Personalausweise mit Fingerabdruck-Plicht

Liebes Lage-Team,

gestern bin ich auf eine Neuerung aufmerksam geworden, nach der ab August die Ausstellung von Personalausweisen zur Speicherung von Fingerabdrücken verpflichtet. Seither beschäftigt mich dieses Thema sehr. Ich finde es nicht bloß aus einer demokratie- und freiheitsrechtlichen äußerst bedenklich, sondern bin zusehends besorgt, wenn Polizei und Sicherheitsdienste künftig Zugriff auf diese biometrischen Daten unser aller haben, während weniger empfindliche Daten von Polizeicomputern bereits dazu genutzt wurden, im Namen von NSU 2.0 Morddrohungen an Menschen wie die Anwältin Anwältin Seda Başay-Yıldız zu versenden.Vielmehr passt jenes Vorhaben ins Bild der immer weiter voranschreitenden staatlichen Überwachung der vergangenen Jahrzehnte. Die Intiative „digitalcourage“ engagiert sich derzeit gegen die geplanten und durch das EU-Parlament abgesegneten Neuerungen. Unter anderem listen sie folgende Punkte auf ihrer Website auf, die für den „Perso ohne Finger“ sprechen:

  • Lebenslange Kontrolle: Ein Fingerabdruck ist ein biometrisches Merkmal, welches einen Menschen ein Leben lang kontrollierbar macht. Menschen können, wenn es sein muss, Namen und Wohnort wechseln, um sich beispielsweise vor Verfolgung oder Bedrohung zu schützen. Biometrische Daten wie Fingerabdrücke erlauben das nicht.
  • Übergriff statt Schutz: Die anlasslose und massenhafte biometrische Erfassung von Fingerabdrücken ist ein nutzloser und gefährlicher Übergriff des Staats auf die Bevölkerung. Demokratien und Rechtsstaaten haben die Aufgabe, Bürgerinnen und Bürger vor derartigen Übergriffen zu schützen.
  • Freiheit wird schrittweise abgeschafft: Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen werden stets erweitert und verschärft, aber so gut wie nie zurückgefahren. Ohne politischen Kurswechsel werden in Zukunft immer mehr Arten sensibler Biometriedaten millionenfach erhoben, gespeichert und für alle möglichen Zwecke genutzt.
  • Risiko Zugriffserweiterung: In Deutschland dürfen Polizei und Geheimdienste seit 2017 automatisch auf biometrische Passbilder von Personalausweisen zugreifen. Dabei gibt es wenig Kontrolle durch Aufsichtsbehörden. Eine Ausweitung der Zugriffsmöglichkeiten auf die Fingerabdrücke scheint nur eine Frage der Zeit.
  • Kontrollverlust durch Drittstaaten: Durch „weltweite Interoperabilität – auch bei der Maschinenlesbarkeit und der Sichtprüfung“ (Erwägungsgrund Nr. 23) können die biometrischen Daten auch an Behörden in Staaten, in denen Freiheitsrechte nicht geschützt sind, gelangen. Spätestens hier gibt es keine Kontrolle darüber, wohin die biometrischen Daten der Bürgerinnen und Bürger gelangen.
  • Kontrollverlust durch Unternehmen: Bei „Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleistungsanbieter“ (Erwägungsgrund Nr. 42) können auch private Unternehmen Zugriff auf die Daten erhalten, siehe auch Artikel 11 „Schutz personenbezogener Daten und Haftung“.
  • Kontrollverlust durch Geheimdienste: Nach den Enthüllungen von Edward Snowden haben es die Regierungen der EU-Länder versäumt, die Macht von Geheimdiensten wirksam einzuschränken. Im NSU-Skandal hat der mit einem BigBrotherAward für sein Lebenswerk ausgezeichnete sogenannte deutsche „Verfassungsschutz“ die Aufklärung von Terror behindert. Geheimdienste arbeiten unkontrolliert und grundrechtefeindlich. Es muss davon ausgegangen werden, dass Geheimdienste sich unkontrolliert Zugriff auf die biometrischen Daten der EU-Bürgerinnen und -Bürger verschaffen werden.
  • Risiko Datenvernetzung: Bereits jetzt arbeiten „Sicherheits“- Politiker.innen an einer vernetzten, EU-weiten Datenbankstruktur mit Fingerabdrücken, Gesichtsbildern und anderen Biometriedaten, siehe netzpolitik.org vom 17. Juli 2020 und unseren Text zu diesem Thema. Datenbanken von Verwaltungen, Polizei, Geheimdiensten und Firmen wachsen ständig. (siehe Programme: Next Generation Prüm, Polizei 2020, Ausbau des Visa-Information-Systems oder des Schengener-Informations-Systems SIS II).
  • Kinder betroffen: Laut EU-Verordnung werden Kinder ab 6 Jahren erfasst, wobei die einzelnen Regierungen der EU-Ländern die Möglichkeit haben, Kinder bis 12 Jahren von der Pflicht zur Abgabe von Fingerabdrücken zu befreien.
  • Illegitim in Demokratien: Ralf Bendrath erläutert in seinem Beitrag „Zur Geschichte der Fingerabdrücke in Ausweisen“: „Ausweise gehen in Deutschland auf die von den Nazis ab 1938 eingeführte „Kennkarte“ zurück, deren Mitführen für Juden zwingend war. (…) In Spanien wurde die Erfassung von Fingerabdrücken für die nationale Identitätskarte, die bis heute gilt, 1940 während der Franco-Diktatur eingeführt. Was nun allen BürgerInnen aufgenötigt wird, steht also ganz klar in der Tradition verbrecherischer Regime.“ In Frankreich nutzte das Vichy-Regime ab 1942 den Eintrag Jude auf Ausweisen für die Deportation von 76.000 Menschen im Holocaust. (mehr dazu auf lto.de vom 22.7.2018: 80 Jahre Ausweispflicht: Wie ein Nazi-Minister den Über­wa­chungs­staat durch­setzte)
  • Datensicherheit: Die Daten der gespeicherten Fingerabdrücke auf den neuen Personalausweisen können kontaktlos ausgelesen werden. Ein Speichermedium, das heute nicht geknackt werden kann, kann möglicherweise in 10 Jahren geknackt werden.

Diese und mehr Informationen sind hier zu finden: Fingerabdrücke im Personalausweis – was tun? #PersoOhneFinger | Digitalcourage

Gerade weil ihr immer wieder über Themen berichtet, die unsere Freiheitsrechte betreffen, dachte ich mir, eine Besprechung der Sachlage würde sehr gut in euren Podcast passen. Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen - auch weil ich das Gefühl habe, dass dieses Thema relativ unterrepräsentiert in der Berichterstattung stattfindet.

Herzliche Grüße aus Wien
Florian

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Wir haben das bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte mal genauer geprüft. Wir halten die gegenwärtige Regelung nicht für gefährlich. Die Fingerabdrücke werden nämlich nur auf den Ausweisen gespeichert, man kann also nur einen einzigen Zweck damit verfolgen: zu schauen, ob die Person, von der man gerade einen Fingerabdruck nimmt, tatsächlich Inhaberin des Ausweises ist.

Die ganzen anderen Horrorszenarien, von denen die Bielefelder sprechen, haben zum größten Teil mit der nun geplanten Regelung nichts zu tun. Ich teile natürlich die pauschale Kritik an Überwachungsmaßnahmen und einem totalen Staat, das versteht sich von selbst. Aber man muss doch immer genau hinschauen, ob eine gesetzliche Regelung tatsächlich etwas damit zu tun hat. Das ist hier nicht der Fall, die skizzierten Missbrauchsszenarien lassen sich mit der derzeit geltenden Regelung gerade nicht ausführen. Und weil die Fingerabdrücke gerade nicht irgendwo zentral gespeichert werden sollen, lässt sich auch nicht mal eben schnell mit einer Änderung des Gesetzes eine problematische Nutzung der Fingerabdrücke erreichen.

Aus unserer Sicht wäre die rote Linie erreicht, wenn tatsächlich eine zentrale Datenbank mit Fingerabdrücken aufgebaut würde. Das ist mit dem derzeitigen Gesetz aber nicht vorgesehen.

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Ich sehe diese Notwendigkeit nicht.
Mein Ausweis weisst mich doch auch so aus.
Auch vor der Verpflichtung mit biometrischen Fotos habe ich mich gefragt, sind wir so anfällig für Fälschungen dass wir das wirklich brauchen?

Ob das tatsächlich notwendig ist kann ich nicht beurteilen, aber ich finde es schon grundsätzlich richtig, dass man Ausweise gegen Fälschung sicher macht, insbesondere wenn es dabei gelingt, biometrische Merkmale so zu verwenden, dass ein Missbrauch ausgeschlossen ist. Das scheint mir in diesem Fall gelungen zu sein.

Aber genau das beklagen die KollegInnen aus Bielefeld doch. Der Nutzen zur Terrorabwehr scheint nicht nachweisbar zu sein. Hinterlässt bei mir also eher mal wieder den Eindruck einer Nummer durch die Hintertür, die dann später schwer bis gar nicht rückgängig zu machen ist. Nach dem Motto (wenn auch etwas überspitzt): „Wir müssen die Drohnen für die Bundeswehr anschaffen, um unsere Soldaten zu schützen.“ Später stellen wir dann fest, dass wir diese auch noch anderweitig nutzen können.

Vielen Dank dennoch für diese Einschätzung. Ein wenig konnte sie meine Besorgnis schmälern. :wink:

Zwei kleine Fragen, die mir kürzlich kamen und ich euch Rechtexperten gerne fragen wollte.

Warum müssen 2 Fingerabdrücke (also 1 je Hand) im Perso gespeichert sein? Gibt es nicht eine Pflicht zu Datenminimierung? Schließlich würde auch ein Fingerabdruck ausreichen für den Zweck.

Kann man sich den Finger bzw. die Finger aussuchen? Denn welcher Finger spielt auch keine Rolle für den Fälschnungsschutz. Oder wie wäre es mit einem Zeh, auch diese haben „Fingerabdrücke“.

Ich glaub man versteht worauf ich hinaus will. Ich finde das sowohl Digitalunternehmen als auch Behörden mir zu datenhungrig werden und eigentlich schon viel weniger Informationen den Zweck erfüllen würden.

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen. =)

Erste Frage: wie will man verhindern, dass die Fingerabdrücke nicht dauerhaft gespeichert werden?

Ich glaube nicht, dass die Persos in Zukunft Just in Time erstellt werden. Das bedeutet aber, das die Abdrücke eingelesen und zwischengespeichert werden müssen.

Zweite Frage: wenn sie denn wie behauptet nur auf dem Perso gespeichert sind, wie will man die dann kontrollieren?

Haben dann zukünftig alle Polizeidienststellen entsprechende Ausrüstung und für jede Feststellung der Personalien wird man erstmal zur nächsten Dienststelle geschleppt?

Ich bin in Berlin vor langer Zeit Mal in eine Verkehrskontrolle der „Sonderermittlung Drogen und Alkohol im Straßenverkehr“ geraten: die haben nichtmal ein Alkomaten mitbekommen!

Dritte Frage: gilt die Regelung nur für Personalausweise oder auch für Reisepässe.

Auf die letzte Frage kann ich antworten. Für die Reisepässe besteht schon seit langem die Fingerabdruck-Pflicht.