Peru - wer ist im Recht?

In Peru gibt es immer noch Demonstrationen, die gewaltsam niedergeschlagen werden.
Warum schwelt das noch? Wer ist da im Recht?

Ich hätte da mal ein paar Rückfragen:

Du schreibst „immer noch“ also Frage: Wann hat das angefangen?
Betrifft uns das in irgendeiner Weise oder anders, warum sollte uns das interessieren?
Warum glaubst du, hätten wir (unsere Gastgeber) das Recht zu entscheiden, wer von den Kontrahenten dort im Recht sei?

Und deine Quelle ist hinter einer PayWall ich bin also nicht besonders weit gekommen.

Tja, wer hat Schuld in Peru?

Dummerweise ist Castillo mit vielen Versprechen (z.B. Bekämpfung von Armut und Korruption) an die Macht gekommen, die er u.a. wegen der Corona-Pandemie und später dem Ukraine-Krieg kaum einhalten konnte. Während Deutschland und die USA dank ihrem Reichtum die Folgen der Krise halbwegs bewältigen konnten, sah das für Peru halt anders aus.

Dass Castillo immer wieder als „linker“ bezeichnet wird, ist etwas verstörend. Letztlich muss man verstehen, dass das Rechts-Links-Schema, wie wir es in Europa und Nordamerika kennen, auf Südamerika nur begrenzt angewendet werden kann. In Südamerika sind viele „linke“ Parteien „linksnationalistisch“, also eher „Wagenknecht-Linke“ :wink:

Castillo wollte u.a. die Freiheit der Medien reduzieren, die 1979 abgeschaffte Todesstrafe wieder einführen, aus der amerikanischen Menschenrechtskonvention austreten und rief die Bürger auf, sich zu bewaffnen und paramilitärische Verbände (auch Jugendverbände) zu gründen. Er war außerdem gegen die Homoehe, gegen Abtreibung und gegen Sterbehilfe, also klassisch christlich-konservativ. Links im europäischen Sinne war eigentlich nur seine auf mehr Staat und mehr Umverteilung basierende Wirtschaftspolitik.

Seine Gegenkandidatin bei der letzten Wahl war die Tochter des vorherigen Diktators und kam aus dem rechtspopulistisch-wirtschaftsliberalen Dunstkreis. Also Castillo ist schon nicht gut, aber Fujimori vertritt in fast allen negativen Punkten ähnliche Meinungen, nur eben mit dem Unterschied, dazu noch klassisch rechts-nationalistisch und wirtschaftsliberal zu sein.

Die Amtsführung von Castillo scheint jedenfalls von Tag 1 an nicht gut gelaufen zu sein. Das Kabinett wurde quasi wöchentlich umgebaut (80 Kabinettsumbildungen in 16 Monaten muss man erst mal schaffen…), was entweder darauf hindeutet, dass er absolut miserabel darin war, die Regierung zu führen, oder es auch innerhalb seiner Partei massive Meinungsverschiedenheiten gab. Auch, dass ein amtierender Präsident aus seiner Partei austritt, nachdem diese ihm mit Rauswurf droht, ist eher ungewöhnlich.

Seinem dritten Amtsenthebungsverfahren, welches wohl erfolgreich gewesen wäre, weil er ja den Rückhalt seiner eigenen Partei verloren hat, ist er zuvor gekommen, indem er schlicht den Kongress aufgelöst hat, obwohl er dazu keine Befugnis hatte - also eine Aktion, die man eher Trump zugetraut hätte ^^ Die Festnahme Castillos und die Anklage wegen Rebellion ist daher durchaus nachvollziehbar und berechtigt. Für die Amtsenthebung stimmten übrigens 101 Abgeordnete, dagegen nur 6, enthalten haben sich 10. Also da wird sehr deutlich, dass er wirklich keinen Rückhalt mehr hatte.

Castillo hätte hier die demokratische Realität anerkennen müssen, dass seine Regierung gescheitert ist, statt mit allen Mitteln zu versuchen, an der Macht zu bleiben. Ob er die Schuld an dem Scheitern der Regierung hat oder ob seine Partei Schuld ist, ist letztlich nebensächlich: Beide Fälle geben ihm nicht das Recht, sich über die Demokratie zu stellen.

Dass Castillo gerade in der Landbevölkerung immer noch viele Gefolgsleute hat, führt dazu, dass weiterhin für ihn demonstriert wird, ebenso wie in Brasilien noch Leute für Bolsonaro und in den USA noch langen Leute für Trump demonstriert haben. Das bedeutet nicht, dass diese Leute im Recht sind.

TL;DR:
Ob Castillo die Schuld daran trägt, dass seine Präsidentschaft so eine Shitshow wurde, ist von Deutschland aus kaum zu bewerten - gut möglich, dass dort einige Intrigen gelaufen sind und ohne Corona und Ukraine-Krieg alles ganz anders hätte laufen können. Aber er trägt definitiv die Schuld daran, dass er nun im Knast sitzt.

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Wow, ich bin beeindruckt. Danke.
Keine weiteren Fragen :grinning:

Als kleine Ergänzung zu der guten Zusammenfassung: Es gibt in Peru, wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern eine große Spaltung zwischen dem indigenen und dem nicht-indigenen Teil der Bevölkerung und damit einhergehend zwischen Stadt und Land. Castillo und die linke Partei stehen für eine Gleichberechtigung der indigenen Bevölkerung und wenden sich gegen den absolut normalisierten und institutionalisierten Rassismus. Das macht seine anderen Positionen und sein Verhalten nicht besser, aber es erklärt vielleicht zum Teil, warum er gerade auf dem Land eine so große Unterstützung hat und warum er dafür in den Städten abgelehnt wird.

Vergara stellt fest, dass Angst und Misstrauen in Politik und Gesellschaft eine nie dagewesene Dimension erreicht haben. Dafür seien beide Kandidat*Innen gleichermaßen verantwortlich. Pedro Castillo bewarb sich auf dem Ticket von Perú Libre, einer leninistischen Partei, deren Führer*innen für den Fall eines Wahlsieges angekündigt haben, den demokratischen Wechsel abzuschaffen. Und Keiko Fujimori will die korrupte Diktatur ihres Vaters Alberto Fujimori (1990-2000) fortführen. Sie führte in den letzten zehn Jahren die Partei Fuerza Popular an, die kontinuierlich den Rechtsstaat bekämpft hat. […] Der Rassismus gegen Indigene sei die stärkste und dauerhafteste Institution in der peruanischen Gesellschaft und durchdringe das soziale und politische Leben in allen seinen Dimensionen. Als ein Beispiel nennt er die Anfechtung der Wahl durch Keiko Fujimori in einer Pressekonferenz am 9. Juni 2021. […] Stimmen von Indigenen sollten mit einer rassistischen Rhetorik für nichtig erklärt werden. Stimmen aus ländlichen Regionen einfach anzufechten stößt auf Akzeptanz in einer Gesellschaft, die nach allgemein anerkanntem Verständnis in zwei Klassen von Bürger*innen aufgeteilt ist: eine geordnete, zukunftsorientierte, städtische (in der die wirtschaftlichen Eliten wachsen) und eine chaotische, barbarische, „weit abgelegene“, nicht zivilisierte (das Peru der Indios und „Serranos“).

aus:

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