"Politiker:innenhaftung" - Braune Hetze oder seriöse Debatte?

Ich würde gerne mal ein Thema ansprechen, welches mir kürzlich auf LinkedIn begegnet ist.
[Ich bin aus beruflichen Gründen relativ viel auf LinkedIn unterwegs. Dieses Netzwerk hat ja seine ganz „eigene Art“, das muss man mögen. Darüber hinaus ist mir aber auch aufgefallen, dass selbst LinkedIn von ominösen Personen unterwandert wird, die sich eine Business-Tarnung aufsetzen und dann Geschwurbel verbreiten.]

Ein Thema, was dort aktuell aufs tableau gesetzt wird, ist die sogenannte „Politiker:innenhaftung“.
Worum geht es? Im Rahmen einer juristisch anmutenden Argumentation wird vertreten, dass Politiker:innen für ihre Entscheidungen haftbar gemacht werden sollen. Verglichen wird das mit der Amtsträger:innenhaftung oder der Haftung der Geschäftsführer:in einer GmbH.
Ein weiteres, sehr gefährliches Argument, ist, dass das Bundesverfassungsgericht zwar verfassungswidrige Gesetze kassieren kann, dass aber niemand was gegen „legislatives Unrecht“ unternehmen kann. Auf deutsch: Gegen „Fehler“ und „Ungerechtigkeiten“ im Grundgesetz selbst könnte eine Person selbst überhaupt nichts unternehmen, da müsse also diese ominöse Politiker:innenhaftung her.
Wer sich das opus mal in Gänze reinziehen möchte, sei hierhin verwiesen [Vorsicht: Schwurbler-Seite]: https://www.the-germanz.de/warum-politiker-persoenlich-haften-muessen-eine-postpandemische-qualitaetsoffensive/

Frage: Ist das, wie ich vermute, rechtes Geschwurbel? Oder gibt es irgendwo eine ernstzunehmende Debatte zu diesem Thema?
Was mich hier so entsetzt, ist, dass (bewusst) offen gelassen wird, wie so eine Haftung denn aussehen könnte. Geldstrafe? Gefängnis? Oder muss der „unterdrückte Bürger“ dann selbst losziehen und die Politiker:in „haftbar“ machen? Ihr wisst, worauf ich hinaus will.

Verbreitet wird dieser Artikel bei LinkedIn übrigens von Malte Fischer, einem Redakteur der Wirtschaftswoche. Da denken sicherlich viele, sie hätten es mit einem seriösen Thema zu tun. Um so gefährlicher!

Ulf, Philip: Ich weiß, Ihr greift nur Themen auf, die Euch interessieren. Vielleicht wäre das Thema ja mal eine Gelegenheit, um aufzuzeigen, wie so eine rechte Theorie geschickt in einer pseudo-juristischen Diskussion versteckt wird. Mich würde außerdem interessieren: Gibt es eine entsprechende ernstzunehmende Debatte? Welche Argumente sind es würdig diskutiert zu werden und welche sind Quatsch und können wie widerlegt werden?

Freue mich auf eure Gedanken und Anmerkungen hierzu. Ich freue mich auch auf Links, falls sich jemand schon einmal (ernsthaft) mit dem Thema befasst hat.

Also, was „haftbar machen“ bedeutet, scheint mir doch recht klar zu sein: Der Bürger hat einen Schaden erlitten (z. B. fehlende Einnahmen im Rahmen eines Lockdowns) und will diesen Schadensersatz ersetzt verlangen. Er geht deshalb zum Zivilgericht (oder in diesem Fall zum Verfassungsgericht???) und verklagt den Politiker den er für verantwortlich hält auf Zahlung.

Etwas strafrechtliches (Geldstrafe, Strafhaft) ist hiermit nicht verbunden.

Alles andere ist mir reichlich unklar. Vor allem wie denn irgendein Gericht (das ja an die demokratisch legitimierten Gesetze gebunden ist), feststellen soll, dass ein Gesetz einen Schadensersatzanspruch begründen soll. So etwas wäre überhaupt nur denkbar, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit festgestellt hätte. Aber die Wertungen des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassung scheinen dem Verfasser ja nicht auszureichen. Wer aufgrund welcher Legitimation diese Entscheidung stattdessen treffen soll, sagt er aber auch nicht.

Wenn gesetzgeberisches Unrecht im nationalsozialistischen Ausmaß geschehen sollte, könnte man darüber nachdenken. So etwas ist derzeit ersichtlich NICHT der Fall, aber viele Schwurbler sind paranoid und halten sich für die „neuen Juden“ (was wie man nicht oft genug betonen kann ein sehr abwegiger, respektloser Vergleich ist, vor allem wenn noch Antisemitismus hinzu kommt).

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Also ich halte das auch für ziemlichen Unsinn, muss aber sagen, dass ich in einem anderen Zusammenhang durchaus genervt davon bin, dass Politiker (wohl notwendigerweise, gebe ich zu) offensichtlichen Blödsinn machen dürfen.
Das Beispiel, das mir einfällt, ist die Voratsdatenspeicherung, wo, so scheint es mir, in Dauerschleife absichtlich oder mindestens billigend in Kauf nehmend verfassungswidrige Gesetze gemacht werden, um mal zu sehen, ob das Verfassungsgericht ein bisschen was davon durchlässt.
Selbstverständlich ist es völlig abwegig, dafür irgendeine Strafe zu verteilen, denn wer sollte die aussprechen, aber es wäre schön, wenn es etwas mehr Schamgefühl im Parlament gäbe, wenn man ein verfassungswidriges Gesetz erlassen hat.

Der verlinkte Artikel scheint mir aber sehr von Partikularinteressen geleitet zu sein. Wenn ich mich richtig erinnere, waren harte Maßnahmen meist von einer Mehrheit der Deutschen gedeckt. Insofern würde es mehr Sinn machen, den Staat haften zu lassen, was er an vielen Stellen durch Corona-Hilfen ja auch tut.

Ich würde aber davon abraten, diesem Quatsch Zeit in der Lage einzuräumen.

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Ich denke, dass die Corona-Hilfen auch deshalb gezahlt wurden, um Schadensersatzklagen zu verhindern. Sie waren auch immer sehr eng an entsprechende Lockdown-Regelungen geknüpft.
Insofern gehe ich davon aus, dass Bürger gegenüber dem Staat schon jetzt gewisse Rechte haben. Ob diese ausreichen, ist natürlich etwas, das diskutiert werden kann.

Eine andere Frage ist, ob ein Politiker von seinem Staat verklagt werden können sollte oder ob das womöglich sogar schon geht.
Nehmen wir zum Beispiel den Mautvertrag.
Wenn jetzt Andreas Scheuer nachgewiesen werden kann, dass er den Vertrag ohne Not vor dem Urteil unterschrieben hat, die Gegenseite sogar tatsächlich davor gewarnt hat, wie sie behauptet, sollte er in Regress genommen werden können? Kann er bereits jetzt schon in Regress genommen werden?

Ein Politiker, der Angst haben muss, dass er persönlich haftbar gemacht werden kann, wird sich seine Entscheidungen besser überlegen und gut dokumentieren müssen, das könnte die Demokratie stärken.
Die Frage stellt sich aber, ob er dann noch handlungsfähig ist und die Gefahr ist, dass er es mit der Wahrheit eher nicht so genau nimmt, da er sich ja selbst in Gefahr bringen könnte, vor einem Untersuchungsausschuss gar schweigen würde, da er sich nicht selbst belasten möchte.

Über das bin ich vor kurzem gestolpert:

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Solche Theorien sind Unfug und sollten am besten einfach ignoriert werden. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass die Lage so etwas auch nicht zum Thema machen wird. :slight_smile:

Es gibt da noch bessere Beispiele, z. B. ein neues Wahlrecht oder Dieselfahrverbot in München. Beides Beispiele, die zeigen, dass sich ein Politiker über Entscheidungen von Verfassungsgerichten hinwegsetzen kann bzw. sie einfach ignoriert. Und das Gericht hat soweit ich weiß keine Möglichkeit da einzugreifen, während Privatpersonen in solchen Fällen z. B. in Beugehaft genommen werden.

Von daher bin ich persönlich schon der Meinung, dass Politiker mehr Verantwortung tragen sollten. Auch fände ich es im Grundsatz gut, wenn es eine Maßnahme gäbe, mit der Politiker zur Rechenschaft gezogen werden könnten, wenn sie bewußt gegen Gesetze entscheiden oder sie bewußt Entscheidungen treffen die gegenüber bekannten, alternativen Handlungsoptionen völlig unverhältnismäßige Nachteile haben.
Ja ist bewußt schwammig formuliert, denn genau das ist aus meiner Sicht das Problem, siehe @der_Matti

Akut nein, aber relevant und diskussionswürdig ist das Thema aus meiner Sicht durchaus. Denn insgesamt verschiebt sich diese Grenze was Politiker dürfen ohne zurücktreten zu müssen immer weiter nach oben.

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