale-polizeigewalt-am-berliner-hauptbahnhof-gegen-fans-des-fc-carl-zeiss-jena-stellungnahme-der-blau-gelb-weissen-hilfe-e-v/

Vielleicht noch zu mir.

Ich bin kein aktiver Fußballfan und besuche nur gelegentlich Fußballspiele. Ich bin 44 Jahre alt, Familienvater und verurteilte jede Art von Gewalt.

Wenn ich mir vorstelle ich bin mit meinem 10jährigen Sohn in solch einer Situation (und das scheint sehr schnell gehen zu können), dass macht mich einfach nur sprach- und fassungslos.

Vielen Dank und viele Grüße,

René

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Das ist wieder so ein schwieriger Fall. Wir waren alle nicht dabei und sehen jetzt nur die Stellungnahmen, in denen gegenseitig Beschuldigungen ausgetauscht werden, daher die Fans sagen, die Polizei habe unverhältnismäßig gehandelt, die Polizei sagt, die Fans hätten Widerstand geleistet (und man sei auf der Suche nach Gewalttätern aus einer vorher stattgefundenen Tat).

Das Problem bei solchen Fällen ist, dass der Konservative nun dazu neigt, sofort die Position der Polizei einzunehmen und der ohnehin polizeikritische Mensch direkt die Gegenposition. Dabei handeln beide nur nach ihren politischen Überzeugungen und nicht nach dem Wissen, was wirklich geschah.

Wenn ich mich in die Polizei versetze, ist die Situation schwierig. Es gab eine erhebliche Straftat (Gemeinschaftlicher Raub ist ein Verbrechen!) und die Polizei will natürlich nun die Täter ausfindig machen. Diese sind jedoch in einer Gruppe von (unbeteiligten) Fußballfans in einem Zug.

Die Frage ist nun: Ist es verhältnismäßig, die gesamte Gruppe zu durchsuchen (um Täterbeschreibungen abzugleichen und mit Glück sogar die Tatbeute, daher erbeutetes Fanmaterial der Gegner - zu finden), auch wenn dazu Maßnahmen nötig sind, welche für die Unbeteiligten sehr unschön sind?

Dazu kommt die Problematik, dass bei einer solchen großen Maßnahme gegen Fußballfans immer damit zu rechnen ist, dass es Widerstandshandlungen gibt. Wenn die Polizei daher von Widerstandshandlungen spricht, bin ich geneigt, ihr zu glauben, dass diese zumindest von Teilen der Gruppe ausgingen (natürlich nicht von allen!).

Die Situation ist für alle Beteiligten einfach extrem unschön und ich gehe stark davon aus, dass die Polizei auf diese Situation auch keinerlei Lust hatte. Aber was wäre die Alternative gewesen? Die Durchsuchung im Zug zu machen, also niemanden aus dem Zug zu lassen? Das würde Widerstandshandlungen vermutlich reduzieren, aber wenn der Zug ohnehin schon voll ist, ist es kaum machbar - von den massiven Verspätungen im Bahnverkehr mal abgesehen, die dadurch entstehen würden. Die Räuber, die in dem Zug vermutet wurden, einfach ziehen lassen war auch keine Option. Also blieb vermutlich nur die Option, die Gruppe aus dem Zug kontrolliert und in einer Weise, in der sich niemand entziehen kann, zu einem freien Platz zu lotsen - und dass es dabei zu Widerstandshandlungen kommen wird kann wirklich niemanden überraschen. Als einzige Zwischenlösung hätte man vielleicht schon am Bahnsteig stärker sortieren können, wobei ich davon ausgehe, dass das auch geschehen ist (dh. Nicht-Fußballfans und Eltern mit kleinen Kindern, die nicht in den engeren Tatverdacht gerieten, wurden vermutlich nicht mit der großen Gruppe abgeführt)

Daher mal die Gegenfrage:
Was hättest du dir in diesem Fall von der Einsatzleitung gewünscht?

Nun zur Betrachtung der Gegenseite aus Sicht eines unbeteiligten Fans:

Es ist natürlich unglaublich frustrierend, unter Verdacht einer erheblichen Straftat gestellt zu werden, weil man den gleichen Zug genommen hat wie vermutlich eine Gruppe von Volldeppen und dazu noch äußerlich sehr ähnlich gekleidet ist. Die Situation, von voll-gerüsteten Polizisten umstellt und in der Gruppe abgeführt zu werden - mit allen logistischen Schwierigkeiten, etwaigen Panikausbrüchen in der Gruppe (Bahnhöfe sind leider für solche Aktionen nicht ideal), ungestillten Bedürfnissen (z.B. Toilettengang) usw. ist schon ein zweifellos intensiver Eingriff.

Die Frage ist: Würde die Polizei auch so handeln, wenn der Zug nicht voller Fußballfans gewesen wäre, sondern voller normaler Bahnreisender, die nicht äußerlich unterscheidbar sind. Vermutlich wohl nicht, weil die Polizei in diesem Fall einfach am Bahngleis nach den beschriebenen Tätern Ausschau halten würde und nicht das Argument hätte, alle Fußballfans kontrollieren zu müssen, weil die Täter durch bloßen Augenschein von dieser Gruppe unterschieden werden können. Würde die Polizei im Karneval, wenn eine Straftat von einer Gruppe Clowns ausgeführt wurde, wohl alle Clowns aus einem Zug ziehen und entsprechenden Maßnahmen unterwerfen? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, vielleicht spielt auch die häufig angespannte Situation zwischen Fußballfans und Polizei eine Rolle, weshalb hier mit „härterer Hand“ agiert wird. Schwierig zu sagen.

Die Frage ist nun: Muss man sich als Fan vorwerfen lassen, selbst den Anlass der Durchsuchung gesetzt zu haben, weil man sich so gekleidet hat wie die Täter und „weil man wissen müsse, dass es bei Fußballspielen immer wieder zu (teils schweren) Straftaten durch Hooligans und Ultras kommen kann“ und man deshalb in’s Visier der Polizei geraten kann? Das ist offensichtlich nicht ideal.

Da kann es nur eine Antwort geben: Nein! Vorab: ich bin auch Fußballfan, besuche regelmäßig Spiele und habe mich schon oft über die für mich unverhältnismäßig hohe Polizeipräsenz bei Spielen aufgeregt. Glücklicherweise habe ich noch nie solche absolut wahnsinnigen Polizeiaktionen wie die im Ausgangspost beschriebenen in Wolfsburg oder Berlin erleben müssen.
Dabei ist schon klar, dass Straftaten verfolgt werden müssen. Aber ohne Generalverdacht gegenüber einer Gruppe, von denen die übergroße Mehrheit komplett friedlich ist. Dass einige Fans aus Frust über verpasste Spiele und hunderte Euro verlorenes Geld mal ungehalten reagieren, sollte aber auch klar sein.

Dann fände ich es interessant, dir auch oben gestellte Frage zu stellen:
Wie hätte die Polizei vorgehen sollen?

Das Problem ist ja:
In einer normalen Situation (also wenn es nicht um Fußballfans ginge) würde das ganze wesentlich „zivilisierter“ ablaufen. Nehmen wir mal einen Fall wie den Mord in Bramsche, bei dem eine 19-Jährige auf einer Feier im Vereinsheim eines Schützenvereins getötet wurde. Auch hier wird die Polizei alle anwesenden festgehalten, die Personalien festgestellt und als Zeugen befragt haben. Auch hier gab es eine eingegrenzte potentielle Tätergruppe (es war erstmal jeder verdächtig, weil er halt „zur falschen Zeit am falschen Ort“ war).

Der Unterschied ist: Hier ist der Einsatz nicht eskaliert, weil die Besucher der Party - mit Ausnahme des einen Täters - gar kein Interesse haben, die Ermittlungen zu stören oder sich zu entziehen. Sie lassen die Maßnahme über sich ergehen, auch wenn sie ihnen den ganzen Abend ruiniert.

Das gleiche gilt hier auch für die Fußballfans - auch hier waren die „Unschuldigen“ schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort und damit „potenzielle Täter“, die erkennungsdienstlich behandelt und im Zweifel befragt werden müssen. Das Problem ist nur: Wenn es um Fußballfans geht, enden solche Aktionen nie friedlich. Hier wird es in einer größeren Gruppe immer welche geben, die Stress machen, die die Sache nicht über sich ergehen lassen. Und damit muss die Polizei wiederum rechnen und entsprechende Vorkehrungen treffen. Dadurch wird die Situation für alle Beteiligten direkt wieder unangenehmer, wodurch es noch wahrscheinlicher wird, dass sich Widerstand bildet. Ein klassischer Teufelskreis.

Mir fehlt hier ein wenig die Fantasie zu sehen, wie die Polizei hier besser handeln könnte. Da ein Verbrechen (gemeinschaftlicher Raub) im Raum stand kann die Polizei halt nicht „nichts tun“, wenn sie davon ausgeht, dass die Täter unter den Fußballfans in besagtem Zug sind, muss sie da ermitteln.

Daher wie gesagt die Frage:
Wie hätte die Einsatzleitung deiner Meinung nach handeln können, um einerseits das Ziel zu erreichen (also die Täter zu identifizieren), ohne dabei andererseits zu repressiv zu handeln? Wie gesagt bitte unter der realistischen Annahme, dass nicht alle Fußballfans im Zug kooperationsbereit sind, sondern davon ausgegangen werden muss, dass einige die Kooperation verweigern, möglicherweise sogar gezielt die Polizeiaktion stören wollen (aus „Kameradschaft“ gegenüber den Tätern).

Ich kann die Frustration der Betroffenen absolut nachvollziehen, ich weiß aber nicht, ob es hier eine bessere Möglichkeit gegeben hätte - da hätte man dabei sein müssen, das können wir hier eigentlich auch kaum beurteilen.

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In einer „normalen“ Situation würde es halt gar nicht so ablaufen. Deine beiden Beispiele sind nicht vergleichbar, denn auf einer Feier, auf der ein Mord passiert, ist der Großteil der Leute vermutlich erstmal betroffen und damit selber deutlich mehr an der Aufklärung interessiert, als weiter zu feiern. Und der Personenkreis ist vermutlich überschaubarer als ein Zug voll Menschen.

Stell dir mal lieber stattdessen die „normalen“ Leute vor, die jetzt schon bei Streik am Flughafen ausflippen, weil ihr Flieger verspätet abfliegt. Und jetzt stell dir mal weiter vor, dass kein Streik ist und der Flieger gar nicht verspätet abfliegt, sondern pünktlich, aber weil irgendwo in der S-Bahn auf dem Weg zum Flughafen vielleicht eine Straftat begangen wurde, hält die Polizei ein paar hundert Urlauber im Terminal fest bis ihr Flieger halbleer abgeflogen ist, und die bekommen keine Chance auf einen Ersatzflug und schon gar nicht ihr Geld zurück. Einfach Urlaub vorbei, Geld weg.

Oder irgendjemand hat ein paar „Klimaklebern“ ein paar Schellen verpasst, und deswegen werden alle, die im Stau stehen, jetzt von ein paar hundert Riotcops noch zusätzlich für ein paar Stunden festgehalten und erkennungsdienstlich behandelt.

Das ist in etwa die Situation, der sich Fußballfans beinahe wöchentlich irgendwo ausgesetzt sehen. Und beinahe ausschließlich auf dem Hinweg, wenn es darum geht bis zum Anpfiff ins Stadion zu kommen oder eben nicht. Auf dem Rückweg werden so gut wie nie große Gruppen Fußballfans über Stunden festgesetzt, weil die Polizei diese dann auch lieber loswerden und früher Feierabend machen möchte als „ermitteln zu müssen“.

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Was wäre denn eigentlcih wenn ich mir mit ein paar Freunden den Spaß mache einfach zu behaupten, die Fußballfans hätten mich bestohlen. Dann müssten die Fans die beschriebene Tortur erleben und falls niemand gefunden wurde, dann ist der Fan einfach eine Haltestelle früher ausgestiegen.

So nachvollziehbar die Taktik der Polizisten ist, so ungeschickt erscheint sie mir aber auch. Sind denn deeskalierende Ansätze nicht auch möglich? Etwas rumwitzeln, die Lage erklären, stets so agieren, dass die Fans sich nicht bedroht fühlen, Körperkontakt vermeiden? Stelle ich mir das zu einfach vor?

Ich habe in meinem Leben Kontakt mit ein paar Polizisten machen dürfen. Meist über entfernte Freundes- und Kollegenkreise, beim Sport oder auch im normalen Alltag. Sicher sind meine Beobachtungen selektiv und nur schwer objektivierbar. Aber mir scheint, dass Bereitsschaftspolizisten und Bundespolizisten robuster über ihre Arbeit reden oder sich latent bedroht fühlen
Meine Highlights waren bisher

  • „Man muss mal auf einer Antifa-Demo dabei gewesen sein. Eine ganze Hundertschaft abgerichtet wie Bullterrier und dann drauf auf diese Zecken.“
  • „Die bewerfen uns mit Steinen und Flaschen. Die wollen uns umbringen oder zum Krüppel [O-Ton] machen. Da müssen wir uns wehren.“

Die Polizisten, die eher auf der Polizeiwache arbeiteten hingegen waren ganz normale Leute. Sicher, einige hatten deutliche Vorurteile, aber gewalttätige Aussagen habe ich von denen nie gehört, im Gegenteil. Selbst in hitzigen Situationen blieben die beachtlich cool.

Wie gesagt, vielleicht ist das nicht repräsentativ. Aber vielleicht gibt es ja Mechanismen in bestimmten polizeilichen Mileaus, die robustes Auftreten bis hin zur Gewalt, salonfähig machen. Das wäre zwar schlimm, aber nachvollziehbar. Man sollte diese dann auch deutlich benennen und dann die Mechanismen ohne Schaum vorm Mund bekämpfen. Nur damit könnte man die Probleme perspektivisch lösen.

„Gemeinschaftlicher Raub“ für den Diebstahl einiger Fanutensilien finde ich schon etwas übertrieben. Da wiegt der Schlag ins Gesicht eines 17jahrigen aus meiner Sicht schon schwerer.

Dennoch müssen eben konkrete Verdächtigte ermittelt und dann aus der Gruppe heraus genommen werden, bevor man Dutzende klar unbeteiligte Menschen in Kollektivhaftung nimmt.

Naja, deine Beispiele sind auch nicht direkt vergleichbar, weil es eben nicht regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Fluggästen kommt.

Tatsächlich ist das Demonstrations-Beispiel noch am ehesten vergleichbar, wenn auch nicht gerade Klimakleber, sondern eher Nazi-Demos. Stell dir vor, auf der Fahrt zu einer Nazi-Demo hätte eine Gruppe Nazis eine Antifa-Gruppe bedroht und ihnen „Trophäen“ im dreistelligen Euro-Beriech geraubt und wäre dann in den Zug zum Veranstaltungsort gestiegen, der voller anderer Demoteilnehmer ist. Würdest du das Vorgehen der Polizei dann auch schlimm finden? Oder angenommen, es wäre umgekehrt: Eine Antifa-Gruppe hat ein paar Nazis auf dem Weg zur Gegendemo um ihre Nazi-Devotionalien (einschlägige Markenkleidung, Reichskriegsflaggen und co.) erleichtert und wird nun in einem Zug voller anderer Gegendemonstranten vermutet.

Hier wäre die Ausgangslage die gleiche: Es läge ein gemeinschaftlicher Raub vor, die Polizei hätte einen begründeten Verdacht, dass sich die Täter im Zug befinden und wüsste genau, dass der Einsatz, die Täter in der Gruppe festzustellen, definitiv nicht ungestört ablaufen würde.

Das Problem sind eben genau diese Szenarien, in denen die Polizei mit Gruppen konfrontiert ist, von denen sie erfahrungsgemäß ausgehen kann, dass es dort Widerstand geben wird. Ich will Fußballfans übrigens nicht mit Nazis gleichsetzen, bevor dieser Vorwurf wieder kommt. Aber die Existenz der Hooligan-Kultur im Fußball und damit der Existenz von organisierter Gewalt ist leider nicht zu leugnen. Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass die Präventionsmaßnahmen der Polizei wiederum zu mehr Abneigung gegen die Polizei und damit mehr Gewalt führen, aber die Diskussion gibt es halt immer (da können wir bis zum Nahost-Konflikt mit Beispielen gehen). Ich vertrete in diesem Kontext auch eher einen deeskalativen Ansatz, aber die Motivationslage aller Beteiligten ist erstmal nachvollziehbar (ganz ohne Dämonisierung einer der Seiten).

Das ist leider in der Tat ein Problem, das gleiche gilt auch für Demonstrationen. Ob das „nur“ etwas damit zu tun hat, dass die Polizei Feierabend machen will, oder auch damit, dass am Ende des Tages auch bei den Fußballfans / Demonstranten „die Luft raus ist“ und weniger Eskalation zu erwarten ist, kann natürlich diskutiert werden.

Diese Fragen stellen wir und doch bei jeder Demonstration und generell bei jedem Konflikt.

Das Problem ist halt, dass es unter Fußballfans genau so wie unter Demonstranten einige Menschen gibt, die einen deeskalierenden Ansatz der Polizei als Schwäche sehen und hemmungslos ausnutzen würden. Der Hooligan witzelt halt nicht mit der Polizei, der politische Gewalttäter, der schon mit dem Ziel anreist, Steine zu werfen, ebenfalls nicht…

Man muss aber wohl in der konkreten Situation dabei gewesen sein, um sagen zu können, ob ein deeskalierender Einsatz sinnvoller gewesen wäre. Ich glaube wirklich nicht, dass man das pauschal sagen kann, sondern immer nur im konkreten Einsatzfall.

Das Problem ist: Bei der Planung des Einsatzes muss der Einsatzleiter vom Worst Case-Szenario ausgehen. Daher: In der Einsatzplanung ist der Zug eher voller Hooligans als voller Familienväter mit ihren Kindern, entsprechend werden dann auch Einsatzkräfte zugeteilt. Denn wenn die Einsatzleitung nicht vom „Worst Case“ ausgeht, dieser dann aber eintritt (und die dort eingeteilten Einsatzkräfte überrannt werden) will das kein Einsatzleiter verantworten. Und damit ist dann ein deeskalierender Einsatz schon von Anfang an oft vom Tisch. Das ist schade, aber aus Sicht der Einsatzleitung nachvollziehbar.

Wobei man hier sagen muss, dass Bereitschaftspolizei i.d.R. nur ein Durchgangsstadium bei der Polizeiausbildung ist. Daher: Die Bereitschaftspolizisten von Gestern sind die Revier/Streifenpolizisten von morgen. Das ist auch Teil des Problems: Bei der Bereitschaftspolizei werden überwiegend Berufsanfänger eingesetzt, das führt zu mehreren Problemen: Erstens sind „junge Männer“ - auch in der Polizeilaufbahn - eher gewaltaffin (Testosteron und co. sind beim 23-jährigen Polizisten halt problematischer als beim 40-jährigen), zweitens fehlt hier gerade die Berufs- und Lebenserfahrung, mit vielen Sachverhalten gelassener umzugehen. Im Gegenteil sogar, der Berufsanfänger wird noch eher das Bedürfnis haben, „sich zu beweisen“, sowohl vor sich selbst als auch vor seinen Kollegen. Und diese Mischung führt selbstverständlich dazu, dass in den Hundertschaften sehr viel Mist passiert - ich will wirklich nicht bestreiten, dass wir in den Hundertschaften massive, so gesehen auch strukturell bedingte, Probleme mit Polizeigewalt haben.

Das trifft es grundsätzlich - die Situation ist extrem unbefriedigend, aber ich kann nachvollziehen, warum die Polizei so agiert, wie sie es tut. Und die o.g. Probleme in den Hundertschaften (junge, unerfahrene Männer, die sich beweisen wollen) sind auch nachvollziehbar (natürlich packt man keine 50-jährigen in Riot Gear, natürlich packt man da die starken, jungen Männer rein…), trotzdem problematisch.

Das ist eine persönlich-moralische Wertung. Die Polizei darf aber nur nach dem gültigen Recht werten, und da ist die geschilderte Situation relativ klar ein Raub (dh. mit Gewalt oder Drohung von Gewalt wird die Herausgabe nicht-geringwertiger (die Grenze liegt hier bei 50 Euro!) Sachen erzwungen), der gemeinschaftlich (dh. in der Gruppe mit gemeinsamen Tatwillen) begangen wurde.

Ermittlungsmaßnahmen in solchen nicht klar überblickbaren Situationen richten sich regelmäßig auch gegen Unbeteiligte, das ist per se nichts Schlimmes. Die Frage ist, wie weit es noch verhältnismäßig ist. Wenn ein Verbrechen zur Debatte steht ist die Grenze eher weit, bei einem Vergehen sehr eng. In diesem Fall ist es sicherlich eine Grauzone (weil „nur“ Fanutensilien geraubt wurden), aber eben noch im vertretbaren Bereich.

Ich sage nicht, dass das Verhalten der Polizei das Nonplusultra war, ich versuche nur zu verdeutlichen, dass nach dem, was ich über den Fall lese, das Verhalten der Polizei vertretbar ist, daher nicht offensichtlich rechtswidrig. Dass es vermutlich besser hätte laufen können bestreite ich nicht, aber wie gesagt: Es fehlt mir die Fantasie, wie die Polizei wirklich besser hätte vorgehen können, unter der Prämisse dass a) die Eigensicherung der Polizei im Falle einer Eskalation gewährleistet ist und b) die Täter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit identifiziert werden können.

  1. Zug umleiten auf einen Bahnsteig wo er ohne Probleme stehen bleiben kann.
  2. Durchsage im Zug.
  3. Personenkontrolle beim Aussteigen.

Fertig der Lack.

Die Wahrscheinlichkeit dass selbst hartgesottene Hooligans allein gegen mehrere Polizisten Krawall anfangen ist äußerst gering.

Und ganz ehrlich: hätte man auf die Schnelle ein paar Busse organisiert die nach der Kontrolle direkt zum Stadion fahren, hätte man auch die Fans deutlich mehr zur Mitarbeit motiviert, da sie dann ja die Chance haben zum Spiel zu kommen.

Mhh, das klingt schon mal nach einem guten Ansatz.

Solche Lösungen schnell finden und organisieren zu können ist in der Tat etwas, das unsere Polizei lernen sollte. Da liegt letztlich das eigentliche Problem: Die Polizei reproduziert i.d.R. nur die - aus ihrer Sicht - erfolgreichen Strategien der Vergangenheit, statt nach neuen Lösungen zu suchen. Sie hat ein sehr begrenztes Repertoire an Methoden, vor allem im Rahmen der Hundertschaften.

Damit Lösungen wie die von dir genannte funktionieren können, muss tatsächlich ein grundsätzlicher Struktur- und Ausbildungswandel bei der Polizei eintreten - und da kommen wir dann zu berechtigter Kritik an den strukturellen Problemen bei der Polizei. Das ist das klassische Problem des „Law of the Instrument“ - wenn man nur einen Hammer hat, sieht man in jedem Problem einen Nagel.

Damit solche Situation in Zukunft deeskaliert werden können, muss daher vor allem die Palette an Fähigkeiten bei den Einsatzleitungen deutlich wachsen. In jede Einsatzleitung gehört meines Erachtens auch ein Sozialarbeiter und jemand, der gut darin ist, Dinge zu organisieren. Alle diese Fähigkeiten von einer Person als Einsatzleiter zu erwarten, ist vermutlich einfach zu viel verlangt.

Situationen wie die hier geschilderte in Berlin sind daher mE auch darauf zurückzuführen, dass die Einsatzleitungen überfordert sind und daher jedes Problem mit den ihnen bekannten Methoden lösen wollen. Das kann man der einzelnen Einsatzleitung kaum vorwerfen, denn es ist ein strukturelles Problem.

Daher gebe ich dir Recht, die von dir genannte Lösung wäre definitiv besser gewesen. Fraglich ist nur, ob sie mit dem vorhandenen Personal in der konkreten Situation denkbar war… leider.