Pflegenotstand: Sind Fallpauschalen wirklich das Problem?

Für den Pflegenotstand sind viele Gründe verantworlich, genannt werden u.a. immer wieder die Fallpauschalen, wie auch in der aktuellen Folge. Ich habe mich in meinem zweiten Beitrag schon einmal mit dem Thema (damals bezogen auf mangelnde Psychotherapie-Plätze) auseinandergesetzt und möchte meine damaligen Gedanken dazu ein Jahr später noch einmal ins kollektive Gedächtnis rufen und eurem Feedback zu unterwerfen, da ich die oft gehörten Argumente und auch jetzt genannten Argumente für nachvollziehbar, aber verkürzt halte:

TL:DR (= „too long, didn’t read“, unten dann aber begründet):
(1) Die Fallpauschalen sind das beste Vergütungssystem, das wir im Vergleich mit anderen Systemen haben
(2) Die oft genannten negativen Anreizwirkungen („zu frühe Entlassungen oÄ“) sind praktisch kaum ein Problem
(3) Der Spardruck ist da, liegt aber nicht an den Fallpauschalen, sondern am zweigleisigen Finanzierungssystem der Krankenhäuser

  • zu (1) Alternativen zur Fallpauschale sind die in der Lage angerissene „Rechnung danach“ (= Einzelleistungs-Vergütung) und die Liegepauschale (vereinfacht: Bezahlung pro Liegetag im Krankenhaus). Ersteres reizt stark zur Überleistung an, letzteres hatten wir vor Einführung der Fallpauschalen und reizt dazu an, dass Patienten ewig liegen und wenig geleistet wird. Die Fallpauschale ist da ein guter Mittelweg und führt wegen Zu- und Abschlägen bei längeren bzw. (zu) kurzen Liegedauern faktisch auch nicht wie aufgeworfen zu zu frühen Entlassungen (siehe (2)). Die Fallpauschale als solche ist also nicht das Problem, sondern höchstens ein „Zu-Kurz-Kommen“ von Präventiv- und Pflegeleistungen - diese Ausblendung hat man bei Tagespauschalen systemisch aber auch (es wird eben die Liegezeit unabhängig vom Aufwand berechnet) und zu Einzelleistungen gibt es keinen Unterschied: Entweder sie werden in der Pauschale oder Einzelrechnung berücksichtigt oder eben - so wie jetzt - zu wenig oder gar nicht. Die Ausgestaltung ist also das Problem.

  • zu (2) Es werden viele negative Anreize gegen Fallpauschalen aufgeworfen, die „blutige Entlassung“ habe ich hier auch noch mal aufgearbeitet. Die letzten zwanzig Jahre war die Gesetzgebung sehr fleißig, Maßnahmen gegen alle möglichen Anreize einzuführen (s. Grafik im eben verlinkten Beitrag, welche Anreize da erfasst wurden - konkrete Maßnahmen zu anderen Anreizen kann ich bei Bedarf mal raussuchen, falls es interessiert). [Edit: kleine inhaltliche Korrektur in diesem Abschnitt]

  • zu (3) Spardruck gab es schon immer, der war vor den Fallpauschalen ebenso ein riesen Problem - witzigerweise immer sogar stärker in Nicht-Privaten Einrichtungen. Warum? Gerade staatliche Krankenhäuser beziehen ihre Investitionsmittel von den (immer finanziell etwas angeschlagenen) Ländern, so wie Private und Freigemeinnützige diese von ihren Investoren/Spendern bekommen. Das „Daily Business“ läuft dagegen über die Fallpauschalen. Da Private die Investitionen regelmäßig aktuell hielten, staatliche Institutionen mittlerweile (bzw. zur Zeit meines damaligen Beitrages) einen Investitionsstau von 50 Milliarden angehäuft haben, müssen die Öffentlichen kompensieren: Die öffentlichen Krankenhäuser bezahlen dringenste Investitionen teils durch Überschüsse aus den dafür eigentlich nicht gedachten Fallpauschalen - Spardruck-Intensivierung garantiert! Grund ist aber - wie gesagt - eben nicht die Fallpauschale, sondern die fehlende Investition seitens der Länder - vertiefend nochmal im oben zitierten Beitrag.

Fazit: Die Krankenhäuser brauchen mehr Geld zum Investieren und die Pauschalen müssen auch Pflege- und Präventivleistungen erfassen. Letzteres, also die monetäre Ausweitung der Vergütung, könnte man schlicht ermöglichen, indem man die private Krankenversicherung abschafft, so die Gutverdienenden wieder in die Gesetzliche müssen, dort wieder das Solidarprinzip greift und somit mehr Geld da ist. Unser Wohlstand wächst prozentual ähnlich zu den Gesundheitskosten. Wir als Gesellschaft habenverdienen das Geld, es wird wegen der Privaten Krankenversicherung schlicht nur nicht ausreichend eingesammelt und dort, wo es gebraucht wird, hingebracht. Dann kriegt man das Personalproblem von der finanziellen Seite auch besser in den Griff.

Andere Faktoren und Gründe für den Pflegenotstand gibt es natürlich auch noch, ich habe mich jetzt nur mit den Finanzen befasst.

Vielen Dank fürs Lesen!

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Danke, dass Du das so ausführlich aufgearbeitet hast! Dieses Bashing der DRGs kann man so nicht stehen lassen.

Am wichtigsten: die Pflegekosten wurden schon 2019 wieder aus den Fallpauschalen ausgegliedert und werden separat vergütet:

https://www.bundesgesundheitsministerium.de/krankenhausfinanzierung.html?amp%3Bback=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2Fsearch%3Fclient%3Dsafari%26as_qdr%3Dall%26as_occt%3Dany%26safe%3Dactive%26as_q%3DFallpauschale%20im%20Krankenhaus%26channel%3Daplab%26source%3Da-app1%26hl%3Dde&amp%3BcHash=fcca27d9b4c203c3f9153c3220a8d2cc&cHash=9ab969e5c7eac584df78ae265a6a9b9e

Weitere Ergänzungen (ich bin nicht mehr tief drin in der Materie, aber im Groben müsste es hinhauen):

  • Als Erbe der einrichtungsbezogenen Finanzierung und der Finanzierung über Pflegetage haben wir im internationalen Vergleich hohe Kapazitäten an Häusern und Betten (und hatten sehr lange Liegedauern). Ersteres mag in der Pandemie hilfreich gewesen sein, aber es ist unter Qualitätsgesichtspunkten problematisch und kostet natürlich sowohl im Personaleinsatz als auch was die Investitionen betrifft (die die Länder über viele Jahre vernachlässigt haben, s. Obiger Post).

  • um die Überkapazitäten abzubauen, hat man nun nicht den Krankenhausplan genutzt (wahrscheinlich auch schwierig im Hinblick auf die Berufsfreiheit) und im Rahmen des DRG-Systems die Vergütung (Landesbasisfallwerte) sukzessive reduziert, (auch) um die Marktbereinigung zu forcieren. Dabei geht es natürlich allen schlechter, nicht nur denen, die ausscheiden. Aber: das System ist nicht schlecht, wenn der Preis zu niedrig ist oder der Wettbewerb zu intensiv.

  • bei den Fallpauschalen ist es NICHT vollkommen egal, was bei einem Patienten konkret zu machen ist. Grundsätzlich wird eine Pauschale gezahlt, aber für Komplikationen und verlängerte Liegedauern (die das Haus nicht selbst verschuldet hat), gibt es ein System von Zuschlägen.

  • Und alle Parameter und Vergütungen im System basieren auf jährlichen empirischen Erhebungen in deutschen Krankenhäusern.

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Danke für die Ergänzung, das hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm!

Meinst du: „das System ist nicht schlecht, wenn der Preis nicht zu niedrig ist oder der Wettbewerb zu intensiv.“?

Genau, das habe ich oben wohl nicht ganz unimissverständlich ausgedrückt. Die Zu- und Abschläge sind ja auch genau der Grund, warum die Aussagen „Patienten werden zu früh entlassen“ bzw. auch „Ist ein Fall komplizierter, macht das Krankenhaus Verlust“ so nicht ganz stimmen.

Das ist auch ein ganz wichtiger Punkt und hier wäre nun zu fragen, ob und wie man die von der in der Lage zitierten Ärztin problematisierten Präventivleistungen erfassen kann, sodass es bspw. neue DRG für Vorsorgeuntersuchungen gibt

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@Jens_Eyding

Wie besprochen antworte ich dir auf deinen Beitrag hier.

Ersteres muss ich dir als richtig zugestehen. Man kann also sagen, dass die Liegezeitproblematik vielleicht nicht wegen, sondern trotz der DRG zurückgegangen sind. Sicher ermitteln kann man es aber nicht, denn Korrelation =/= Kausalität. Zum 2. Satz muss man aber genau dasselbe sagen: Kostensteigerung trotz oder wegen der DRG? Denn Korrelation =/= Kausalität.

Das Problem der Spezialisierung ist bekannt. Dagegen gibt es aber nach § 17b Abs. 1 Satz 6 bis 9 KHG und §§ 5 f. KHEntgG Sonderentgelte. Kann aber natürlich sein, dass der Mechanismus nicht wirkt wie gewünscht.

Im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) (G. v. 11.12.18, BGBl. I, S. 2394.) wurden die Pflegekosten aus den DRG ausgegliedert, danke hier nochmal an @ChristianF. Ich habe nochmal in meinen Notizen recherchiert und das funktioniert folgendermaßen (ich kopiere das eben mal rein):

Das PpSG sieht ab dem 01.01.2020 nicht zuletzt, aber vor allem die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus dem DRG-System (aG-DRG) und deren vollständige Refinanzierung vor. Die Regelungen hierzu finden sich in § 17b IV KHG und § 6a KHEntgG. Die Selbstverwaltungspartner gliedern die Pflegekosten aus, indem sie gemäß § 9 I Nr. 2a KHEntgG hierfür einen Katalog iSv. § 17b IV 5 KHG vereinbaren, der diese Kosten mit entsprechenden Bewertungsrelationen für jeden Pflegetag nach § 6a KHEntgG bundeseinheitlich abbildet. Dieser Katalog ist wie der DRG-Katalog jährlich weiterzuentwickeln. Das gesonderte Pflegebudget wird nach § 6a II KHEntgG krankenhausindividuell auf Basis der tatsächlich entstandenen Kosten ermittelt. Auf diese Weise sollen etwa ein Viertel der Kosten im Krankenhaus aus dem Fallpauschalen-System ausgegliedert werden. Für pflegesensitive Bereiche wurden zudem Pflegepersonaluntergrenzen nach § 137i SGB eingeführt, deren Unterschreitung zu Vergütungsabschlägen führen sollen.

Das heißt selbstverständlich nicht, dass diese Ausgliederung alle Probleme gelöst hat^^

Ich meinte “das System an sich ist nicht schlecht, nur weil der Preis zu niedrig ist oder der Wettbewerb zu intensiv”.

Auch in anderen (schlechteren) Systemen wie Bettenfinanzierung, Pflegetage oder Einzelleistungen können die Preise zu hoch oder zu niedrig sein und es kann Überkapazitäten geben und einen entsprechenden Wettbewerb.

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Ah verstehe, ja das klärt es auf!

Leider absolut falsch. Für Krankenhäuser ist e s ein gutes System, um mit Krankheit Geld zu verdienen. AM Ende steht aber eben nicht die Genesung, die honoriert wird, sondern die Prozedur. Und das führt in einem kapitalistischen System eben dazu, dass alles getan wird, um Geld zu verdienen und nicht um Gesundheit zu erzeugen. Die anreize sind falsch, wenn man das Ziel hat, eine gesund Bevölkerung zu haben. Andere Ländern haben sich lange von den DRGs getrennt, weil sie es gemerkt haben. Der Lobbyismus in D ist aber so stark, dass das hier nicht gemacht wird. Hinzu kommt, dass wir eines der absolut wenigen Länder sind, die ein nahezu 100% DRG-System haben. Also jede Diagnose kann als DRG abgerechnet werden. Das macht kein anderes Land. Andere Länder haben für Komplikationen oder abnormale Verläufe dann die Möglichkeit, die Liegedauern zu erhöhen und die Diagnostik in den Vordergrund zu stellen, ohne, dass sie Abschläge als Sanktionen haben.

Das ist ein enormes Problem. Insbesondere für die alternde Gesellschaft. Jeder Tag im Krankenhaus führt zu einer Erhöhung des Risikos nosokomnialer Infektionen, was zu vielen Todesfällen führt. Hinzu kommt, dass beispielsweise die Delir-Diagnostik kaum stattfindet und Personen mit Delir entlassen werden. Hier ist die Frage, ob in die Häuslichkeit oder in die Langzeitpflege. Nach einer Entlassung, die zu früh stattfindet, ist ein erhöhter Pflegebedarf vorhanden, der ambulant ermittelt und reduziert werden muss. Aber durch den Fachkräftemangel haben ambulante Pflegedienste kaum Kapazitäten und nehmen keine neuen Patient:innen auf. Man muss also zurück ins Krankenhaus. Entweder ist dass dann eine Fallzusammenführung und sorgt für Verluste des Krankenhauses, oder - was häufiger ist, eine neue Diagnose wird gestellt und die Person wird behandelt, obwohl sie der Diagnose kaum entspricht. Das führt zu extremen Kosten der Krankenkassen und das wiederum zahlt die Gesellschaft. Wenn wir also eine bessere Versorgung mit Hinblick auf Genesung hätten, würden sich langfristig die Kosten der Allgemeinheit reduzieren können.
Ein weiterer Aspekt ist, dass Demenz-erkrankte Personen am besten nicht ins Krankenhaus sollten. Erstens wegen des Delir-Risikos, was die Mortalität extrem ansteigen lässt und zweitens treten Verwirrtheitsszutsände vermehrt auf. Das liegt daran, dass Krankenhäuser eher nicht für demenzkranke Menschen gebaut sind und das viele Liegen kontraproduktiv ist. Fixierungen sind an der Tagesordnung und ebenso kontraproduktiv.
Und weil das noch nicht alles war: wenn Personen aus dem Krankenhaus mit erhöhtem Pflegebedarf in eine Langzeiteinrichtung entlassen werden, hat man das Problem, dass die Qualifikation in den Einrichtungen oftmals nicht gleich dem in Krankenhäusern ist. Die sind überfordert oder es gibt kein Verbandmaterial mit, oder oder oder. Das führt zu Komplikationen in der Versorgung. Entweder muss die Person zurück ins Krankenhaus oder Patient:innen werden schlechter im Anschluss behandelt. das gilt natürlich nicht für alle Cases und alle Häuser, aber es ist ein riesiges Problem. Rehospitalisierungen kosten den Kassen Unmengen an Geld. Und: die zahlen wir.

Ich könnte noch weitere Gründe nennen, aber eins ist Fakt: die oben getroffenen Aussagen sind in jeder Hinsicht falsch.

LG, Christian

Was ist dann die Alternative? Bezahlung nach Liegezeit oder Einzelleistungen? Und welche Argumente sprechen dafür?

Gibt es in D auch. Bei atypischen Verläufen gibt es bspw. Zuschläge auf zusätzliche Liegezeit, habe ich ja oben benannt.

Das spricht doch eher für eine möglichst zeitnahe Entlassung?

Im Übrigen gibt es doch saftige Abschläge für Entlassungen unter der Grenzverweildauer? An sich wäre das Problem „zu früh“ also nur dann ein solches, wenn ein Patient eigentlich überlang liegen sollte, aber stattdessen zur Grenzverweildauer entlassen wird, was ja dann faktisch individuell zu kurz wäre. Oder verstehe ich dich falsch?

Ah ja, der Drehtüreffekt. Dagegen gibt es aber auch Mechanismen, soweit ich mich recht erinnere ist es heutzutage nicht mehr so einfach, eine neue DRG aufzumachen. Sofern ich mich richtig entsinne kann ich morgen mal konkret raussuchen, was das genau war.

Was hat das mit Fallpauschalen zu tun. In jedem anderen Abrechnungssystem würde die Person auch ins Krankenhaus gebracht. Ich glaube, das ist kein Thema für die Finanzierung.

Wieder: was hat das mit Fallpauschalen zu tun?

[quote=„mynoxin, post:7, topic:14364“]
[…] aber eins ist Fakt: die oben getroffenen Aussagen sind in jeder Hinsicht falsch.
[/quote]1

Das - also dass alles (und auch noch faktisch) falsch ist - ist ein wilder Take, denn du bist faktisch nur und ausschließlich auf den „blutigen Entlassungen“ und dem „Drehtüreffekt“ rumgeritten, hast meine anderen Punkte aber nicht mal angerissen. Zu den Punkten auf die du eingegangen bist: Da würde ich mich freuen, wenn du ein bisschen näher auf meine Gegenargumente eingehst, ansonsten wiederholst du ja nur die Probleme, die ich selbst schon aufgeworfen habe.

Liebe Grüße!

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Die Alternative ist nach Qualität und Erfolg der Versorgung zu zahlen. Dann ist man weg von der Krankheitsorientierung hin zu einer Gesundheitsorientierung.

Jap, aber auch das mündet in einer DRG, die wiederum mit Verweildauern verknüpft ist.

Jap, das hast du recht. Aus meiner Sicht spricht es nur eher dafür, die ambulante Versorgung zu stärken und vorzuziehen, die dann eben auch nicht an Verweildauern geknüpft ist. Unter der Grenzverweildauer zu entlassen gibt Abschläge, aber auch hier: jeder Tag ist zu viel und erhöht das Risiko. Wenn eine Krankenhausbehandlung indiziert ist, ist es unredlich und unerheblich. Dann Thema Hygiene, klar.

Richtig, das ist nicht einfacher geworden. Passiert trotzdem vielerorts. Fallzusammenführungen kosten den Häusern auch gern mal 6-7 stetige Beträge. Aufnahmen werden dann auch vermieden. Versorgung demnach dann auch mal nicht gewährleistet, weil ambulante Versorgung unzureichend.

Primär nichts, da gebe ich dir recht. Wenn sie aber drin sind, ist eben jeder Tag zu viel. Worauf ich hinaus will ist, dass die Versorgung außerhalb der Krankenhäuser komplett anders funktioniert und es hier zur Unterversorgung kommt. Wenn Demenz-erkrankte Personen also im Krankenhaus sind, ist es schlecht, wenn sie nicht reinkommen, stellt sich die Frage nach der Versorgung außerhalb. Aber ja, kein Thema der Finanzierung.

Wenn die Grenzverweildauer erreicht ist und es zu „blutigen“ Entlassungen kommt, kann es zur Unterversorgung durch nachgelagerte Versorgungsinstitutionen kommen. Das DRG-System macht also, dass an einer Stelle Geld mit Krankheit verdient wird, ohne dass gewährleistet ist, dass die Person im Nachgang genesen kann, da es sich nicht über weitere Sektoren erstreckt.

Ich bin auf deine pauschalen Aussagen eingegangen, die so nicht richtig sind. Und ja, ich reite auf dem Drehtüreffekt und den blutigen Entlassungen rum, weil genau das das Problem der alternden Gesellschaft ist. Ich habe lange genug im Krankenhaus gearbeitet und im Entlassungsmanagement, dass ich wohl auch weiß, welche Personengruppen davon nicht betroffen sind und welche in die Röhre gucken. Sobald Patient:innen aus dem Krankenhaus raus sind, merkt man ja nicht, was dann mit denen passiert. Aber dann treten bei denen ja die Probleme auf. Und das, weil das System Krankenhaus so finanziert wird. Sorry, wenn ich dich da angegriffen habe. Aber ich oute mich mal als Kritiker dieses aktuellen Systems und kann dem auch nichts abgewinnen, weil es aus meiner Sicht nicht dazu führt, dass sich die Versorgung verbessert.

Lieben Gruß

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Du hast jetzt einige Punkte noch einmal vertieft und für mich klingt es so, dass das Problem 1. im Bereich der Behandlung von Älteren liegt und 2. dass diese Behandlung einen sehr stationären Fokus hat, obwohl sie besser in die Ambulanz / Vorsorge verschoben werden sollte.

Das ist doch aber eher eine Frage des Patientenmanagements als der Vergütung? Da ist Systemkritik auch meiner Meinung nach absolut berechtigt, aber eben beim Vergütungssystem fehlgeleitet, weil alternative Systeme daran nichts ändern würden. Die DRG scheinen ja dem - wenn ich richtig verstehe - größten Problem einer zu langen Liegezeit sogar entgegenzuwirken. Klar kann es dann, wenn es mal lang nötig ist, bei einer Entlassung innerhalb der Normalzeit auch mal im Einzelfall (?) zu früh sein. Wenn Krankenhäuser dank einer solchen Praxis wegen des Drehtüreffekts aber Verluste fahren, ist das doch irgendwie ihre eigene Schuld? Mit einem anderen System (von denen, die wir kennen) wäre es nur andersrum, bspw. bei Tagesgeldern und da griffe deine Kritik dann ja auch. Ist also mMn kein Vergütungsproblem.

Gegen das Problem der Fokussierung auf Stationen hatte ich ja die fehlenden Investitionen moniert - hier könnte man mit den entspr. Mitteln doch bestimmt ambulante und Reha-Zentren anschließen, die darauf den Fokus legen. Damit hätte man dann ja fast einen Wettbewerb zwischen Ambulanz und Stationär um die Patienten. (Ob das gut ist, lasse ich dahingestellt^^)

Interessant finde ich deine Idee einer Bezahlung nach Erfolg und Qualität. Noch hast du das aber etwas unspezifisch gehalten- dafür müsstest du also einen Vorschlag machen. Ich kenne nur die drei bekannten Varianten DRG, Tagesgeld und Einzelleistung und lerne gerne eine Neue kennen. Bisher kommen die DRG meiner Meinung nach im Dreieck Qualität - Versorgungsabdeckung - Kosteneffizienz von der Finanzierungsseite her deinem Ideal am nächsten - wenn sie auch wie kein System perfekt sind.

LG

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Die Bezahlung nach Gesundheit statt nach Leistungen klingt wie eine super Idee. Allerdings weiß ich kein Gesundheitsystem, das sie in der Breite umgesetzt hat (pay for performance für einzelne Behandlungen gibt es, klar und auch integrierte Versorgung mit regionalen Budgets, bei denen m.W. trotzdem die einzelne Leistung bezahlt wird).

Abgesehen davon, dass das Konzept unserem aktuellen Gesundheitswesen komplett zuwiderläuft und damit schlicht keine Chance einer Umsetzung hat, wirft es auch diverse Fragen und Probleme auf, z.B. welche Akteure für die Gesundheit verantwortlich sind und danach bezahlt werden, wie das Geld zwischen den Beteiligten verteilt wird, woher der Anreiz kommen soll, für schwer erkrankte, die kaum mehr gesund werden, einen hohen Aufwand zu betreiben.

Von daher frage ich mich, ob es besonders hilfreich ist, reale Systeme an so einer unausgegorenen und nicht empirisch bewährten Idee zu messen.

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Nur weil das nicht bekannt ist, bedeutet es nicht, dass es nicht möglich ist. Man muss eben manchmal anders denken, damit Dinge ins Rollen kommen. Man kann an den alten Strukturen festhalten, weil man sich nichts besseres vorstellen kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass es damit etwas Gutes ist.
Ich sehe auch absolut kein Problem darin, infamste Diagnosenstellungen damit zu verknüpfen, sofern man realistische Ziele einbezieht, wenn es beispielsweise darum geht, die Lebensqualität zu verbessern.

Kann wegen mir alles bleiben wie es ist. aber dann wird’s eben nicht besser.

Hm, ja. Ich muss leider sagen, dass mir die Argumentation, dass erst eine (nicht einmal im Ansatz ausgearbeitete) Utopie umgesetzt werden müsse, damit die Dinge besser werden, dann aber alles gut würde, ziemlich naiv und vermessen scheint.

Jedes reale System ist ein Kompromiss zwischen verschiedenen Zielen und Interessen und muss mit Rahmenbedingungen wie begrenzten Ressourcen etc. umgehen. Zu glauben, dass dies alles bei Deinem Konzept auf magische Weise anders und viel besser wäre, ist… vermessen und naiv.

Und die Behauptung, im Rahmen des aktuellen Systems könne man nichts verbessern, wird quasi jedes Jahr durch Anpassung des DRG-Katalogs widerlegt.

Sowie zahlreiche Reformgesetze, die alle möglichen Fehlanreize adressieren, hier nur zum KHG und zum KHEntgG:

KHG

KHEntgG

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Hallo!
Da ich vom Thema wenig Ahnung habe frage ich einfach mal kritisch nach:
Warum ist es schlecht, wenn staatliche Kliniken aus Überschüssen von Fallpauschalen Investitionen tätigen, wenn private Kliniken die Überschüsse doch sicherlich an die Investoren ausschütten? Sonst würden die Investoren ja nicht investieren.

Etwas Off-Topic aber mir sei der Kommentar erlaubt: der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass mehr Geld für die Patienten da ist, wenn, bei Finanzmitteln in gleicher höhe, keine Spekulanten mit durchgefüttert werden müssen.

Das ist ein bisschen einfach gedacht.

  1. Investoren sind nicht dasselbe wie Spekulanten. Ich weiß nicht, ob ich das wirklich erklären muss oder ob das nur Polemik war?
  2. es ist deshalb schlecht, wenn öffentliche Kliniken Überschüsse für Investitionen verwenden müssen, weil diese Überschüsse i.d.R. nicht reichen für den Investitionsbedarf. Und weil ausbleibende Investitionen z.B. in Gebäude (ein neuer Fahrstuhl, Abriss eines Altbaus und Neubau…) oft einen erheblichen negativen Einfluss auf das erzielbare Ergebnis haben, d.h. private können mit Investitionen ein Krankenhaus ggf. profitabel machen, während die Kommune es im Zweifel nicht hinbekommt, weil die Landesmittel fehlen…

Um die Antwort von Christian noch zu ergänzen:

Es ist eine Frage des Gewinndrucks. Ein rivater kann Gewinne machen, ein Öffentlicher muss sie machen, damit das Krankenhaus nicht buchstäblich auseinanderfällt. Stell dir das wie eine Form von Triage vor: Der ärztliche Ethos ist ein sehr mächtiges Instrument, bloßes Gewinnstreben einzuheben. Wenn allerdings der Arzt weiß: Ich kann jetzt das MRT machen oder ein kalkuliertes Riisko eingehen, um in einem Monat dasselbe MRT für zukünftige Fälle warten (!) zu können, dann geht er dieses Risiko vielleicht ein. Ein Verhungernder greift zu viel drastischeren Maßnahmen als ein Gesättigter, der sich überlegt, ob er sich einen mittleren oder einen großen Eisbecher bestellen soll.

In einer Welt dagegen, in der Öffentliche ihre Investitionskosten schon gedeckt haben, ist dein Argument allerdings korrekt. Dann herrscht ja auch kein Gewinndruck mehr.

Das deckt sich eben nicht mit meinen Halbwissen. Private Krankenhäuser sind doch teilweise Aktiengesellschaften und können buchstäblich verklagt werden, wenn sie auf Gewinn verzichten. Was öffentliche Krankenhäuser angeht verstehe ich aber euren Punkt.

Das betrifft exekutive Entscheidungen, die musst du aber strikt von ärztlichen Entscheidungen differenzieren. Umfragen zufolge sind Patient*Innen jedenfalls mit Privaten zufriedener.

Berechtigte Anmerkung. Ob AG oder GmbH: natürlich wollen die mittelfristig eine ordentliche Rendite einfahren. Nur haben die privaten oft tiefere Taschen, dafür erstmal auch zu investieren und eine Durststrecke durchzustehen. Und wenn der Vorstand/die Geschäftsführung darüber in einem guten Dialog mit den Gesellschaftern/Aktionären ist, klagt auch keiner.

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